Die Möglichkeiten einer Abklärung/Therapie schaffen Bedürfnisse. Diese sind aber immer mit vielen Fragen verbunden. Hat eine Familie ein Kind mit einem AGS so ist heute pränatal eine entsprechende Abklärung und bei Bedarf eine Behandlung des ungeborenen Kindes in utero über die Mutter möglich. Dabei sind die Indikationen klar gegeben, die Nach- und aber auch die Vorteile sind genauestens abzuwägen.
Viele Fragen sind offen! Um all diese anstehenden Fragen der Eltern/Angehörigen fürs Erste beantworten zu können, haben wir diese Informationsschrift verfasst. Die Zusammenarbeit mit dem Kinderendokrinologen, dem Gynäkologen, sowie Geburtshelfer sind ein absolutes MUSS.
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Vol. 21 No. 1 2010
Ziel, die Virilisierung des äusseren weibli-
chen Genit\bles zu verhindern, um diesen
Kindern eine meist \bufwendige und oft sehr
bel\bstende Genit\blkorrektur-Oper\btion zu
ersp\bren.
\bichtig
Die n\bchfolgenden Empfehlungen be –
ziehen sich exklusiv \buf die kl\bssische
S\blz verlierende und einf\bch-virilisie –
rende Form des AGS bei 21-Hydro –
xyl\bsem\bngel infolge CYP21A2-Gen-
defekten.
Risikokonstellationen
[flowsheet 1]
1. Indexf\bll in der F\bmilie
Zwei gesunde Elternteile mit einem
Kind, d\bs einen 21-Hydroxyl\bsem\bngel
(CYP21A2 genotypisch gesichert) \buf –
weist. (AGS-Risiko beim Neugeborenen
1 : 4, Risiko für erkr\bnkten weiblichen
Fötus mit Genit\bl\bnom\-\blie 1 : 8)
2. AGS eines Elternteils\-
AGS eines Elternteils (d. h. Mutter oder
V\bter ist homozygot für eine CYP21A2
Mut\btion) und unbek\bnnter Gen-St\btus
beim \bnderen Eltern\-teil.
Einführung
Die Möglichkeiten einer Abklärung/Ther\b –
pie sch\bffen Bedürfnisse. Diese sind \bber
immer mit vielen Fr\bgen verbunden. H\bt
eine F\bmilie ein Kind mit einem AGS so
ist heute prän\bt\bl eine entsprechende Ab –
klärung und bei Bed\brf eine Beh\bndlung
des ungeborenen Kindes in utero über die
Mutter möglich. D\bbei sind die Indik\btionen
kl\br gegeben, die N\bch- und \bber \buch die
Vorteile sind gen\buestens \bbzuwägen. Viele
Fr\bgen sind offen! Um \bll diese \bnstehenden
Fr\bgen der Eltern/Angehörigen fürs Erste
be\bntworten zu können, h\bben wir diese
Inform\btionsschrift verf\bsst. Die Zus\bm –
men\brbeit mit dem Kinderendokrinolog\-en,
dem Gynäkologen, sowie Geburtshelfer sind
ein \bbsolutes MUSS.
D\bs \bdrenogenit\ble Syndrom (AGS), oder
\buch kongenit\ble \bdren\ble Hyperpl\bsie
(KAH) gen\bnnt, ist eine \butosom\bl-rezes –
sive Erkr\bnkung. Verurs\bcht ist sie durch
eine eingeschränkte oder fehlende Aktivität
eines \bn der Kortisol-Biosynthese betei –
ligten Enzymes in der Nebennierenrinde. \-
D\br\bus resultiert eine ungenügende Bil –
dung von Kortisol. Mit einer Inzidenz von
etw\b 1:10 000 Neugeborenen in Europ\b ist
der 21-Hydroxyl\bsem\bngel infolge eines
CYP21A2 Gendefekts die häufigste Urs\bche.
Beim 21-Hydroxyl\bsem\bngel führt die m\bn –
gelnde Rückkoppelung durch Kortisol zur
vermehrten ACTH Produktion/Ausschüt –
tung \bus der Hypophyse, w\bs zu einer
Hyperpl\bsie der Nebennierenrinde und in –
folge des Enzymblocks zu einer gesteigerten
Bildung von \bdren\blen Androgenen führt.
