Vor mehr als 20 Jahren ist der Reichtum des Nabelschnurblutes an hämatopoetischen Stammzellen entdeckt worden. Nabelschnurblut (cord blood, CB) ist definiert als die Menge Blut, welche nach Geburt und Abnabelung in der Nabelschnur und in der Plazenta verbleibt und normalerweise entsorgt wird. Diese Entdeckung hat die Verwendung dieser Zellen als Quelle für hämatopoetische Stammzelltransplantation und eine erste Transplantation bei einem Kind mit Fanconi Anämie ermöglicht, das heute als junger Mann immer noch am Leben ist, und hat damit eine neue Ära eingeleitet.
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WMDA (world marrow donor association,
www.worldmarrow.org) vernetzt ist.
Es gilt drei spezifische Situationen ausein-
anderzuhalten: die anonyme Spende für die
öffentlich zugänglichen Nabelschnurban-
ken, die gerichtete Spende für ein bereits
betroffenes Kind welches möglicherweise
eine HSZT benötigen wird und die private
Spende für den Eigengebrauch, autologe
Nabelschnurbank.
Definitionen
Allogene Stammzelltransplantation: Trans-
plantation von hämatopoetischen Stamm-
zellen von einer Person in eine andere;
Autologe Stammzelltransplantation: Trans-
plantation von hämatopoetischen Stamm-
zellen einer Person für sich selber; Syngene
Stammzelltransplantation: Transplantation
von hämatopoetischen Stammzellen zwi-
schen eineiigen Zwillingen.
Ver wandter Spender: Spender aus der
gleichen Familie wie der Empfänger, die
Wahrscheinlichkeit der HLA-Verträglich-
keit zwischen zwei Geschwistern beträgt
25%, die Resultate der Transplantation von
HLA-verträglichen verwandten Spendern
ergeben die besten Resultate. Angesichts
der Geburtenrate in Westeuropa mit 1–2
Kindern pro Familie ist die Wahrschein-
lichkeit, einen Familienspender zu finden,
oft niedrig.
Nicht verwandter Spender: Spender nicht
aus der gleichen Familie wie der Emp –
fänger stammend. In den 90er Jahren
sind Register für nicht verwandte Spender
geschaffen worden, um Stammzellen für
Patienten ohne Familienspender zur Ver-
fügung zu stellen. Dank Fortschritten in
der HLA-Typisierung mit hochauflösender
Technologie, haben sich die Ergebnisse der
nicht verwandten Transplantation deutlich
gebessert und nähern sich den Ergebnissen
der Verwandtentransplantation. Aufgrund
der Verteilung der HLA-Antigene in ver-
schiedenen Populationen, ist es heute mög-
lich, für etwa 50–60% der Patienten einen
passenden Spender zu identifizierten. Je
nach ethnischem Hintergrund variiert diese
Wahrscheinlichkeit erheblich.
Stammzellquellen
Knochenmark-Entnahme: In Allgemein-
narkose, durch multiple Punktionen am
Beckenkamm des Spenders
Peripheres Blut: Mobilisation der Stamm-
zellen aus dem Knochenmark ins Blut
Einführung
Vor mehr als 20 Jahren ist der Reichtum
des Nabelschnurblutes an hämatopoeti-
schen Stammzellen entdeckt worden. Na-
belschnurblut (cord blood, CB) ist definiert
als die Menge Blut, welche nach Geburt
und Abnabelung in der Nabelschnur und in
der Plazenta verbleibt und normalerweise
entsorgt wird. Diese Entdeckung hat die
Verwendung dieser Zellen als Quelle für hä-
matopoetische Stammzelltransplantation
und eine erste Transplantation bei einem
Kind mit Fanconi Anämie ermöglicht, das
heute als junger Mann immer noch am
Leben ist, und hat damit eine neue Ära
eingeleitet
1), 2) .
Die hämatopoetische Stammzelltransplan-
tation (HSZT) ist eine relativ häufig ver-
wendete Therapieform für maligne und
nicht maligne Knochenmarkserkrankungen
(z.
