Eine normale motorische Entwicklung in den ersten beiden Lebensjahren ist Ausdruck der physischen Integrität und Gesundheit des Kindes. Somit ist die Erfassung der motorischen Entwicklung in der kinderärztlichen Routine nicht weg zu denken. Die kontinuierliche Veränderung der Haltung von der Horizontalen zur Vertikalen und die Entfaltung zur eigenständigen Fortbewegung im Raum folgt beim Menschen eigenen Grundsätzen. Das Kind kommt von der liegenden in eine sitzende Haltung, krabbelt, stellt sich auf die Beine und beginnt zu gehen. Diese Meilensteine der motorischen Entwicklung zeigen auch beim gesunden Kind eine grosse interindividuelle Variabilität in der Sequenz, sowie dem jeweiligen Alter, in dem die Meilensteine erreicht werden. Eine von der WHO durchgeführte Longitudinalstudie in Ghana, Indien, Norwegen, Oman und den USA untersuchte beispielsweise 6 verschiedene Meilensteine der motorischen Entwicklung (freies Sitzen, Krabbeln, Stehen mit Unterstützung, Gehen mit Unterstützung, selbstständiges Stehen und selbstständiges Gehen) zwischen 4 und 24 Monaten1. So konnte gezeigt werden, dass sich bei 86 % der Kinder die motorische Entwicklung in einer ähnlichen Sequenz bestehend aus 5 Meilensteinen (Sitzen ohne Unterstützung – Stehen ohne Unterstützung – Gehen mit Unterstützung – Stehen ohne Unterstützung – Gehen ohne Unterstützung) entwickelt. Das Krabbeln erfolgte in abweichender Sequenz. 42% krabbelten vor dem Stehen mit Unterstützung, 44% danach. Die restlichen 14% der untersuchten Kinder krabbelten entweder gar nie (4.3%) oder zeigten ein gänzlich anderes Entwicklungsmuster, wie zum Beispiel ein «Bum-Shuffling» (9.4%). Das Erreichen der einzelnen Meilensteine zeigte eine grosse Variabilität – die errechnete erste bzw. 99ste Perzentile der einzelnen Meilensteine war wie folgt: Sitzen ohne Unterstützung 3.8 bzw. 9.2 Monate; Stehen mit Unterstützung 4.8 bzw. 11.4 Monate; Krabbeln 5.2 bzw. 13.5 Monate; Gehen mit Unterstützung 5.9 bzw.
12
Fortbildung Neuropädiatrie
Einleitung
Eine normale motorische Entwicklung in den
ersten beiden Lebensjahren ist Ausdruck der
physischen Integrität und Gesundheit des
Kindes. Somit ist die Erfassung der motori-
schen Entwicklung in der kinderärztlichen
Routine nicht weg zu denken. Die kontinuier-
liche Veränderung der Haltung von der Hori –
zontalen zur Vertikalen und die Entfaltung zur
eigenständigen Fortbewegung im Raum folgt
beim Menschen eigenen Grundsätzen. Das
Kind kommt von der liegenden in eine sitzen –
de Haltung, krabbelt, stellt sich auf die Beine
und beginnt zu gehen. Diese Meilensteine der
motorischen Entwicklung zeigen auch beim
gesunden Kind eine grosse interindividuelle
Variabilität in der Sequenz, sowie dem jewei –
ligen Alter, in dem die Meilensteine erreicht
werden. Eine von der WHO durchgeführte
Longitudinalstudie in Ghana, Indien, Norwe –
gen, Oman und den USA untersuchte bei –
spielsweise 6 verschiedene Meilensteine der
motorischen Entwicklung (freies Sitzen, Krab –
beln, Stehen mit Unterstützung, Gehen mit
Unterstützung, selbstständiges Stehen und
selbstständiges Gehen) zwischen 4 und 24
Monaten
1. So konnte gezeigt werden, dass
sich bei 86 % der Kinder die motorische Ent-
wicklung in einer ähnlichen Sequenz beste –
hend aus 5 Meilensteinen ( Sit zen ohne Unter –
s t ü t z u n g – S t e h e n o h n e U n t e r s t ü t z u n g – G e h e n
mit Unterstützung – Stehen ohne Unterstüt –
zung – Gehen ohne Unterstützung) entwi –
ckelt. Das Krabbeln erfolgte in abweichender
Sequenz. 42% krabbelten vor dem Stehen mit
Unterstützung, 44% danach. Die restlichen
14% der untersuchten Kinder krabbelten ent –
weder gar nie ( 4.3 % ) o der zeig ten ein gänzlich
anderes Entwicklungsmuster, wie zum Bei –
spiel ein «Bum-Shuffling» (9.4%). Das Errei –
chen der einzelnen Meilensteine zeigte eine
g r os se Var iabilit ät – die er r e chnete er s te bz w.
