Bisher wurden Menschen mit einer chronischen Hyperglykämie als Diabetes Typ 1 oder Typ 2 diagnostiziert. Wir wissen nun, dass Diabetes durch verschiedene Faktoren verursacht werden kann; dazu gehören Defekte eines einzelnen Gens, die mindestens 1 %, im Kindesalter bis zu 4 % aller Diabetesursachen ausmachen. Diagnostische Fehler sind gängig, da sich die klinischen Ausdrucksformen der einzelnen Diabetesformen überlappen: Über 90 % werden nicht korrekt diagnostiziert. Die ersten Symptome des monogenen Diabetes können kurz nach der Geburt auftreten, oder irgendwann später im Verlaufe des Lebens. Diese Übersicht beschreibt die am häufigsten betroffenen Gene des monogenen Diabetes und vermittelt auch einige Informationen zu selteneren Diabetesformen. Gewisse Gene sind an der Entwicklung der Betazellen beteiligt und führen oft zur Abnahme der Zahl dieser Zellen, während andere in Funktion und Erhaltung der Betazellen eingreifen. Es wird auch auf monogene Formen von Autoimmundiabetes eingegangen. Die genetische Diagnose kann die Wahl der Therapie und die Prognose beeinflussen, und ermöglicht die genetische Beratung der Familie. Das genetische Screening wird mehr und mehr mittels der «next generation»-Sequenzierung durchgeführt, da diese immer leistungsfähiger, zugänglicher und kostengünstiger wird.
6
1Ty p 1 Zerstörung der Betazellen
2 Ty p 2 Progressive Abnahme der Insulinsekretion
Insulinresistenz
3 Spezifische Diabetesformen
anderer Ursachen Monogene Diabetessyndrome
(z.
B.
Neugeborenen-Diabetes, Maturity Onset
Diabetes of the Young – MODY)
Krankheiten des exokrinen Pankreas
(z.
B. c
ystische Fibrose)
Toxine oder Medikamente (z.
B. C
iclosporine)
4 Schwangerschaftsdiabetes
(2. oder 3. Trimenon) Verschiedene Ursachen
Glucoseintoleranz
• Blutglucose nüchtern 5.6–6.9 mmol/l
• B lutglucose 2 S td. n ach e iner M ahlzeit 7.8
–11.1 mmol/l
Diabetes
• Blutglucose ≥ 7 mmol/l nüchtern oder
• Blutglucose ≥ 11 mmol/l 2 Std. nach
Glucosebelastung oder
• HbA1c
≥
6.5
%
Tabelle 1: Definition des Diabetes Tabelle 2: Klassifizierung der verschiedenen Diabetesformen
Fall 1: Termingeborenes
• Neugeborenes mit intrauterinem Wachstumsrückstand (GG 2140 g am Termin)
• Diabetes am 12 . Leb enstag diag nostiziert (H yperglykämie 43 mmo l/l)
• Insulinbehandlung,
tr
otzdem
fe
hlende
Ge
wichtszunahme
• Exokrine
P
ankreasinsuf fizienz,
G
ewichtszunahme
n
ach
S
ubstitution
d
er
P
ankreasenzyme
• Diagnose:
H
eterozygote
g
emischte
M
utation
P
DX1
• Günstiger
V
erlauf
u
nter
D
oppeltherapie
m
it
I
nsulin
u
nd
P
ankreasenzymen.
Fall 1: StammbaumBeide Eltern sind Träger für die heterozygote Mutation P DX1 . Das Kind mit der Pankreasagenesie
trägt die doppelte Mutation P DX1 .
Familienmitglieder die einen Diabetes und wahrscheinlich eine heterozygote Mutation ( E16 4 D
und E17 8 K ) haben, aber nicht genetisch untersucht werden konnten.
