Einführung
Grosseltern onkologischer Patienten zeigen eine grosse Präsenz bei ihren erkrankten Enkeln im Spital. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben von Grosseltern, für ihre Enkelkinder «einfach da zu sein»1) und ganz besonders dem erkrankten Kind zur Seite zu stehen 2). Eltern von langzeitüberlebenden Kindern mit Krebs wünschten sich einen stärkeren Einbezug von Grosseltern in die Betreuung der Kinder 3). Da die Mehrzahl der an Krebs erkrankten Kinder heutzutage geheilt werden kann, sollte die psychosoziale Gesundheit des Kindes und seiner Familie neben der kurativen Therapie im Mittelpunkt stehen 4). Hierzu müsste der erweiterte Bedarf der familienzentrierten Betreuung innerhalb der Kinderonkologie geprüft werden.
32
Fortbildung
Einführung
Grosseltern onkologischer Patienten zeigen
eine grosse Präsenz bei ihren erkrankten En-
keln im Spital. Es ist eine der wichtigsten
Aufgaben von Grosseltern, für ihre Enkelkin –
der «einf ach da zu sein»
1) und ganz besonders
dem erkrankten Kind zur Seite zu stehen 2).
Eltern von langzeitüberlebenden Kindern mit
Krebs wünschten sich einen stärkeren Einbe –
zug von Grosseltern in die Betreuung der
Kinder
3). Da die Mehrzahl der an Krebs er –
krankten Kinder heutzutage geheilt werden
kann, sollte die psychosoziale Gesundheit des
Kindes und seiner Familie neben der kurativen
Therapie im Mittelpunkt stehen
4). Hierzu
müsste der erweiterte Bedarf der familienzen –
trierten Betreuung innerhalb der Kinderonko –
logie geprüft werden.
In dieser Studie sollte die Begleitung von
Kindern mit einer Krebserkrankung und deren
Angehörigen, insbesondere der Grosseltern,
untersucht werden. Primärer Endpunkt war
eine Standortbestimmung zu Situation, Rolle
und Zufriedenheit von Grosseltern in der Un –
terstützung des erkrankten Enkelkindes und
dessen Familie inner- und ausserhalb des
Kinderspitals. Sekundärer Endpunkt war,
Empfehlungen zu definieren, um Grosseltern
in ihrer Aufgabe besser zu unterstützen.
Methode
Mit einer qualitativen Untersuchungsmetho –
de5) wurde die psychosoziale Situation von
G ros selter n eines an K r ebs er kr ank ten Enkel –
kindes am Universitäts-Kinderspital Zürich
untersucht. Dafür wurden von Januar bis Juni
2012 Grosseltern von 14 onkologischen Pati –
enten in einem leitfadengeführten Interview
zum Erleben ihres Einsatzes für die betroffene
Familie, ihrer psychischen Verfassung und
ihren Wünschen befragt.
Eingeschlossen wurden Grosseltern von Kin –
der n ( 0 – 18 Jahr e ) , die zur Zeit der B ef r agung
Wie Grosseltern die Krebserkrankung
eines Enkelkindes erleben
Lucia Seifert 1, Felix Niggli 2, Eva Bergsträsser 2, 3, Zürich
eine Chemotherapie auf der onkologischen
Bettenstation erhielten. Die Diagnosestellung
der Krebserkrankung musste mindestens vier
Wochen und die letzte stationäre Therapie
durfte maximal vier Wochen zurückliegen. Für
die Rekrutierung wurde das schriftliche Ein –
ver s t ändnis der G r os selter n, sow ie das münd –
liche Einverständnis der Kindseltern und, je
nach Alter, des Kindes eingeholt. Die Studie
wurde von der Ethikkommission des Kanton
Zürich geprüft und deren Durchführung als
unbedenklich beurteilt (Ref. Nr. EK: KEK-ZH-
Nr. 2012- 0003).
