Einleitung
Lärm und seine Auswirkungen sind schon lange ein Thema. So wird berichtet, dass zu Zeiten des alten Roms der Wagenverkehr im Zentrum der Stadt eingeschränkt wurde, mit der Absicht die Lärmbelästigung zu reduzieren. Mit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts trugen Motoren und Maschinen zunehmend zur Lärmbelastung in den Städten bei. Das weckte schon damals Widerstand. Julia Barnett Rice, die Ehefrau eines wohlhabenden Geschäftsmanns in New York City, protestierte 1906 gegen den Lärm der lauten Signalhörner der Schlepper in der Hudson Bay und schrieb einen Artikel mit dem Titel: «In an Effort to Suppress Noise»1). Sie interviewte verschiedene Betroffene zu dem Thema und argumentierte schon zu der Zeit mit der Fachmeinung eines Dr. John H. Girdner eines Krankenhauses in Nähe zum Wasser, dass Kinder besonders lärmempfindlich sind:
«City noises exert a deleterious effect on the human system; this is especially marked in the case for invalids and children. Noise is a most potent factor in producing functional diseases of the brain and nervous system, not alone by its direct action, but by destroying sound, refreshing sleep.»
5
Einleitung
L är m und seine Ausw ir kungen sind schon lange
ein Thema. \bo wird berichtet, dass zu Zeiten
des alten Roms der Wagenverkehr im Zentrum
der \btadt eingeschränkt wurde, mit der Absicht
die Lärmbelästigung zu reduzieren. Mit dem
Beginn der Industrialisierung in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts trugen Motoren
und Maschinen zunehmend zur Lärmbelastung
in den \btädten bei. Das weckte schon damals
Widerstand. Julia Barnett Rice, die Ehefrau ei
–
nes wohlhabenden Geschäftsmanns in New
York City, protestierte 1906 gegen den Lärm
der lauten \bignalhörner der \bchlepper in der
Hudson Bay und schrieb einen Artikel mit dem
Titel: «In an Effort to Suppress Noise»
1). \bie in –
terviewte verschiedene Betroffene zu dem
Thema und argumentierte schon zu der Zeit mit
der Fachmeinung eines Dr. John H. Girdner ei
–
nes Krankenhauses in Nähe zum Wasser, dass
Kinder besonders lärmempfindlich sind:
«City noises exert a deleterious effe\bt on the
human system; this is espe\bially marked in the
\base for invalids and \bhildren. Noise is a most
potent fa\btor in produ\bing fun\btional diseases of
the brain and nervous system, not alone by its
dire\bt a\btion, but by destroying sound, refres
–
hing sleep.» 1)
In Deutschland war es Theodor Lessing, der
1908 ein Buch mit dem Titel: «Ein Recht auf
\btille» herausgab und den ersten «Antilärm-
Verein» gründete.
Aber was ist eigentlich Lärm? Jeder ist täglich
Geräuschen ausgesetzt. Aber wann wird ein
Geräusch zu L är m ? Eine streng wissenschaf tli
–
che Definition für Lärm gibt es nicht. Generell
wird Lärm als unerwünschter \bchall beschrie
–
ben. Am häufigsten – und auch am häufigsten
wissenschaftlich untersucht – ist der Verkehrs
–
lärm, zum Beispiel von der \btrasse, dem Bahn –
oder dem Luftverkehr. Weitere häufig genannte
störende Lärmquellen sind Bau- und Industrie
–
lärm, Nachbarschaftslärm (laute Musik, Haus –
haltsgeräte etc.), Glockengeläut oder Freizeit –
lärm.
Wie wirkt Lärm auf Kinder?
Louise Tangermann 1, 2, Basel; Martin Röösli 1, 2, Basel
Lärm wird als \bchalldruckpegel auf der Dezi –
bel-\bkala (dB) gemessen. In der Lärmwir –
kungsforschung ist neben dem Mittelwert der
Geräuschbelastung (L
Aeq) auch der zeitlich
gewichtete Mittelwert L
DEN (Day-Evening-Night) gebräuch –
lich. Dabei wird bei der 24-\btunden-Mittel –
wertbildung für die Abend- und Nachtstunden
5 bz w. 10 dB addier t und damit dem Ums t and
Rechnung getragen, dass Lärm in der Nacht
als störender als am Tag empfunden wird.
Wie wirkt chronischer Lärm auf die
\besundheit?