99ste Perzentile der einzelnen Meilensteine
war wie folgt: Sitzen ohne Unterstützung 3.8
bzw. 9.2 Monate; Stehen mit Unterstützung
4.8 bz w. 11.4 Monate ; K r abb eln 5.2 bz w. 13.5
Monate; Gehen mit Unterstützung 5.9 bzw.
Motorische Assessments in den ersten
beiden Lebensjahren
Sebastian Grunt 1, Ruth Stauffer Lacorcia 2, Sandra Frauchiger 2
1 Abteilung Neuropädiatrie, Entwicklung und Rehabilitation, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Bern2 Institut für Physiotherapie, Schwerpunkt Pädiatrie, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Bern
13.7 Monate, selbst st ändiges Stehen 6.9 bz w.
16.9 Monate und freies Gehen 8.2 bzw. 17.6
Monate
1.
Wir gehen davon aus, dass die Leser des vor –
liegenden Artikels mit den Grundsätzen der
motorischen Entwicklung der ersten beiden
Lebensjahre vertraut sind. Ein verzögertes
Erreichen motorischer Meilensteine oder eine
von der Norm abweichende motorische Ent –
wicklung kann einfach in der Anamnese und
klinischen Untersuchung festgestellt werden.
Jedoch zeigen sich in jeder einzelnen Phase
der motorischen Entwicklung qualitative Un –
ter schie de, die schw ier ig zu er f as sen sind. Im
vorliegenden Artikel sollen Voraussetzungen
für eine optimale Erfassung der Motorik in den
ersten beiden Lebensjahren beschrieben wer –
den und es sollen einzelne standardisierte
motorische Assessments aufgezeigt werden.
Der Artikel basiert auf der persönlichen Erfah –
rung der Autoren und ist als Ergänzung zur
Fachliteratur gedacht. Der Artikel gibt Praxis
–
tipp
s für die frühkindliche motorische Unter –
suchung sowie eine Beschreibung von 4 be-
kannten Assessment-Tools mit ihrer
Wertigkeit für die Früherkennung von motori –
schen Defiziten in speziellen Risikogruppen.
Wichtige Aspekte für die Beobach-
tung und Beurteilung der Motorik
Untenstehend werden einzelne Aspekte zu –
sammengefasst, welche für die Beobachtung
und die Beurteilung der Motorik bei Säuglin-
gen und Kleinkindern gemäss den Autoren
allgemein gültig sind und wenn immer möglich
beachtet werden sollten. Es handelt sich um
Erfahrungswerte aus dem klinischen Alltag.
