Einführung
Neugeborene, die drei bis sechs Wochen vor dem Termin geboren werden, wurden früher traditionell als «Fast-Termin»-Geborene (sog. near-term infants) bezeichnet. Sie wurden lange nicht als eigene Gruppe wahrgenommen und häufig wie am Termin Geborene behandelt. Erst in jüngster Zeit beginnt sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass Frühgeborene zwischen 34 0/7- 36 6/7 SSW eine eigene Patienten- kategorie sind, die bezüglich Risiken, Behandlungsmassnahmen und Prognose mehr mit Frühgeborenen gemeinsam haben und sich daher deutlich von reifen Termingeborenen unterscheiden. Konsequent werden sie heute als späte Frühgeborene (late-preterm infants) bezeichnet.
Mit 5 bis 6% aller Neugeborenen (USA 13%) sind späte Frühgeborene bei weitem der grösste Anteil der Frühgeborenen, auch in der Schweiz, und weisen aufgrund ihrer Unreife eine erhöhte Mortalität und Morbidität auf und führen nicht unwesentlich zu steigenden Kosten im Gesundheits- wesen. Die gesamte Früh-Morbidität bei späten Frühgeborenen ist deutlich erhöht mit 22% im Vergleich zu Termingeborenen mit 3%. Überproportional gehäuft treten respiratorische Anpassungsstörungen, Apnoen und Bradykardien, Trinkschwierigkeiten, Hypoglykämien und Hyperbilirubinämien auf.
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Einführung
Neugeborene, die drei bis sechs Wochen vor
dem Termin geboren werden, wurden früher
traditionell als «Fast-Termin»-Geborene (sog.
near-term infants) bezeichnet. Sie wurden lange
nicht als eigene Gruppe wahrgenommen und
häufig wie am Termin Geborene behandelt. Erst
in jüngster Zeit beginnt sich die Erkenntnis
durchzusetzen, dass Frühgeborene zwischen 34
0/7- 36 6/7 SSW eine eigene Patientenkategorie
sind, die bezüglich Risiken, Behandlungsmass
–
nahmen und P r og nose mehr mit Fr ühgeb or enen
gemeinsam haben und sich daher deutlich von
reifen Termingeborenen unterscheiden. Konse
–
quent werden sie heute als späte Frühgeborene
(late-preterm infants) bezeichnet.
Mit 5 bis 6% aller Neugeborenen (USA 13 %)
sind späte Frühgeborene bei weitem der
grösste Anteil der Frühgeborenen, auch in der
Schweiz, und weisen aufgrund ihrer Unreife
eine erhöhte Mortalität und Morbidität auf
und führen nicht unwesentlich zu steigenden
Kosten im Gesundheitswesen.
Die ges amte Fr üh – Mor bidit ät b ei späten Fr üh-
geborenen ist deutlich erhöht mit 22% im
Vergleich zu Termingeborenen mit 3% . Über –
proportional gehäuft treten respiratorische
Anpassungsstörungen, Apnoen und Bradykar –
dien, Trinkschwierigkeiten, Hypoglykämien
und Hyperbilirubinämien auf.
Definition der späten Frühgeburt
Frühgeburtlichkeit ist definiert als Geburt vor
der Vollendung der 37. Schwangerschaftswo –
che (SSW), gerechnet ab dem ersten Tag der
let z ten M ens tr uation. Für die G r upp e Fr ühge –
borener, die zwischen der 34 0/7 SSW und
der 36 6/7 SSW geboren werden, herrschte
in der Terminologie lange keine einheitliche
Definition. Das «National Institute of Child
Health and Human Development» definierte
Frühgeborene dieses Gestationsalters als
«late preterm» und empfahl den Begriff «near
term» nicht mehr zu verwenden.
Späte Frühgeborene (late preterms) –
Risikogeborene!