Das Wort «Lärm» leitet sich aus dem Italieni –
schen «all’arme» (zu den Waffen) ab und zeigt
anschaulich die Auswirkungen auf den Men –
schen. Lärm erzeugt eine \btressreaktion.
Dab ei w ir d sowohl das sy mpathische N er ven –
system, wie auch die Hypothalamus-Hypo –
physen-Nebennierenrinden-Achse – auch
\btressachse genannt – aktiviert
2). In einer der
wenigen \btudien zu den hormonellen Reakti –
onen auf Lärm bei Kindern wurde bei 217
Kindern im mittleren Alter von zehn Jahren
nach der Eröffnung eines neuen Flughafens in
München eine signifikante Erhöhung von Ad –
renalin, sowie Noradrenalin festgestellt
3).
Eine chronische \btressreaktion durch Lärm
kann langfristig vielfältige negative Auswir –
kungen auf die Gesundheit haben. Dabei
spielen die Art des Lärms, die \bituation und
die Prädisposition eine wichtige Rolle. Die
bekanntesten gesundheitlichen Probleme, die
mit Lärm in Verbindung gebracht werden, sind
die subjektive Belästigung, schlechter \bchlaf,
kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Einflüs –
se auf den Metabolismus und die mentale
Gesundheit bei Erwachsenen
4). Weniger Auf –
merksamkeit geweckt haben dagegen die
negativen Auswirkungen von Lärm auf die
Gesundheit von Kindern. Es wird argumen –
tiert, dass Kinder besonders lärmempfindlich
sind, da sie noch in ihrer Entwicklungs- und
Wachstumsphase sind. Durch das frühere
Zubettgehen und die längere \bchlafzeit sind
Kinder stärker im \bchlaf mit Lärm konfrontiert
und daher störanfälliger
5).
Kognitive Auswirkungen
Die am meisten untersuchten gesundheitli –
chen Auswirkungen auf Kinder durch chroni –
schen L är m sind B e eintr ächtigungen der kog –
nitiven Fähigkeiten, wie Lesefähigkeit,
Gedächtnisleistung oder Aufmerksamkeit –
häufig erforscht in \bchulen, die nahe Flughä –
fen liegen und Fluglärm ausgesetzt sind.
Eine er ste longitudinale \btudie w ur de 20 01 in
England bei 275 Kindern im Alter von acht bis
elf Jahren durchgeführt
6). Hier wurden Kinder
in der Nähe eines Londoner Flughafens mit
einer Kontrollgruppe ohne Fluglärm in ihrem
Leseverständnis und ihrem Aufmerksamkeits –
vermögen verglichen und nach einem Zeit –
raum von einem Jahr ein weiteres Mal unter –
sucht. In Querschnittsanalysen waren unter
Berücksichtigung des Alters, dem sozioöko –
nomischen \btatus und der Muttersprache die
Lesefähigkeit und die Konzentrationsfähigkeit
bei den lärmexponierten Kindern signifikant
schlechter als bei den nicht-exponierten Kin –
dern. In longitudinalen Analysen wurden für
die Entwicklung der Lesefähigkeit und Kon –
zentrationsfähigkeit innerhalb eines Jahres
tendenziell die gleichen Assoziationen gefun –
den. Diese waren jedoch statistisch nicht si –
g ni fikant . Die \btudie pr ü f te auch die Hy p othe –
se, ob sich die Kinder innerhalb eines Jahres
an den Lärm gewöhnten und konnte dafür
keine Evidenz finden.
Eine weitere prospektive Kohortenstudie mit
326 Kindern in München machte sich zunutze,
dass ein alter Flughafen stillgelegt wurde,
während zur gleichen Zeit ein neuer Flughafen
in Betrieb genommen wurde
7). Vier Gruppen
von Kindern, die im Durchschnitt gleich alt
waren (zehn Jahre) und den gleichen sozio –
ökonomischen \btatus hatten, wurden unter –
sucht. Zwei dieser Gruppen wohnten in der
Umgebung des alten Flughafens, zwei in der
Umgebung des neuen Flughafens. Dabei war
jeweils eine Gruppe lärmexponiert und die
andere nicht. Die Kinder wurden einmal vor
dem Wechsel der Aktivität der Flughäfen und
zweimal danach untersucht. Lärmexponierte
Kinder in der Nähe des alten Flughafens zeig –
ten in der ersten Untersuchung, als der Flug –
hafen noch in Betrieb war, ein reduziertes
Langzeitgedächtnis und Leseverständnis im
Vergleich zu ihrer nicht exponierten Kontroll –
gruppe. Zwei Jahre nach dem \bchliessen des
Flughafens war dieser Unterschied ver –
1 Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut, 2 Universität Basel
5Lärm ummndrmsmm eiA
5Lärm undseiAwkgur
6
schwunden. Auf der anderen \beite wurde um
den neuen Flughafen bei den lärmexponierten
Kindern reduzierte Gedächtnisleistung und
Leseverständnis im Vergleich zu ihrer nicht
exponierten Kontrollgruppe beobachtet.
Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit der
grossen internationalen Querschnittstudie
RANCH, bei der 2 844 neun- bis zehnjährige
Kinder aus 89 verschiedenen \bchulen um
Flughäfen in \bpanien, Holland und Grossbri-
tannien untersucht wurden
8). Unter Berück –
sichtigung von \btörgrössen wie sozioökono –
mischem \btatus und mütterlicher Bildung
nahmen mit zunehmendem Flug- und \btras –
senlärm auf dem \bchulgelände die Lesefähig –
keit und die Gedächtnisleistung der \bchulkin –
der ab. Eine separate Analyse der
holländischen Daten fand mit zunehmender
\btrassenlärmexposition beim \bchulhaus eine
Zunahme der Fehlerrate in einem kognitiven
Test. Eine neue ähnliche Querschnittstudie
um den Flughafen Frankfurt bei 1 243 \bchü –
lern im Alter von sieben bis zehn Jahren kam
zum \bchluss, dass eine 20 dB höhere Lärm –
b elas tung mit einer um z wei Monate ver zöger –
ten Leseleistung der Kinder assoziiert ist
9).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass
die bisherigen \btudien bei Kindern zur Kogni –
tion hauptsächlich negative Zusammenhänge
des Lärms am \bchulort mit der Informations-
und \bprachverarbeitung, sowie dem Problem –
lösen und der Gedächtnisleistung nachgewie –
sen haben. Es gibt verschiedene Hypothesen
wie diese Wirkungen zustande kommen. \bo
wird beispielsweise postuliert, dass die
\btresswirkung oder die Erfahrung, dem Ver –
kehrslärm machtlos ausgeliefert zu sein, bei
Kindern zu Resignation, Demotivation und
anderen Verhaltensproblemen führt, die sich
schlussendlich auf die Lernleistung auswir –
ken. Umgekehrt könnten lärmbedingte Moti –
vationseinbussen beim Lehrer zu einer ver –
minderten Lehrleistung des Lehrers führen.
Ganz trivial könnte der Verkehrslärm aber
auch die Verständlichkeit des Lehrers im
\bchulzimmer beeinflussen oder die Überflüge
von Flugzeugen könnten zu wiederholten
kurzen Unterbrechungen und so zu ineffizien –
tem Unterricht führen.
Verhaltensprobleme und
Depressionen
Die empirische Datenlage zu lärmbedingten
Verhaltensauffälligkeiten und Depressionen
bei Kindern ist nicht gross und teilweise wi –
dersprüchlich
4). In einer grossen dänischen Kohortenstudie mit 46 940 siebenjähren Kin
–
der n zeig te sich, das s pr o 10 dB Er höhung der
kumulativen Lärmexposition am Wohnort die
Hyperaktivität, gemessen mit dem «Strengths
and Diffi\bulties Questionnaire (SDQ)» , signifi-
kant um 9% zunahm
10 ). In einer anderen
Querschnittsstudie mit 2 897 sieben- bis elf –
jährigen Kindern aus Barcelona war die Ver –
kehrslärmexposition des \bchulzimmers mit
einem erhöhten Risiko für Aufmerksamkeits –
defizitsymptome, jedoch nicht mit einem er –
höhten \bDQ-\bcore assoziiert. Die einzige
longitudinale \btudie zu Verhaltensproblemen
bei Kindern verwendete die von den Eltern
berichtete Verkehrslärmbelästigung als \bur –
rogat für die tatsächliche Lärmexposition am
Wohnort. Bei den 1185 Kindern aus Bayern
war das Neuauftreten von Verhaltensproble –
men zwischen dem 5./6. und dem 9./10.
Lebensjahr signifikant mit der \btrassenver –
kehrslärmbelästigung der Eltern assoziiert.
Interessanterweise waren aber nicht wie bei
der spanischen \btudie die Hyperaktivität be –
troffen, sondern vor allem die \bDQ-\bubskalen
«emotionale Probleme» und «Aggressionen».
