In den ersten Lebensmonaten wächst der Säugling sehr rasch. Nie mehr im späteren Leben wird er eine vergleichbare Wachstumsgeschwindigkeit (bezogen auf das Körpergewicht) erreichen. Das rasche Wachstum bedingt einen relativ hohen Eiweissbedarf. Die erforderliche Eiweisszufuhr wird nämlich neben den Stickstoffverlusten über Harn, Stuhl und Haut, welche durch die Eiweisszufuhr ersetzt werden müssen, durch das Wachstum bestimmt. Je rascher das Wachstum ist, desto höher ist der wachstumsbedingte Eiweissbedarf. Die Wachstumsgeschwindigkeit hat somit einen bestimmenden Einfluss auf den Gesamteiweissbedarf des Säuglings. Komplizierend kommt noch dazu, dass die Wachstumsgeschwindigkeit sich rasch ändert. Sie nimmt ab von etwa 35 g pro Tag im 1. Lebensmonat auf etwa 15 g pro Tag im 6. Lebensmonat.
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ebenfalls in Abb. 2 dargestellt. Wir können
also festhalten, dass der Eiweissbedarf des
Säuglings in den ersten Lebensmonaten
rasch abnimmt und dass die Eiweisszufuhr
des gestillten Kindes ebenfalls abnimmt,
sodass das gestillte Kind in etwa die Menge
Eiweiss erhält, die \öes benötigt.
Wie sieht das nun beim flaschenernährten
Säugling aus? Anfangsnahrungen müssen
den Eiweissbedarf in den ersten Lebens-
monaten decken und sind deshalb in ihrem
Eiweissgehalt so ausgelegt, dass sie den
Bedarf aller Kinder im ersten Lebensmonat
decken, weil da der Bedarf wie wir gesehen
haben am höchsten ist. Um einen Vergleich
zwischen Eiweissbedarf und Eiweissgehalt
der Nahrung zu ermöglichen, müssen beide
in Beziehung zur Energie gesetzt werden,
also in g/100 kcal ausgedrückt werden. Wie
Abbildung 3 zeigt ist der Eiweissbedarf des
Säuglings bezogen auf den Energiebedarf im
ersten Lebensmonat etwa 1.65 g/100 kcal
und nimmt danach rasch ab. Bezogen auf
den Kaloriengehalt liegt der Eiweissgehalt
von Anfangsnahrungen zwischen 1. 85 und
2.10 g/100 kcal. Er ist also im ersten Monat
ein wenig höher als der Eiweissbedarf. Der
Eiweissbedarf bezogen auf den Energiebe-
darf nimmt aber rasch ab und bereits im 2.
Lebensmonat ist die Eiweisszufuhr durch
alle Nahrungen beträchtlich höher, als sie
sein müsste, und im 3. und 4. Lebensmonat
nimmt die Diskrepanz zwischen Eiweisszu-
fuhr und Eiweissbed\öarf weiter zu.
Da mit fortschreitendem Alter der Eiweiss-
bedarf weiter abnimmt würde man erwarten,
dass Folgenahrungen, die ab dem 5. Monat
verwendet werden, einen geringeren Eiweiss-
gehalt aufweisen, als die Anfangsnahrungen.
In den ersten Lebensmonaten wächst der
Säugling sehr rasch. Nie mehr im spä-
teren Leben wird er eine vergleichbare
Wachstumsgeschwindigkeit (bezogen auf
das Körpergewicht) erreichen. Das rasche
Wachstum bedingt einen relativ hohen Ei-
weissbedarf. Die erforderliche Eiweisszufuhr
wird nämlich neben den Stickstoffverlus-
ten über Harn, Stuhl und Haut, welche
durch die Eiweisszufuhr ersetzt werden
müssen, durch das Wachstum bestimmt. Je
rascher das Wachstum ist, desto höher ist
der wachstumsbedingte Eiweissbedarf. Die
Wachstumsgeschwindigkeit hat somit einen
bestimmenden Einfluss auf den Gesamtei-
weissbedarf des Säuglings. Komplizierend
kommt noch dazu, dass die Wachstumsge-
schwindigkeit sich rasch ändert. Sie nimmt
ab von etwa 35 g pro Tag im 1. Lebensmonat
auf etwa 15 g pro Tag im 6. Lebensmona\öt.