Der Interviewleitfaden wurde in einem Pilot –
interview mit einer Grossmutter evaluiert,
deren Enkelkind ein Jahr zuvor an Krebs ver –
storben war. Es beinhaltete die Themen «Kom-
munikation und Information zu Krankheit, The –
rapie und Verlauf», «Wahrnehmung der
Interaktion von Pflegenden und Ärzten mit der
Familie», «Befindlichkeit der Grosseltern» und
«Ideen und Wünsche zur Unterstützung von
Grosseltern». Der Fragenkatalog wurde im
Verlauf der Studie gemäss der Gesprächsin –
halte angepasst
6). Die Interviews wurden auf
Tonband aufgezeichnet, transkribiert und
anonymisiert und mittels einer professionel –
len Software zur qualitativen Datenanalyse
7)
bearbeitet. Zur Analyse der Interviews wurde
die qualitative Inhaltsanalyse
8) verwendet.
Nach Lesen der Interviews wurden schrittwei –
se fünf Kategorien als Hauptthemen gebildet
(Tabelle 1) .
Resultate
Von 15 angefragten Familien stimmten 13 der
Studienteilnahme zu und konnten in die Befra –
gung eingeschlossen werden. Das Pilotinter –
view wurde wegen seiner Aussagekraft in die
Gesamtauswertung einbezogen. Von den 14
Enkelkindern waren vier weiblich und zehn
männlich und 1.4 bis 16 Jahre alt (Median 4
Jahre). Die Krebserkrankungen waren durch –
mischt (Leukämie, Hirntumor, maligner Kno –
chentumor, Nierentumor, Keimzelltumor, Neu –
roblastom, Lymphom).
Die Hauptthemen aus Tabelle 1 werden im
Folgenden dargelegt.
Haltung und Einstellung der
Grosseltern
Die Grosseltern standen den Kindseltern en –
gagiert zur Seite. Sie verzichteten vom Zeit –
punkt der Diagnosestellung an auf Reisen und
Freizeitaktivitäten, wenn diese ihre Hilfeleis –
tungen für die Familie einschränkten. Die
meisten Grosseltern waren zum Zeitpunkt der
Diagnosestellung pensioniert. Noch Berufstä –
tige hätten ihren Beruf für das Enkelkind auf –
gegeben.
«Wenn der Enkelsohn ein Jahr eher krank ge –
worden wäre, hätte ich aufgehört zu schaffen.
Das Enkelkind ist mir wichtiger als der Job.»
Grosseltern richteten ihre Energie auf die
Unterstützung der jungen Familie. So versuch –
ten sie, den Schock der Diagnose und die
damit verbundenen Ängste für sich zu bewäl –
tigen und die Kindseltern mit ihren eigenen
Emotionen nicht zusätzlich zu belasten. Sie
mieden Gesprächsthemen, wie eine schlechte
Prognose des Enkelkindes.
«Es hat sich ziemlich schnell ergeben, über was
ich mit meiner Tochter rede und worüber nicht.
Haltung und Einstellung von Grosseltern mit einem an Krebs erkrankten Enkelkind
Rolle und Aufgaben von Grosseltern mit einem an Krebs erkrankten Enkelkind
Zufriedenheit und Emotionen von Grosseltern mit einem an Krebs erkrankten Enkelkind
Wünsche an das Spital zur Unterstützung für zukünftige Familien mit einem an Krebs
erkrankten Kind
Ressourcen und Copingstrategien von Grosseltern mit einem an Krebs erkrankten Enkelkind
Tabelle 1: Hauptthemen der Interviews
1 Allgemeine Pädiatrie, Universitäts-Kinderspital Zürich, Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich2 Pädiatrische Onkologie, Universitäts-Kinderspital Zürich, Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich 3 Kompetenzzentrum Pädiatrische Palliative Care, Universitäts-Kinderspital Zürich, Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich
32Groseooltronoos kg
33
Fortbildung
U nd es war klar, wir gehen den Weg gemeinsam
und trotzdem halt verschieden.»
Dem Enkelkind gegenüber verhielten sich die
Grosseltern optimistisch. Sie bemühten sich
um Unbeschwer theit, um es nicht zu verunsi-
chern.
«Nicht viel Reden, nicht Weinen, nicht Rekla –
mieren. Das Kind versteht alles, sie reagiert
sofort und wird nervös. Lachen wie normal,
Spielen wie normal, Erzählen, und das Kind
nimmt es auch positiv.»
