Die Schweiz weist mit 8.4 Prozent aller Haushalte am meisten Millionäre in Europa aus und dennoch ist jedes zehnte Kind in der Schweiz arm. Ist das nicht ein Widerspruch per se? Obwohl wir in der Schweiz im internationalen Vergleich einen sehr hohen Lebensstandard haben, ist die Kinderarmut in der Schweiz zunehmend. Es leben hierzulande 7.6% der Familien mit zwei Kindern, 9.9% der Eineltern-Familien und 18% der Familien mit drei und mehr Kindern unter der Armutsgrenze (Suter et al., 2009). Armut ist in der Schweiz noch immer ein Tabu- thema. Wer in unserer auf Konsum und Erfolg ausgerichteten Gesellschaft arm ist, gilt nach wie vor als Verlierer und hat dies selbst verschuldet.
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Vol. 22 No. 1 2011 F o r t b i l d u n g
Leben und wirkt sich langfristig auf die Ge-
sundheit i\b Erwachsenenalter aus, so das
Resultat der Studie von Müller und Hein –
zel- Gutenbrunner, Universität Marburg
1998.
Basel, Bern und Zürich haben derzeit die
höchste Rate von Sozialhilfe abhängigen Per –
sonen unter 18 Jahren. Davon ist Basel Spit –
zenreiter \bit 14.5%. 2005 war jedes siebte
Kind in Basel-Stadt i\b Laufe eines Jahres auf
Sozialhilfe-Leistungen angewiesen.
Soziale Deter\binanten der
Gesundheit
Die internationale UNICEF-Studie «Child
Poverty in Rich Countries 2005» stellt fest,
dass die Kinderar\but in den \beisten
reichen Ländern anwächst. In 17 von 24
Ländern hat sich die Situation in den letz –
ten 10 Jahren wesentlich verschlechtert.
Insgesa\bt 45 Millionen Kinder wachsen in
In jede\b zwölften Haushalt lebt
in der Schweiz ein Millionär und
jedes zehnte Kind in der Schweiz
ist ar\b
Die Schweiz weist \bit 8.4 Prozent aller Haus –
halte a\b \beisten Millionäre in Europa aus
und dennoch ist jedes zehnte Kind in der
Schweiz ar\b. Ist das nicht ein Widerspruch
per se? Obwohl wir in der Schweiz i\b interna –
tionalen Vergleich einen sehr hohen Lebens –
standard haben, ist die Kinderar\but in der
Schweiz zuneh\bend. Es leben hierzulande
7.6% der Fa\bilien \bit zwei Kindern, 9.9% der
Eineltern-Fa\bilien und 18% der Fa\bilien \bit
drei und \behr Kindern unter der Ar\buts –
grenze (Suter et al., 2009). Ar\but ist in der
Schweiz noch i\b\ber ein Tabu- the\ba. Wer in
unserer auf Konsu\b und Erfolg ausgerichte –
ten Gesellschaft ar\b ist, gilt nach wie vor als
Verlierer und hat dies selbst verschuldet.
Kinder- und Jugendar\but ist
für die Pädiatrie eine ko\bplexe
Herausforderung
Vielleicht ärgern Sie sich als Kinderarzt oder
-ärztin über Patienteneltern, welche Ihnen
bei jeder Konsultation ihr ganzes Leid klagen
und sie kein ärztliches Rezept für diese sozi –
alen Proble\be ausstellen können. Die Diag –
nose: «Ar\bes Kind» ko\b\bt in der Schweiz
häufiger vor, als wir es wahr haben wollen.
Kinderar\but in der Schweiz bezieht sich aus –
schliesslich auf die relative Armut, d. h.
eine Fa\bilie ist finanziell sehr eingeschränkt.
Das Einko\b\ben reicht nicht für Ferien, Erho –
lung, Kultur, Kurse und häufig auch nicht für
gesundheitsfördernde Massnah\ben.
26 Franken pro Tag beinhaltet das Haus –
haltbudget einer vierköpfigen Fa\bilie \bit
Sozialhilfe.
Ar\be Fa\bilien schränken die Ausgaben oft
auf Kosten der gesunden Ernährung ein,
was längerfristig gesundheitliche Folgen
haben kann. Solche Fa\bilien kä\bpfen je -den Monat gegen die Verschuldung an. Für
Fa\bilien \bit chronisch kranken Kindern
bedeutet die Finanzierung der krankheits
–
bedingten Mehrkosten ein zusätzlicher
Stressfaktor.
Kinder und Jugendliche gehören
inzwischen schweizweit zu der
Altersgruppe, welche a\b \beisten
von Ar\but bedroht ist
Eine Ar\butslage i\b Säuglings- und Kindes –
alter bedeutet einen schlechten Start ins
Diagnose: Armes \bind.
Gesundheitliche Ungleichheit bei \bindern
– \binderarmut im pädiatrischen Alltag
Cornelia B. Sidler, Basel
\bey Points
\bindheit ist eine äusserst vulnerable Lebensphase: In dieser Zeit erfahrene Benachteili –
gungen wirken sich dauerhaft auf den sozioökono\bischen Status und die Gesundheit i\b
späteren Erwachsenenleben aus.
\binder haben ein Recht auf den best\bögli\achen Start ins Leben\a (UNO-Kinderrechte).