Mathias Nelle 1, Bern; Antonio Leone 2, Winterthur und Riccardo Pfister 3, Genf
1 Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Abteilung Neonatologie, Bern2 Kantonsspital, Departement Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie, Winterthur3 Service de Néonatologie et Soins Intensifs pédiatriques, Hôpitaux Universitaires de Genève et Université de Genève
Epidemiologie und „iatrogene
Frühgeburt“
Im Jahre 2016 wurden in der Schweiz insge –
samt 87 883 Kinder geboren. Von ihnen ka –
men 7.0 % zu früh zur Welt. Bei diesen wieder –
um macht das Kollektiv derjenigen, die
zwischen der 32 0/7 bis 36 6/7 SSW geboren
wurden, mit 6.1 % den grössten Anteil aus
( https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/
statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/
gesundheit-neugeborenen.html ). Anzumerken
ist, dass Spät-Frühgeborene immer noch
nicht separat in den Schweizer Statistiken
ausgewiesen werden.
Die Spät-Frühgeborenen-Rate ist in den ver –
gangenen zehn Jahren im europäischen Ver –
gleich relativ konstant geblieben, die absolute
Zahl steigt aber wegen erhöhter Natalität in
der Schweiz an. Der Grund für den Anstieg in
den Jahr en zu vor und die insges amt hohe Inzi
–
denz war unter anderem auf den vermehrten
Einsatz der Reproduktionsmedizin und auf
modernere und stetig verbesserte Schwanger
–
schaftsdiagnostik zurückzuführen. Pathologi –
en, die eventuell zum intrauterinen Fruchttod
(IUFT) oder Asphyxien sub partu geführt hät
–
ten, wurden damit frühzeitiger erkannt und
vermieden. Diese Spät-Frühgeborenen werden
auch «iatrogene Frühgeborene» benannt, auch
wenn die Geburt auf Grund einer sinnvollen
geburtsmedizinischen Entscheidung eingelei
–
tet wurde.
Somit ist es von essenzieller Bedeutung und
gleichzeitig eine Herausforderung, die fetalen
Risiken der Morbidität und Mortalität mit de –
nen der Frühgeburtlichkeit abzuwägen und
den optimalen Zeitpunkt der Geburt zu finden.
Nicht selten wird die Entscheidung zur iatro –
genen Fr ühgebur t zu g ros s zügig gestellt . Et wa
20 bis 25 % der nicht sp ont anen Fr ühgebur ten
wären vermeidbar und die Indikation zur ihrer
Geburt basierte nicht auf Evidenz.
Mortalität
Trotz stetiger Abnahme der Sterblichkeit bei
Termin-Neugeborenen und auch Spät-Frühge –
borenen in den USA und weltweit, bleibt
letztere mehr als dreimal höher bei den spä –
ten Fr ühgeb or enen im Ver gleich zu Ter minge –
borenen. Da die Mortalität heutzutage aber
generell tief ist, können nur Studien mit sehr
hohen Einschlusszahlen diese Unterschiede
demonstrieren.
Morbidität
Verglichen mit reifen Neugeborenen haben
Spät-Frühgeborene-Kinder ein erhöhtes Risi –
ko für verschiedene Pathologien und Kompli –
kationen (s. Tabelle 1) . Diese betreffen vor
allem die Neugeborenenperiode, aber auch
die Kindheit und das Erwachsenenalter. Das
Risiko mit 35 SSW gegenüber einem Termin-
Neugeborenen ist generell ca. vierfach er –
höht. Das Morbiditätsrisiko mit 34 SSW ist
achtfach erhöht und nimmt pro Gestations –
woche bis zum errechneten Geburtstermin
um einen Fak tor z wei ab. Spät- Fr ühgeb or ene,
bei denen zusätzlich eine mütterliche Morbi –
dität vorliegt, haben eine grössere Wahr –
scheinlichkeit, eine klinisch relevante Kompli –
kation, welche zur Aufnahme auf die
Neonatologie führt, zu erleiden, insbesondere
bei hypertensiven Erkrankungen der Schwan –
gerschaft. Zusätzlich gefährdet sind hypo –
und hypertrophe Spät-Frühgeborene.