Die Grosseltern fühlten sich im Vergleich zu
den Kindseltern von der Erkrankung des En –
kelkindes nur indirekt betroffen und gaben
deren Bedürfnissen Vorrang. Hierbei gaben
sie Acht, dass die Kindseltern ihnen ihre Be –
dürfnisse mitteilten und sie ihnen gleichzeitig
nicht alles abnahmen.
«Die Kinder so unterstützen, wie sie es brau –
chen. Nicht zu fest reinfunken, nicht meinen,
man wüsste es besser. Wenn sie T ipps brauchen,
dann sagen sie es schon. Es ist wichtig, dass die
Kinder merken, es ist jemand da, den man rufen
kann, wenn es (ihnen) schlecht geht.»
Grosseltern stellten ihren Anspruch auf fach –
liches Wissen über die Erkrankung zurück.
B est and ein guter Aust ausch mit den K indsel –
ter n, auch üb er A r z t gespr äche, war en f as t alle
Grosseltern mit ihrem Informationsstand zu –
frieden.
«Wir müssen nicht so gezielt Informationen
haben, weil die Tochter sich alles aufschreibt
und sie macht das sehr gut. So können wir uns
an ihr orientieren.»
Hielten die Kindseltern sich aber mit der Wei –
tergabe von Informationen zurück, wünschten
die Grosseltern schriftliche Informationen
oder ein direktes Arztgespräch. Dieser
Wunsch verstärkte sich, wenn es zu Kompli –
kationen und Abweichungen im Behandlungs –
plan kam.
«Wir wissen nicht, warum er jetzt in die
schlechtere Gruppe gefallen ist, wie sind dort
die Heilungschancen, wie lang geht das Ban –
gen. Wir sind eben in der Lage, dass wir einen
Junior haben, der nicht sehr gesprächig und
mitteilsam ist.»
Auch um Fragen anzubringen, «die man die
eigenen Kinder nicht so fragen kann», w ünsch -te sich eine Grossmutter ein Gespräch mit
dem behandelnden Arzt.
Rolle und Aufgaben der Grosseltern
Durch ihre enge emotionale Bindung zur jun
–
gen Familie stellten die Grosseltern eine
wertvolle Ressource dar. Sie richteten sich
nach den Bedürfnissen der Kindseltern, waren
jederzeit verfügbar und zu einem grossen
Mass belastbar.
«Man muss flexibel sein im Moment. Wenn
etwas ist, dann ruft unsere Tochter an und
dann gehen wir. Wir sind einfach auf Abruf.»
Grosseltern kamen auch ins Kinderspital, um
die eigene Tochter oder die Schwiegertochter
zu entlasten und ihr ein paar Stunden zum
Ausruhen zu ermöglichen.
«Ich hab Z’Mittag gebracht, damit (meine
Schwiegertochter) richtig isst, und dann hat sie
am Nachmittag etwas für sich machen können
und ich hab dem Kleinen geschaut.»
Die Grosseltern besuchten das Enkelkind im
Spit al, um ihm Fr eude zu b er eiten und G esell –
schaft zu leisten und brachten zum Beispiel
eine Lieblingsspeise mit.
«Artischocken. Die hat er gern. Ich habe ihm
gesagt, ‹ich habe im Laden wieder Artischo –
cken gesehen, soll ich eine mit heimnehmen?›.
Dann sagt er: ‹Auja, gerne. Bringst du sie mir
und eine Tube Mayonnaise dazu?›. Nun habe
ich sie gekocht heute Morgen, mal schauen, ob
er mag oder nicht.»
Die Grosseltern lösten die Kindseltern bei
stationären Spitalaufenthalten ab oder beglei –
teten das Enkelkind zu ambulanten Terminen,
wenn die Kindseltern sehr belastet waren
oder Geschwisterkinder zuhause durch die
Kindseltern versorgt werden mussten.
Die Anwesenheit der Grosseltern variierte je
nach örtlicher Distanz und Gesundheit der
Grosseltern. Trugen Grosseltern die Betreuung
des erkrankten Enkelkindes mit, oder hüteten
sie die Geschwisterkinder intensiv, sahen sie
sich täglich. Bei grösserer Distanz zwischen
den Wohnor ten war en ein bis z wei B esuche pr o
Woche die Regel. Der telefonische Austausch
zum Gesundheitszustand des Enkelkindes und
zur gegenseitigen Anteilnahme war rege.
