In Europa leiden 30 Millionen Patienten an einer seltenen Krankheit. Diese Krankheiten erregen mehr und mehr das Interesse von Wissenschaft, Politik und pharmazeutischen Firmen. Wesentliche Fortschritte wurden im Verständnis ihrer genetischen und zellulären Grundlagen erzielt, was die Entwicklung therapeutischer Konzepte erlaubt und für gewisse (z. B. lysosomale) Krankheiten zu wirksamen Therapien und zu den ersten klinischen Studien führte.
26
Einführung
In Europa leiden 30 Millionen Patienten an
einer seltenen Krank\beit. Diese Krank\beiten
erregen me\br und me\br das Interesse von
Wissensc\baft, Politik und p\barmazeutisc\ben
Firmen. Wesentlic\be Fortsc\britte wurden im
Verständnis i\brer genetisc\ben und zellulären
Grundlagen erzielt, was die Entwicklung t\be-
rapeutisc\ber Konzepte erlaubt und für gewis –
se (z. B. lysosomale) Krank\beiten zu wirksa –
men T\berapien und zu den ersten klinisc\ben
Studien fü\brte.
Die Muskeldystrop\bie Duc\benne (MDD) und
die spinale Muskelatrop\bie (SMA) sind erbli –
c\be, progressiv verlaufende neuromuskuläre
Krank\beiten, die meist sc\bon im Kleinkindes –
alter in Ersc\beinung treten. Zwar gibt es noc\b
keine kurative Be\bandlung, doc\b werden für
diese beiden Krank\beiten me\brere vielver –
sprec\bende t\berapeutisc\be Ansätze entwi –
ckelt und es w ur den vor kur zem die Result ate
der ersten t\berapeutisc\ben Studien publiziert.
Me\brere grosse p\barmazeutisc\be Firmen
\baben beträc\btlic\be finanzielle Mittel in diese
Studien investiert.
In diesem Übersic\btsartikel stellen wir einige
dieser t\berapeutisc\ben Ansätze vor, und da
sie au f G enen b er u\ben, ge\ben w ir kur z au f die
genetisc\ben Grundlagen ein.
Read-through des Stopcodons mit
Ataluren (\bTC124): Illustration der
Komplexität klinischer Versuche
bei einer seltenen Krankheit
Die MDD ist eine progressive, an das X-
C\bromosom gebundene Myopat\bie, die einen
neugeborenen Knaben auf 3500 befällt
2). Sie
b er u\bt au f einer Mut ation im G en des D ys tr o –
p\bins, ein für die strukturelle Integrität der Muskelfaser essentielles submembranäres
Protein
( A b b . 1)
3). Sein Fe\blen mac\bt die
Muskelfasern auf mec\banisc\ben Stress emp –
findlic\b
4). Die Krank\beit mac\bt sic\b im Allge –
meinen durc\b einen leic\bten motorisc\ben
Rückstand bemerkbar und kann mit einem
sprac\blic\ben Entwicklungsrückstand verbun –
den sein. Die Kreatinkinase kann sc\bon bei
G ebur t bis 10 0 – f ac\b er \bö\bt sein. Das mit tler e
Alter bei Diagnosestellung ist 5 Ja\bre. Nac\b
einer stabilen P\base fü\brt die zune\bmende
Muskelsc\bwäc\be mit 10–12 Ja\bren zum Ver –
lust der Ge\bfä\bigkeit, gefolgt von Herz- und
Lungeninsuffizienz. Obwo\bl die MDD un\beil –
bar ist, erlauben die frü\bzeitige Verabreic\bung
oraler Steroide und eine optimale kardiores –
piratorisc\be Betreuung eine Verbesserung
von Lebensqualität und -dauer
2) , 5) . Das Errei –
c\ben eines Alters von über 30 Ja\bren ist nic\bt
me\br ausserordentlic\b.
Vom genetisc\ben Standpunkt betrac\btet,
weisen 65 % der Patienten eine Deletion,
5–15 % eine Duplikation und die übrigen ca.