B
. wurden 2008 bei 27
0
00 Patienten
in Europa eine HSZT durchgeführt, da-
von 11
0
00 allogene und 16
0
00 autologe
HSZT). Hauptsächlich bei Kindern wird
diese Therapieform auch bei zahlreichen
kongenitalen metabolischen Erkrankungen
und Immundefizienz verwendet.
Die hämatopoetischen Stammzellen (HSZ)
stammen aus dem Knochenmark oder dem
peripheren Blut nach Mobilisation aus dem
Knochenmark mittels Wachstumsfaktoren.
Durch die Entdeckung des Reichtums des
Nabelschnurblutes an HSZ steht uns eine
dritte Stammzellquelle zur Verfügung. Der
Grund für diesen Reichtum liegt möglicher-
weise in der Vorbereitung des Neugebore-
nen auf das postnatale Leben und seine
Umstellung auf eine adulte Hämatopoese.
Die HSZ des Nabelschnurblutes entspre –
chen adulten Stammzellen: Sie sind multi-
potent und differenzieren sich in alle Zellen
des lympho -hämatopoetischen Systems
aus, aber es handelt sich nicht um totipo –
tente foetale Stammzellen, sogenannte em-
bryonale Stammzellen, welche sich in alle
Zellen des menschlichen Körpers ausdiffe-
renzieren können. Diese Unterscheidung ist
wichtig wegen der kürzlichen Diskussion in
den Medien, die Forschung mit embryona-
len Stammzellen betreffend.
Die HSZ der Nabelschnur werden nach der
Geburt und nach der Abnabelung durch
Punktion der Nabelschnurgefässe gewon-
nen, entweder vor oder nach Entbindung
der Plazenta. Diese Technik ist für Mutter
und Kind ungefährlich. Sie ist nicht schwie-
rig zu erlernen und den Geburtshelfern
wird ein Kit für die gerichtete Spende
(siehe unten) zur Verfügung gestellt. Nach
der Sammlung von ungefähr 100–150 ml
Nabelschnurblut in einen mit Antikoagu-
lantien versehenen Beutel, werden die
Zellen ins Labor transportiert. Dort wird
der Zellgehalt (total nucleated cell count,
TNC) sowie der Stammzellgehalt (CD34+
Zellen) gemessen. Übertragbare infektiö –
se Erkrankungen müssen ausgeschlossen
werden
3). Vor der Sammlung sind bei der
Mutter bereits verschiedene Infektmarker
getestet worden und sie ist, auf Grund ei-
nes Fragebogens, mit einigen Anpassungen
in Hinsicht auf die Nabelschnurblutspende
vom Fragebogen der Blutspendenzent-
ren abgeleitet, als spendetauglich erklärt
worden. Die Zellen werden HLA (human
leukocyte antigens) typisiert. Nach Reduk-
tion von Volumen und Anzahl Erythrozyten
(hauptsächlich zur Platzeinsparung), wer-
den die Zellen in Flüssigstickstoff einge –
froren. Der Beutel mit den Zellen wird vor
der Einlagerung in die Nabelschnurzellbank
anonymisiert. Sobald alle Resultate der ver-
schiedenen Untersuchungen eingetroffen
sind, wird der Beutel für die Transplanta-
tion freigegeben. Diese Freigabe und die
weltweite Zurverfügungstellung der Zellen
erfolgt über die nationalen Register, in
der Schweiz der SBSC (Swiss blood stem
cells, www.bloodstemcells.ch), welche mit
den internationalen Registern über die
Stammzellen aus dem Nabelschnurblut
Jakob R. Passweg *, Yves Chalandon *, Thomas Lehmann ** , Vincent Kindler *,
André Tichelli
** , Genf und Basel
* Service d’Hématologie, Hôpitaux Universitaires de Genève
**
Diagnostisc
he Hämatologie, Univ\iersitätsspital Basel
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melt (Bern, Tessin, Liestal, Basel und Genf).
