Schielen soll nie banalisiert werden, selbst beim Säugling. Wenn auch das Fixationsvermögen des Säuglings während den ersten 3–4 Monaten instabil ist und mit einem intermittierenden Schielen mit variablem Schielwinkel einhergehen kann, stehen die Augen im Wach- und Aufmerksamkeitszustand parallel. Bei konstantem, einseitigem Schielen muss eine neurologische Störung oder eine Augenläsion in Erwägung gezogen und eine ophthalmologische Kontrolle veranlasst werden. Ein systematisches Vorgehen, wie in Tabel – le 1 schematisch dargestellt, kann bei Strabismusverdacht zur Diagnosestellung, weiteren Abklärungen und Beurteilung der Dringlichkeit nützlich sein.
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Schielen soll nie banalisiert werden, selbst
beim Säugling. Wenn auch das Fixationsver-
mögen des Säuglings während den ersten 3–4
Monaten instabil ist und mit einem intermit –
tierenden Schielen mit variablem Schielwinkel
einhergehen kann, stehen die Augen im Wach-
und Aufmerksamkeitszustand parallel. Bei
konstantem, einseitigem Schielen muss eine
neurologische Störung oder eine Augenläsion
in Erwägung gezogen und eine ophthalmolo –
gische Kontrolle veranlasst werden.
Ein systematisches Vorgehen, wie in T a b e l –
le 1 schematisch dargestellt, kann bei Strabis -musverdacht zur Diagnosestellung, weiteren
Abklärungen und Beurteilung der Dringlichkeit
nützlich sein.
Handelt es sich tatsächlich
um einen Strabismus?
Säuglinge und Kleinkinder haben häufig am
inneren Augenwinkel eine Hautfalte (Epikan
–
thus) und/oder eine breite Nasenwurzel, die
ein Schielen vortäuschen können, wenn das
Kind zur Seite blickt und die nasale Konjunk –
tiva beim in Richtung Nase schauenden Auge teilweise verdeckt wird. Dieser Eindruck eines
Strabismus, nicht durch das nicht-Parallelste
–
hen der Augapfel, sondern die asymmetrische
Exposition der Konjunktiven bedingt, ist ein
häufiger Grund, den Arzt aufzusuchen. Dies –
er Pseudostrabismus wird oft auf Fotos be –
merkt, die selten genau von vorne aufgenom –
men werden. Mehrere Elemente erlauben es,
den Pseudostrabismus vom echten Schielen
zu unterscheiden.
A. Hornhautreflexe
Die Spiegelbilder einer Lichtquelle auf der
Hornhaut müssen nicht unbedingt zentriert,
wohl aber symmetrisch sein (Abb. 1). Jede
Asymmetrie der Lichtreflexe muss den Ver –
dacht auf einen Strabismus erwecken. Tem –
porales Abweichen des Lichtreflexes ent –
spricht einem konvergenten Schielen (Eso –
tropie), nasales Abweichen einem divergen –
ten Schielen (Exotropie). Es sollen ebenfalls
vertikale Abweichungen beachtet werden.
B. Retinareflexe
Retinareflexe werden durch gleichzeitiges
Beleuchten beider Augen des Kindes mit ei –
nem direkten Ophthalmoskop untersucht
(Brückner-Test) ( Abb. 2 ). Das Auge des Unter –
suchers kann so mit jenem des Patienten
ausgerichtet werden. Man beobachtet das
Vorhandensein und die Gleichartigkeit der
roten Reflexe, da sie durch jegliche Transpa –
renzstörung verändert werden. Ein dichter
grauer Star unterdrückt jeglichen Lichtreflex,
während eine teilweise Trübung der Linse
oder der Hornhaut einen inhomogenen Netz –
hautreflex verursacht. Es soll ebenfalls nach
einer asymmetrischen Intensität des Lichtre –
flexes gesucht werden. Das Licht des Ophthal –
moskpes wird normalerweise durch die zent –
rale Senkung der Fovea wiedergespiegelt,
deren Anatomie den Lichtreflex dämpft. Be –
steht ein Strabismus, so fällt das Licht auf
Wie soll ein Strabismus angegangen
werden?