Die hier beschriebenen Aspekte sind unab –
hängig davon, ob bei der Untersuchung ein
standardisiertes Testverfahren verwendet
wird oder nicht. Manche Testverfahren for –
dern klar festgelegte Untersuchungsbedin –
gungen, die bei der Verwendung der Tests
streng beachtet werden sollen. Diese werden
hier jedoch nicht beschrieben. Umgebung
Die motorische Untersuchung findet in den
meisten Fällen in der Kindearztpraxis statt –
und spiegelt demnach nicht immer das Ver
–
halten im Alltag wider. Die Umgebung sollte
das Kind ermutigen, sein bestmögliches Be-
wegungsrepertoire zu zeigen. Entsprechend
muss die Umgebung so gestaltet werden,
dass das Kind nicht gestört wird und äussere
Einflüsse sich nicht auf das motorische Ver-
halten des Kindes auswirken. Ablenkungen,
wie zum Beispiel Geräusche oder starke
Lichtquellen sollten vermieden werden. Die
Umgebungsbedingungen sollten so angenehm
und gleichbleibend wie möglich sein. Wichtig
ist es, bei der Untersuchung auf eine ange-
passte Temperatur (allenfalls Wärmelampe)
zu achten. Ob die Untersuchung auf einer
Untersuchungsliege oder auf einer sich am
Boden befindenden Matte stattfindet, ist je
nach Entwicklungsstand des Kindes unter –
schiedlich. Die Unterlage sollte jedoch immer
aus einer genügend grossen und sicheren
horizontalen Unterlage bestehen, welche der
Spontanmotorik des Kindes keine äusseren
Grenzen setzt.
Vorbereitung
Das K ind sollte so wenig K leidung w ie möglich
tragen, damit die Spontanmotorik möglichst
gut beobachtet werden kann und die Bewe –
gungen nicht eingeschränkt werden. Wir
empfehlen – wenn immer möglich, die moto –
rische Untersuchung beim nackten oder ledig –
lich in Windeln gekleideten Kind durchzufüh –
ren. Das Kind sollte während der ganzen
Beobachtungssituation in einem wachen und
entspannten Zustand sein. Die Spontanmoto –
rik beim weinenden oder schlafenden Kind
erlaubt keine zuverlässige Beurteilung. Eben –
f alls is t es nicht zu empfehlen, die B eur teilung
bei einem akut erkrankten Kind durch zu
führen. Falls möglich sollte das Kind keinen
Schnuller im Mund haben.
Untersucher
Der Untersucher sollte das Beurteilungs-/
Beobachtungsverfahren gut kennen und all –
fälliges Testmaterial sollte griffbereit liegen.
Er sollte behutsam mit dem Kind umgehen
und wissen, wie er den kleinen Patienten zur
Kooperation gewinnen kann. Er erklärt den
Bezugspersonen, welche Beobachtungen ge –
macht werden und gibt ihnen nach abge –
schlossener Untersuchung in verständlichen
Worten kurz Bericht zu den Ergebnissen.
1Prof. ffRTofaff.bin
13
Fortbildung Neuropädiatrie
Dokumentation
Im Allgemeinen erfolgt die Dokumentation
klinischer Untersuchungsbefunde schriftlich
in der Krankenakte des jeweiligen Patienten.
Dies ist gerade bei der motorischen Untersu-
chung oftmals anspruchsvoll – da vor allem
qualitative Aspekte in der Spontanmotorik
des Kindes sprachlich schwierig zu beschrei –
b en sind. Es emp fiehlt sich immer nach einem
gleichen Schema vorzugehen und einzelne
Beobachtungskriterien in der gleichen Abfol –
ge zu dokumentieren. Einzelne Testverfahren
fordern hier eine genau definierte Klassifika –
tion, die jedoch bei keinem der weiter unten
beschriebenen Testverfahren vollständig ist.
Mögliche Beobachtungskriterien (kein be –
stimmtes Testverfahren) sind:
•
Au
sgangsstellung (Rücken- oder
Ba
uchlage)
•
Spo
ntanhaltung, Auflagefläche,
Kö
rperschwerpunkt, Symmetrie, Alignment
•
Spo
ntane Beweglichkeit
•
To
nus an Stamm und Extremitäten
•
Qu
antität der Bewegungen, Grenzsteine
der
Entwicklung
•
Qu
alität der Bewegungen, Variabilität,
Ko
mplexität, Flüssigkeit, Ökonomie
Neben der schriftlichen Dokumentation emp –
fehlen die Autoren wenn immer möglich eine
Dokumentation mittels Videoaufnahmen.