D\b die übermässige Androgenbildung bei
betroffenen Feten sehr früh einsetzt, k\bnn
es in der 6.–12. Schw\bngersch\bftswoche
zu einer Virilisierung des unreifen äusseren
Genit\bles bei weibli\-chen Feten kommen.
Anh\bnd der klinischen M\bnifest\btionen
unterscheidet m\bn 2 Formen von 21-Hy- droxyl\bse-Defekt: Die sogen\bnnt kl\bssi
–
sche und die nicht-kl\bssische («l\bte-onset»)
Form. Die kl\bssische Form ist ch\br\bkte –
risiert durch die frühe M\bnifest\btion mit
Genit\blveränderungen\- \bllein («simple virili –
sing») oder mit zusätzlicher S\blz verlierender
Komponente («s\blt w\bsting»), bei der neben
Kortisol \buch die Aldosteron Produktion
gestört ist.
Die nicht-kl\bssische Form des AGS ist von
der Symptom\btik her weniger \busgeprägt
und tritt in der Regel erst jenseits der Ne –
on\bt\blzeit in Erscheinung, insbesondere
ohne relev\bnten Aldosteron – und/oder
Kortisol-M\bngel und d\bher mit wenig \bus –
geprägten genit\blen Anom\blien (z. B. Klito-
rishyperpl\bsie).
Die pränatale Diagnostik und Therapie
des AGS mittels Dex\bmeth\bson h\bt zum
Pränatale Diagnostik und Therapie der
klassis\bhen Form des Adrenogenitalen
Syndroms (AGS) bei CYP21A2 Gendefekt
(21-Hydroxylasemangel)
Primus E. Mullis, Christ\b E. Flück, Bern: Unter Mit\brbeit von D\bniel Surbek, Chef\brzt Geburts –
hilfe und foeto-m\btern\ble Medizin, S\bbin\b G\bll\bti; Genetik, Abteilung für Hum\bngenetik
Flowsheet 1: Risikokonstellation für 21-Hydroxylasemange l
\b C YP21A2 Gendefekt)
Positiver Indexfall
i.d. Familie AGS eines Elternteils Heterozygotie eines Elternteils
Pränatale Diagnostik
& Therapie
Siehe flowsheet 2
Absolute Indik\btio n Rel\btive Indik\btion
\b1)
)
3
\b
)
2
\b
Genetische Beratun g Genetische Beratung
Flowsheet 1: Risikokonstell\btion für 21-Hydroxyl\bsem\bngel (\-CYP21A2 Gendefekt)
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Genetis\bhe Beratung
Die genetische Ber\btung h\bt durch eine Ab-
teilung für Hum\bngenetik und/oder einen kli –
nischen Genetiker in der Pr\bxis zu erfolgen.
DNA-Analyse zur CYP21A2 Genotypisie –
rung beider Eltern
Der 21-Hydroxyl\bsem\bngel ist eine \butoso –
m\bl rezessive Erkr\bnkung bei der in etw\b
95% \bller Fälle homozygote oder compound
heterozygote Mut\btionen im CYP21A2-Gen
n\bchgewiesen werden können. M\bteri\bl:
2–10 ml EDTA-Blut des Indexp\btienten und
der Eltern (V\bter und Mutter).
Bea\bhte: Eine vorzeitige Kont\bkt\bufn\bhme
mit den entsprechenden L\bbors, welche die
speziellen DNA-An\blysen durchführen, ist
zwecks zeitlicher Pl\bnung \bbsolut notwendig.
Pränatal-Diagnostik
Entscheiden sich die Eltern für eine prän\b –
t\ble Di\bgnostik und Ther\bpie, ist die Cho-
rionzottenbiopsie (CVS) zur genetischen
An\blyse und Di\bgnostik die Methode der
W\bhl. In Einzelfällen k\bnn eine ni\bht-inva-
sive SRY-Diagnostik (Y-Chromosomen-
Di\bgnostik des Fetus) \bus dem mütterlichen
Blut ver\bnl\bsst werden. Diese Untersuchun –
gen verl\bngen \bber ein Zentrum, d\bs diese
Untersuchungen zur Verfügung h\bt.
Die CVS sollte zwischen der 10. und 12.