30 % punktuelle Mutationen auf. Etwa die
Hälfte letzterer sind non-sense-Mutationen
6).
Es \bandelt sic\b um Mutationen, die zur Bil -dung eines Stopcodons, und damit zum frü\b
–
zeitigen Abbruc\b der Translation von RNA
(Ribonukleinsäure) in Eiweiss fü\bren. Es
kommt zur Bildung eines verstümmelten und
besc\bleunigt abgebauten Dystrop\bins.
Es ist seit langem bekannt, dass gewisse
Moleküle die Ribosome befä\bigen, durc\b non-
sense Mutationen entstandene Stopcodone
selektiv zu überge\ben. Dies fü\brt zu einer
vollständigen Transkription der RNA in ein
f unk tionelles Eiweis s : Man spr ic\bt von Weiter –
lesen (read-through) des Stopcodons. Amino –
glykoside besitzen diese Eigenart, doc\b blie –
ben klinisc\be Versuc\be mit Gentamycin bei
MDD erfolglos und weckten die Befürc\btung
toxisc\ber Nebenwirkungen
7).
Ataluren (PTC124) wurde als ein Molekül
identifiziert, das die Ribosome befä\bigt, se –
lektiv Stopcodone zu ignorieren. Die Trans –
kription in ein funktionelles Dystrop\bin nac\b
Verabreic\bung von Ataluren wurde bei der
mdx-Maus, dem murinen Modell der MDD,
nac\bgewiesen
8). Nac\b ersten ermutigenden
Versuc\ben am Mensc\ben wurde eine dop –
pelblinde P\base IIb -Studie mit 174 Patienten
durc\bgefü\brt, mit dem primären Ziel, die in 6
Minuten zurückgelegte Ge\bdistanz nac\b 48
Woc\ben Be\bandlung zu vergleic\ben. Ange –
sic\bts der Selten\beit der Krank\beit wurde die
Studie durc\b 37 Zentren in 11 versc\biedenen
Ländern, an Patienten mit versc\biedenem
Krank\beitsverlauf durc\bgefü\brt, was die Inter –
pretation der Resultate ersc\bwert
9). Da die
ersten Analysen keinen signifikanten Nutzen
aufzeigten, wurde die Extensionsstudie, in
welc\ber alle Patienten das PTC124 bekamen,
Muskeldystrophie Duchenne und
spinale Muskelatrophie: Fortschritte
therapeutischer Studien*
C. Bloetzer und P. Y. Jeannet, LausanneÜbersetzung: Rudolf Sc\blaepfer, La C\baux-de-Fonds
\bbbildung 1: Dystrop\bin-assoziierter Komplex ( www.umd.be).
* Dieser Artikel gründet teilweise auf einer 2012 in der
Revue Médicale Suisse erschienenen Publikation 1).
Wir danken der Redaktion dafür, dass wir Textteile
und die Abbildungen wiederverwenden durften.
26In Eu ron p Eale
26In Europa
27
auf Anraten des unab\bängigen Überwa-
c\bungsorgans abgebroc\ben. Eine ergänzende
Auswertung konnte jedoc\b eine gewisse
Besserung in der sc\bwac\bdosierten Gruppe
nac\bweisen, die Extensionsstudie konnte
damit wieder aufgenommen werden. Eine
neue multizentrisc\be internationale Studie
begann 2013.
Die Ataluren-Studie illustriert bestens die
Sc\bwierigkeiten, die man bei der Durc\bfü\b –
rung von Studien bei seltenen Krank\beiten
antrifft, sei es beim Einsc\bluss einer genügend
grossen, vom genetisc\ben und klinisc\ben
Gesic\btspunkt \bomogenen Za\bl Patienten,
oder beim Festlegen von gültigen und repro –
duzierbaren Effizienzkriterien (outcome mea-
sures) bei diesen oft langsam progredienten
Krank\beiten.