Der Eiweissbedarf kann errechnet werden,
indem man den mittleren Bedarf für das
Wachstum abschätzt und dazu die unver-
meidlichen Stickstoffverluste addiert (fak-
torielle Methode)
1). Die so erhaltenen Werte
sind in Abb. 1 dargestellt. Sie zeigen eine
relativ rasche Abnahme des Eiweissbedarfs
in den ersten Lebensmonaten. Man kann den Eiweissbedarf auch aus der mittleren
Eiweisszufuhr des gestillten Kindes ab-
leiten. Diese kann berechnet werden aus
dem Eiweissgehalt der Brustmilch und dem
mittleren Trinkvolumen
1). Während das Trink-
volumen mit zunehmendem Alter zunimmt,
nimmt die Eiweisskonzentration der Brust-
milch ab von etwa 14.0 g/l (1.85 g/100 kcal)
im ersten Monat auf 8.6 g/l (1.35 g/100
kcal) im 4. Monat. Danach bleibt sie weit-
gehend konstant. Abbildung 1 zeigt auch die
Eiweisszufuhr des gestillten Kindes. Es zeigt
sich, dass die Eiweisszufuhr des gestillten
Kindes recht gut mit dem errechneten Ei-
weissbedarf übereinstimmt. Dies legt nahe,
dass das gestillte Kind gerade die richtige
Menge Eiweiss erhält, also nicht zu viel und
nicht zu wenig.
Die mittlere Eiweisszufuhr des gestillten
Kindes diente deshalb einer Expertengruppe
der FAO/WHO/UNU als Grundlage für die
Erstellung des Eiweissbedarfs des gesun-
den Kindes
2). Diese offiziellen Bedarfswerte
sind in Abb. 2 dargestellt. Sie weichen
nur geringfügig von den in Abb. 1 gezeig-
ten Werten für das gestillte Kind ab. Die
Expertengruppe ging noch einen Schritt
weiter und errechnete die Obergrenze des
Eiweissbedarfs, also diejenige Zufuhr, die
den Bedarf von praktisch allen Säuglingen
deckt. Diese Obergrenze («safe intake») ist
Eiweissbedarf und Eiweisszufuhr beim
g
esunden Säugling
Ekhard E. Ziegler, I\öowa, USA *
* D epartment of Pediatrics, University Hospitals,
University of Iowa, \öIowa City, Iowa 52242\ö USA
0.00 0.50 1.00 1.50 2.00 2.50 3.00
0-1 1-2 2-3 3-4 4-5 5-6 6-9 9-12
Altersintervall (mo)
Eiweiß (g/kg/d)
BedarfObergrenze
0.00 0.50
1.00 1.50 2.00
2.50
0-1 1-2 2-3 3-4 4-5 5-6 Altersintervall (mo)
Eiweiß (g/kg/d)
Faktoriell
Gestilltes Kind
Abbildung 1: Eiweissbedarf errechnet nach der faktoriellen Methode
oder aus der Eiweisszufuhr des gestillten Kindes. Daten von Fomon 1).
Abbildung 2: Eiweissbedarf (Mittelwert, Obergrenze) laut FAO/WHO/
UNU 2).
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childhood and the association with body fat at 7 y of
age. Am J Clin Nut\ör 2007; 85: 1626–33.
7)
K
oletzko B, von Kries R, Closa R, Escribano J, Sca-
glioni S, Giovannini M et al.: Lower protein in infant
formula is associated with lower weight up to age 2
y: a randomized clinical trial. Am J Clin Nutr 2009;
89: 1837–45.
Eigenschaften des Autors,\z
finanzielle Beiträge\z
Für
seine Forschung erhält der Autor finan-
zielle Unterstützung von den Firmen Abott
Nutrition, Mead Johns\oon und Nestlé.