Pierre-François Kaeser, LausanneÜbersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
1. Handelt es sich tatsächlich um einen Stra –
bismus?
2. Ist die Achsenabweichung konstant oder
ändert sie sich mit der Blickrichtung?
3. Ist der Strabismus kongenital oder erwor –
ben?
4. Ist der Strabismus primär, oder sekundär
Folge einer Augen-, Orbita- oder neurolo –
gischen Störung?
5. Besteht eine Amblyopie?
Tabelle 1: Systematisches Vorgehen in 5
Schritten bei Schielen
Abb. 1: Hornhautreflexe. A. Pseudostrabismus: Eindruck eines Strabismus convergens: Durch
den Epikanthus ist temporal mehr Bindehaut sichtbar als nasal, die Hornhautreflexe sind sym –
metrisch. B. Strabismus convergens links: Asymmetrische Hornhautreflexe, links nach tempo –
ral versetzt. C. Strabismus divergens links: Hornhautreflex links nach nasal versetzt. D. Hyper –
tropie links: Hornhautreflex links nach unten versetzt
Abb. 2: Netzhaureflexe. A. Die Untersuchung der Lichtreflexe auf der Retina wird mit dem
direkten Ophthalmoskop durchgeführt, indem beide Augen gleichzeitig beleuchtet werden.
B. Normale Reflexe sind symmetrisch und homogen. C. Asymmetrische Intensität der Lichtre –
flexe, beim rechten schielenden Auge leuchtender
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Tat f r ühzeitig , z w ischen dem 3. und 9. Leb ens-
monat und nur bei parallelen Sehachsen und
relativ symmetrischer Sehschärfe. Das «Ent –
wicklungsfenster» ist kurz und kann später
nicht mehr aktiviert werden.
Der Kontext , in welchem das Schielen fes t ge –
stellt wird, ergibt einen ersten Orientierungs –
hinweis. Wird Schielen nach einem Trauma, im
Verlaufe einer fiebrigen Krankheit oder nach
einer Okklusionsbehandlung, z. B. wegen einer
Hornhautläsion, festgestellt, handelt es sich
höchstwahrscheinlich um einen erworbenen
Strabismus, während ein im Rahmen einer
pädiatrischen Vorsorgeuntersuchung, einer
Gelegenheitskonsultation z. B. mit den Gross –
eltern, oder ein «zufällig» festgestellter Stra –
bismus schwieriger zu datieren sein wird.
Die klinische Untersuchung erlaubt, die wahr –
scheinliche Dauer des Strabismus zu bestim –
men. Erworbenes Schielen verursacht eine
Diplopie und bewegt das Kind, ein Auge zu
schliessen oder führt zu ungewohnter Unge –
schicklichkeit. Die normale stereoskopische
Sehschärfe kann manchmal mittels Achsen –
korrektur durch Prismen gemessen werden.
Angeborenes Schielen führt nie zur Diplopie,
ermöglicht kein normales stereoskopisches
Sehen und ist oft von einer Amblyopie des
abweichenden Auges begleitet, manchmal
durchgeführt wird, auf der Suche nach einer
eventuell latenten, kompensierten Strabis
–
muskomponente (Phorie), die sehr häufig und
meistens ohne Konsequenzen ist.
Diese Untersuchungen (Hornhaut- und Reti –
nareflexe, Lang-Stereotest und Okklusions –
test) erlauben den Ausschluss eines Strabis –
mus beim Geradeausschauen. Die Augen
müssen aber auch bei verschiedenen Blick –
richtungen untersucht werden, um ein Ab –
weichen bei seitlicher Blickrichtung auszu –
schliessen (Abb. 4).
Ist die Achsenabweichung
konstant oder ändert sie sich
je nach Blickrichtung?