E17 8 K
Nüchternblutzucker E16 4D
Nüchternblutzucker
E16 4D/ E178 K
Pankreasagenesie
Tabelle 3: Fall 1: Termingeborenes
Abstract
Bisher wurden Menschen mit einer chroni –
schen Hyperglykämie als Diabetes Typ 1 oder
Typ 2 diagnostizier t. Wir wissen nun, dass Dia –
betes durch verschiedene Faktoren verursacht
werden kann; dazu gehören Defekte eines
einzelnen Gens, die mindestens 1
% ,
im Kin-
desalter bis zu 4
% a
ller Diabetesursachen
ausmachen. Diagnostische Fehler sind gängig,
da sich die klinischen Ausdrucksformen der
einzelnen Diabetesformen überlappen: Über
90
% w
erden nicht korrekt diagnostiziert. Die
ersten Symptome des monogenen Diabetes
können kurz nach der Geburt auftreten, oder
irgendwann später im Verlaufe des
Lebens. Diese Übersicht beschreibt die am
häufigsten betroffenen Gene des monogenen
Diabetes und vermittelt auch einige Informati-
onen zu selteneren Diabetesformen. Gewisse
Gene sind an der Entwicklung der Betazellen
beteiligt und führen oft zur Abnahme der Zahl
dieser Zellen, während andere in Funktion und
Erhaltung der Betazellen eingreifen. Es wird
auch auf monogene Formen von Autoimmundi –
abetes eingegangen. Die genetische Diagnose
kann die Wahl der Therapie und die Prognose
beeinflussen, und ermöglicht die genetische
Beratung der Familie. Das genetische Scree-
ning wird mehr und mehr mittels der «next
generation»-Sequenzierung durchgeführt, da
diese immer leistungsfähiger, zugänglicher und
kostengünstiger wird.
Einführung
Die International Diabetes Federation (IDF)
schätzte 2015 die Anzahl Diabetiker weltweit
auf 415 Millionen ( www.diabetesatlas.org ).
Obwohl all diese Menschen definitionsgemäss
an einem Diabetes leiden ( Tab. 1), ist die Ur-
sache nicht bei allen dieselbe. Die verschie –
denen Diabetesformen werden nach der amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA)
in vier grosse Kategorien eingeteilt
1)
( Tab. 2 ) .
Beim Diabetes Typ 1 (DT1) führt die Zerstö –
rung der Betazellen zu einem absoluten Insu –
linmangel. Der Diabetes Typ 2 (DT2) kenn-
zeichnet sich durch eine progressive Abnahme
der Insulinproduktion, kombiniert mit einer
Insulinresistenz aus. Drittens spezifische Di –
abetesformen anderer Ursachen, wie mono –
gene Diabetessyndrome, Diabetesformen die
zu Beginn mit einer exokrinen Funktionsstö –
rung (Cystische Fibrose) einhergehen, sowie
durch Toxine oder Medikamente wie Cyc-
losporin oder Steroide bedingte Diabetesfor –
men. Schlussendliche der Schwangerschafts –
diabetes, der verschiedene Ursachen haben
kann. Monogene Diabetesformen: Von der
Genetik zur personalisierten Medizin
Valérie M Schwitzgebel, Genf
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Die VrgVVan VhVVrthfl
Die VrganhtflkdZaru erfscTklhaiberhigitrT
7
Entwicklungs-
und Strukturdefekt Funktionsdefekt
der Betazelle Zunehmende Zerstörung
der Betazellen
Agenesie Hypoplasie Autoimmun-
Gene
Fehlen der
L a n g e r
–
han
s’schen
Inselzellen Abnahme der
Betazellzahl Zellkern
Endoplas
– ma
tisches
Retikulum
Zellmembran Zytoplasma Insulin-
sekretion
Mitochondrien
Abbildung 1: Monogene Diabeteskategorien. Monogene Diabetesformen sind die Folge eines
einzigen Gendefektes und umfassen 3 grosse Kategorien. Die erste zeichnet sich aus durch
Entwicklungsstörungen des Pankreas, die zur Verminderung der Betazellen führen, die zweite
durch Funktionsstörung und die dritte durch progressive Zerstörung der Betazellen.