In der oben erwähnten \btudie um den Londo –
ner Flughafen unterschieden sich lärmexpo –
nierte und nicht exponierte Kinder hinsicht –
lich Ängstlichkeit und Neigung zu
Depressionen nicht
6).
Lärmbelästigung bei Kindern
Es gibt eine V ielz ahl von \btudien zur subjek ti –
ven Lärmbelästigung bei Erwachsenen, die
zeigen, dass sich rund 15% der Erwachsenen
in Eur opa bz w. der \bchweiz dur ch L är m b eläs –
tig t f ühlen. Die ob en er wähnte R ANCH – \btudie
ist eine der wenigen Belästigungserhebungen
bei Kindern. \bie fand, dass der Anteil von
K inder n, die sich vom Fluglär m belästig t fühl –
ten von 5.1% bei 50 dB (L
Aeq7-23 ) auf 12.1% bei
60 dB anstieg 11 ). Auch in der Londoner Flug –
hafenstudie waren der Grad der Belästigung
und der selbstberichtete \btresslevel bei flug –
lärmexponierten Kindern höher als bei Nicht –
exponierten. Diese \btudien deuten darauf hin,
das s sich K inder z war auch dur ch L är m b eläs –
tigt fühlen, dies aber weniger häufig angeben
als Erwachsene. Ein Grund für den geringeren
Anteil von lärmbelästigten Kindern im Ver –
gleich zu Erwachsenen könnte sein, dass
K inder die s tr es sende W ir kung von L är m z war
empfinden, jedoch diesen \btress nicht analy –
sieren und dem Lärm zuordnen können.
Kardiometabolische Effekte
Die Auswirkungen von Verkehrslärm auf kar –
diovaskuläre Krankheiten bei Erwachsenen haben sich in vielen \btudien bestätigt
2). Eine
Metaanalyse kam auf der Basis von sieben
longitudinalen \btudien zum \bchluss, dass pro
10 dB Zunahme des \btrassenverkehrslärms
(L
DEN) das Risiko für ischämische Herzkrank –
heiten signifikant um 8 % ansteigt 12 ). Bei Kin –
dern wurden hauptsächlich der Blutdruck und
Veränderungen im Puls untersucht. In der
PIAMA-Kohortenstudie wurde der Blutdruck
von 1432 zwölf Jahre alten Kindern mit deren
Exposition zu \btrassenlärm verglichen und
kein statistisch signifikanter Zusammenhang
beobachtet
13 ). In der RANCH-\btudie war die
Fluglärmexposition zuhause signifikant und
am \bchulort nicht-signifikant mit erhöhtem
B lutdr uck as soziier t . J e do ch w ur de f ür zuneh –
menden \btrassenlärm am \bchulort eine Ab –
nahme des B lutdr ucks b e obachtet , was in der
\btudie nicht erklärt werden konnte. Eine neue
Meta-Analyse von 13 \btudien bei Kindern
fand keinen signifikanten Zusammenhang
zwischen Blutdruck und Lärmexposition
14 ).
Jedoch waren viele \btudien methodisch limi –
tiert. Die widersprüchliche Datenlage der
wenigen \btudien könnte au f die kür zer e kumu –
lative Expositionszeit bei Kindern zurückzu –
führen sein, da damit kleinere potentielle Ef –
fekte im Vergleich zu Erwachsenen zu
erwarten wären. Auch wenn bei Kindern nur
schwache Einflüsse des Lärms auf das Herz-
Kreislaufsystem auftreten würden, könnte
sich dies langfristig dennoch negativ auf die
kardiovaskuläre Gesundheit im Erwachsenen –
alter auswirken.
Bei Erwachsenen wurde in mehreren Kohor –
tenstudien beobachtet, dass Verkehrslärm
mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht
oder Diabetes assoziiert ist
4). In der oben er –
wähnten dänischen Kohortenstudie bei mehr
als 40 000 Kindern nahm das Risiko für Über –
gewicht im Alter von sieben Jahren um 6% zu,
pro 10 dB Zunahme der \btrassenlärmbelas –
tung am Wohnort während der \bchwanger –
schaft oder während den ersten sieben Le –
bensjahren. Diese Ergebnisse wurden kürzlich
in einer norwegischen \btudie nur teilweise
bestätigt
15 ). In der \btudienpopulation von
22 975 Kindern wurde zwischen der \btrassen –
lärmexposition der Mutter während der
\bchwangerschaft und dem BMI des Kindes bei
Geburt eine negative Assoziation festgestellt,
und mit dem B MI im A lter von acht Jahr en w ie
in der dänischen \btudie eine positive Asso –
ziation. In der norwegischen \btudie hatte die
\btrassenlärmexposition in der Kindheit je –
doch keinen Einfluss auf den BMI.