Assessments
Sowohl in der klinischen Routine in der Kin-
derarztpraxis, als auch in der neuropädiatri –
schen und/oder entwicklungspädiatrischen
Spezialambulanz ist die motorische Entwick –
lungsbeurteilung während der frühen Kindheit
von grosser Wichtigkeit. Die Untersuchung
der Motorik gehört zum Standard der kinder –
ärztlichen Routineuntersuchungen und soll
ermöglichen, Kinder mit allfälligen (motori –
schen) Entwicklungsproblemen bereits in ei –
nem f r ühen St adium zu er f as sen. So kann das
Kind – wenn notwendig – für eine genauere
neurologische Beurteilung dem Spezialisten
zugewiesen werden und eine Förderung der
Entwicklung frühzeitig in die Wege geleitet
werden. Andererseits werden Kinder mit er –
höhtem Risiko für spätere Entwicklungspro –
bleme – wie beispielsweise ehemals frühge –
borene Kinder und Kinder mit angeborenen
Herzfehlern – in genau determinierten Follow-
Up-Untersuchungen nachbetreut. Als Beispiel
für Follow-Up-Untersuchungen wurde das
Nachsorgeprogramm für hochrisikogeborene
Neugeborene der schweizerischen Gesell –
schaft für Neonatologie, der schweizerischen
Gesellschaft für Entwicklungspädiatrie und der schweizerischen Gesellschaft für Neuro
–
pädiatrie 2014 in der Paediatrica detailliert
beschrieben
2. Ähnliche Nachsorgeprogramme
bestehen für verschiedene Risikopopulatio –
nen in anderen Nationen. Diese Nachsorge –
untersuchungen dienen einerseits der indivi –
duellen klinischen Evaluation einzelner Kinder
aber auch als Qualitätskontrolle. Zudem sol-
len sie ermöglichen, auf einer wissenschaft –
lich fundierten Basis Erkenntnisse über die
spätere Entwicklung der entsprechenden Ri –
sikopopulation zu gewinnen.
Für diesen Zweck sind die in der Kinderarzt-
praxis normalerweise durchgeführten – nicht
standardisierten – klinischen Untersuchungen
leider nicht ausreichend. Aus diesem Grund
wurden eine Vielzahl von standardisierten
Untersuchungsmethoden entwickelt, die die
motorische Entwicklung beim Kind in den
ersten beiden Lebensjahren gezielt erfassen
und beurteilen. Eine umfassende Übersicht zu
den einzelnen Untersuchungsmethoden findet
sich beispielsweise in den beiden systemati –
schen Reviews von Spittle et al
3. und Heine –
mann et al 4. Die Assessment-Instrumente
unterscheiden sich teilweise wesentlich in
ihrer Machart, ihren psychometrischen Testei –
genschaften und ihrer Voraussagekraft für
spätere neurologische Störungen. So können
Testverfahren in vier verschiedene Kategorien
eingeteilt werden.
1. Umfassende standardisierte neurologische Untersuchungstechniken (z. B. die Ham –
mersmith Infant Neurological Examination)
2. Assessments basierend auf der Dokumen –
tation von Meilensteinen (z. B. die Alterta
Infant Motor Scale)
3. Verfahren mit standardisiertem Scoring der Motorik (z. B. die Bayley Scales of Infant
Development)
4. Die standardisierte Beobachtung der Bewe –
gungsqualität und – muster (z. B. das Gene –
ral Movement Assessment)
3,4
Eine systematische Literaturübersicht konnte
aufzeigen, dass die Methoden, welche auf
einer standardisierten neurologischen Unter –
suchung basieren, eine gute prädiktive Validi –
tät zur Früherfassung neurologischer Entwick-
lungsstörungen – wie beispielsweise einer
Cerebralparese – aufweisen, aber dass ihre
prädiktive Aussagekraft für leichtere motori –
sche Entwicklungsstörungen – wie beispiels –
weise einer «Developmental Coordination
Disorder» mässig ist. Die beste prädiktive
Wer tigkeit weisen Metho den au f, die au f einer
standardisierten Beobachtung der Bewe -gungsqualität und –muster basieren. Diese
sind je doch nur b ei Säuglingen unter 4 Mona
–
ten anwendbar
4.