Jüngste Resultate bei der mdx-Maus zeigen,
dass ein neuer Wirkstoff (RTC13) eine dem
Ataluren überlegene read-through-Fä\bigkeit
besitzt
10 ).
Der Exon-Sprung: Ein Beispiel
genbasierter, persönlich
zugeschnittener Behandlung
W ie alle G ene is t jenes des D ys tr op\bins dur c\b
kodierende (Exone) und nic\bt-kodierende
(Introne) Teile zusammengesetzt. Nac\b der
Transkription von DNA in RNA ent\bält die pre-
mRNA sowo\bl Exone als auc\b Introne. Beim
ansc\bliessenden Spleissen (splicing) werden
die Introne eliminiert und die 79 Exone des
Gens zu einer reifen m-RNA zusammengefügt
(Abb. 2A) . B ei der en Tr anslation in ein Eiweis s
wird die Nukleotidsequenz in Form von Basen –
tripletts (oder Codone) gelesen, wobei jedes
Basentriplett einer Aminosäure oder einem
das Ende der Translation anzeigenden Stop –
codon entspric\bt. Ein bestimmtes Exon ent –
\bält nic\bt unbedingt eine Anza\bl Nukleotide,
die einem Vielfac\ben von 3 entspric\bt: Gewis –
se Codone befinden sic\b \balbwegs zwisc\ben
zwei Exonen (Abb. 2A) und erst das Aneinan –
derrei\ben der Exone nac\b dem Spleis sen fü\brt
zur korrekten Folge eines Vielfac\ben der Za\bl
drei. Die Folgen einer Deletion werden ver –
sc\bieden sein, je nac\bdem welc\bes Exon
( o der E xong r upp e ) fe\blt . Ent\bält das E xon mit
einer Deletion eine vollständige Codonza\bl
(Vielfac\bes von drei), kann die Translation
o\bne Leserasterversc\biebung stattfinden,
man spric\bt von in-frame deletion . Das syn-
t\betisierte Protein ist kürzer, kann aber funk –
tionell sein (Abb. 2C). Im Falle des Dystro –
\bbbildung 2: Beispiel für die Be\bandlung einer Exon 50 -Deletion durc\b einen Exon 51-Sprung.
\b: Dystrop\bin-Gen mit 79, das Protein kodierenden Exonen B: Dystrop\bin-Gen mit Deletion
des Exons 50 C: Dystrop\bin- Gen mit Deletion der Exone 50 und 51 D: Dystrop\bin-Gen mit
Deletion des Exons 50, AON-be\bandelt. Arg: Arginin; Ala: Alanin; Lys: Lysin; Glu: Glutamat;
Ser: Serin.
\b)
B)
C)
D)
« »
26In Eu ron p Eale
26In Europa
28
p\bins fü\brt dies zu einem weniger aus
–
geprägten klinisc\ben P\bänotyp, der Muskel –
dystrop\bie Typ Becker
6). Die MDD wird in 65 %
der Fälle durc\b Deletionen bedingt, die an
beiden Enden zur Bildung «unvollständiger»
Codone fü\bren (out-of-frame deletion) . Dies
\bat eine Versc\biebung des Leserasters zur
Folge, die gelesenen Basentripletts entspre –
c\ben nic\bt me\br dem normalen Leseraster
des Gens. Dystrop\bin kann nic\bt normal
synt\betisiert werden und wird besc\bleunigt
abgebaut, was zum sc\bweren klinisc\ben Bild
der MDD fü\brt (Abb. 2B)
6).
Antisense- Oligonukleotide (AON) sind kurz –
kettige, synt\betisc\be Nukleinsäuren, die spe –
zifisc\b mit gewissen Zonen der pre-mRNA
\bybridisieren können. Die AON können ein
sic\b am Rande einer Deletion befindendes
Exon, das den Leseraster infolge einer out-of-
frame Deletion versc\biebt, «maskieren». Beim
Spleissen findet keine Translation dieses
dur c\b ein sp ezi fisc\bes AON maskier ten E xons
statt, es wird nic\bt in die reife m-RNA aufge –
nommen (Abb. 2D)
11 ).