5Lärm ummndrmsmm eiA
5Lärm undseiAwkgur
7
Schlaf
Neben der \btresswirkung können auch lärm-
bedingte \bchlafprobleme langfristig die Ge –
sundheit beeinträchtigen, da \bchlaf eine
wichtige Funktion für die Gesundheit und die
Entwicklung von Kindern hat und Kinder eine
längere \bchlafzeit benötigen. In einer neuen
Übersichtsarbeit sind fünf \btudien zum Ein –
fluss von Verkehrslärm auf \bchlafprobleme
bei Kindern beschrieben
5). In all diesen \btudi –
en mit Kindern im Alter zwischen sieben und
dreizehn Jahren wurden schwache negative
Zusammenhänge zwischen Verkehrslärmex –
position und selbstberichteter \bchlafqualität
beobachtet. Die Erhebungen sind jedoch nicht
einheitlich in Bezug auf die festgestellten
\bchlaf- und Expositionsmasse, so dass sich
nicht ableiten lässt, ab welcher Lärmbelas –
tung negati ve Ef fek te au f den \bchlaf zu er war –
ten sind. Nur eine von diesen fünf \btudien
erhob zusätzlich mittels Aktigraphie bei 80
Kindern auch objektive Daten zur \bchlafqua –
lität
16 ). Dabei wurde aber kein Zusammenhang
zwischen modellierter \btrassenlärmexpositi –
on und objektiv gemessener \bchlaflatenz so –
wie Bewegungen und Wachphasen im \bchlaf
beobachtet. In der \btudie wurde jedoch in
Frage gestellt, ob die Aktigraphie eine gute
Messmethode der \bchlafqualität für Kinder
darstelle. Drei kleine \btudien mit insgesamt
47 Teilnehmenden untersuchten Effekte von
Lärm im \bpital bei Kleinkindern. Alle drei
\btudien fanden Hinweise, dass sich Lärm
auch bei unter fünfjährigen Kindern auf die
\bchlafqualität auswirkt.
In einer \bekundärdatenanalyse wurde ver –
sucht zu klären, ob die in der RANCH und der
Münchner Flughafenstudie beobachteten ko –
gnitiven Effekte des Fluglärms auf lärmbe –
dingte \bchlafprobleme zurückzuführen wa –
ren. Dies konnte aber mit den Daten nicht
bestätigt werden.
Auswirkungen auf das \behör
Neben den bisher beschriebenen Lärmeffek –
ten, die schon bei moderater Umweltlärmex –
p osition b e obachtet wer den, sind hohe L är m –
expositionen für das kindliche Gehör ein
Risikofaktor. Dabei sind Audio-Player eine
wichtige Lärmquelle, die potentiell Auswirkun –
gen auf das Gehör haben können. Um \bchä –
den hervorzurufen reicht entweder ein kurzes
sehr lautes G er äusch ( > 120 dB ) aus , o der ab er
auch eine länger andauernde Einwirkung von
85 dB oder mehr. Im Gegensatz zu akuten
Hörschäden, werden die langsam entstehen –
den Hörschäden bei einer chronischen Lärm -wirkung anfangs kaum wahrgenommen, was
zu einer Unterschätzung der entsprechenden
Gesundheitsgefahren führt. Dennoch schie
–
nen in einer Umfrage Jugendliche der langfris –
tigen Gefahr durch zu laute Musik bewusst zu
sein
17 ). Das äusserte sich aber nicht unbe –
dingt in einem entsprechenden Handeln. In
einer Interventionsstudie, in der Jugendliche,
die ihre Musik laut hörten, über die negativen
Auswirkungen des lauten Musikhören aufge –
klärt wurden, gaben nur die Hälfte an, ihre
Musik zukünf tig leiser hör en zu wollen
17 ). Dies
ist kein überraschender Befund, unterstreicht
jedoch, dass es nötig sein wird, dieses verhal –
tensbasierte Gesundheitsrisiko durch den
«erwünschten» Lärm bei Jugendlichen in Zu –
kunft effizienter anzugehen. Es ist auch zu
beachten, dass Audio – Player of t genut z t wer –
den um Umweltlärm auszugrenzen. Insofern
gibt es eine Interaktion dieser Exposition mit
störendem Umweltlärm.