«Wir sind dauernd im Gespräch, auch telefo –
nisch, wenn sie im Kinderspital sind, dann ruft sie einmal an oder ich rufe an : ‹So, wie habt ihr
denn geschlafen ? Seid ihr schon auf ? ‹ Also der
Kontakt ist sehr lebendig.»
Die finanzielle Unterstützung der Kindseltern
durch die Grosseltern aufgrund einer krank
–
heits- und situationsbedingten Reduktion der
Erwerbstätigkeit war kaum ein Thema. Nur
eine Grossmutter berichtete von einem Bud –
getplan, den sie zusammen mit ihrer Tochter
aufgestellt hatte.
Zufriedenheit und eigene Emotionen
der Grosseltern
Die Krebsdiagnose des Enkelkindes löste bei
den Grosseltern Verzweiflung und Traurigkeit
aus.
«Wie ein Schock so eine Diagnose. Als würde
man das Licht ablöschen und die Welt ist nur
noch grau – schwar z. W ir mussten beide heulen,
wir haben uns gefragt, warum das Kind, warum
muss überhaupt ein Kind so leiden?»
Sie empfanden es als ungerecht, dass ein
Enkelkind vor seinen Grosseltern erkrankt.
Für viele Grosseltern war neu, dass Kinder
überhaupt an Krebs erkranken können.
«Für mich ist es unendlich schwer, warum er
und nicht ich. Das finde ich schrecklich unge –
recht.»
Sie bewunderten die Kindseltern für ihre
Stärke und ihr Durchhaltevermögen und hat –
ten gleichzeitig tiefstes Mitgefühl. Sie fürch –
teten, die Kindseltern könnten der Belastung
durch die Erkrankung nicht standhalten.
Grösste Sorge bereitete ihnen, dass das En –
kelkind versterben könnte. Aus dieser Sorge
heraus zeigten sie ihm ihre besondere Zunei –
gung. Gleichzeitig bemühten sie sich, den
gesunden Geschwisterkindern Aufmerksam –
keit zu schenken.
Einige Grosseltern sahen einen sekundären
Gewinn in ihrem Einsatz, da die Familie enger
zusammenwuchs und sie das Enkelkind häu –
figer sahen. Auch von einer Zunahme der ei –
genen körperlichen Fitness durch die neue
Aufgabe wurde berichtet. Grosseltern, die
altersbedingt körperlich beeinträchtigt waren,
litten unter ihrer mangelnden Flexibilität und
hatten das Gefühl zu versagen.
«Was ich mir wünschen würde ist, dass ich
stabiler wäre, dass ich die Tochter besser un –
terstützen könnte und das geht einfach nicht
32Groseooltronoos kg
34
Fortbildung
so gut, weil ich kann ganz schlecht laufen. Ja
und das belastet mich ein bisschen, dass ich
so als Grossmutter versage.»
Wünsche an das Spital zu einer
Unterstützung auch für zukünftige
Familien
Subjektiv fehlte es den Grosseltern nicht an
eigener Unter s tüt zung. Sie hat ten sich pr ofes-
sionelle Hilfe organisiert oder versicherten,
mit der aktuellen Situation zurechtzukommen.
Andere betroffene Grosseltern bspw. in einem
Grosselterncafé kennenzulernen, begrüssten
die Grosseltern mehrheitlich.
«Was ich suche ist eine Kontak tstelle für G ross –
mütter. Das würde mir am meisten helfen, mit
jemanden reden zu können, der das gleiche
erlebt, der weiss, was das mit einem macht.»
«Es wäre schön, man würde einen Ort finden,
wo sich auch einmal Grosseltern tref fen könn –
ten für einen Austausch. Es gibt doch viele
Sachen, die man als Grosseltern miteinander
besprechen würde.»
Ein kleinerer Teil der Grosseltern empfand
hingegen den Besuch eines Grosselterncafés
als zusätzliche Belastung. Es sei zu emotional
«andere Schicksale (zu) hören» und organisa –
torisch nicht möglich, «noch etwas Zusätzli-
ches unterzubringen».