Die ersten t\berapeutisc\ben Versuc\be eines
Exon-Sprunges wurden mit AON durc\b –
gefü\brt, die es erlauben, das Exon 51 zu
überspringen, eine Genregion, die oft durc\b
Deletionen betroffen wird. Versc\biedene For –
sc\bergruppen sind an der Entwicklung von
AON mit leic\bt untersc\biedlic\ber bioc\bemi –
sc\ber Zusammensetzung beteiligt. 2011 wur –
den die Resultate zweier offener, nic\bt kont –
rollierter P\base II-Studien publiziert, die den
Exon-51-Sprung anwenden (durc\b subkutane
bzw. intravenöse Injektion)
12 ) , 13 ) . Beide Studi –
en b er ic\bten üb er eine dosis ab\bängige Zuna\b –
me der Dystrop\bin-Expression, o\bne wesent –
lic\be Nebenwirkungen. Keine konnte jedoc\b
eine signifikante Verbesserung der motori –
sc\ben Funktion nac\bweisen
12 ) , 13 ) . In einer
neuerlic\ben, kontrollierten und doppelblinden
Studie mit 12 Patienten, die versc\bieden \bo\be
Dosen Eteplirsen er\bielten (ein AON, das ei –
nen Exon-51-Sprung verursac\bt), wurde nac\b
48 Woc\ben Be\bandlung (wöc\bentlic\be iv-In –
jektionen) eine Zuna\bme der Dystrop\bin-po –
sitiven Muskelfasern um 43–52 % nac\bgewie-
sen. Bei den be\bandelten Patienten wurde
eine Stabilisierung der motorisc\ben Funktion
festgestellt
14 ). Eine Extensionsstudie zeigt,
dass diese Stabilisierung nac\b 96 Woc\ben
an\bält, was bemerkenswert ist
15 ). Anderer –
seits wurden anfangs Oktober 2013 die se\br
enttäusc\benden Resultate einer 186 Patien –
ten umfassenden, internationalen multizent -risc\ben P\base III-Studie mit Drisapersen (ein
weiteres, den Exon-51-Sprung benutzendes
AON) publiziert. Nac\b 48 Woc\ben Be\bandlung
durc\b Drisapersen subkutan konnte keinerlei
Untersc\bied der motorisc\ben Funktion zwi
–
sc\ben be\bandelter und Placebogruppe fest –
gestellt werden. Zudem wurde über er\bebli –
c\be Nebenwirkungen an den Injektionsstellen
beric\btet. Dieser Beric\bt stellt für die Familien
wie die involvierten Fac\bpersonen eine grosse
Enttäusc\bung dar. Es bedeutet jedoc\b nic\bt,
dass der Exon-Sprung bei der Be\bandlung der
MDD unwirksam ist, da AON andersartiger
bioc\bemisc\ber Zusammensetzung durc\baus
wirksam sein können.
Obwo\bl diese ersten Versuc\be einen ent –
sc\beidenden Sc\britt in der Erforsc\bung der
MDD darstellen, zeigen sie auc\b, dass noc\b
bedeutende Sc\bwierigkeiten zu lösen sind.
Man stellt z. B. fest, dass versc\biedene AON
ein versc\biedenartiges Wirksamkeits- und
Nebenwirkungsprofil \baben können, je nac\b –
dem, durc\b welc\bes bioc\bemisc\be «Skelet»
sie tr ansp or tier t wer den und welc\bes E xon sie
überbrücken. Zudem ist der in den Herzmus –
kelzellen erreic\bte AON-Spiegel derzeit noc\b
gering, wä\brend der Herzbefall bei diesen
Patienten die wic\btigste Todesursac\be dar –
stellt. Auc\b muss die langfristige Toxizität
evaluiert werden.
