Angeborene Missbildungen der Augenlider können erblich sein oder nicht. Willkürlich können sie in zwei Kategorien eingeteilt werden: Fehlstellungen und Fehlbildungen. Sie werden nur selten echographisch während der Schwangerschaft diagnostiziert, insbesondere, wenn sie isoliert sind und nicht im Zusammenhang mit einem Syndrom stehen. Die chirurgische Behandlung hängt vom funktionellen Risiko (Amblyopie, Hornhautläsion) und ästhetischen Argumenten ab. Der optimale Zeitpunkt muss mit den Eltern diskutiert werden.
20
Angeborene Missbildungen der Augenlider
können erblich sein oder nicht. Willkürlich
können sie in zwei Kategorien eingeteilt wer-
den: Fehlstellungen und Fehlbildungen. Sie
werden nur selten echographisch während
der Schwangerschaft diagnostiziert, insbe –
sondere, wenn sie isoliert sind und nicht im
Zusammenhang mit einem Syndrom stehen.
Die chirurgische Behandlung hängt vom funk –
tionellen Risiko (Amblyopie, Hornhautläsion)
und ästhetischen Argumenten ab. Der optima –
le Zeitpunkt muss mit den Eltern diskutiert
werden.
Lidfehlstellungen
Ptosis
Angeborene Ptosis tritt oft isoliert auf, ein-
oder beidseitig asymmetrisch. Es handelt sich
um eine dystrophieartige Entwicklungsstö –
rung des Levators. Das herabhängende Au –
genlid führt zu einer Einschränkung des
Ge
sichtsfeldes, zur Überbeanspruchung der
Stirnmuskulatur und einer zwanghaften Kopf –
haltung mit angehobenem Kinn (Abb. 1). Ist
der Verschluss ausgeprägt und einseitig, kann dies zu einer sensoriellen Privation und zur
Amblyopie führen.
Sehr selten kann die angeborene Ptosis ein
en
neurogenen Ursprung haben. Man unter –
scheidet Lähmungen des 3. Hirnnervens, das
Horner-Syndrom, oder die Marcus-Gunn-
Synkinesie. Die Lähmung des 3. Hirnnervens
führt nebst der Ptosis zu einer Einschränkung
der Adduktion sowie Auf- und Abbewegung
des Auges, das sich in Abduktionsstellung
befindet. Das Horner-Syndrom zeich net sich
dur ch eine leichte P tosis aus , mit as soziier ter
Irisheterochromie, Myosis und Enophthalmus
(Abb. 2) . Die Marcus-Gunn Synkinesie ent –
spricht einer unnatürlichen Verbindung zwi –
schen Nervenfasern des 3. und 5. Hirn –
nervens, mit Ruheptosis und Hochziehen des
betroffenen Augenlides beim Kauen oder
Seitenbewegungen des Unterkiefers. Beim
Neugeborenen lässt sich dies leicht beim
Saugen beobachten. Dass Ausmass der Syn –
kinesie variiert individuell und beeinflusst die
Wahl des chirurgischen Eingriffes.
Zu den neurogenen Formen kann auch das
Syndrom der kongenitalen Augenmuskelfibro –
se gerechnet werden, eine durch abnorme Embryogenese der Okulomotoriuskerne be
–
ding te Er bkr ankheit . Die P tosis geht mit einer
ausgeprägten Augenmuskellähmung, die das
H eb en des Auges ver unmöglicht , mit Hy p otr o –
pie und kompensatorischer Haltung des Kopf –
es in Rücklage einher.
Angeborene Ptosis kann im Rahmen von
Missbildungssyndromen auftreten. Am be –
kanntesten ist die Blepharophimose. Dieses
Sy ndr om w ir d im Kapitel angeb or ene Mis sbil –
dungen beschrieben.
Ausser bei ausgeprägter einseitiger Ptosis mit
Amblyopierisiko, wird die chirurgische Korrek –
tur im Alter von 3–4 Jahren durchgeführt. Die
beiden am häufigsten verwendeten Techniken
sind die Resektion des Levators und Fixierung
am Stirnmuskel. Die Wahl hängt davon ab, wie
gut der Levator erhalten ist.
Lidretraktion
Die Lidretraktion ist viel seltener als die Pto –
sis. Sie kann ein- oder beidseitig, isoliert oder
im Rahmen eines mehr oder weniger komple –
xen Missbildungssyndroms auftreten (Abb. 3).
Bei einem Schilddrüsenleiden der Mutter muss
an eine Hypothyreose gedacht werden.
Die Lidretraktion des Oberlides, bedingt
durch eine Schädigung des Levators, kann zu
einer Hautschrumpfung führen. Die freiliegen –
de Hornhaut und der ungenügende Lidschluss
beunruhigen oft die Eltern. Besteht Gefahr
einer Hornhautschädigung, kann durch Rück –
verlegen des Levators eine chirurgische Kor –
rektur erreicht werden.