Respiratorische Probleme
Respiratorische Komplikationen sind die häu –
figste Morbidität bei Spät-Frühgeborenen, da
bei frühzeitiger Geburt die Reifung der Adap –
tationsmechanismen der Lunge noch unreif
ist und die Bildung der Alveolen erst in dieser
Phase beginnt. Dies betrifft sowohl die Sur –
factantproduktion, als auch die Aktivierung
des Natrium-Kanals im Lungenepithelium.
Dieser ist für die Resorption der Lungenflüs –
sigkeit zuständig. Die eingeschränkte Effizienz
des Gasaustausches kann zu respiratorischen
Krankheitsbildern führen, wie Atemnotsyn –
drom des Frühgeborenen (Respiratory Dist –
ress Syndrome/RDS), transiente Tachypnoe
des Neugeborenen (TTN) oder auch persistie –
rende pulmonale Hypertension des Neugebo –
renen (PPHN), welche beim Spät-Frühgebore –
nen ver mehr t vor kommen ( Roth – K leiner et al.
2003). Das Risiko für ein RDS ist 11% und für
eine T TN 7 % , sig ni fikant höher im Ver gleich zu
20Neugbuuoreuguugn,
20Neugborn,
21
0.3 % bei Termingeborenen (Bastek et al.
2008) .
Um das Risiko des Atemnotsyndroms bei
Frühgeborenen unter 34 SSW zu reduzieren,
wird bei Schwangeren mit dem Risiko für
Frühgeburt eine Lungenreifeinduktion mit
Betamethasone empfohlen. Bei Spät-Frühge-
borenen wird die Lungenreifeinduktion heute
debattiert, da Gyamfi-Bannerman zeigen
konnte, dass auch bei diesen Kindern eine
signifikante Verbesserung der Atmung erzielt
werden kann. Gehäufte Hypoglykämien redu –
zieren allerdings den Benefit und deshalb ist
von einer Lungenreifung für Spät-Frühgebore –
ne eher abzuraten.
Apnoen und Bradykardien kommen bei Spät-
Frühgeborenen mit 4 – 7 % ebenfalls deutlich
häufiger vor als bei Termingeborenen mit
1 – 2 % . Das Risiko für einen plöt zlichen K inds –
tod (Sudden Infant Death, SIDS) ist doppelt
so hoch und in Kombination mit hypotrophem
Geburtsgewicht sogar > 40 -fach erhöht.
Vulnerable Temperaturregulation
Termingeborene Kinder brauchen braunes
Fettgewebe, um ihre Körpertemperatur im
Normalbereich zu halten. Zusätzlich zum
Wärmestrahler, Wärmebett und Inkubator ist
der Haut-zu-Haut-Kontakt mit der Mutter als
Wärmeversorgung gerade auch unmittelbar
bei der Geburt sehr effizient. Spät-Frühgebo –
rene neigen physikalisch wegen erhöhter
Oberflächen-Masse Ratio signifikant häufiger
zur Hypothermie. Das braune Fettgewebe
wird aber erst in den letzten fötalen Wochen
angesetzt. Dementsprechend haben Spät-
Frühgeborene eine reduzierte Menge und
geringere Kompensationsmöglichkeiten. Der
thermisch induzierte metabolische Stress
führt zu erhöhtem Sauerstoff- und Glukose –
verbrauch als Alternativsubstrat und damit zu
einem erhöhten Risiko für Atemnotsyndrom
und Hypoglykämien. Die klinischen Zeichen
der Hypothermie oder Temperaturinstabilität
können auf der anderen Seite auch als Symp –
tome einer möglichen Infektion interpretiert wer den und f ühr en damit häu figer zu Üb er wa
–
chung, Abklärungen und Blutentnahmen. Ne –
ben dem zusätzlichen Stress führt dies signi –
fikant häufiger zu Antibiotika-Therapien.
Hypoglykämie
Ungenügende Glykogenreserven und unreife
Enzymaktivität bei Spät-Frühgeborenen sind
Grund für das hohe Hypoglykämie-Risiko (s.
Tabelle 1, Abbildung 1) . Das Neugeborene
steht während und nach der Geburt unter ei –
ner Flut von Katecholaminen und Glukagon.