Abbildung 2: Schematische Darstellung der Betazellen. Dieses Schema zeigt die subzelluläre
Lokalisation der Defekte, die zum monogenen Diabetes führen. Glucose tritt mit Hilfe seines
Transporters GLUT2 in die Zelle ein. Dort wird die Glucose durch das Enzym Glucokinase phos –
phoryliert und metabolisiert, was zur Zunahme des ATP/ADP-Verhältnisses führt und damit zur
Schliessung des KATP-Kanals. Diese Kanäle sind oktaedrische Komplexe, bestehend aus 4
KIR6.2- und 4 SUR1-Untereinheiten. Die Schliessung des Kanals führt zu Membrandepolarisa –
tion und Kalziumeintritt, und damit zur Insulin-Exozytose. Angepasst nach Stekelenburg CM,
Schwitzgebel VM, Endocrine Development 2016, 31: 179–202
Sulfuronylharnstoffe/
Glinide
KATP-Kanal Kir6.2: K C N J 11
S U
R1: ABCC8
Depolarisation
VGCaC
Ca
2+
Pro-Insulin
Insulin
Mitochondrie
AT P/A D P
Glycolyse G6P
Glucose GCK
GLUT2: SLC2A2
Zellmembran Noyau:
PDX 1
HNF 1A
HNF 4A
HNF 1B
Monogene Diabetesformen
Die Prävalenz des monogenen Diabetes wird
auf 1–4
%
aller Diabetiker geschätzt 2). Mono-
gene Diabetes beruhen auf dem Defekt eines
einzelnen Gens und umfassen drei grosse
Kategorien. Die erste zeichnet sich durch
Entwicklungsstörungen des Pankreas aus, die
zu einer Verminderung der Betazellen führen,
die zweite durch eine Funktionsstörung der
Betazellen und die dritte Kategorie durch die
progressive Zerstörung der Betazellen (Abb.
1 und 2) .
Diabetes bedingt durch
strukturelle Pankreasdefekte
Transkriptionsfaktoren
Die Entwicklung des Pankreas wird durch ein
Netz nukleärer Transkriptionsfaktoren kontrol –
liert. Je nach hierarchischer Stellung führen
diese Defekte zu schweren Phänotypen wie
die Pankreasagenesie mit neonatalem Dia
–
be
tes und exokriner Pankreasinsuffizienz,
Pankreashypoplasie, Fehlen der endokrinen
Zellen, oder einem milden Phänotyp mit ver –
minderter Betazellzahl (Abb. 1). Die Pankrea –
sagenesie führt durch fehlende Insulinsek
–
re
tion (ein wichtiger Wachstumsfaktor) zu
schwerem intrauterinem Wachstumsrück –
stand. Im Allgemeinen verursachen homozy –
gote oder gemischt-heterozygote Mutationen
schwerere Krankheitsbilder als heterozygote,
die häufig mit einem später im Leben auftre –
tenden Diabetes assoziiert sind. Zahlreiche
Transkriptionsfaktoren spielen in verschiede –
nen Geweben eine Rolle und können zu syn –
dromatischen Diabetesformen führen, die mit
Miss
bi
ldungen anderer Organe wie Herzfehler
oder Magendarmmissbildungen einhergehen
3).
Der erste, im Zusammenhang mit der Pankre –
asagenesie beim Menschen beschriebene
Gendefekt war das Gen P DX1, auch I P F1 ge-
nannt. Homozygote und gemischt-heterozy-
gote Mutationen bedingen einen schweren
Phänotyp mit neonatalem Diabetes und exo –
kriner Pankreasinsuffizienz, die eine Insulin-
und Substitutionstherapie mit Pankreasenzy –
men erfordert
4) (Fall 1, Tab. 3) . Heterozygote
Träger entwickeln einen spät auftretenden
Diabetes der irrtümlicherweise als DT2 diag –
nostiziert werden kann. P DX1 hat eine doppel –
te Funktion. Zu Beginn der Embryogenese
wird das Gen in den Pankreasvorläuferzellen
exprimiert und ist für die Pankreasbildung von
Bedeutung, nach der Geburt spielt P DX1 eine
Schlüsselrolle beim Erhalt der Betazellen und der Insulinsekretion. Diese Funktionsände
–
rung könnte erklären, weshalb sich der Diabe –
tes bei den heterozygoten Trägern mit der Zeit
verschlimmert.