Die Gebärenden werden in den erwähnten
geburtshilflichen Abteilungen für eine Na-
belschnurblutspende rekrutiert. Spender-
rekrutierung und Einlagerung in die Banken
unterstehen der Kontrolle durch das BAG
(Bundesamt für Gesundheit). Die Stamm-
zellen werden nach strikten Kriterien und
unter genauester Qualitätskontrolle einge-
froren. Im Allgemeinen kann festgehalten
werden, dass von vier spendewilligen Gebä-
renden, zwei spenden dürfen/können und
dass von zwei gesammelten Nabelschnur-
blutspenden schliesslich eine eingefroren
wird. Die Gründe für das Nichtspenden/
Nichteinfrieren sind vielfältig und reichen
von verschiedenen Ausschlusskriterien der
Spenderin, nicht ausreichender Zellzahl bis
zur fehlenden Laboratoriumskapazität. Die
anonymisierten und in Flüssigstickstoff ein-
gefrorenen Beutel können über Jahre ohne
Funktionsverlust gelagert werden. Die ma-
ximale Lagerungsdauer ist nicht bekannt.
Weltweit sind in ca. 100 öffentlichen Nabel-
schnurblutbanken über 450
0
00 Einheiten
gelagert, unter denen der transplantieren-
de Arzt auswählen kann (www.bmdw.org).
mittels subkutaner Injektion von hämatopo-
etischen Wachstumsfaktoren. Sammlung
der Zellen nach 4–5 Tagen mittels Apherese
(extrakorporelle Zirkulation)
Nabelschnurblut: Sammlung der Stamm-
zellen aus dem Nabelschnurblut bei der
Geburt nach Abnabelung
Indikationen für die
Transplantation
Die Liste der Indikationen für die alloge-
ne Stammzelltransplantation ist lang und
schliesst verschiedene maligne Knochen-
markserkrankungen ein, wie Leukämien
und Lymphome, nicht maligne Erkrankun-
gen wie die aplastische Anämie, verschie –
dene kongenitale Erkrankungen, Zeller-
krankungen (angeborener Immunmangel,
Hämoglobinopathien) sowie metabolische
Störungen, welche durch die Transplantati-
on gesunder hämatopoetischer Stammzel-
len korrigiert werden können. Die Europäi-
sche Knochenmarkstransplantationsgesell-
schaft (EBMT) publiziert regelmässig Listen
mit anerkannten Indikationen
4).
Vor- und Nachteile der
Stammzellen aus dem
Nabelschnurblut
Zu den Vorteilen gehört, dass die Zel-
len bereits eingefroren sind und somit
schneller zur Verfügung stehen, als Zellen
er wachsener Spender. Angesichts ihrer
immunologischen Unreife induzieren diese
Zellen weniger gegen den Empfänger ge –
richtete Abwehrreaktionen (Graft versus
Host Krankheit), HLA- Inkompatibilitäten
werden demzufolge besser toleriert. Ihre
Proliferationskapazität ist im Vergleich zu
Stammzellen von adulten Spendern erhöht.
Für Patienten ohne passenden Fremdspen-
der kann, dank HLA-Typisierung oft eine
«verträgliche» Nabelschnurblutspende ge –
funden werden.
Zu den Nachteilen gehört, dass, auf Grund
der kleineren Zahl an Stammzellen im Vergleich zur Stammzellzahl erwachsener
Spender, das Abstossungsrisiko erhöht
ist. Die Immunrekonstitution ist wegen der
immunologischen Unreife der Zellen ver-
längert, das Infektrisiko deshalb erhöht
(Ta-
bellen 1 + 2) . Bei Rückfall oder Abstossung
ist es nicht möglich, Zellen vom gleichen
Spender wieder zu verwenden.
