Die Verlaufskontrolle und die Dokumentation des kindlichen Wachstums sind von ausserordentlicher Bedeutung in der pädiatrischen Grundversorgung und nicht immer ist es einfach, eine Normvariante gegenüber einer Pathologie abzugrenzen. Ein Kind, das bezogen auf sein Alter eine ungenügende Wachstumsgeschwindigkeit zeigt oder auch unterhalb seines genetischen Zielbereichs wächst, muss dabei weiter abgeklärt werden. Besondere Aufmerksamkeit benötigen Kinder, die bereits klein und/ oder untergewichtig geboren werden, diese SGA-Kinder sind definiert durch eine Geburtslänge und/oder ein Geburtsgewicht unterhalb der 3. Perzentile für das Gestationsalter. Damit ist auch die Häufigkeit definiert, mit den aktuellen Geburtszahlen in der Schweiz gehen wir von ca. 2300 neu geborenen SGA-Kindern pro Jahr aus.
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te, die trotz normalen Stimulationstesten
bei bis zu 40% der SGA-Kinder eine ernied-
rigte Wachstumshormon-Spontansekreti –
on oder ein anormales Sekretionsmuster
beschreiben
3).
Wachstumshormontherapie bei
SGA-Kindern
Bereits in den 70er Jahren konnte gezeigt
werden, dass Wachstumshormon bei SGA-
Kindern zu einer zumindest kurzzeitigen
Verbesserung der Wachstumsgeschwin –
digkeit führt. Wegen damals relativ niedri –
gen Dosen und Verabreichung an nur 2–3
Tagen pro Woche war der wachstumsför-
dernde Effekt allerdings nicht nachhaltig.
Ab Mitte der 80er Jahre war Wachstums –
hormon durch die rekombinante Herstel –
lung in praktisch unbegrenzter Menge ver-
fügbar und zahlreiche Studien wurden mit
der Fragestellung Endlängengewinn und
Verlauf der metabolischen Parameter un –
ternommen. In den USA wurde die Lang –
zeitbehandlung von kleinwüchsigen SGA-
Kindern, die bis zum Alter von 2 Jahren ihr
Wachstum nicht aufgeholt hatten, dann
2001 von der Food and Drug Administrati –
on (FDA) zugelassen. In Europa folgte die –
ser Beschluss dann Mitte 2003, die Bedin –
gung dabei war allerdings erst bei Kindern
ab dem Alter von 4 Jahren und mit einer
Körperhöhe von < –2.5 SD. In der Schweiz
wird die Wachstumshormontherapie bei
SGA-Kindern seit dem 1.12.2008 von der
Krankenkasse übernommen, die gültigen
Kriterien sind in Tabelle 2 zusammenge -
fasst.
Therapiebeginn und Dosis
Generell gilt bei jeder Wachstumshormon -
therapie, dass je jünger das Kind bei The -
rapiebeginn ist, umso besser dürfte das
Aufholwachstum sein. Aus den oben er-
wähnten Gründen würde man SGA-Kinder
aber nicht vor dem 2. Geburtstag evaluie -
ren, da ein spontanes Aufholwachstum
noch möglich ist. Zudem besteht in der
Neugeborenen- und Säuglingszeit eine ge -
wisse Wachstumshormonresistenz, da die
entsprechenden Rezeptoren an der Zell -
oberfläche noch kaum exprimiert werden.
In Europa und eben auch in der Schweiz
liegt der mögliche Therapiebeginn im Mo -
ment immer noch bei 4 Jahren. Eine multi -
zentrische europäische Therapiestudie
mit kontinuierlicher Wachstumshormon -
Einleitung
Die Verlaufskontrolle und die Dokumentati-
on des kindlichen Wachstums sind von aus -
serordentlicher Bedeutung in der pädiatri -
schen Grundversorgung und nicht immer
ist es einfach, eine Normvariante gegen -
über einer Pathologie abzugrenzen. Ein
Kind, das bezogen auf sein Alter eine unge -
nügende Wachstumsgeschwindigkeit zeigt
oder auch unterhalb seines genetischen
Zielbereichs wächst, muss dabei weiter ab -
geklärt werden. Besondere Aufmerksam -
keit benötigen Kinder, die bereits klein und/
oder untergewichtig geboren werden, diese
SGA-Kinder sind definiert durch eine Ge -
burtslänge und/oder ein Geburtsgewicht
unterhalb der 3. Perzentile für das Gestati -
onsalter. Damit ist auch die Häufigkeit defi -
niert, mit den aktuellen Geburtszahlen in
der Schweiz gehen wir von ca. 2300 neu ge -
borenen SGA-Kindern pro Jahr aus.