Als weitere Unterstützungsmöglichkeit von –
seiten des Kinderspitals wurde eine Bezugs –
person für die Familie genannt.
«Es wäre schön, eine Bezugsperson zu finden,
die für die ganze Familie da ist. Vielleicht je –
mand, der vom Spital kommt, der genau den
Fall von unserem Enkelkind kennt, der auch die
Familienverhältnisse kennt, der weiss, was die
junge Familie bedrückt, was für Sorgen sie
haben neben der Krankheit des Enkelsohns.»
Vom Ärzteteam des Kinderspitals erwarteten
die Grosseltern keine besondere Aufmerk –
samkeit. Zentral war einzig der Umgang mit
dem erkrankten Enkelkind und den Kindsel –
tern.
«Den Arzt finde ich eigentlich immer ziemlich
distanzier t zu mir. Das wichtigste ist mir, wie er
mit dem Kind und mit meiner Tochter umgeht,
wie aufopfernd und wie liebevoll.» Ressourcen und Copingstrategien der
Grosseltern
Die Grosseltern schöpften Kraft daraus, für
ihre Familie da zu sein.
«Wir können den kranken Enkelsohn leider
nicht gesund machen, aber wir können wenigs
–
tens die junge Familie stüt zen und das machen
wir mit Herzblut.»
Als wichtige Ressource gaben sie die breite
soziale Einbettung der Familie an.
«Zu sehen, wie meine Tochter und der Schwie –
gersohn das schaffen. All diese wunderbaren
Menschen, die uns begleiten, das ist eigentlich
das Wichtigste und Schönste.»
Das Wesen des Kindes beeinflusste die Emo –
tionen der Grosseltern. Ein lebhaftes, fröhli –
ches Enkelkind gab ihnen Kraft. Ein liebes
Enkelkind war f ür die G ros selter n schwer er zu
ertragen.
«Der Enkelsohn hilft uns, weil er so frech ist.
Für uns ist das besser, als wenn er wie ein
welkes Blümchen rumhängen würde. U nd dass
er es eben auch ausnut z t. Weil wir merken, das
Kerlchen ist vollkommen da.»
Die Grosseltern wurden von der Zuversicht
getragen, dass Therapieerfolge erzielt werden
können.
«Es war eine Erleichterung zu sehen, dass die
heutige Medizin schon so weit ist, dass 80 – 90 %
heilbar sind. Da habe ich gedacht, der Enkel –
sohn wird gesund.»
Neben dem Vertrauen in Fachpersonen spiel –
te bei Einigen Religion und Glaube eine Rolle.
«Ich vertraue dem Arzt und dem Mann da oben.
Ich bete, ich faste für die Enkeltochter. Da
muss ich früh aufstehen, bevor die Sonne auf –
geht und dann musst du immer etwas opfern,
Blumen oder Wasser oder Früchte.»
Rückfälle und Komplikationen stimmten die
Grosseltern traurig. In solchen Zeiten suchten
sie aktiv Informationen, die ihnen wieder
Hoffnung gaben und schöpften Energie dar –
aus, der betroffenen Familie beizustehen. Sie
bemühten sich, eigene Emotionen nicht in den
Alltag des Enkelkindes zu bringen.
«Nicht vor dem Kind zeigen, wenn man traurig
ist, und Mut geben, sagen, ‹Das schaf f st du, wir schaffen das schon›. Ich finde wichtig, dass
man positiv eingestellt ist und auch mit dem
Kind lachen kann. Dass man nicht nur an sich
denkt, sondern mehr ans Kind.»
Grosseltern in einer Partnerschaft wirkten
mehrheitlich ausgeglichener und zuversichtli
–
cher als alleinstehende Grosseltern.
«Der Enkelsohn ist immer das Wichtigste. Wir
sind wirklich stolz darauf, wie wir das als Paar
schaffen.»
Diskussion
Erkrankt ein Enkelkind an Krebs ist die Unter –
stützung des Enkelkindes und seiner Eltern für
Grosseltern zentral. Sie sind bereit, ihr Leben
dafür umzustellen. Keinesfalls möchten sie
die Familie zusätzlich belasten. Sie sind mehr –
heitlich zufrieden, nur durch die Kindseltern
über die Erkrankung informiert zu werden.