Bestätigt sich das Vorhandensein eines Stra –
bismus, so ist es wichtig festzustellen, ob der
Schielwinkel in allen Blickrichtungen konstant
bleibt (konkomitantes Schielen, Begleitschie –
len) oder ob er sich je nach Blickrichtung än –
dert (inkomitantes Schielen) (Abb. 4).
«Banales» Schielen ist meist konkomitant. Bei
inkomitantem Schielen muss insbesondere an
die Lähmung eines Augenmuskels (Hirnner –
ven III, IV, VI), an eine Muskel- oder Orbita –
krankheit gedacht werden (Entzündung, Tu –
mor, Fraktur usw.). Die ätiologische Diagnose
ist oft nur durch ausgedehnte zusätzliche
Abklärungen möglich.
Ist der Strabismus kongenital
oder erworben?
Kongenitaler (frühzeitig, vor dem Alter von 6
Monaten aufgetretener) oder erworbener
(spät, nach dem Alter von 6 Monaten aufge –
tretener) Strabismus bestimmen die Indikati –
on zur eventuell notfallmässigen Abklärung,
aber auch die funktionelle Prognose, da die
Wiederherstellung des binokularen Sehens
nur bei spät erworbenem Schielen denkbar
ist, also nach der normalen Visusentwicklung.
Das binokulare Sehen entwickelt sich in der
flache Retina zonen aus ser halb der Fovea und
wird ungeschwächt reflektiert. Der rote Reflex
des schielenden Auges ist deshalb leuchten
–
der als derjenige des fixierenden Auges. Der
Brückner-Test ist einfach, wenig zeitintensiv
und sensitiv; es kann damit eine Trübung der
durchsichtigen Elemente und eine selbst mi –
nime Achsenabweichung des Auges festge –
stellt werden. Bei fehlendem, inhomogenem
oder asymmetrischem Lichtreflex ist eine
spezialärztliche Abklärung indiziert.
C. Lang-Stereotest
Ein gelungener Lang-Stereotest schliesst ein
Schielen aus. Das Kind muss Bilder lokalisie –
r en und b enennen , die es im Relief sieht . B eim
noch nicht sprachkundigen Kind gilt der Test
als gelungen, wenn es die Figuren mit dem
F inger deutet . Es ist w ichtig , die Kar te absolut
unbeweglich im Abstand von 40 cm zu halten
(Abb. 3) , da Bewegungen ermöglichen, die
Abbildungen selbst bei monokularem Sehen
zu lokalisieren. Im Zweifelsfall kann die Test –
karte um 90° gedreht werden, was jeglich –
es stereoskopisches Sehen verhindert. Der
Lang-Test ist ein ausgezeichneter Strabismus-
Screeningtest, eignet sich jedoch nicht zur
Erfassung verminderter oder asymmetrischer
Sehschärfe, da er auch bei einem Visus von
30 % gelingen kann.
D. Okklusionstest
Führt das Verdecken eines Auges zur Einstell –
bewegung des gegenseitigen Auges, bedeutet
dies, dass das zugedeckte Auge fixierte wäh –
rend das andere abwich. Die Richtung der
Einstellbewegung zeigt auch die Schielrich –
tung an: Konvergent, wenn das Auge sich von
nasal her einstellt (Esotropie), divergent bei
Einstellbewegung in Richtung Nase (Exotro –
pie ) . B eim Au fde cken w ir d nach einer Eins tell –
bewegung des zugedeckten Auges gesucht.
Die Untersuchung muss an beiden Augen
durchgeführt werden, bevor dann eine rasch
alternierende Okklusion der beiden Augen
Abb. 3: Lang-Stereotest. A. Die Karte soll in 40 cm Abstand und absolut unbeweglich gezeigt
werden. B. Der Test gilt als gelungen, wenn die 3 Bilder genannt und gezeigt werden. Ein gelun –
gener Lang-Stereotest schliesst ein Schielen aus. Abb. 4:
Untersuchung der Augenstellung in
verschiedenen Blickrichtungen zur Ermittlung
eines inkomitanten Strabismus: Beispiel einer
beidseitigen Lähmung des Hirnnervs IV. A.