Physiologisch kommt es zu einer Glykogeno –
lyse und somit Glukosefreisetzung aus der
Leber und den Muskeln, welche in den ersten
Lebensstunden für die Blutzuckerhomöostase
zuständig ist. Spät-Frühgeborene haben un –
reife Enzyme für die Glykogenolyse, aber
ebenfalls für die Glukoneogenese. Die Insul –
insekretion und Regulation im Pankreas ist bei
den späten Frühgeborenen ebenfalls unreif,
was bei Hypoglykämie zu einer inadäquaten
Insulinreaktion führt. Zusätzliche Faktoren
wie Kältestress, Ernährungsschwierigkeiten
und Infektionen erhöhen das Risiko zusätz –
lich. Da klinische Symptome der Hypoglykä –
mie selten sind und sehr unspezifisch, das
Risiko aber mindestens um das Dreifache
höher ist als für Termingeborene, sind regel –
mässige Kontrollen des Blutzuckers nach
Geburt bei Spät-Frühgeborenen indiziert.
Hyperbilirubinämie
Das Risiko einer Hyperbilirubinämie ist eben –
falls um ein Mehrfaches erhöht bei Spät-
Frühgeborenen (s. Tabelle 1, Abbildung 1) .
Dies wird erklärt durch eine Kombination von
Unreife des Leberenzymsystems im Bilirubin –
stoffwechsel und erhöhtem enterohepati –
schem Kreislaufes aufgrund der unreifen
Darmfunktion und -peristaltik. Typische Be –
dingungen für Frühgeborene, wie eine unreife
aktive Nahrungsaufnahme mit Dehydratation
und übermässiger Gewichtsabnahme begüns –
tigen weiter das Entstehen der Hyperbilirubin –
ämie. Zudem ist die Gefahr des Kernikterus
grösser aufgrund der niedrigeren Albumin-
Konzentration im Blut und der noch unreifen Bluthirnschranke. Entsprechend werden die
Bilirubin-Nomogramme zur Indikation der
Fototherapie dem Gestationsalter angepasst.
Zu beachten ist, dass die transkutane totale
Bilirubinmessung nur auf spezifischen Gerä
–
ten für Spät-Frühgeborene verlässlich ist und
die strengeren Behandlungsindikationen häu –
figer eine invasive Blutentnahme veranlassen.
Die Hyperbilirubinämie ist einer der häufigs –
ten Gründe der stationären Wiederaufnahme
von Spät-Frühgeborenen und veranlasst häu –
fig auch zusätzliche ambulante Kontrollen
nach Entlassung.
Ernährungsschwierigkeiten
Bedingt durch ihre neuronale Unreife, haben
Spät-Frühgeborene einen abgeschwächten
Saugreflex und eine unreife Saug-Schluck-
Atem-Koordination. Dies trifft auf einen sehr
hohen Ener gieb e dar f, b e ding t dur ch das s t ar –
ke fetale/neonatale Wachstum im letzten
Trimenon der Schwangerschaft. Spät-Frühge –
borene werden somit in einer vulnerablen
Phase der Entwicklung mit einer verminderten
Ernährungskapazität geboren. Mit 34 SSW
brauchen sie im Mittel 10.5 Tage, mit 35 SSW
7.5 Tage bis sie ausreichende Milchmengen
aufnehmen können. Eine gezielte Förderung
der Stillbeziehung kann diesen Prozess ver –
kürzen und weitere stationäre Aufenthalte
und damit zusätzliche Kosten vermeiden.
Die geringere Milchmenge, welche Spät-
Frühgeborene an der Brust zu sich nehmen
können, erfordert häufig eine zusätzliche
Gabe von Milch über die Magensonde oder
Flasche. Dies wiederum führt nicht selten
durch ungenügende Milchproduktion zu Bei –
kos t mit kommer ziellen P r o duk ten o der sogar
zu frühzeitigem Abstillen. Nach der Entlas –
sung aus der Klinik ist dem Trinkverhalten
weiterhin Beachtung zu schenken, denn bei
späten Frühgeborenen ist die Häufigkeit der
stationären Wiederaufnahme aufgrund von
Trinkschwierigkeit und Gewichtsstagnation
häufig. Dabei ist zu beachten, dass bis heute
die ESPGHAN keine Konsensus-Leitlinie für
Spät-Frühgeborenen herausgegeben hat.