Wachstum bei SGA-Kindern
Etwa 80–90% der hypotrophen Neugebo -
renen zeigen während der Säuglingszeit
ein Aufholwachstum. Dieses findet meist schon in den ersten 6–12 Lebensmonaten
statt, nach dem 2. Lebensjahr wird es nur
noch selten beobachtet. Damit besteht für
10–20% der SGA-Kinder ein erhöhtes Risi
-
ko für einen permanenten Kleinwuchs.
Heute wissen wir auch, dass neben dem
reinen Längenwachstum auch metaboli -
sche Parameter wie Insulinsensitivität, Li -
pidstatus, BMI sowie auch Blutdruck nega -
tiv beeinflusst werden können. Damit ist
das Risiko für die spätere Entwicklung ei -
nes metabolischen Syndroms mit der da -
mit verbundenen kardiovaskulären Morbi -
dität und Mortalität bei SGA-Kindern
signifikant erhöht
1) (Tab. 1) . Bezüglich dem
Endlängenverlust gehen wir bei SGA-Kin -
dern ohne Aufholwachstum für das weibli -
che Geschlecht von ca. 7,5 cm aus, für das
männliche dürften es um 10 cm Endlän -
genverlust sein
2). Nur wenige SGA-Kinder
zeigen ein klassisches Wachstumshor-
mondefizit, die etablierten biochemischen
Stimulationsteste zeigen üblicherweise ei -
nen suffizienten Anstieg. Trotzdem kann
bei vielen Kindern von einer milden, res -
pektive partiellen Insuffizienz und/oder
Resistenz für Wachstumshormon oder
IGF1 ausgegangen werden. Es gibt Berich -
SGA und Kleinwuchs – Indikation
für Wachstumshormon
Urs Zumsteg, Basel
Metabolische Konsequenzen der Früh\ageburtlichkeit/SGA
AdipositasInsulinresistenz
Ischaemische Herzkrankheit Prämature Pubarche/Adrenarche
T2 DM PCO
Arterielle Hyperton\bie Abnormes IGF-1/IGF-BP3 pattern mit reduziertem Wachstumspotential
Dyslipidämie
Hyperurea
Tabelle 1
Kriterien der Wachstumshormontherapie \abei SGA-Kindern in der Schweiz
Geburtsgewicht/-grösse ≤ –2 SD
Kein Aufholwachstum bis zum 4. Le\bbensjahr
Aktuelle Körperlänge\b ≤ –2,5 SD
Wachstumsgeschwindigkeit im letzten Jah\br ≤ 0 SD
Angleichung an die geneti\bsche Zielgrösse < –1\b SD
Wachstumshormonmangel\b und/oder Hypothyr\beose vorher ausges\bchlossen
Andere medizinische Gründe für Klein\bwuchs oder allfällige\b Therapien vorher au\bsgeschlossen
Re-Evaluation der Therapie nach einem Jahr
Tabelle 2
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auch hier gilt, dass nach strenger Indikati-
onsstellung für eine Therapie mit Wachs -
tumshormon der Therapieerfolg laufend
evaluiert und kritisch beurteilt werden
muss. Bei Nichtansprechen respektive
fehlender signifikanter Verbesserung der
Wachstumsgeschwindigkeit nach 1 Jahr
muss die weitere Therapieindikation disku -
tiert werden, dies wird berechtigterweise
auch von den Kostenträgern so verlangt.
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Korrespondenzadresse
Prof. U. Zumsteg
Chefarzt Ambulante Medizin UKBB
Päd. Endokrinologie/Diabetologie
Universitätskinderspital beider Basel
Postfach, Spitalstrasse 33, CH-4056 Basel
urs.zumsteg@ukbb.ch
behandlung kleinwüchsiger SGA-Kinder
über einen Zeitraum von 6 Jahren hat klar
eine Dosisabhängigkeit der Wirkung ge
-
zeigt, die Grössen-SD der unbehandelten
Kontrollgruppe blieb unverändert, die eher
niedrig dosierte Gruppe (33 µg/kg/Tag)
verbesserte ihre Körperlänge um + 2,0 SD,
die Hochdosisgruppe (67 µg/kg/Tag) so -
gar um + 2.7 SD
4). Trotzdem erscheint der
Einsatz unphysiologisch hoher Wachs -
tumshormondosen auch bei diesen Kin -
dern nicht eigentlich gerechtfertigt. Die
Mehrheit der Patienten benötigt auch nach
Normalisierung der Körperlänge, respekti -
ve nach Erreichen des genetischen Wachs -
tumskanales eine kontinuierliche Behand -
lung über einen längeren Zeitraum; ob die
Dosis nach erfolgtem Aufholwachstum
möglicherweise reduziert werden kann, ist
Gegenstand aktueller Untersuchungen.