T\beoretisc\b könnte die Tec\bnik des Exon-
Sprungs bei 80 % der MDD -Mutationen ange –
wandt werden
17 ). Dies würde die Entwicklung
von za\blreic\ben, den versc\biedenen Mutatio –
nen entsprec\benden AON erfordern, was
Me\brkosten für die selteneren Mutationen
bedeutet. Zurzeit sind AON für das Exon-
Skipping 44, 45, 53, 52, 55 in präklinisc\ber
Entwicklung oder in P\base I/II.
Sc\bliesslic\b muss betont werden, dass man
mit den AON darauf zielt, eine Muskeldystro –
p\bie Duc\benne in eine Muskeldystrop\bie Be –
cker überzufü\bren, und nic\bt, sie zu \beilen.
Weitere Wege
in der MDD-Forschung
Die Tec\bniken des Weiterlesens (read –
through) von non-sense- Mutationen und des
Exon-skippings ste\ben zwar im Mittelpunkt
des Interesses, andere Forsc\bungswege be –
treffend MDD werden jedoc\b aktiv weiterver –
folgt. P\barmakologisc\be Ansätze, Gent\bera –
pie durc\b Verabreic\bung eines Dystrop\bins
kleineren Umfangs mit Hilfe eines viralen Vektors oder Zellt\berapien sind weiter\bin
aktuell, obwo\bl die betreffenden Studien
weniger fortgesc\britten sind
18) , 19) .
Hoffnung für die Behandlung der
spinalen Muskelatrophie (SMA)
Die SMA stellt eine Gruppe neurodegenerati
–
ver Krank\beiten dar, die sic\b durc\b den Befall
des unteren Motoneurons kennzeic\bnen
20 ).
Wir werden \bier nur die \bäufigste Form be –
rücksic\btigen, die autosomal rezessiv vererbt
wird, auf dem Verlust des Survival Motor
Neuron (SMN1) beru\bt
21 ), und 1/6000–10 000
Neugeborene trifft 22). Es \bandelt sic\b in B ezug
auf kindlic\be Mortalität um die \bäufigste ge –
netisc\be Krank\beit
23 ).
Die an das SMN1-Gen gebundene SMA weist
ein se\br breites klinisc\bes Spektrum auf
24 ). Die
\bäufigste Form ist auc\b die sc\bwerste, es
\bandelt sic\b um die SMA Typ 1 oder M.
Werdnig-Hoffmann. Die Kinder sind vor dem
Alter von 6 Monaten symptomatisc\b und lei –
den an ausgeprägter Muskel\bypotonie, pro –
gredienter Muskelsc\bwäc\be und Ernä\brungs –
sc\bwierigkeiten. Sie erlernen nie sitzen
Stellung. Die Prognose ist ungünstig, der Tod
er folg t vor dem A lter von 2 Ja\br en dur c\b Atem –
insuffizienz. Die mittelsc\bwere Form (Typ 2)
tr it t im A llgemeinen z w isc\ben dem A lter von 6
und 18 Monaten auf und zeic\bnet sic\b durc\b
motorisc\ben Entwicklungsrückstand und Mus –
kelsc\bwäc\be aus , die an den unter en E x tr emi –
täten ausgeprägter ist. Diese Patienten lernen
zwar sitzen, jedoc\b nie selbständig ge\ben. Die
Muskelsc\bwäc\be sc\breitet nur langsam fort
(oft sc\bubweise), es treten Kontrakturen, eine
Skoliose und später eine r espir ator isc\be Insu f –
fi zienz au f. D er Ty p 3 ( M. Kugelb er g – Welander)
w ir d nac\b dem A lter von 18 Monaten manifes t .
Diese Patienten erlernen autonomes Ge\ben,
das sc\bon im Kindesalter, meist aber erst im
Erwac\bsenenalter wieder verloren ge\bt. Atem –
störungen sind seltener.
Das Gen SMN1 kodiert ein SMN genanntes,
für das Überleben des unteren Motoneurons
essentielles Protein
21 ). Es ist am mRNA-Stoff –
wec\bsel beteiligt, insbesondere am splicing 25).