15 x häufiger Respiratory Distress Syndrome
14 x häufiger eine behandlungsbedürftige Hyperbilirubinämie
14 x häufiger Probleme beim Trinken und Nahrungsaufnahme
11 x häufiger Hypoglykämien
4.6 x höhere Mortalität
3.5 x häufiger mechanische Beatmung
3 x häufiger auf eine Intensivstation verlegt
2.5 x häufiger erneut Re-hospitalisiert
2 x längerer Aufenthalt in der Klinik Roth, 2003
Shapiro-Mendoza, 2008, Adamkin, 2009
Shapiro-Mendoza, 2008
Adamkin, 2006, Shapiro-Mendoza, 2008
Teune, 2011, Tomashek, 2007
Raju 2006, 2008
Henderson-Smart, 1983, Bastek, 2008
McLAurin, 2009
Morais, 2013
Tabelle 1: Relative Morbidität der Spät-Frühgeborenen im Vergleich zu reifen Neugeborenen
20Neugbuuoreuguugn,
20Neugborn,
22
Entlassung aus dem Krankenhaus
Die Unreife und verschiedene Komplikationen
bei Spät-Frühgeborenen verlängern ihren
Spitalaufenthalt. Um ein spätes Frühgebore-
nes in einem stabilen Zustand mit möglichst
geringem Risiko der stationären Wiederauf –
nahme nach Hause zu entlassen, müssen
bestimmte Kriterien erfüllt sein:
• Die Eltern sind über SIDS-Prophylaxe, auch
über die zusätzlichen Risiken, informiert
und postnatale Kontrollen sind geplant.
• Das Kind kann die Körpertemperatur
selbst ausreichend regulieren und ist tem –
peraturstabil.
• Das Kind trinkt selbstständig die täglich
benötigte Menge Muttermilch beziehungs –
weise adaptierte Milchpräparate und hat
das Geburtsgewicht erreicht mit progre –
dienter Gewichtszunahme.
• Das Kind hat keine Zeichen einer Atemre –
gulationsstörung, das heisst keine Apnoen,
Bradykardien oder Sättigungsabfälle, wel –
che eine Behandlung brauchen.
• Das Spät-Frühgeborene sollte in der Regel
ein Gestationsalter von 35 SSW erreicht
haben.
Behandlungskosten
In den USA brauchen 33% aller späten Früh –
geborenen und bis zu 50 % derjenigen mit 34
SSW eine Aufnahme in der neonatalen Inten –
sivstation (NICU). Damit wird klar, dass bei
den Gesundheitskosten gerade die anteilmäs –
sig grosse Gruppe dieser Spät-Frühgeborenen
die Budgets überproportional in Anspruch
nimmt. In der Schweiz sind keine präzisen
Behandlungskosten publiziert worden, obwohl dies heute mit der DRG -Abrechnung theore
–
tisch erarbeitet werden könnte. Schon etwas
ältere publizierte Daten der postnatalen Be –
handlungskosten für Spät-Frühgeborene aus
den USA zeigen gegenüber reifen Neugebore –
nen dreimal höhere Kosten. Diese sind ver –
st ändlicher weise am höchs ten f ür die jüngste
Kategorie. Mit 35 SSW anstatt 34 SSW sind
die neonatalen Behandlungskosten um 48%
geringer, respektive um weitere 38 % tiefer,
wenn die Geburt erst mit 36 SSW stattfindet.
Langzeitmorbidität
Nicht nur die Morbidität in der Neonatalzeit ist
bei den Spät-Frühgeborenen im Vergleich zu
den Termingeborenen erhöht, sondern auch
die langfristige Morbidität. Insbesondere
scheint die neurologische Langzeitprognose
schlechter, obwohl dies noch debattiert wird
im Zusammenhang mit dem korrigierten Alter.