Kein Abweichen der Augen beim Blick gerade –
aus. B. Beim Blick nach rechts weicht das
linke Auge nach oben ab. C. Beim Blick nach
links weicht das rechte Auge nach oben ab.
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Rotation des Kopfes eine Augenbewegung in
die Gegenrichtung verursacht. Die Kopfrota-
tion nach r e cht s lös t demnach eine B ewegung
beider Augen nach links aus.
Der konstante frühkindliche divergente
Strabismus ist selten und steht oft im Zu –
sammenhang mit neurologischen Störungen.
Viel häufiger ist der intermittierende diver –
gente Strabismus . Meist kompensiert das
Kind sehr gut bei Nahsehen, bei welchem die
Augen parallel stehen und so ein normales
stere oskopisches Sehen ermöglichen; der
Lang-Stereotest gelingt folglich. Divergentes
Schielen tritt beim Blick in die Ferne auf,
insbesondere wenn das Kind unaufmerksam
oder müde ist. Zur Vermeidung einer Diplopie
wird das abweichende Auge unterdrückt,
wobei durch das Auseinanderweichen der
Augen das binokulare Gesichtsfeld vergrös –
konvergente Strabismus, der intermittierende
divergente Strabismus, und nach dem Alter
von 2 Jahren, der akkommodative Strabismus.
Das
frühkindliche Innenschielen wird im
Verlaufe der ersten 6 Lebensmonate diagnos –
tiziert. Es zeichnet sich durch einen meist
grossen Schielwinkel aus, manchmal assozi –
iert mit gekreuzter Fixation, indem das Kind
das konvergierende rechte Auge benutzt um
nach links zu schauen und das konvergieren –
de linke Auge, um nach rechts zu schauen
( Abb. 6 ) . Durch den Nachweis einer normalen
Abduktion muss eine Lähmung des Hirnnervs
VI ausgeschlossen werden. Dazu soll das Kind
mit einem zugedeckten Auge einen Gegen –
stand oder das Gesicht der Mutter seitlich
verfolgen. Misslingt dies, kann die Abduktion
des Auges durch das sog. «Puppenkopf»-
Manöver hervorgerufen werden, indem die
von einer Gesichtsasymmetrie, wenn das
Schielen zu einer kompensatorischen Schief
–
haltung des Kopfes führt, wie dies bei ange –
borener Lähmung des 4. Hirnnervs der Fall ist
( Abb. 5 ) . Diese Kopf haltung kann dann of t au f
alten Fotos festgestellt werden.
Ist der Strabismus primär,
oder sekundär Folge einer Augen-,
Orbita- oder neurologischen
Störung?
Die Untersuchung eines Strabismus soll ver –
suchen, einen primären («idiopathischen»)
Strabismus von sekundären, bedingt durch
eine Augen-, Orbita- oder neurologische Stö –
rung zu unterscheiden.
Die am häu figs ten in der P r a x is angetr of fenen
primären Strabismen sind der frühkindliche
Abb. 5: Gesichtsasymmetrie mit hypoplasti –
scher linker Gesichtshälfte, bedingt durch die
kompensatorische Kopfhaltung (Rotation nach
rechts) bei angeborener Lähmung des Hirn –
nervs IV. Die Patientin dreht den Kopf nach
r e cht s , um das A nheb en des linken Auges b eim
Blick nach rechts zu vermeiden.
Abb 6: Frühkindlicher Strabismus convergens mit grossem Schielwinkel und gekreuztem Fixieren. Das Kind benutzt sein rechtes Auge, um nach
links (A), und sein linkes Auge, um nach rechts zu schauen (B). Die chirurgische Korrektur erlaubt das Parallelstellen der Augen, die Abduktion
zu verbessern und das binokulare Gesichtsfeld zu erweitern (C).