HNF1B
Der erste Bericht zum Transkriptionsfaktor
HNF1B wurde 1997 publiziert, als Horikawa zwei japanische Familien mit heterozygoten
HNF1B
-Mutationen identifizierte, die an Dia –
betes assoziiert mit polyzystischen Nieren
litten. Das Syndrom, das Nierenzysten mit
Diabetes assoziiert, wird nun RCAD (Renal
cysts and diabetes syndrome) genannt und
umfasst oft auch Missbildungen im Genitalbe –
reich. HNF1B -Defekte können auch zu neona –
Die VrgVVan VhVVrthfl
Die VrganhtflkdZaru erfscTklhaiberhigitrT
8
Fall 2: 16-jährige Jugendliche
• Mutter Schw angerschaftsdiabetes, Diab etes bes teht nach der SS we iter
• Termingeboren ( GG 4 300 g , M akrosomie)
• Mit
1
6
J
ahren
z
unehmende
H
yperglykämie,
B
MI
1
6.7
K
g/m
2
• HbA1c 7.8 % ( 61.7 m mol/mol), N orm < 6 % ( < 4 2 m mol/mol)
• Diagnose: HN F1A-Mutation
• Behandlung:
Gl
inidin
No
voform
® 3 x 0.5 mg/Tag p.o.
• Nach 5 M
onaten B
ehandlung: H
bA1c 5 .9 % ( 42 m mol/mol) o hne H ypoglykämien
Fall 2: Kontinuierliche Glucosemessung (CGMS) vor Behandlung
Kontinuierliche Glucosemessung während 7 Tagen, jede Farbe stellt einen Tag dar. Maximale
Glucosewerte bis 15 mmol/l v.a. postprandial
Tabelle 4: Fall 2: 16-jährige Jugendliche
21, 0
18,0 15,0 12,0 9, 0
6,0
3,0 00 : 00
03:
00
06
: 00
09:
00
12
: 00
15
: 0 0
18
: 00
21 :
0 0
00
: 00
Do, 29. Mai Fr, 30. Mai Sa, 31. Mai So, 1. Juni Mo, 2. Juni Di, 3. Juni Mi, 4. Juni
mm ol/l
talem Diabetes mit dysplastischen Nieren
führen. Die histopathologische Untersuchung
eines Föten zeigte ein hypoplastisches Pank -
reas mit unorganisierten Langerhans-Inselzel -
len und verminderter Betazellzahl. Diese Ar -
beit führte zur Schlussfolgerung, dass HNF1B
für die Reifung der Betazellen wesentlich ist.
Sonderbarerweise bestehen keine Unter -
schiede des Phänotypus zwischen grossen
HNF1B -Gendeletionen, HNF1B -Gen-Rearran -
gements oder punktuellen HNF1B-Mutatio -
nen. Die Häufigkeit unter den monogenen
Diabetesformen beträgt ca. 6
% ,
Insulinthera-
pie ist in ca. 67
% de
r Fälle erforderlich.
Diabetes durch Betazelldysfunktion
Transkriptionsfaktoren
HNF1A und HNF4A
Obwohl sich die Transkriptionsfaktoren HN-
F1A und HNF4A im Verlaufe der Embr yogene -
se exprimieren, verursacht ihr Fehlen keine
strukturellen Pankreasmissbildungen, und der
Diabetes tritt meist in der Adoleszenz oder
im Erwachsenenalter auf. Das HNF1A-Protein
bildet mit HNF1B Homo- oder Heterodimere.
HNF1A ist ein essentieller Transkriptionsfak -
tor für die glucosestimulierte Insulinsekretion.
Es resultiert bei dieser Diabetesform eine progressive Hyperglykämie. Der Phänotyp ist
variabel, es wurden mehrere Faktoren iden
-
tifiziert, die den Phänotyp beeinflussen, z.