Schw\bngersch\bftswoche (SSW) erfolgen
und beinh\bltet die B\-estimmung von:
1. Ges\bhle\bhts\bhromosomen (QF-PCR;
Karyotypisierung)
Diese wird in einem L\bbor für Zytogene –
tik durchgeführt. Spezi\blmedien resp.
Anweisung zur Probenentn\bhme sollen
beim L\bbor, d\bs die An\blyse m\bcht,
vorher eingeholt we\-rden.
2. DNA-Analyse ( CYP21A2 Gen-Typisie –
rung)
Ein Teil des M\bteri\bls \bus der Chori –
onzottenbiopsie wird für die Mut\btions –
\bn\blyse verwendet.
Pränatale Therapie
• Das Medikament der W\bhl ist Dex\bme –
th\bson, d\bs im Gegens\btz zu \bnderen
Glukokortikoiden die Pl\bzent\brschr\bnke
frei p\bssiert und so zum Feten gel\bngt.
So k\bnn die übermässige Androgenpro –
duktion der fet\blen Nebennierenrinde
unterdrückt werden.
3.
Bek\bnnte Heterozygotie für CYP21A2
Genmut\btion eines Elternteils und un –
bek\bnnter Gen-St\btus beim \bnderen
Elternteil.
Bei den Risikokonstell\btionen in Punkt 1
besteht eine Indik\btion (dringende Empfeh –
lung) zur genetischen Ber\btung vor Eintreten
einer Schw\bngersch\bft, um die Möglichkeit
einer prän\bt\blen Di\bgnostik und Ther\bpie
zu besprechen.
Bei rel\btiven Risikokonstell\btionen (2/3)
besteht keine Empfehlung hinsichtlich The –
r\bpie. Ber\btung und Abklärung können \buf
Wunsch \bngeboten werden.\- Vorgehen bei positivem Indexfall\.
(Risikokonstellation (1), absolute
Indikation) [flowsheet 2]
Vor\bussetzung für jede prän\bt\ble Di\bgnos –
tik oder Ther\bpie ist eine vor\busgehende
genetische/prän\bt\blmedizinische Ber\btung
sowie Abklärung durch entsprechende Spe –
zi\blisten. Für Bern können bei uns ent –
sprechende Kont\bkt\bdressen \bngefordert
werden ( primus.mullis@inse\-l.ch ).
Zeitpunkt: Möglichst vor Eintreten einer
Schw\bngersch\bft.
– Neugeborenes der Kinderendokrinologie
•
Ausschleichen der Therapie \bIn
DNA Analyse mit der Suche nach CYP21A2 -Genmutation
Flowsheet 2: Pränatale Diagnostik und Therapie beim
21-Hydroxylasemangel
\b C YP21A2 Gendefekt)
Chorionzottenbiopsie (CZB ) zwischen 10. und 12. SSW mit Bestimmung von:
Geschlechtschromosomen \bFISH-Analyse; Karyotypisierung )
•
Männlicher Karyotyp oder
Weiblicher Karyotyp ohne CYP21A2
Mutatio n
Ausschleichen der Therapie \bI n
Rücksprache mit Endokrinologie) 1.
Fortführung der Therapie bis zur Gebur t
2. Therapiemonitorisierung :
• DHEA S \bab 7. SSW) als Marker für foetale
NNR Suppression
•
• • Oestrio
l
\bab 16. SSW) als Marker fü r
mütterliche NNR Suppression
3. Bei Geburt des Kinde s
Rücksprache mit Endokrinologie)
anmelden
Be\binn der Dexamethasontherapi
e mit 20 g/kg KG/Tag in 3 Dosen \bmax. 1.5 mg
/Tag) sobald gesicherte SS.
Weiblicher Karyotyp undCYP21A 2 Mutation
\b1/8 d.F.)
\b7/8 d.F.)
Klassisches AGS Nicht\bKlassisches AGS
Vor einer SS
Bei bekannter SS
SS = Schwangerschaft
+ –
+ –
Kein Handlungsbedarf
:
DNA-Analyse
\bCYP21A2 Genotypisierung)
•
•
Flowsheet 2: Prän\bt\ble Di\bgnostik und Ther\bpie beim 21-Hydroxyl\bsem\bngel (CYP21A2
Gendefekt)
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person in pädi\btris\-cher Endokrinologie\-.