Durch eine gute soziale Einbettung fehlte es
den Grosseltern unserer Studie kaum an eige –
ner Unterstützung.
Grosseltern sind durch die Krebserkrankung
eines Enkelkindes «doppelt» betroffen, da sie
die Traurigkeit ihrer Kinder mitfühlen und mit
ihrem Enkelkind mitleiden. Dennoch nehmen
sie sich selbst zurück und stellen die Unter –
stützung der jungen Familie in den Mittel –
punkt. Moules et al.
9) ,10 ) , die16 Grosseltern
mit einem an Krebs erkrankten Enkelkind
befragten, verglichen eine Grossmutter sinn –
bildlich mit einer Löwenmutter, die ihre Jun –
gen beschützte
10 ).
Die Grosseltern lernten, wie weit sie ihren
Kindern Aufgaben abnehmen sollten, ohne
deren Elternrolle zu untergraben. Auch Gross –
eltern autistischer Enkelkinder überliessen
den Kindseltern gezielt Aufgaben, um sich
nicht «einzumischen»
11 ). Moules et al. 9) be –
schrieben, dass Grosseltern bemüht waren,
zu helfen ohne zu stören: Sie verzichteten auf
Komfort, waren jederzeit verfügbar und zogen
sich zurück, wenn die junge Familie Zeit für
sich brauchte.
Die Grosseltern zeigten Lebenserfahrung und
Gelassenheit und anerkannten, dass das
g r ös s te Leid die junge Familie tr if f t . Youngblut
et al.
12 ) beschrieben, dass Grosseltern, deren
Enkelkind verstorben war, Verzweiflung,
Schuld, Wut und Distanziertheit geringer und
den Gewinn an persönlicher Reife stärker als
Kindseltern erlebten. Dies könnte dadurch
erklärbar sein, dass es Grosseltern tatsäch –
32Groseooltronoos kg
35
Fortbildung
lich gelingt, eine gewisse Distanz zu der
schweren Krankheit und dem Schicksal der
Familie aufzubauen. Charlebois und Bou-
chard
2) dagegen kamen zu dem Schlus s , das s
die Krebserkrankung des Enkelkindes für
Gross- und Kindseltern gleich belastend ist.
Hier lag die Diagnosestellung jedoch maximal
zwei Monate zurück, so dass die Ergebnisse
durch den anfänglichen «Schock» beeinflusst
sein könnten.
Mar get t s et al.
11 ) b e obachteten, das s G r os sel –
tern das erkrankte Enkelkind den Geschwis –
terkindern gegenüber bevorzugten. Auch die
von uns interviewten Grosseltern berichteten
von einer besonderen Bindung zum erkrank –
ten Enkelkind. Es fiel ihnen schwer, ihm Wün –
sche abzuschlagen: Sie fragten sich, wie lan –
ge sie das Enkelkind noch bei sich hätten,
während Grosseltern mit autistischem Enkel –
kind befürchteten, sie könnten ihm nicht er –
klären, weshalb sie etwas verboten.
In Bezug auf den Informationsbedarf trafen
wir auf eine grosse Bescheidenheit. Informa –
tionen durch die Kindseltern genügten den
Grosseltern mehrheitlich. Nur wenn die Kinds –
eltern zurückhaltend mit der Weitergabe von
Informationen waren, wünschten sie sich
schriftliche Informationen oder die Teilnahme
an einem Arztgespräch. Wakefield et al.
13 )
beobachteten, dass Grosseltern väterlicher –
seits einen grossen Bedarf an schriftlichen
Informationen hatten, was mit einem stärke –
ren direkten Einbezug der Grosseltern mütter –
licherseits erklärt wurde. Das Interesse an
Informationen zu Überlebenschancen und
möglichen Folgen der Krebserkrankung des
Enkelkindes war gross, da Grosseltern die
Kindseltern mit solchen Fragen nicht belasten
wollten. Beides war auch in unserer Studie zu
beobachten.