B.
f
ührt Schwangerschaftsdiabetes zu einem im
Mit tel 10 Jahr e f r üher en Au f tr eten des Diab e -
tes bei den Nachkommen. Trotz günstigem
Lipidprofil besteht ein erhöhtes Risiko für
vaskuläre Komplikationen. HNF1A r egelt eb en -
falls die Glucoseabsorption in der Niere und
bei Abnahme der HNF1A-Funktion tritt eine
Glucosurie auf. In Grossbritannien ist dieser
Diabetes unter den monogenen Diabetesfor -
men mit 52
% d
ie häufigste, gefolgt vom Gen
GCK- und Gen HNF4A-gebundenen Diabetes
(32
% bz
w. 19
%)5).
HNF4A ist ein nuklärer Transkriptionsfaktor,
der in beinahe allen P DX1-positiven Zellen
exprimiert wird, und dies in einem sehr frühen
Stadium der Embryogenese. Am Ende der
Pankreasentwicklung wird HNF4A in allen
endokrinen Zelltypen des Pankreas expri -
miert, HNF4A -Mutationen betreffen deshalb
die Funktion aller Zellen der Langerhans’schen
Inseln, und nicht nur der B et a zellen. K linische
Studien haben bei Patienten mit HNF4A-Mu-
tation eine gleichzeitige Verminderung der
Insulin-, Glucagon-, PP- (Pankreaspolypeptid)
und Amylinsekretion gezeigt. HNF4A wirkt hauptsächlich als Homodimer und
HNF1A-
und HNF1B -Promoter. Bei Trägern einer
HNF4A - und HNF1A -Mutation kann sich ein
doppelter Phänotyp ergeben, Hyperinsulinis -
mus-bedingte Hypoglykämie bei Geburt und
Diabetes viele Jahre später. Dieser doppelte
Phänotyp könnte durch verschiedenen Bin -
dungstellen von HNF4A- und HNF1A im L au fe
der Zeit erklärt werden und den Übergang
vom fötalen und perinatalen Hyperinsulinis -
mus zum Hypoinsulinismus im Adoleszenten -
alter begründen. Die progressive Erschöpfung
der Betazellen kann zusätzlich zum später
auftretenden Diabetes beitragen (Fall 2, Tab.
4) . Die kontinuierliche Glucosemessung be -
legt den erhöhten postprandialen Glucosepie -
gel. Die Bedeutung der Diagnosestellung liegt
in den therapeutischen Konsequenzen, da
diese beiden Diabetesformen besonders gut
auf Sulfuronylharnstoffe und Glinide anspre -
chen
6). Diese Behandlung umgeht die Funkti -
onsstörung der Betazellen indem sie nach
dem genetischen Defekt ansetzt und so die
Insulinsekretion stimuliert. Die Glinide haben
den Vorteil weniger Hypoglykämien zu verur -
sachen als die Sulfuronylharnstoffe.
Kaliumkanal und Insulin-Gen
Mutationen der INS-, ABCC-8, KCNJ11 -Gene
sind häufige Ursachen des Neugeborenen-Dia -
betes
7). Das mittlere Alter bei Diagnosestellung
beträgt 9 Wochen, im Allgemeinen ketoazido -
sebedingt. Über 80
%
sind de novo-Mutationen.
Das Phänotypspektrum ist breit, da gewisse
Familienmitglieder mit derselben Mutation ih -
r en Diab etes er s t mit 30 Jahr en ent w ickeln. A lle
Mutationen der K C N J 11- und ABCC8 -Gene, die
Untereinheiten des KATP-Kanals kodieren, ver -
ändern die Funktion des K AT P-Kanals, und
folglich die Insulinsekretion (Abb. 2). Schwere,
zu einem Funktionszunahme führende Mutati -
onen verursachen einen permanenten, weniger
ausgeprägte Mutationen einen transitorischen
Neugeborenen-Diabetes. Da das K C N J 11-Gen
ebenfalls im Gehirn und im Skeletmuskel expri -
miert wird, kann der Diabetes dem DEND -
Syndrom assoziiert sein (Entwicklungsrück -
stand, Epilepsie und neonataler Diabetes)
8).