Abb. 7: Divergenter intermittierender Strabismus. Parallel stehende Augen mit normalem
stereoskopischem binokularem Sehen beim Blick in die Nähe (A), alternierend mit divergentem
Strabismus beim Blick in die Ferne, ohne Diplopie, jedoch mit einem erweiterten binokularen
Gesichtsfeld und panoramischem Sehen (B).
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Die Parese motorischer Augennerven kann
einen Strabismus verursachen, dieser ist
dann inkomitant und die Abweichung nimmt
im Aktionsfeld des (der) gelähmten Muskels
zu (Abb. 9) . Am komplexesten ist der Hirn-
nerv III, da er den unteren, inneren und
oberen geraden und den schrägen unteren
Augenmuskel, sowie den Lidheber und den
Sphincter pupillae innerviert. Bei vollständi –
ger Parese des Hirnnervs III weicht demnach
das Auge nach unten und aussen ab, es be –
steht eine Mydriase und Ptose, Heben, Sen –
ken und Adduktion des Auges sind einge –
schränkt. Die Parese des Hirnnervs IV
(oberer schräger Augenmuskel) verursacht
ein vertikales Abweichen und bei Adduktion
weicht das Auge nach oben ab. Der Patient
nimmt dabei oft eine kompensatorische Kopf –
haltung ein, wobei der Kopf geneigt und die
dem paretischen Auge entgegengesetzte
Richtung ge dr eht w ir d , um das A bweichen des
Auges zu verringern. Bei angeborenem Stra –
bismus kann der kompensatorische Schief –
hals eine Gesichtsasymmetrie verursachen;
er soll nicht mit einem muskulären Schiefhals
verwechselt werden (Abb. 5). Die Hirnnerv-
VI -Parese (gerader lateraler Augenmuskel)
hat ein konvergentes Schielen mit einge –
schränkter Abduktion zur Folge. Die Achsen –
abweichung ist in Abduktionsstellung des
paretischen Auges maximal.
Orbitabedingtes Schielen kann auf Grund
von Anamnese (z. B. blow-out Fraktur) oder
klinischer Untersuchung (Exophthalmie, Ent –
zündungszeichen) vermutet werden.
Besteht eine Amblyopie?
Wie oben beschrieben, kann ein Strabismus
sekundär zu einer Visusanomalie, aber auch
Ursache einer Visusstörung, d. h. eine Am-
blyopie sein. Die Amblyopie entsteht durch
bevorzugtes Benutzen der zerebralen Infor –
mationen des fixierenden Auges, zuungunsten
des abweichenden Auges. Je frühzeitiger sich
die Augen- oder binokuläre Seh störung ein-
stellt, desto ausgeprägter und schneller
kommt es zur Amblyopie. Die Behandlung ist
desto kurzdauernder und wirk samer, je früher
sie begonnen wird. Das Screening durch den
Pädiater ist deshalb entscheidend.
Eine Amblyopie muss bei jedem konstanten
einseitigen Strabismus vermutet werden
( A b b. 10 ) . Beim präverbalen Kind ist die
asymmetrische Reaktion auf die einseitige
Okklusion verdächtig: Das Kind reagiert nicht
auf die Okklusion des amblyopen Auges, ver –
weigert aber das Abdecken des «gesunden
onsstörung handeln, insbesondere eine nicht
korrigierte Hypermetropie, die ein
konver-
gentes Akkommodationsschielen hervor-
ruft ( Abb. 8 ) . Der Strabismus wird dann durch
den Versuch bedingt, die Hypermetropie, die
zu Konvergenz führt, durch Akkommodation
zu kompensieren. Akkommodativer Strabis –
mus ist vor dem Alter von 2 Jahren selten.
Bei anatomischen Anomalien des Auges ,
z. B. grauer Star, Anomalie des Sehnervs oder
der Netzhaut, kann Schielen durch die einge –
schränkte Sehschärfe verursacht werden.