Die Unterstützung der Grosseltern durch ihr
soziales Umfeld
9) und durch Fachpersonen 2)
wurde in anderen Studien als ungenügend
beurteilt. Grosseltern litten darunter, dass
Freunde sich zurückzogen und fühlten sich
vom Behandlungsteam schmerzlich igno –
riert
9). Wie für Kinder und Eltern wünschten
sie sich psychologische Hilfe 2). Die Grossel –
tern unserer Studie dagegen fühlten sich
durch ihr soziales Umfeld unterstützt und
empfanden die Fokussierung auf das Enkel –
kind und die Kindseltern vonseiten des medi –
zinischen Personals als adäquat. Der Le –
benspartner stellte eine wichtige Ressource
dar, um mit der schw ier igen Situation gemein -s am um zugehen und Emotionen und Tr auer zu
teilen.
Das Vertrauen in das Behandlungsteam und
das Spital, wie es sich bei uns beobachten
liess, spielt wahrscheinlich eine wichtige
Rolle. Dies wird von Mack et al.
14 ) bestätigt:
Kindseltern berichteten von einem grösseren
Seelenfrieden, wenn sie dem behandelnden
Onkologen vertrauten.
Limitationen
Durch den Rekrutierungsprozess könnte es zu
einer Auswahl von Familien mit intakten
Strukturen gekommen sein. Grosseltern, die
psychisch instabil waren, lehnten die Teilnah –
me an der Studie womöglich ab. Durch das
Einschlusskriterium, die Diagnosestellung
müsse mindestens einen Monat zurückliegen,
waren die Grosseltern bereits über die an –
fängliche Verzweiflung hinweg. Unterschiede
zwischen den Geschlechtern wurden nicht
untersucht. Man könnte sich fragen, ob
G ros smüt ter st är ker invol v ier t sind als G ros s –
väter, da die G ros smut ter b ei je dem Inter v iew
dabei war. Kein Grossvater stellte sich alleine
zur Verfügung. Genauso ist möglich, dass
Grossväter weniger gern über emotional be –
lastende Dinge reden. Unbeabsichtigt be –
stand eine Überzahl von Enkelsöhnen gegen –
über Enkeltöchtern.
Zusammenfassung
Die Krebserkrankung eines Enkelkindes ist für
Grosseltern mit grossen Sorgen und Ängsten
verbunden. Aufgrund ihrer Lebenserfahrung
stehen sie als ruhender «Fels» hinter der jun –
gen Familie und fangen sie emotional auf. Sie
richten sich flexibel nach den Bedürfnissen
der Kindseltern und sind die idealen Betreu –
ungspersonen für das erkrankte Enkelkind
oder die gesunden Geschwisterkinder. Sie
sind häufig pensioniert, körperlich gesund
und haben eine liebevolle Beziehung zu den
Enkelkindern. Es ist für sie selbstverständlich,
dass die Kindseltern zusammen mit dem Är z –
teteam die wichtigen therapeutischen Ent –
scheidungen treffen. Meist genügt es ihnen,
durch die Kindseltern über die Erkrankung des
Enkelkindes informiert zu werden. Manche
wünschen sich direkte Informationen vom
Ärzteteam oder die Teilnahme an einem Arzt –
gespräch. Einige wünschen sich, andere be –
troffene Grosseltern kennen zu lernen, sich
gegenseitig auszutauschen und zu unterstüt –
zen.
Empfehlungen für die aktive
Unterstützung von Grosseltern
Auf Grundlage unserer Studienresultate emp –
fehlen w ir, das s ein G espr äch mit b etr of fenen
Grosseltern oder ein Flyer einer pädiatrischen
Onkologie folgende Punkte beinhalten sollte:
Andere Grosseltern haben es als hilfreich er –
lebt,
• den Kindseltern aktiv Hilfe anzubieten, an –
schliessend aber abzuwarten, was sich
diese wünschen. Die Kindseltern brauchen
Zeit, um sich an die neuen Lebensumstände
zu «gewöhnen» und sich neu zu orientieren
und zu organisieren. Erst dann wird für sie
erkennbar, für welche Aufgaben Grossel –
tern eine Unterstützung sein können.