Das Therapieziel ist die Normalisierung
oder zumindest Verbesserung der Körper-
höhe im Kindes- und im Erwachsenenalter.
Erste Studien zum Endlängengewinn im Er-
wachsenenalter lassen ca. 10 cm erwar-
ten, dies bedeutet einen praktisch voll -
ständigen Ausgleich des Defizits und eine
Normalisierung der Körperlänge in Bezug
auf die Genetik
5), 6) .
Knochenalter
Im Allgemeinen ist bei kleinwüchsigen
SGA-Kindern das Knochenalter um 1–2
Jahre retardiert, im Gegensatz zu anderen
kleinwüchsigen Kindern bedeutet dies bei
St. n. SGA aber nicht unbedingt längeres
Längenwachstum und damit späteres Auf -
holen. Die bisherigen Untersuchungen zei -
gen, dass auch unter hochdosierter
Wachstumshormonbehandlung der Kno -
chenalterfortschritt bei SGA-Kindern ad -
äquat ist und damit eben nicht Endlängen -
zentimeter verloren gehen. Trotzdem muss
betont werden, dass es eine recht grosse Variation bezüglich Endlängengewinn gibt,
dies auch wenn man bezüglich Elterngrös
-
se, Alter bei Therapiebeginn sowie Thera -
piedauer korrigiert.
Nebenwirkungen
Da eine Wachstumshormontherapie eine
gewisse Insulinresistenz induziert, war der
Zuckerstoffwechsel bei diesen Risikokin -
dern ein kritischer Punkt und wurde ent -
sprechend gut untersucht. Die Kinder zei -
gen unter der Therapie wohl etwas erhöhte
Insulinwerte, die Glucosetoleranz bleibt
aber normal und nach Absetzen der Thera -
pie normalisiert sich auch die Insulinsensi -
tivität wieder spontan
7). Nebenwirkungen,
die auf Wachstumshormon zurückgeführt
werden können, sind bei SGA-Kindern
nicht häufiger als bei den anderen Thera -
pieindikationen.
Weitere Wirkungen einer
Wachstumshormontherapie
bei SGA-Kindern
Neben dem Längenwachstum hat Wachs -
tumshormon bei SGA-Kindern offensicht -
lich eine positive Wirkung auch auf den
Blutdruck, auf das Lipidprofil sowie auf die
Körperzusammensetzung
8), 9) . Auch psy -
chosozial scheint die Therapie positiv für
Selbstvertrauen und soziale Integration
dieser Kinder zu sein, trotzdem unterliegt
die Kostenübernahme in der Schweiz
strengen Kriterien und die Therapie muss
durch einen Kinderendokrinologen moni -
torisiert werden (Tab.3). Insgesamt zeigt
die Wachstumshormontherapie bei SGA-
Kinder einen sehr hohen Grad an Sicher-
heit und Akzeptanz, insbesondere gab es
auch in multiplen Studien keine Evidenz für
ein allfällig erhöhtes Malignitätsrisiko un -
ter Therapie. SGA-Kinder sind jedoch eine
sehr heterogene Patientengruppe, und
Untersuchungen bei SGA-Kindern vor und unte\ar Therapie
mit Wachstumshormon
Ursache SGA?
Bisheriges Wachstum?
Andere Kleinwuchs-Ursachen ausgeschlossen (Hyperthyreose, Coe\bliakie, chron. Erkrankung)
Wachstumshormonstimul\bationstest (Arginin)
Nüchtern-BE: Glucose, Insulin,\b HOMA Index, HbA1c, Lip\bide
Blutdruck
Bei Risiko: Oraler Glucosetol\beranztest
Tabelle 3
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. Urs Zumsteg , Päd. Endokrinologie/Diabetologie, Universitätskinderspital beider Basel UKBB Andreas Nydegger