Anonyme Nabelschnurblut-
spende für die öffentliche
N
abelschnurblutbank
Zurzeit gibt es in der Schweiz zwei öffentli-
che Nabelschnurblutbanken, in Basel und in
Genf. Stammzellen für diese Banken werden
in fünf geburtshilflichen Abteilungen gesam-
Stammzellen eines ni\:cht
verwandten Spenders Nabelschnurblut
Sammlung in Allgemein\inarkose oder nach
Injektion von Wachstumsfaktoren Ohne Risiko für die Mutter sow\iie das
Neugeborene
Hohe Stammzellzahl, \irasches Angehen
des Transplantates Niedrige Stammzellzahl, langsames Ange-
hen des Transplantates, lange Aplasiephase
Zeitintervall um einen Spende\ir zu
identifizieren und ei\ine Spende zu
organisieren: 3–4 Monate Rasche Verfügbarkeit der Zellen, da \i
bereits tiefgefroren
Der identifizierte Spender kann die Spende
verweigern oder aus medizinischen Grün-
den spendeuntauglich sein Die bereits tiefgefrorenen Zellen sind für
die Transplantation freigegeben und benöti-
gen keine weiteren Tauglichkeitstests
Der Spender steht für eine zweite Spende
oder für die Spende von T-Lymphozyten für
eine adoptive Immuntherapie zur Verfügung Zweite Spende unmögli\ich
Nach der Sammlung benöt\iigt der
Transport eine ausgek\ilügelte Logistik Stammzellen können über 10 Jahre
tiefgefroren aufbewa\ihrt werden
Benötigt hohe HLA-Kompatibilität, von
mindestens 9/10 –10/10 der HLA-A, B, C,
DR, DQ–Allele Die hohe HLA-Kompatibilität ist wenig\ier
wichtig
Seltene HLA-Haplotypen sind bes\ichränkt
vorhanden Seltene HLA-Haplotypen häufiger \iweil
bessere Rekrutierun\ig ethnischer
Minoritäten
Knochenmark
Periphere
StammzellenNabel
sc hnurblut
Sammlung
Allgemeinnarkose Durch Apherese unproblematische
Sammlung
Nukleäre Zellen 3 x 10 8/kg
9 x 10 8/kg 0.3 x 10 8/kg
CD34+ (Stammzellen) 2.8 x 10 6/kg 7 x 10 6/kg0.2 x 10 6/kg
T-Lymphozyten 2.2 x 10 7/kg 27 x 10 7/kg 0.4 x 10 7/kg
Tabelle 1: Charakteristika der Stammzelltransplantat\ie aus verschiedenen Stammzellquellen
Tabelle 2: Vor- und Nachteile von Stammzellen aus Nabelschnurblut und von erwachsenen
Fremdspendern
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zugenommen, zur zeit werden ca. 700
Transplantationen jährlich durchgeführ t 8).
Im letzten Jahrzehnt betraf dies etwa
20% der Transplantationen bei Kindern
und Jugendlichen. Obwohl das Nabel –
schnurblut prozentual reich ist an HSZ,
ist deren Gesamtmenge dennoch niedrig.
Dies limitier t den Nutzen für er wachsene
Patienten
9), 10) . In den letzten Jahren sind
Strategien entwickelt worden, um diese
Stammzellquelle besser für er wachsene
Patienten zu erschliessen und das Risiko
der Transplantationsabstossung wegen zu
grosser HLA-Inkompatibilität oder zu nied-
riger Stammzelldosis zu verringern, indem
zwei Nabelschnurbluteinheiten kombiniert
werden. Mit dieser Methode ist das Absto –
ssungsrisiko geringer, hingegen das Risiko
der Graft versus Host Krankheit höher. Kli-
nische Daten zeigen, dass Stammzelldosis
und Anzahl HLA- Inkompatibilitäten eine
gegensätzliche Wirkung haben. Mit höhe –
rer Stammzelldosis kann eine HLA Inkom –
patibilität leichter über wunden werden,
mit guter HLA Kompatibilität kann auch
mit niedrigerer Stammzelldosis ein gutes
Resultat erzielt werden. Seither nimmt die
Ver wendung von Nabelschnurblut auch
für die Transplantation bei er wachsenen
Patienten stetig zu.
Im Übrigen wird diese Stammzellquelle in
Europa sehr unterschiedlich beurteilt. Dies
zeigt sich darin, dass in Frankreich 16% aller
Transplantationen mit HSZ aus dem Na-
belschnurblut, in Deutschland aber nur 1%
auf diese Weise durchgeführt werden; die
Schweiz liegt mit 9% wie üblich irgendwo
in der Mitte
8).
Zahlreiche Studien vergleichen die Ergeb –
nisse der Transplantation mit HSZ erwach-
sener Spender mit HSZ aus Nabelschnur-
blut. Diese Vergleiche sind schwierig zu
interpretieren, da keine randomisierten
Studien vorliegen und da die Stammzell-
dosis von erwachsenen Spendern stets
höher und die Anzahl der HLA-Inkompa-
tibilitäten bei Transplantationen mit HSZ
aus Nabelschnurblut stets grösser ist.