Schielen ist die zweite Präsentationsform des
Retinoblastoms, die erste ist die Leukokorie
( weis s liche Pupille ) . Es sei in Er inner ung ger u –
fen, dass jede Leukokorie oder Verdacht auf
Leukokorie notfallmässig zur augenärztlichen
Untersuchung des Augenhintergrundes in My –
driase zugewiesen werden muss.
sert wird (panoramisches Sehen)
(Abb. 7).
Solange diese Art Strabismus beim Nahsehen
gut kompensiert ist, stellt er lediglich ein äs –
thetisches Problem dar, im Übrigen häufiger
für Familie und Freundeskreis als den Patien –
ten selbst.
Erwähnt werden muss noch der Mikrostrabis-
mus , der zu denselben Entwicklungsstörun –
gen des binokularen Sehens führt wie ein
grosswinkliger Strabismus, jedoch viel schwie –
riger nachzuweisen ist. Oft führt eine spät
entdeckte Amblyopie zur Diagnose. Ein Mikro –
strabismus muss beim Misslingen des Lang-
Stereotests selbst bei Fehlen einer sichtbaren
Augenabweichung vermutet werden.
Schielen kann sekundär sein, als Folge einer
Augen-, Orbita- oder neurologischen Störung.
Die Augenanomalie kann angeboren oder er –
worben sein. Es kann sich um eine Refrakti –
Abb. 10: Konvergenter Strabismus mit alternierendem Fixieren durch rechtes (A) und linkes
(B) Auge. Starker Amblyopieverdacht besteht bei konstantem einseitigem Schielen. Abb. 9: Schematische Darstellung der Augenstellungen und Einschränkungen der Augenbewe –
gungen durch okulomotorische Lähmungen. A: Lähmung des Hirnnervs III (n. oculomotorius):
Das gelähmte Auge weicht nach aussen unten ab, Adduktion, Heben und Senken sind einge –
schränkt; Pupille mydriatisch, Ptose. B. Lähmung des Hirnnervs IV (n. trochlearis): Das gelähm-
te Auge weicht bei Adduktion nach oben ab, in Adduktionsstellung ist das Senken des Auges
eingeschränkt. C. Lähmung des Hirnnervs VI (n. abducens): Das gelähmte Auge weicht nach
innen ab, die Abduktion ist eingeschränkt.
Abb. 8:
Reiner akkommodativer convergenter Strabismus des rechten Auges (A): Die optische
Kor r ek tur der b eidseitigen Hy p er metr opie ( B ) hebt die A kkommo dation als Ur s ache des Schie –
lens auf. Diese Art des Schielens tritt klassischerweise im Alter von 2 Jahren auf.
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griff kann frühzeitig stattfinden bei einem
konvergenten Strabismus mit grossem Schiel-
winkel und alternierender gekreuzter Fixation,
um die Abduktion zu ermöglichen und dem
Kind ein normales binokulares Gesichtsfeld
zu verschaffen und seine psychomotorische
Entwicklung zu fördern. In den übrigen Fällen
wird der Eingriff vor Schuleintritt durchge –
führt, um Spötteleien zu vermeiden. Der
Wunsch der Eltern kann die Wahl des Opera –
tionsdatums ebenfalls beeinflussen.
Der Eingriff wird beim Kind in Allgemeinnar –
kose durchgeführt, im Prinzip ambulant. Er ist
schmerzlos, es besteht lediglich während 3–4
Tagen ein Fremdkörpergefühl. Im Anschluss
an die Operation werden während ca. zwei
Wochen antibiotische Augentropfen verab –
reicht.