Frühe Prävention für Kinder aus sozial benachteiligten Fa\bilien lohnt sich, präventive
Massnah\ben für Alter \a0–4 Jahre sind beso\anders effizient.
Je früher positiv Einfluss auf die Gesundheit eines Kindes geno\b\ben werden kann,
desto effizienter und nachhaltiger sind die gesundheitlichen Chancen für ein Kind. Infor-
\bieren Sie ihre Patientenfa\bilien über\a Angebote und Fachstellen.
Pädiater haben eine wichtige Rolle in der Bekä\bpfung von sozialer Ungleichheit in der Ge –
sundheit von Kindern. Weisen Sie Eltern auf Finanzierungshilfen hin (Stiftungen, Fonds usw.).
Interdisziplinarität – eine bessere Vernetzung der bestehenden Angebote könnte bereits
eine Opti\bierung bedeuten. Wenden Sie sich an die Sozialberatungen in den Kinderkliniken,
die viel Erfahrung i\b U\bgang \bit ar\butsbetroffenen Fa\bilien haben.
Zahlen und Facts zur Armut in der Schweiz
1/5 aller Haushalte in der Schweiz sind Einelternfa\bilien BFS 2007.
2/3 aller Sozialhilfebezüger leben in den Schweizer Städten BFS 2007.
1/3 aller Lehrlingsbewerber finden keine Lehrstelle.
45% aller Sozialhilfee\bpfänger in der Schweiz sind unter 25 Jahre.
2.4% der Ausgaben der sozialen Sicherheit in der Schweiz werden für Sozialhilfe verwendet.
632 Franken pro Monat kostet das Gesundheitswesen in der Schweiz pro Person 2008.
3.4 Mia Franken kostet Sozialhilfe pro Jahr BFS 2007.
41% der erwerbstätigen Sozialhilfebezüger sind vollzeitlich erwerbstätig.
84% aller Unterstützten beziehen länger wie ein Jahr Sozialhilfe BFS 2007.
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nachhaltig betroffenen Fa\bilien genügend
Unterstützung und Vernetzung anbieten
können.
\borrespondenzadresse
Cornelia Sidler, MSW
Leiterin Sozialberatung
Universitäts-Kinderspital beider Basel
Spitalstrasse 33
CH-4056 Basel
cornelia.sidler@ukbb.ch
einer Fa\bilie \bit weniger als 50% des
Durchschnitteinko\b\bens auf. Die Schweiz
liegt, i\b Vergleich \bit den OECD -Mitglied
–
ländern (Organisation für wirtschaftliche
Zusa\b\benarbeit und Entwicklung), in Be –
zug auf Kinderar\but an fünftbester Stelle
\bit 6.8%. Die Kinderar\but in der Schweiz
ist jedoch fast drei\bal so hoch wie in Dä –
ne\bark, welche die geringste Ar\butsrate
aufweist. Die Unicef-Studie zeigt, dass So –
zialpolitik, soziale Trends und Arbeits\barkt
besti\b\ben, wie viele Kinder in eine\b rei –
chen Land von Ar\but betroffen sind. Es
besteht ein direkter Zusa\b\benhang zwi –
schen der Höhe der staatlichen Aufwen –
dungen und der Kinderar\but. Dies wieder-
u\b bedeutet, dass wir in der Schweiz
durch gezielte Massnah\ben die Kinderar-
\but aktiv und erfolgreich bekä\bpfen
können.
Ar\but aus Sicht der Kinder
Kinder kennen häufig die \bateriellen Eng –
pässe der Fa\bilie, welche jedoch nach
aus sen strikt verhei\blicht und vertuscht
werden. Wie Kinder und Jugendliche eine
Ar\butslage verarbeiten, hängt von der Un –
terstützung durch das soziale U\bfeld ab.
Die \baterielle Ar\but von Kindern \bit ei –
ne\b geringen fa\biliären Bildungsniveau
hat deutlich grössere Nachteile. Kinder,
die aktiv unterstützt und gefördert wer-
den, zeigen positive Bewältigungs\buster
(Resilienz). Bei eine\b engen Fa\bilienzu –
sa\b\benhalt können Kinder relativ unbe –
einträchtigt oder sogar stark aus einer Ar-
\butssituation hervorgehen.
Pädiatrische Interventionen
Pädiatrische Interventionen sind auf allen
Ebenen \böglich: Sozialpolitische Ein –
flussnah\be, Public Health \bit Gesund –
heitswesen und -förderung, i\b Rah\ben
der Vorsorgeuntersuchungen und in enger
Zusammenarbeit mit sozialen Instituti –
onen und staatlichen Ä\btern. Es existie –
ren derzeit in den Schweizer Städten noch
zu wenig niederschwellig angelegte \bedi –
zinische Sprechstunden. Dass der Kinder-
arzt zu\b Patienten geht, wird i\b\ber selte –
ner, ist zeitintensiv und auch nicht lukrativ
(Tar\bed). Neue Modelle wie Kinderärzte in
der Notfallstation werden aktuell u\bge –
setzt, doch es wird unter de\b Kostendruck
und i\b Hinblick auf die Einführung des
Swiss DRG i\b\ber fraglicher, ob wir auch
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Autoren/Autorinnen
Cornelia Sidler , MSW Leiterin Sozialberatung Universitäts-Kinderspital beider Basel Andreas Nydegger