Insgesamt lassen sich wohl die folgenden
Schlüsse ziehen: Eine Transplantation mit
HSZ aus Nabelschnurblut hat ein höheres
Abstossungsrisiko, eine Situation, welche
den Patienten nach hochdosierter Che –
moradiotherapie in der schwierigen Lage
eines länger dauernden Knochenmarks-
versagens lässt. Der Antitumor-Effekt der
HSZ aus Nabelschnurblut, der «graft versus
leukemia effect», ist im Vergleich zu HSZ
Diese öffentlichen Banken bilden ein Netz-
werk, mit dem Ziel weltweit für jeden Patien-
ten die jeweils beste Nabelschnurbluteinheit
und damit Stammzellquelle zur Verfügung zu
stellen. Es sei erwähnt, dass weltweit 14 Mil-
lionen erwachsene Fremdspender in den ver-
schiedenen Registern zur Verfügung stehen.
Die Nabelschnurblutbanken haben einen
weiteren Vorteil, im Vergleich zu den Re –
gistern er wachsener Fremdspender, da
sie unter den Gebärenden der öffentlichen
Spitäler vermehrt ethnische Minderheiten
berücksichtigen können. In den Registern
erwachsener Fremdspender sind Kaukasier
übervertreten. Die Suche nach kompatiblen
Spendern ist für Patienten, die einer ethni-
sche Minorität angehören, oft schwierig, da
die Verteilung der HLA-Antigene vom eth-
nischen Hintergrund der jeweiligen Popula-
tion abhängig ist. Zusammen mit der bes-
seren Toleranz für HLA-Inkompatibilitäten
und der grösseren HLA-Diversität stellen
demzufolge die öffentlichen Nabelschnur-
blutbanken ein Stammzellenreservoir von
unschätzbarem Wert dar.
Gerichtete familiäre
Nabelschnurblutspende
Besonders in der Kinderheilkunde ist es
nicht so selten, dass ein Kind von einer hä-
matologischen Krankheit betroffen und die
Mutter gleichzeitig wieder schwanger ist.
In dieser Situation ist es natürlich sinnvoll,
die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut
des erwarteten Geschwisters zu sammeln
und einzulagern und dies natürlich nicht
anonym, sondern als Stammzellreserve für
das erkrankte Kind. Diese personalisierte
Bank muss von der öffentlichen anonymi-
sierten Bank getrennt geführt werden. Selbst
wenn das erkrankte Kind in Remission ist,
z.
B
. einer akuten lymphatischen Leukämie,
werden die Stammzellen, falls kompatibel,
aufbewahrt für den Fall eines Rezidivs
5).
Mit einer speziellen Situation werden wir
konfrontiert, wenn die Eltern eine weitere
Schwangerschaft wünschen, mit dem Ziel
ein HLA-identisches Geschwister zu zeugen.
Dies ist heutzutage mittels in vitro Fertilisati-
on und Embryonenselektion möglich. Diese
Praxis ist in der Schweiz verboten, in einigen
europäischen Ländern aber erlaubt. Bei mali-
gnen Knochenmarkserkrankungen stellt sich
diese Frage relativ selten, weil die Dringlich-
keit der Behandlung eine solche Verzögerung
nicht erlaubt, bei kongenitalen Erkrankungen
ist die Situation aber eine andere.
Autologe Nabelschnurblutbank
Die Spende und Einlagerung autologer
Stammzellen aus dem Nabelschnurblut
wird von den Krankenkassen nicht vergü-
tet. Verschiedene private Nabelschnurblut-
banken stellen diese Dienstleistung gegen
Entgelt zur Ver fügung. Die Fachgesell –
schaften, insbesondere die Gesellschaften
für Knochenmarkstransplantation sowie
Geburtshelfer und Pädiater haben sich ver-
schiedentlich mit folgenden Begründungen
gegen diese Praxis ausgesprochen: Die In-
zidenz der Krankheiten, die im Kindesalter
eine Stammzelltransplantation benötigen,
ist sehr niedrig. Die Mehrheit der pädiatri-
schen Stammzelltransplantationen wird mit
allogenen und nicht mit autologen Stamm-
zellen durchgeführt. Eine autologe «Stamm-
zellreserve» ist deshalb ohne Nutzen. Im
Falle einer geplanten autologen Stamm-
zelltransplantation bei einem Kind können
meist erfolgreich autologe Stammzellen
mobilisiert und gesammelt werden. Das
Werbeversprechen der privaten Stamm-
zellbanken, dass diese Zellen zu einem
späteren Zeitpunkt für eine Verwendung
in regenerativer Medizin nützlich sein wer-
den, z.