Alle Patienten mit einem neonatalen Diabetes
müssen sorgfältig genetisch abgeklärt werden.
Die genaue Diagnose ist wichtig, da sie die
Behandlung beeinflussen und Spätfolgen be -
grenzen kann. Die Mehrzahl Patienten mit ei -
nem Defekt des K AT P-Kanals reagiert auf die
Sulfuronylharnstoffbehandlung. Der Behand -
lungserfolg scheint desto besser, je jünger der
Patient ist
9).
MC4RKISKK1LRKNKKI2N8
MC4RKIS1LN28B3P1IDR4IXE67BiN1Cs4INCSC2I7
9
Fall 3: 5 1/2 -jähriges Mädchen
• Termingeboren, GG 3240 g, transitorische Hyperglykämie 12.4 mmol/l nach der Geburt;
am f olgenden Tag 5.8 mmol/l
• Mit
5 J
ahren
N
üchternblutzucker
5
.66
u
nd
5
.86
m
mol/l
(
Norm
< 5
.6
m
mol/l)
• Mit
5 1/2 -Jahren BMI 16.1 Kg/m2, HbA1c 6.3 % (N orm 4–6 %)
•
Spitalaufnahme d es 5 1/2 -jährigen Mädchens zur Einleitung der Insulintherapie
bei beginnendem DT1
• Diagnose:
H
eterozygote
M
utation
G
CK
• Keine
p
harmakologische
B
ehandlung
n
otwendig,
w
ohl
a
ber
g
ute
L
ebenshygiene
• Insulinbehandlung
ges
toppt!
Tabelle 5: Fall 3: 5 1/2-jähriges Mädchen
aktionen auf virale Infekte verursacht, führt
oft zu frühem Tod. Das Gen FOXP3 ist für die
Entwicklung der regulierenden T-Zellen und
die Autoimmunsuppression wesentlich.
Wann muss man an einen
monogenen Diabetes denken?
Es ist wichtig, unter den verschiedenen Dia -
betesformen zu unterscheiden, da sich The -
rapie und Langzeitverlauf wesentlich unter -
scheiden, wie es die drei klinischen Fälle
illustrieren. Die genetische Ursache kann für
weitere Familienmitglieder von Bedeutung
sein und sie dazu bewegen, um eine geneti-
sche Beratung nachzusuchen.
Initial sollte je do ch je des K ind , das eine Nüch -
ternhyperglykämie, Ketose sowie metaboli -
schen Störungen aufweist, mit Insulin behan-
delt werden.
An einen nicht-Typ1-Diabetes sollte gedacht
werden, wenn die Familienanamnese eindeu -
tig positiv mit dominantem Vererbungsmodell
ist, wenn sich der Diabetes vor dem Alter von
6 Monaten einstellt, wenn die anti-Insulin-,
anti-Glutaminsäure-Decarboxylase (GAD) -,
anti-Islet-Antigen2 (IA2) - und anti-Zink-Trans -
porter 8-Autoimmunantikörper negativ sind
oder weitere Störungen assoziiert sind. Bei
Taubheit oder Opticusatrophie muss an einen
mitochondrialen, mütterlicherseits vererbten
Diabetes gedacht werden. Bei ausgeprägter
Insulinresistenz, oder bei minimem oder gar
fehlendem Insulinbedarf ausserhalb der par -
tiellen Remissionsphase (>3 Jahre) mit resi –
duellem C-Peptid, muss die Diagnose DT1
überdacht werden. Es besteht auch die
Möglichkeit, den Wahrscheinlichkeitsrechner
( http://www.diabetesgenes.org/content/
mody-probability-calculator ) zu benutzen.