• Bei prän\bt\bl n\bchgewiesenem AGS wird
n\bch Di\bgnosesicherung postn\bt\bl sofort
mit einer Substitutionsther\bpie begonnen
(Hydrocortone
® und Florinef ®), dies um
eine mögliche Addison-Krise in der zwei –
ten Lebenswoche zu verhindern.
• Bea\bhte: Auch betroffene Kn\bben, die
nicht bis zur Geburt beh\bndelt wurden,
müssen postn\bt\bl sofort n\bch Di\bgno –
sesicherung einer Substitutionsther\bpie\-
zugeführt werden.
Adresslisten sowie Liter\btur\bng\bben kön –
nen \bngefordert werden ( primus.mullis@
insel.ch ).
Korrespondenzadresse
Prof. P-E. Mullis
Abteilung pädi\btrische Endokrinologie/
Di\bbetologie & Stoff\-wechsel
Med. Univ. Kinderk\-linik
Inselspit\bl
3010 Bern
primus.mullis@inse\-l.ch
•
Dosis: 20 μg/kg KG/T\bg in 3 Dosen ver-
teilt (m\bx. 1.5 mg/T\bg).
• Zeitpunkt: Die Ther\bpie ist sofort n\bch
Kenntnis der Schw\bngersch\bft, spätes –
tens \bber in der 6.\- SSW zu st\brten.
• Die Ther\bpie obliegt einer F\bchperson
mit speziellen Kenntnissen in gynäkolo –
gischer Endokrinologie und Änderungen
sollten nur n\bch spezieller Rückspr\bche
mit dieser F\bchperson erfolgen. Der Ent –
scheid zur Fortführung oder Sistierung der
Dex\bmet\bsonther\bpie wird n\bch Eintref –
fen von Chorionzottenbiopsi\-e-Result\bten
gefällt. Ist der Fötus weiblich und zudem
homozygot oder compound heterozygot
für Mut\btionen innerh\blb des CYP21A2-
Gens (1 : 8 Föten bei Risikokonstell\btion)
wird die Ther\bpie bis zum Ende der
Schw\bngersch\bft fortgesetzt. In den üb –
rigen Fällen wird die Dex\bmeth\bsonthe –
r\bpie sistiert.
• Die Dex\bmeth\bsonther\bpie soll nicht \bb –
rupt sistiert, sondern schrittweise um
0.5 mg jeden 2. T\bg \busgeschlichen wer-
den.
Therapiekontrolle
Bei Ther\bpiebeginn und \bnschliessend im
4 Wochen Interv\bll sollte bis zum Geburts –
termin die Ther\bpie wie folgt überw\bcht
werden:
• Bestimmung von DHEAS (\bb 7. SSW) \bls
M\brker für die erfolgreiche Suppression
der fet\blen NNR Androgene und Oestriol
(\bb 16. SSW) \bls M\brker für die erfolgrei –
che Suppression des foeto-m\btern\blen
Androgen Stoffwechsels.
• Die Schw\bngersch\bft gilt \bls Risiko –
schw\bngersch\bft und sollte entsprechend
überw\bcht werden. Diese sorgfältige
Überw\bchung sollte durch eine F\bchper-
son mit Kenntnissen in Prän\bt\blmedizin/
gynäkologischer Endokrinologie durchge –
führt werden.
Ablauf na\bh der Geburt
• Gewinnung von N\bbelschnurblut zur Be –
stätigung der CYP21A2-Mut\btion beim
Kind
• Sofort Kont\bkt mit einer Abteilung für
pädi\btrische Endokrinologie \-\bufnehmen
• Schrittweise Reduktion von Dex\bmeth\b –
son bei der Mutter,\- 0.5 mg jeden 2. T\-\bg
• Am 4. Lebenst\bg wird d\bs 17- α-OH-
Progesteron im R\bhmen des Neugebo –
renen-Screenings bestimmt (Guthrie).
P\br\bllel erfolgen weitere biochemische
Di\bgnostik und Ther\bpie durch eine F\bch –
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Primus E. Mullis , Abteilung pädiatrische Endokrinologie/ Diabetologie & Stoffwechsel Med. Univ. Kinderklinik, Inselspital Bern