B
. für die Behandlung von Diabetes,
Herzinsuffizienz oder Leberversagen, sind
rein spekulativ. Trotz grosser Fortschritte
der Forschung auf diesem Gebiet, gibt es
zurzeit keinerlei nachgewiesene klinische
Anwendung. Schliesslich widerspricht die
autologe Stammzellsammlung dem Solida-
ritätsprinzip der öffentlichen Nabelschnur-
blutbanken, die allen bedürftigen Personen
zur Verfügung stehen. Trotz dieser Beden-
ken florieren die privaten Nabelschnur-
blutbanken so ziemlich überall und es wird
geschätzt, dass über eine Million Einheiten
weltweit in privaten Banken gelagert wer-
den, zweimal mehr als in den öffentlichen
Banken
6), 7) . Die Anzahl Transplantationen
mit Zellen aus privaten Nabelschnurblut-
banken ist sehr niedrig, zum Teil auch mit
etwas fragwürdiger Indikation. Autologe
Nabelschnurblutbanken sind in Italien und
Spanien verboten.
Ergebnisse der
Stammzelltransplantation mit
Zellen aus der öffentlichen
Nabelschnurblutbank
Seit der Einführung der Nabelschnurblut-
banken hat die Anzahl Transplantationen
mit dieser Stammzellquelle in Europa
51
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plantation weiterer Zelltypen gearbeitet,
welche möglicherweise das Angehen des
Transplantates begünstigen können. Diese
Versuche haben bis heute noch zu keinen
Konsequenzen für die tägliche Praxis ge –
führt. Betreffend der regenerativen Medizin
sei vorausgeschickt, dass Arbeiten im Gang
sind, die z.
B
. die Anwendung mesenchy-
maler Stammzellen aus Nabelschnurblut
in der Kardiologie oder der Neurologie
erforschen. Alle diese Behandlungen müs-
sen aber als experimentell angesehen wer-
den, und lassen, obwohl insbesondere im
präklinischen Bereich in hohem Masse
faszinierend, bis anhin bezüglich klinischer
Bedeutung für die Zukunft zum jetzigen
Zeitpunkt keine Voraussagen zu.
Ausblick
Die öf fentlichen Nabelschnurbanken in
der Schweiz offerieren das Banking für die
Allgemeinheit sowie das Banking für die ge-
richtete Spende. Hingegen unterstützen die
Autoren das private autologe Banking nicht.
Die Anzahl Einheiten in den öffentlichen
Banken nehmen stetig, wenn auch langsam
zu; Unter anderem weil die Finanzierung
der Nabelschnurbanken nicht gesichert ist,
weder der öffentlichen Banken noch für die
gerichtete Spende. Die öffentlichen Banken
werden von der Stiftung Swiss Blood Stem
Cells (SBSC) und von privaten Stiftungen
unterstützt. In den USA hat der Kongress
2005 ein Gesetz erlassen, welches die
Finanzierung des amerikanischen Netzwer-
kes öffentlicher Nabelschnurbanken regelt.
Ein ähnliches Gesetz fehlt in der Schweiz.
Wir hoffen, dass uns die Fortschritte der
Forschung in den nächsten Jahren soweit
bringen werden, dass zelluläre Therapien
zu einer wirksameren Medizin beitragen.
Zurzeit muss weiter in die Forschung inves-
tiert werden, aber auch in die Optimierung
bereits etablierter Therapien.
Referenzen
Siehe französischer Text.