Genetische Abklärung
Die DNA-Hochfrequenzsequenzierung (SHD),
Next-Generation Sequencing (NGS), oder
Massive Parallel Sequencing, ersetzen zuneh –
mend die klas sischer weise seit 1980 ver wen –
dete Sequenzierung nach Sanger. Die Metho –
de besteht in einer Serie von Massnahmen,
um einfacher, kostengünstiger und schneller,
ent we der g ros se G ene b estehend aus mehr e –
ren Dutzend Exonen, oder einige wenige bis
viele Tausende Gene zu sequenzieren. Die
beiden extremen Ansätze ermöglichen die
Sequenzierung entweder aller kodierenden
Teile aller menschlichen Gene, man spricht
und wird im exokrinen Pankreas, hingegen
nicht im endokrinen Teil exprimiert. Ein De-
fekt dieses Gens führt zu Pankreaslipomatose
und exokriner Pankreasinsuffizienz im Kindes
–
alter, gefolgt von Diabetes, der im Mittel mit
3 4 Jahr en au f tr it t . Es ist wahr scheinlich, das s
der Gendefekt zu einer verminderten Verbie –
gung der Proteine und intra- und extrazellulä-
rer A g gregation führ t , mit z y totox ischen Aus –
wirkungen, die auch die Langerhans’schen
Inselzellen betreffen. Der Anteil unter den
monogenen Diabetesformen beträgt <1
% .
Monogener Autoimmundiabetes
Monogener Autoimmundiabetes ist sehr sel -
ten. Als erstes wurde das Gen AIRE mit einer
systemischen Autoimmunkrankheit assoziiert.
Mutationen dieses Gens verursachen eine
Polyendokrinopathie Typ 1 (APS1). Es handelt
sich um eine genetische Krankheit, die sich im
Jugendalter manifestiert und chronische mu
-
ko
kutane Candidiasis, Nebenschilddrüsenun -
terfunktion und autoimmune Nebennieren
-
in
suffizienz assoziiert. Ovarialinsuffizienz,
Autoimmundiabetes, Autoimmun
th
yreoiditis
und lymphozytäre Hypophysitis sind seltener.
Weitere autoimmune Krank
hei
ten, wie intesti-
nale Malabsorption, atro
phis
che Gastritis,
autoimmune Hepatitis, Alo
pe
zie, Vitiligo, Zahn-
schmelzhypoplasie, Nagel
dy
strophie, Kerato-
konjunktivitis, rheumatologische, Knochen-,
Muskel-, Nieren-, Bronchien- und Blutverände -
rungen sind häufig. Der AIRE-Transkriptions -
faktor ist an Mechanismen der Immuntoleranz
beteiligt und trägt zur negativen Selektion der
auto-reaktiven T-Lymphozyten in Thymus,
Lymphknoten und Milz bei.
Mutationen des FOXP3-Gens führen ebenfalls
zu einer systemischen Autoimmunkrankheit,
X-gebundenes Immun-Dysregulation- Polyen -
dokrinopathie-Enteropathie-Syndrom (IPEX)
genannt. Dieses schwere Syndrom, das beim
Neugeborenen Durchfall, Diabetes, Ekzem,
Autoimmunthyreoiditis und übertriebene Re -
Zytoplasmatischer Faktor
Das GCK- Gen kodiert für das Enzym, das die
Bildung von Glucose-6-phosphat aus Glucose
katalysiert, nachdem diese durch die Betazel -
le aufgenommen wurde (Abb. 2).
Heterozygote Mutationen mit Funktionsver -
lust führen zu leicht erhöhtem Nüchternglu -
cosespiegel, 5.5–8 mmol/l, postprandialer
Zunahme um 3 mmol/l und einem mittleren
H b A1c von 6.9
% (
52 mmol/mol ) . D er Diab etes
verschlimmert sich im Verlaufe der Zeit nicht
und es wurden nur wenige Spätkomplikatio -
nen beschrieben
10 ). Es gibt keine phar makolo -
gische Behandlung (Fall 3, Tab. 5), ausser
während der Schwangerschaft, wo eine Insu -
linbehandlung notwendig sein kann. Homozy -
gote, inaktivierende Mutationen verursachen
hingegen einen neonatalen, behandlungsbe -
dürftigen Diabetes. Aktivierende Mutationen
desselben Enzyms haben die gegenteilige
W ir kung und ver ur sachen eine dur ch Hy p er in -
sulinismus bedingte Hypoglykämie des Neu -
geborenen.