P\bysiologisc\b \bängt die Integrität der Muskel –
fasern von der Innervierung durc\b die Moto –
neuronen ab. Degenerieren diese, kommt es
zur Amyotrop\bie und Muskelsc\bwäc\be.
Wie erklärt man das breite Spektrum an
Sc\bweregraden der SMA? Die Krank\beit wird
durc\b Mutationen auf den zwei Allelen des
26In Eu ron p Eale
26In Europa
29
Gens SMN1 (autosomal rezessiv) bedingt 21 ).
Nun besitzt der Mensc\b meist ein zweites
G en SMN , SMN2 genannt , wob ei die Z a\bl der
Kopien von einem Individuum zum anderen
variiert
21 ). Die SMN2-Sequenz ist jener des
SMN1 fast identisc\b: die beiden Gene unter –
sc\beiden sic\b nur durc\b 5 Nukleotide. Dieser
Untersc\bied \bat ein untersc\biedlic\bes Splei –
ssen des Exons 7 zur Folge
26). Meist ent\bält
das ausge\bend von SMN2 synt\betisierte
Protein SMN dieses Exon nic\bt, ist des\balb
unstabil und wird besc\bleunigt abgebaut
27).
Wä\brend 5–10 % der gesunden Bevölkerung
keine Kopie des Gens SMN2 besit zen, \baben
alle Patienten mit einer SMA 1–5 Kopien ; das
Fe\blen von SMN1 und SMN2 ist wa\brsc\bein –
lic\b mit dem Leben nic\bt vereinbar
28 ). Je \bö –
\ber die Anza\bl Kopien des Gens SMN2 bei
einem Patienten ist, desto grösser die Syn –
t\bese an Exon 7 ent\baltendem Protein
SMN
29). Die Sc\bwere der Krank\beit \bängt
des\balb im Wesentlic\ben von der Anza\bl Ko –
pien des G ens SMN2 ab
29). B ei 1–2 Kopien ist
die Synt\bese eines vollständigen Proteins
SMN gering, der P\bänotyp damit ausgeprägt
( SM A Ty p 1) , wä\br end das Vor \bandensein von
4–5 Kopien dem leic\btesten P\bänotyp ent –
spric\bt (Typ 3). Diese Regel trifft jedoc\b bei
einer nic\bt zu vernac\blässigenden Anza\bl
Patienten nic\bt zu , was die B e deutung weite –
rer, genetisc\ber oder Umweltfaktoren unter –
streic\bt, die das Krank\beitsbild verändern
können
20 ).
Obwo\bl eine optimale Betreuung Lebensqua –
lität und -erwartung dieser Patienten deutlic\b
ver b es ser n kann, ver bleibt die SMA \beut zut a –
ge un\beilbar
24 ). Ein se\br vielversprec\bender
t\berapeutisc\ber Ansatz beste\bt in der Modifi –
zierung des splicing der mRNA des SMN2-
G ens mit Hilfe eines AON , damit das fe\blende
Exon 7 eingliedert und ein vollständiges Ei –
weiss synt\betisiert wird
30). Es \bandelt sic\b
dabei nic\bt um eine eigentlic\be Gent\berapie,
sonder n e\ber um «RNA – C\bir ur gie». Nac\b me\b –
reren überzeugenden Mausversuc\ben wurden
vor kurzem die Resultate einer P\base I-Studie
am Mensc\ben veröffentlic\bt
31 ). Eine einmalige
intrat\bekale Dosis (1–9 mg) wurde 28
2–14-jä\brigen Patienten mit einer SMA Typ 2
oder 3 verabreic\bt. Die Injektionen wurden für
alle Dosierungen gut vertragen und eine Ver –
besserung der motorisc\ben Funktion konnte
in der Gruppe mit der \böc\bsten Dosis beob –
ac\btet werden. P\base Ib/IIa und P\base II-
Studien sind der zeit im G ange und eine P\base
III-Studie zum Wirksamkeitsnac\bweis ist für
2014 geplant. Za\blreic\be weitere p\barmakologisc\be Sub
–
stanzen wurden bis\ber auf i\bre Wirksamkeit
b ei der SMA gepr ü f t . B ei keiner konnte je do c\b
in kontrollierten randomisierten Studien ein
solc\ber Nac\bweis erbrac\bt werden (Kreatin,
P\benylbutirat, Gabapentin, t\byreotropes Hor –
mon, Hydroxycarbamid, Valproat/Acetyl-L-
Karnitin, Salbutamol)
32 ) , 3 3 ) . Me\brere t\berapeu –
tisc\be Studien sind noc\b im Gange. So werden
die Resultate einer P\base III-Studie mit Ole –
soxim, einem neuroprotektorisc\ben Wirkstoff,
für 2014 erwartet (Mitteilung des Auftragge –
bers der Studie).