Korrespondenzadresse
Ekhard E. Ziegler, M\öD
Department of Pediatrics, University of Iowa
A136 MTF
2501 Crosspark Rd., Cor\öalville, IA 52241
Tel. (319) 335-4570, Fax (319) 356-8669
ekhard-ziegler@uiowa.edu
Das genaue Gegenteil ist jedoch der Fall. Aus
verschiedenen Gründen ist traditionellerwei-
se der Eiweissgehalt der Folgenahrungen um
ein beträchtliches höher als der der Anfangs-
nahrungen. Die Diskrepanz zwischen Zufuhr
und Bedarf nimmt also mit der Umstellung
auf eine Folgenahrung noch zu. Gemildert
wird die Diskrepanz allerdings durch die
beginnende Beikostfütterung, weil die Bei-
kost typischerweise zumindest im Anfang
einen niedrigen Eiweissgehalt aufweist (Obst,
Gemüse). Im weiteren Verlauf des ersten Le-
bensjahres steigt die Diskrepanz jedoch wei-
ter an, wie die Ergebnisse einer Erhebung in
Dortmund
3) zeigen
(Abbildung 4) . Der Grund
für die hohe Eiweisszufuhr ist, dass die Kinder
neben fleischhaltiger Beikost zunehmend
Milch und Milchprodukte erhalten.
Eine überhöhte Eiweisszufuhr galt bei Säug-
lingen bislang als durchaus akzeptabel. Aber
seit bekannt ist, dass flaschengefütterte
Kinder später mehr zur Adipositas neigen
als gestillte Kinder
4) wird der Eiweisszufuhr
durch Flaschennahrungen verstärkt Augen-
merk geschenkt. Obwohl die Ernährung des
flaschengefütterten Kindes in mehrfacher
Hinsicht von der des gestillten Kindes ab-
weicht, wird weitgehend vermutet, dass
die überhöhte Eiweisszufuhr des ersteren
den entscheidenden Unterschied darstellt.
Mehrere epidemiologische Untersuchungen
konnten eine Beziehung zwischen der Ei-
weisszufuhr im Säuglings- und Kleinkindes-
alter und verstärkter Adipositas im Kindes-
alter feststellen
5), 6) . Ganz wichtig sind auch
die im European Obesity Project erhobenen
Befunde. Säuglinge, die eine Nahrung mit
hohem Eiweissgehalt erhielten, zeigten im
Alter von 12 Monaten ein signifikant höheres Körpergewicht als Kinder, die eine Nahrung
mit niedrigerem Eiweissgehalt erhielten.
Es bestand kein Unterschied in der Länge,
und somit waren die Kinder also vermehrt
adipös. Diese vermehrte Adipositas blieb
auch noch mit 2 Jahren bes\ötehen
7).
In der Beurteilung der Eiweisszufuhr im
Säuglingsalter hat also ein Umdenken statt-
gefunden. Eine überhöhte Eiweisszufuhr
wird heute als unnötig und zudem potentiell
nachteilig betrachtet. Eine Erniedrigung der
gegenwärtigen Eiweisszufuhr darf deshalb
als wünschenswert gelten. Wie das am
besten zu erreichen ist, darüber besteht
keine Einigkeit. Man darf jedoch feststellen,
dass Massnahmen, die geeignet sind, die
Eiweisszufuhr des Kindes zu erniedrigen
und näher an diejenige des gestillten Kindes
heranzubringen, auf jeden Fall begrüssens-
wert wären.
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0.00 0.20
0.40
0.60
0.80
1.00 1.20 1.40
1.60
1.80
2.00
2.20
0-1 1-2 2-3 3-4 4-5 5-6 6-9 9-12
Altersintervall (m\go)
Eiweiß (g/100 kcal)
BedarfAnfangsnahrungen
2.10
1.85
0.00 0.50
1.00 1.50 2.00
2.50
3.00 3.50 4.00
0-1 1-2 2-3 3-4 4-5 5-6 6-9 9-12
Altersintervall (mo)
Eiweiß (g/kg/d)
Bedarf Obergrenze Alexy ’99
Abbildung 3: Eiweissgehalt von Anfangsnahrungen (horizontale Linien)
in Beziehung zum Eiweissbedarf (Mittelwert) 2). Alle Werte in g/100
kcal.
Abbildung 4: Eiweisszufuhr im späteren Säuglingsalter nach Alexy et
al. 3) (10., 50. und 90. Perzentile) in Beziehung zum Eiweissbedarf
(Mittelwert, Obergre\önze) 2). Alle Werte in g/kg/d.
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Ekhard E. Ziegler , Department of Pediatrics, University of Iowa A136 MTF