Angeborene Missbildungen der Augenlider
Mehrad Hamédani, Aurélie Obéric, LausanneÜbersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Abb. 1: Kongenitale Ptose rechts, A) prä-, B) postoperativ. Abb. 2: Angeborenes Horner-Syndrom, rechts
mit Irisheterochromie und Myosis.
Abb. 3: Angeborene Lidretraktion des rechten
Oberlides. Abb. 4: Epiblepharon a) von vorne, b) seitlich.
1Prof. ffRTofaff.bia
1Prof. RTabin,SR.eor.(chtnl)hohe MP Pb.t
21
Entropium
Das angeb or ene Entr opium is t aus ser gewöhn-
lich. Es handelt sich eher um eine im Er wach –
senenalter erworbene Fehlstellung, bedingt
durch das Erschlaffen des Lides. Dabei führt
der einwärts gekehrte freie Lidrand dazu,
dass die Wimpern auf der Hornhaut schleifen
(Trichiasis).
Im Kindesalter tritt eher eine Distichiasis oder
ein Epiblepharon auf.
Die Distichiasis entspricht einer zweiten Wim –
pernreihe, hinter den physiologischen Wim –
pern liegend. Da es sich um feine und wenig
reizende Härchen handelt, ist eine chirurgi –
sche Korrektur selten notwendig. Diese be –
steht in einer Elektrolyse der überzähligen
Wimpern oder in einer plastischen Korrektur
der Lidkante durch Konjunktiva- oder Mund –
schleimhauttransplantat.
Als Epiblepharon bezeichnet man das Einrol –
len von Hautgewebe im nasalen Teil, haupt –
sächlich des Unterlides, wodurch die Wim –
pern auf der Hornhaut scheuern, bei phy –
siologischer Stellung des äusseren Lidanteils
( Abb. 4 ) . Diese anatomische Besonderheit ist
in der asiatischen Bevölkerung häufig, beid –
seitig und oft asymmetrisch. Im Gegensatz
zum Entropium is t der Ver lau f häu fig sp ont an
günstig, wobei sich die überschüssige Haut
mit dem Wachstum des Gesichtes zuneh –
mend entrollt. Eine chirurgische Korrektur kann notwendig werden, wenn eine Horn
–
hautschädigung zu befürchten ist, bei funkti –
onellen Symptomen wie Tränenfluss und
Photophobie. Sie besteht in myokutaner Re –
sektion und nach aussen Kippen der Lidkan –
te.
Ektropium
Unter Ektropium versteht man ein Auswärts –
kippen vor allem des Unterlides. Es handelt
sich in den meisten Fällen um eine Haut –
schrumpfung. Durch diese Lidfehlstellung
kann die Kornea blossgelegt werden, es be –
steht das Risiko einer Keratitis oder von
Hornhautulzera. Klinisch zeigt sich die Horn –
hautreizung durch Rötung, Schmerzen und
Photophobie. Befeuchtung mit Augensalben
und -tropfen erlaubt oft, Hornhautkomplikati –
onen zu verhindern. Erweist sich diese Mass –
nahme als ungenügend, kann die Augenfunk –
tion nur durch chirurgische Behandlung
erhalten werden. Sie besteht in einer Lidver –
längerung durch Hauttransplantate.
Ein spezielles klinisches Bild verdient es,
hervorgehoben zu werden. Es handelt sich um
das angeborene Ektropium, ein Bindehauto –
edem (Chemosis), das beim Neugeborenen
ohne Hautschrumpfung für das Auswärtsrol –
len der Augenlider verantwortlich ist. Der
Verlauf ist in wenigen Tagen mittels einfacher
Befeuchtung spontan günstig. Lidmissbildungen
Blepharophimose
Das Blepharophimose-Syndrom ist eine ange –
borene, autosomal-dominant vererbte Miss –
bildung von Orbita und Augenlider. Es gibt
zwei Vererbungswege: Männlich (mit vermin –
derter weiblicher Fertilität) oder in gewissen
Fällen über Mann und Frau. Das Syndrom
trifft beide Geschlechter. Klinisch besteht
eine beidseitige Orbita- und Lidverengung.
Die knöcherne Orbita ist eng und tief. Die Li –
der sind klein und verdickt, es besteht eine
Ptosis. Die Augenspalten sind kurz, mit einem
Epikanthus inversus und Telekanthus. Die
Behandlung ist chirurgisch, in zwei Etappen:
Plastische Korrektur des inneren Augenwin –
kels und anschliessend Ptosiskorrektur durch
Levatorresektion oder Befestigung am Stirn –
muskel (Abb. 5) .