• zu planen, was planbar ist und nicht «auf
Abruf» zu sein, was dauerhaft körperlich
und emotional sehr belastet. Sind genü –
gend Personen an der Unterstützung der
Familie beteiligt, kann ein «Bereitschafts –
dienst» vereinbart werden. Jeder Beteiligte
kann zum Beispiel einen Wochentag über –
nehmen und sich sonst auf andere Dinge
konzentrieren oder sich erholen.
• ihren Hausarzt über die neue Aufgabe zu
informieren, und Unterstützung von ihm
oder, sofern möglich, von Angeboten des
psychologischen Dienstes des Spitals in
Anspruch zu nehmen.
• im Einverständnis mit den Kindseltern an
Gesprächen mit dem behandelnden Arzt
teilzunehmen.
Zus ät zlich könnte das A ngeb ot eines z wei – bis
dreimal im Jahr stattfindenden Grosselternca –
fés für einen Austausch betroffener Grossel –
tern hilfreich sein.
Referenzen
1) Höpflinger F, Hummel C, Hugentobler V. Enkelkin –
der und ihre Grosseltern – intergenerationelle Be –
ziehungen im Wandel. Seismo-Verlag 2006. Kap.
5.6 S. 60 – 65.
2) Charlebois S, Bouchard L. «The worst experience»:
The experience of grandparents who have a grand –
child with cancer. Canadian Oncology Nursing
Jour nal. 2007; 17(1):26 – 30.
3) Peck B. Ef fects of childhood cancer on long-term
survivors and their families. British Medical Journal
1979;1:1327-1329.
4) Bergsträsser E. Childhood Cancer – are there pre –
dictors of parental well-being? Support Care
Cancer. 2007;15:799-800.
5) Creswell JW. Qualitative inquir y and research de –
sign. Choosing among five traditions. Thousand
Oaks, California: SAGE Publications; 1997.
6) Hopf C. Qualitative Inter views – Ein Überblick. In:
Flick U, von Kardor f f E, Steinke I, eds. Qualitative
Forschung. Hamburg: Rowohlts; 9. ED. 2012. Kap.
5.2 S. 349-360.
32Groseooltronoos kg
36
Fortbildung
7) MA XQDA10. The Ar t of Text Analysis. Verbi Soft –
ware-Consult-Sozialforschung GmbH. Version 10
R240113.
8) Mayring Ph. Qualitative Inhaltsanalyse. In: Flick U,
von Kardor f f E, Steinke I, eds. Qualitative For –
schung. Hamburg: Rowohlts; 9. ED. 2012. Kap. 5.12
S. 468 – 475.
9) Moules NJ, Laing CM, McCaf frey G, Tapp DM, Stro –
ther D. Grandparents Experiences’ of Childhood
Cancer, Par t 1: Doubled and Silenced. Journal of
Pediatric Oncology Nursing. 2012;29(3):119-132.
10) Moules NJ, McCaf frey G, Laing CM, Tapp DM, Stro –
ther D. Grandparents Experiences’ of Childhood
Cancer, Par t 2: The Need for Suppor t. Journal of
Pediatric Oncology Nursing. 2012;29(3):133 -140.
11) Margetts JK, Le Couteur A, Croom S. Families in a
state of flux: the experience of grandparents in
autism spectrum disorder. Child: Care, Health and
Development. 2006; 32,5:565-574.
12) Youngblut JM, Brooten D, Blais K, Kilgore C, Yoo Ch.
Health and Functioning in Grandparents After a
Young Grandchild’s Death. J Community Health.
2015;40:956 -966.
13) Wakefield CE, Drew D, Ellis SJ, Doolan EL, McLoone
JK, Cohn RJ. «What they’re not telling you»: a new
scale to measure grandparents’ information needs
when their grandchild has cancer. Patient Educati –
on and Counseling 94 (2014) 351-355.
14) Mack JW, Wolfe J, Cook EF, Grier HE, Clear y PD,
Weeks JC. Peace of Mind and Sense of Purpose as
Core Existential Issues Among Parents of Children
With Cancer. Arch Pediatr Adolesc Med. 2009;163
( 6 ) : 519 – 5 2 4 .
Korrespondenzadresse
eva.bergstraesser@ kispi.uzh.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenskonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert.
32Groseooltronoos kg
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Lucia Seifert Felix Niggli Eva Bergsträsser