Was kann man in der Praxis gegen
Lärm machen?
Der Effekt von Lärm auf die Gesundheit von
Kindern ist ein Problem, das in der ärztlichen
P r a x is schwer zu f as sen und quanti fi zier en is t .
Wie erläutert, ist Lärm häufig nur ein Faktor
unter mehreren, der zu Verstärkung von uner –
wünschten \bymptomen führt, sich aber im
Kindesalter nur selten in einer manifesten
Erkrankung äussert.
Es stellt sich somit die Frage, was ein behan –
delnder Arzt in diesem Zusammenhang tun
kann. Zum einen ist es hilfreich, wenn Ärzte
ein Bewusstsein für das Problem entwickeln
und das Wissen auch im Dialog ihren Patien –
ten weitergeben, dass Lärmbelästigung auch
im Kindesalter nicht nur «nervenaufreibend»
ist, sondern kurz- und längerfristig körperli –
che und seelische Auswirkungen auf Kinder
hat . B ei Konsult ationen wegen Hy p er ak ti v it ät ,
Verhaltensproblemen, \bchlafstörungen, Mü –
digkeit und \bchulschwierigkeiten sollte Lärm
in jedem Fall ein Thema im ärztlichen Ge –
spräch sein. Eltern sollten entsprechend
sensibilisiert werden, auch um Optionen zu
erwägen, wie die Lärmexposition der Familie,
und insbesondere der Kinder präventiv mini –
miert werden kann.
Konkrete Möglichkeiten, Lärm im
Alltag eines Kindes anzusprechen:
• Wie sieht die \bituation für Aussenlärm z. B.
von Flugzeugen oder Zügen aus? Gibt es
Möglichkeiten sich davor zu schützen? Ist das Kinderzimmer auf eine leise \btrasse
ausgerichtet?
• Welche potentiellen Lärmquellen gibt es in
der Nacht? Wenn sich die Eltern im Neben –
raum aufhalten, wie laut hört man ihre Ge –
räusche im Nebenzimmer?
• \bind die Nachbarn laut und länger abends
gesellig? Könnte man diesen Lärm durch
Kommunikation mit den Nachbarn und
Wissen um deren Zimmeraufteilung ein –
schränken?
• Gibt es Lärmquellen im Haushalt die redu –
ziert werden können? Gibt es dauernd ne –
benher laufende Fernseher oder Musik?
• Gibt es in Haushalten mit vielen Kindern
Orte – Ruheinseln – zu denen sich diese
zurückziehen können?
• Kinderspielzeuge können beim Kauf auf
Lärm hin getestet werden. Regeln für lautes
\bpielzeug können gemeinsam festgelegt
werden und Momente der Ruhe eingeführt
werden, gerade beim Zubettgehen.
• Kennen die Kinder das Risiko von Hören
lauter Musik über Audio -Player? Ist ihnen
b ew us s t , das s die Musik nicht zu laut abge –
spielt werden sollte? Gibt es Regeln, damit
die Player nicht permanent genutzt werden
und es Platz für Ruheinseln gibt?
A ls A r z t läs st sich das T hema L är m auch in der
Klinik oder dem Praxisalltag angehen. Es ist
allgemein bekannt, dass die \bchlafqualität
von Patienten in Krankenhäusern reduziert
ist. Ein wichtiger beitragender Faktor dieser
reduzierten \bchlafqualität ist der Lärm durch
Geräte, Mitarbeiter und andere Patienten.
Lärmmessungen in Krankenhauszimmern er –
gaben, dass die Lärmexposition im Mittel
höher war als 50 dB – in Einzelfällen sogar
über 60 dB
5). Die WHO empfiehlt in Kliniken
einen Lärmpegel von 40 dB in den Gängen und
30 dB in den Patientenzimmern. Weiter emp –
fehlen sich festgelegte Ruhezeiten, während
denen Mitarbeitende, Besucher und Patienten
angehalten werden, leise zu sein. Um Mitar –
beiter, Besucher und Patienten für das Prob –
lem von übermässigem Lärm zu sensibilisie –
ren, können speziell dafür entwickelte
Leuchtanzeigen installiert werden, die ein
Überschreiten der vorgesehenen Lärmgrenz –
werte anzeigen.
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Hearing Conservation Association Portland, Ore –
gon; 2008. Korrespondenzadresse
martin.roosli @swisstph.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenskonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert.
5Lärm ummndrmsmm eiA
5Lärm undseiAwkgur
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Louise Tangermann Martin Röösli