Mitochondrialer Diabetes
Der durch die Mutter vererbte Diabetes mit
Schwerhörigkeit (MIDD) ist eine mitochondri -
ale Krankheit, die sich durch Diabetes und
neurosensorielle Schwerhörigkeit auszeich -
net , und dur ch die Mut ter üb er tr agen w ir d , da
die mitochondr iale DNA ( mtDNA ) in den Eizel -
len, aber nicht in den Spermatozoen vorhan -
den ist. Die Prävalenz ist unbekannt, aber
MIDD macht wahrscheinlich 0.2–3
% a
ller Di-
abetesfälle aus. Die ersten Symptome können
in je dem A lter au f tr eten. Es w ir d Insulinther a -
pie vorgeschlagen.
Durch exokrine Pankreasdefekte
gestörte endokrine Funktion
Das Enzym Carboxylester-Lipase (CEL) ist an
der Hydrolyse des Cholesterolesters beteiligt
MC4RKISKK1LRKNKKI2N8
MC4RKIS1LN28B3P1IDR4IXE67BiN1Cs4INCSC2I7
10
The ef fect of early, comprehensive genomic testing
on clinical care in neonatal diabetes: an internatio-
nal cohort study. The Lancet. 2015.
8)
Gl
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gene encoding the ATP-sensitive potassium-chan -
nel subunit Kir6.2 and permanent neonatal dia -
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9)
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dation of a clinical prediction model to determine
the probability of MODY in patients with young-
onset diabetes. Diabetologia. Springer-Verlag;
2012; 55(5): 1265–72.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Valérie M. Schwitzgebel
Responsable d’Unité d’Endocrinologie
et Diabétologie Pédiatriques
Département de l’enfant et de l’adolescent
Hôpitaux Universitaires de Genève
1211 Genève
valerie.schwitzgebel @ unige.ch
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung
und keine anderen Interessenkonflikte im Zu -
sammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
dann von Sequenzierung des gesamten
Exoms, oder des gesamten nukleären DNA,
d.h. die Se quenzier ung des G enoms. W ir d das
Genom nicht vollständig sequenziert, dann
müssen, wie dies für das Exom oder eine
Genauswahl der Fall ist, die zu sequenzieren
-
den Teile der DNA dur ch ein, Captur e genann -
tes, Verfahren eingefangen werden, das dazu
dient , DNA f ür die SHD vor zub er eiten ( B er eit -
stellung der Genbank). SHD ist die gendiag -
nostische Methode der Wahl für genetisch
heterogene Krankheiten, die definitionsgmäss
durch mehrere Gene bedingt sind (Dutzende
bis Hunderte).
Schlussfolgerungen
Im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte ha -
ben Entdeckungen im Bereiche des monoge -
nen Diabetes zu einem besseren Verständnis
der Funktionsweise der menschlichen Beta -
zelle geführt. Die genaue genetische Diagno -
se ermöglicht es, die Behandlung anzupassen,
wie es die Fallvignetten illustrieren. Das Un -
terbrechen der Insulinbehandlung wirkt sich
ganz wesentlich auf die Lebensqualität des
jungen Diab etiker s und seiner Familie aus. Die
Diagnostik kann auf die ganze Familie aus
-
ge
dehnt werden und u.
U.
Aussagen zum
Fortschreiten des Diabetes ermöglichen. Es
können damit auch Informationen zu Spät -
komplikationen gegeben und Präventions -
massnahmen implementiert werden. Die
Hochfrequenz-Sequenzierung wird uns befä -
higen, das genetische Spektrum des Diabetes
weiter zu ergänzen und die Behandlung noch
besser den individuellen Bedürfnissen anzu -
passen.
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Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr med. Valérie Schwitzgebel , Genève Andreas Nydegger