Korrespondenzadresse
Prof. J. R. Passweg
Service d’Hématologie
Hôpitaux Universitaires de Genève
4, Gabrielle-Perret- Gentil
1211 Genève 14
jakob.passweg@hcuge.ch
erwachsener Spender in etwa äquivalent,
das Risiko der Graft versus Host Krankheit
ist mit HSZ aus Nabelschnurblut niedriger,
vor allem wenn die HLA Kompatibilität gut
ist. Vergleicht man die Langzeitresultate,
also ein leukämifreies Überleben fünf Jahre
nach Transplantation, so zeigen die meisten
Studien in etwa vergleichbare Resultate
oder Ergebnisse die leicht schlechter sind
für Transplantation mit HSZ aus Nabel-
schnurblut. Insgesamt ermöglichen somit
die Nabelschnurblutbanken keine deutliche
Verbesserung der Resultate, sie offerieren
aber eine wertvolle Alternative, insbeson-
dere für Patienten ohne kompatiblen er-
wachsenen Spender
11)–15) (Abbildung 1)
.
Wahl einer Nabelschnurblut –
e
inheit für die Transplantation
Ist der Entscheid getroffen, eine HSZT mit
HSZ aus einer Nabelschnurblutbank durch-
zuführen, muss der transplantierende Arzt
entscheiden, ob er eine oder zwei Einheiten
verwendet, was vorwiegend vom Gewicht
des Empfängers abhängig ist. Er kontaktiert
Swiss blood stem cells und diskutiert mit
dem nationalen Referenzlabor für Histo – kompatibilität (Laboratoire de référence
national d’histocompatibilité, LNRH) am
HUG (Hôpitaux Universitaires de Genève)
die Wahl der besten Nabelschnurblutein-
heit. Nach Durchführung weiterer Kompa-
tibilitätstests fällt die Wahl schliesslich auf
die Einheit mit der höchsten Zellzahl und
gleichzeitig der besten Kompatibilität
16), 17) .
Forschung
Zahlreiche Forschungsgruppen beschäfti-
gen sich mit der in vitro Expansion häma-
topoetischer Stammzellen. Es ist offen-
sichtlich, dass eine solche Expansion das
Problem der beschränkten Anzahl Stamm-
zellen, welche in einer Nabelschnurblut-
einheit enthalten sind, lösen würde. Diese
Forschungsanstrengungen werden aber
dadurch erschwert, dass es nicht einfach
ist, die Qualitäten einer echten Stammzelle
zu definieren. In verschiedenen Versuchen
konnte gezeigt werden, dass mit der an-
gestrebten Expansion wohl die Zellzahl
vermehrt wird, diese aber den Charakter
der Multipotenz und somit den Charak-
ter als Stammzelle verlieren. Ausser an
der Expansion wird auch an der Kotrans-
Abbildung 1: Leukämiefreie Fünf-Jahre-Überlebensrate von Kindern mit akuter Leukämie
nach Stammzelltransplantat\iion von Knochenmark oder HSZ aus dem Nabelschnurblut,
korrigiert für das Krankheitsstadium, nach HLA-Kompatibilität und Zelldosis (mit Erlaubnis
von Lancet
11). A: Knochenmark, HLA-kompatibel; B: Knochenmark, HLA-inkompatibel; C:
CB, HLA-kompatibel; D: CB, HLA-inkompatibel für 1-Antigen, niedrige Dosis (≤
0.3
x 10 8/
kg kernhaltige Zellen); E: CB, HLA-inkompatibel für 1-Antigen, hohe Dosis (>
0.3
x 10 8/kg
kernhaltige Zellen); F: CB, HLA-inkompatibel für 2 Anti\igene.
Adjusted Probability, %
100
0
20 40 60 80 A
B
C
D
E
F
Years: 0
12 34 5
Line A:
Line A:
116
116
62
62
45
45
35
35
29
29
24
24
Line C:
Line C:
35
35
20
20
17
17
13
13
11
11
8
8
Line D:
Line D:
44
44
19
19
13
13
12
12
10
10
6
6
Line E:
Line E:
157
157
72
72
55
55
44
44
32
32
25
25
Line F:
Line F:
267
267
100
100
67
67
49
49
34
34
21
21
Leukemia-free Survival
Line B: 166
7760 5344 30
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Jakob R. Passweg , Service d’Hématologie Hôpitaux Universitaires de Genève Dr. med. Yves Chalandon Dr. med. Thomas Lehmann Dr. med. Vincent Kindler Dr. med. André Tichelli