Kolobome und
Gesichtsspalten-Syndrome
Als Lidkolobom werden alle Defekte des Lid –
randes bezeichnet ( Abb. 6 ). Kolobome können
nach Stellung, Ausmass und Schweregrad
eingeteilt werden. Sie gehören zu den Ge –
sichtsspalten-Syndromen. Ursache ist eine
Fusionsstörung der embryonalen Gaumen –
wülste. Als Referenz gilt die Klassifikation
nach Tessier (1976), wobei die Spalten von 1
bis 14 nummeriert sind. Die Behandlung die –
ser Spalten, die oft Knochen und Weichteile
miteinbeziehen, wird durch multidisziplinäre
Teams durchgeführt, bestehend aus Augen –
ärzten, Kinder-, Kiefer-Gesichts- und Neuro –
chirurgen (Abb. 7).
Kryptophthalmus
Bei dieser Missbildung zieht die Gesichtshaut
glat t üb er die Augengegend , b ei den komplet –
ten Formen von den Augenbrauen bis zur
Wange. Die knöcherne Orbita ist oft normal.
Ein Augapfel ist vorhanden. Der Kryptophthal –
mus ist oft Teil eines komplexen Syndroms
(Fraser-Syndrom). Die chirurgische Behand –
lung ist komplex und besteht in der Rekons –
Abb. 5: Blepharophimose A) prä-, B) postoperativ.
Abb. 6: Kolobom. Abb. 7: Gesichtsspalte A) prä-, B) postoperativ (durch das Team mit J. Hohlfeld, CHUV).
1Prof. ffRTofaff.bia
1Prof. RTabin,SR.eor.(chtnl)hohe MP Pb.t
22
truktion von Augenlid und Bindehautsack und
darin, das Einsetzen einer Augenprothese zu
ermöglichen (Abb. 8).
Ankyloblepharon
Beim Ankyloblepharon sind Ober- und Unter –
lid mehr o der weniger ausge dehnt , manchmal
fadenförmig (Ankyloblepharon adantum) ver –
schmolzen. Die Behandlung ist einfach und
besteht im Trennen der Augenlider.
Mikrophthalmie/Anophthalmie
Die isolierte oder im Rahmen einer halbseiti –
gen Gesichtsmikrosomie auftretende Mikro –
phthalmie ist Ursache der Wachstumsstörung
von Orbita und Augenlidern, setzt doch das
Orbitawachstum ein regelmässiges und har –
monisches Wachstum des Augapfels voraus.
Der verkleinerte (Mikrophthalmus) oder feh –
lende (Anophthalmus) Augapfel hat eine Miss –
b il dung von O r b it a , B in de haut s ack un d Augen –
lider zur Folge (Abb. 9). Die Behandlung dieser
komplexen und dreidimensionalen Missbil –
dung muss frühzeitig, während den ersten
Lebenswochen erfolgen. Sie besteht in der
Anpassung von zunehmend grösseren Augen –
prothesen an die Orbita. Der Therapieerfolg
hängt von der Zusammenarbeit mit einem
Okularisten (Augenprothetiker) sowie von
Engagement und Verfügbarkeit der Eltern ab. ReferenzenAdenis JP, Morax S. Pathologie orbito-palpébrale.
Rapport de la Société Française d’Ophtalmologie.
Masson. Paris, 1998.
Morax S, Hamédani M. Malformations craniofaciales.
Encyclopédie Médico-Chirurgicale, 2001.
Rougier J, Tessier P, Her vouet F, Woillez M, Lekief fre M,
Derome P. Chirurgie plastique Orbito-Palpébrale. Rap –
port de la Société Française d’Ophtalmologie. Masson,
Paris, 1977.
Korrespondenzadresse
Dr Mehrad Hamédani
Médecin adjoint, Responsable de l’Unité de
chirurgie palpébrale, orbitaire et lacrymale
Service d’ophtalmologie de l’Université de
Lausanne
Hôpital ophtalmique Jules-Gonin
Avenue de France 15
1004 Lausanne
Fax: 021 626 8111
mehrad.hamedani @ fa2.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstüt –
zung und keine anderen Interessenkonflikte im
Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Abb. 8: Fraser-Syndrom mit Kryptophthalmus A) prä- B) postoperativ. Abb. 9: Angeborene Mikrophthalmie rechts.
Lidfehlstellungen
Ptosis
Lidretraktion
Entropium/Distichiasis/Epiblepharon
Ektropium
Lidmissbildungen
Blepharophimose
Kolobome und Gesichtsspalten-Syndrome
Kryptophthalmus
Ankyloblepharon
Mikrophthalmie/Anophthalmie
1Prof. ffRTofaff.bia
1Prof. RTabin,SR.eor.(chtnl)hohe MP Pb.t
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. Mehrad Hamédani , Médecin adjoint, Responsable de l’Unité de chirurgie palpébrale, orbitaire et lacrymale Service d’ophtalmologie de l’Université de Lausanne, Hôpital ophtalmique Jules-Gonin Aurélie Obéric Andreas Nydegger