Wic\btige Fortsc\britte wurden auc\b bei der
Gent\berapie erzielt, die darauf zielt, das de –
fekte SMN1- Gen mit Hilfe eines viralen Vek –
tors vom Typ AAV (Adeno Associated Virus)
durc\b ein t\berapeutisc\bes Gen zu ersetzen
34).
Nac\b Validierung dieses Vorge\bens am Maus –
modell wird durc\b das Nationwide C\bildren’s
Hospital in Columbus (USA) eine P\base I-
Studie für anfangs 2014 geplant (persönlic\be
Mitteilung). Die Studie soll Sic\ber\beit und
Toleranz der intravenösen Verabreic\bung ver –
sc\biedener Dosierungen von SMN1-Gen
tr ansp or tier enden A AV b ei SMA Ty p 1- Patien –
ten prüfen.
Schlussfolgerung
Bei der Be\bandlung der Muskeldystrop\bie
Duc\benne und der spinalen Muskelatrop\bie
wurden entsc\beidende Fortsc\britte erreic\bt.
Das Ersc\beinen der ersten t\berapeutisc\ben
Studien und deren teils positive Resultate
stellen für die Patienten, i\bre Familien und alle,
die sic\b wissensc\baftlic\b mit den neuromus –
kulären Krank\beiten befassen, ein bedeuten –
des Ereignis dar. Diese Studien \baben aber
auc\b eine Vielza\bl praktisc\ber Probleme auf –
gezeigt. Nebst den tec\bnisc\ben Sc\bwierigkei –
ten bei der Verabreic\bung eines Wirkstoffes,
der die gesamte Körpermuskulatur oder, im
Falle der SMA, die Motoneuronen erreic\ben
soll, se\ben sic\b die klinisc\ben Studien auc\b
met\bodologisc\ben Sc\bwierigkeiten gegen –
üb er. Das Er f as sen einer nic\bt nur in B ezug au f
i\bre genetisc\be Mutation, sondern auc\b in
Bezug auf klinisc\ben Verlauf \bomo genen Pati-
entenpopulation ist komplex. Die Definition
eines validierten und reproduzierbaren Wirk –
samkeitsnac\bweises (outcome measures) ist
bei langsam progredienten Krank\beiten eben –
falls problematisc\b. Sc\bliesslic\b \bat die Betei –
ligung an t\berapeutisc\ben und eventuellen
Extensionsstudien er\beblic\be psyc\bologisc\be
Auswirkungen auf Patienten und Familie. Die Auftraggeber der Studien müssen dem unbe
–
dingt Rec\bnung tragen, insbesondere wenn
die Studie nic\bt die erwarteten positiven Re –
sultate erbringt.
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Korrespondenzadresse
Dr C. Bloetzer
Consultation des maladies neuromusculaires,
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tation Pédiatrique,
DMCP
CHUV
1011 Lausanne
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Die Autoren haben keine finanzielle Unter –
stützung und keine anderen Interessenkon –
flikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag
deklariert.
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Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. Clemens Bloetzer , Consultation des maladies neuromusculaires, Unité de Neuropédiatrie et de Neuroréhabilitation Pédiatrique, DMCP (CHUV) P. Y. Jeannet