Schlussfolgerung
Schielen kann Folge von Augen-, Orbita- oder
neurologischen Störungen sein; diese müssen
systematisch gesucht werden. Schielen kann
Ursache oder Folge einer Amblyopie sein,
deren frühzeitige Behandlung für die Entwick –
lung eines optimalen Sehvermögens unab –
dingbar ist. Kinderärzte spielen bezüglich
Screening von Sehstörungen und Information
der Eltern, bevorzugte Beobachter ihrer Kin –
der, eine wesentliche Rolle. Bei Verdacht auf
eine Sehstörung irgendwelcher Art ist eine
augenärztliche Abklärung indiziert. Die Zu –
sammenarbeit zwischen Kinder- und Augen –
ärzten ist für eine gesunde Entwicklung des
Sehvermögens der Kinder unentbehrlich.
Korrespondenzadresse
Pierre-François Kaeser
Médecin associé, responsable de l’unité
de strabologie et ophtalmologie pédiatrique
Service d’ophtalmologie de l’Université
de Lausanne
Hôpital ophtalmique Jules-Gonin
Avenue de France 15
1004 Lausanne
pierre-francois.kaeser@ fa2.ch
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung
und keine anderen Interessenkonflikte im Zu –
sammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Auges». Später kann selbstverständlich der
Visusunterschied
objektiviert werden.
Innerhalb welcher Frist soll
ein Strabismus augenärztlich
untersucht werden?
Akutes Schielen (Diplopie), Verdacht auf
Augenmuskellähmung (inkomitanter Strabis –
mus), Verdacht auf eine organische Augen –
störung (insbesondere fehlender oder inho –
mogener Retinareflex), sowie im Zusam men
–
hang mit neurologischen Störungen auftreten –
des Schielen müssen notfallmässig zugewie –
sen werden. Patienten mit Amblyopieverdacht
sollten innerhalb eines Monats, alle anderen
Patienten innerhalb zwei Monaten augenärzt –
lich abgeklärt werden.
Wie wird Schielen behandelt?
Die einzigen Schielformen, die als behandel –
bar betrachtet werden können, sind der reine
akkommodative Strabismus, der vollständig
durch die optische Korrektur der Refraktions –
störung korrigiert wird, und der normosenso –
rielle spät auftretende Strabismus, der nach
Entwicklung eines normalen binokularen Se –
hens auftritt. Es sind die einzigen Schiel –
formen, bei welchen die Wiederherstellung
eines normalen binokularen Sehens erhofft
werden kann.
Für alle anderen Schielformen ist es das Ziel
der Behandlung, die Achsenabweichung auf
einen genügend kleinen Winkel zu reduzieren,
um eine, allerdings nie perfekte, binokulare
Zusammenarbeit zu erreichen; dies insbeson –
dere bei konvergenten Strabismen mit gros –
sem Schielwinkel. Es werden damit auch die
sozialen Auswirkungen eines starken Schie –
lens gemildert.
Die ersten Behandlungsschritte bestehen im –
mer in der Korrektur einer möglichen Refrak –
tionsstörung und einer eventuell assoziierten
Amblyopie. Bis heute besteht die wirksamste
Behandlung immer noch in der Abklebebe –
handlung (Okklusion) des dominanten Auges.
Die Okklusion wird bis zum Erreichen einer
spontanen Fixationsalternanz und/oder sym –
metrischen Sehschärfe beibehalten. Je früher
die Amblyopiebehandlung begonnen wird,
desto kürzer und wirksamer wird die Behand –
lung sein. Sie ist nur während der Entwick –
lungsphase des Sehver mögens möglich, da sie
auf der Plastizität des Gehirns aufbaut.
Meist wird ein chirurgischer Eingriff zur Aus –
richtung der Augen erst nach der Amblyopie –
behandlung in Betracht gezogen. Dieser Ein –
1Prof. ffRTofaff.bia
1Prof. RTabin,SR.eor.(chtnl)hohe MP Pb.t
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Pierre-François Kaeser , Médecin associé, responsable de l'unité de strabologie et ophtalmologie pédiatrique Service d'ophtalmologie de l’Université de Lausanne Andreas Nydegger