Eine Studie berichtet, dass «gesunde» Spät-
Frühgeborene keinen Unterschied in der neu
–
rologischen Entwicklung zeigen verglichen mit
Termingeborenen. Weitere Studien hingegen
rapportieren, dass späte Frühgeborene häufi
–
ger eine infantile Zerebralparese, psychische
Erkrankungen wie Schizophrenie und ADHS
haben. Zudem wird berichtet, dass späte
Frühgeborene seltener die Schulzeit und Uni
–
versitätsausbildung erfolgreich beenden.
Zusammenfassung
Frühgeburtlichkeit ist nach wie vor die häu –
figs te To desur s ache und G r und f ür Mor bidit ät
bei Neugeborenen. Die Aufmerksamkeit der
meisten Untersuchungen galt bis jetzt den
sogenannten «frühen» Frühgeborenen, die vor
32 0/7 SSW geboren wurden. Dem Kollektiv
der «späten» Frühgeborenen (34 0/7 bis 36
6/7 SSW) wurde in falscher Annahme ein
ähnliches Risiko wie Termingeborenen zuge –
sprochen.
Diese Erkenntnis der letzten 10 -15 Jahre hat
dazu geführt, Spät-Frühgeborene als eigene
Risikogruppe mit erhöhter Morbidität und
Mortalität zu sehen und so auch zu behan –
deln. Diese «späten Frühgeborenen» werden
in einer kritischen Phase ihrer noch nicht ab –
geschlossenen Entwicklung geboren, sind
also noch unreif. Im Vordergrund stehen in
diesem Entwicklungsstadium Prozesse, wel –
che das Gehirn, die Lunge, die endokrine Re –
gulation und den Metabolismus betreffen. Die
Risiken, Komplikationen und damit die Her –
ausforderungen an Neonatologen, Pädiater,
aber auch Eltern betreffen sowohl die unmit –
telbare postnatale Phase in der Neugebore –
nenperiode, wie auch den späteren Verlauf
jenseits des Säuglingsalters.
Die höher e Mor t alit ät und Mor bidit ät im Spät-
Frühgeborenen-Gestationsalter von 34 0/7
bis 36 6/7 SSW nimmt rapide ab mit jeder
SSW. Diese Abnahme zeigt sich auch bis in
den Bereich der Termingeborenen, also zwi –
schen 37 und 39 SSW. Aus diesem Grund
sollten bei der Erwägung einer geplanten
Entbindung vor 39 0/7 SSW die vermehrten
neonatalen Komplikationen und die unklare
Langzeitprognose beachtet und mit den Eltern
vorgängig besprochen werden.
In der Betreuung der Spät-Frühgeborenen
gelten abweichende Behandlungsrichtlinien
im Vergleich zu Termingeborenen, was an die
betreuenden Geburtshelfer, Hebammen, Pfle –
gefachfrauen und Kinderärzte in den Geburts –
abteilungen, Kliniken und niedergelassenen
Praxen besondere Anforderungen stellt, da es
sich z ahlenmäs sig um eine sehr g ros se G r up –
pe handelt.
Referenzen
Auf Wunsch des Verlegers wurden die Refe –
renzen entfernt. Eine komplette Version des
Artikels mit sämtlichen Literaturangaben
kann aber gerne beim korrespondierenden
Autor per E-Mail bezogen werden.
Korrespondenzadresse
m.nelle @ bluewin.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenskonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert. Abbildung 1: Verteilung der Morbidität (respiratorische Störung, Hyperbilirubinämie, Hypogly –
kämie, Hypothermie) in % nach Gestationsalter für spät Frühgeborene und termingeborene
Kinder (Leone 2012)
20Neugbuuoreuguugn,
20Neugborn,
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Mathias Nelle , Abteilung Neonatologie, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Bern Antonio Leone , Departement Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologie, Kantonsspital, Winterthur Riccardo Pfister , Service de Néonatologie et Soins Intensifs pédiatriques, Hôpitaux Universitaires de Genève et Université de Genève