Untenstehend werden wir kurz 4 verschiede –
ne Methoden vorstellen, mit welchen die frü –
he motorische Entwicklung standardisiert
erfasst werden kann. Diese dienen als jewei –
liges Beispiel der oben erwähnten Kategorien.
Die Auswahl der vier Assessments erfolgte
aufgrund persönlicher Präferenzen und klini –
scher Erfahrung der Autoren. Es ist weder das
Ziel eine umfassende Darstellung aller
Assess
men
t-Methoden wiederzugeben, noch
eine umfassende Übersicht der einzelnen
Methoden zu vermitteln. Dazu sei auf die re-
ferenzierte Literatur sowie auf Tabelle 1 ver-
wiesen.
Hammersmith Infant Neurological
Examination (HINE)
5
Die HINE basiert auf einem Scoring-System
von insgesamt 26 Items, welche einzelne As –
pekte der neurologischen Untersuchung, wie
zum Beispiel den Hirnnervenstatus, die Kör –
perhaltung, den Muskeltonus, die Spontanbe –
wegungen und die Muskeleigenreflexe beur –
teilen. Die einzelnen Items werden mit Hilfe
von Formularen und Grafiken eingezeichnet
und helfen so dem Kliniker auf eine einfache
und standardisierte Weise die neurologische
Untersuchung zu protokollieren. Die HINE ist
einfach durchzuführen und für jeden Kliniker
erlernbar. Die Untersuchungsdauer dieses
Testverfahrens beträgt etwa 10 Minuten. Die
HINE war ursprünglich als klinisches Instru-
ment und nicht für wissenschaftliche Zwecke
entwickelt worden. Die Testentwickler be –
schrieben aber später – basierend auf Reihen –
untersuchungen gesunder Kinder – einen
«Optimality Score», welcher auch in wissen –
schaftlichen Arbeiten zunehmend Anwendung
fand. Mit der HINE können K inder im A lter von
2 bis 24 Monaten untersucht werden. Seit
dessen Einführung wurde der HINE zur Unter –
suchung von unterschiedlichen Risikopopula –
tionen verwendet, wie beispielsweise ehe –
mals Frühgeborene oder Kinder nach
neonataler Asphyxie. Eine kürzlich veröffent-
liche systematische Literaturübersicht be –
fasste sich eingehend mit den Testeigenschaf –
ten der HINE bei der Früherkennung von
Kindern mit einer Cerebralparese
6. Es konnte
gezeig t werden, dass die HINE ein zuverlässi –
ges Instrument zum Assessment von Kindern
mit erhöhtem Risiko für eine Cerebralparese
dar stellt . Die HINE er möglicht es , Fr ühzeichen
einer Cerebralparese bei Kindern mit neona –
talen Hirnläsionen zu erkennen und erlaubt
1Prof. ffRTofaff.bin
14
Fortbildung Neuropädiatrie
Klassifikation BeschreibungAlters-
kategorieZeitdauer
Prädiktive
ValiditätReliabilität
Bemerkung für die
Praxis
AIMS Dokumentation von
Meilensteinen Meilensteine in 58 Items
in 4 verschiedenen
Haltungen, basiert
auf Zeichnungen,
kontinuierliche Variablen 0 Mte –
selbst.
Gehen
15 Min
MässigIntrarater: Sehr
gut
Interrater: Sehr
gut Kann gut in der
Kinderarztpraxis
abgewendet werden,
kann einfach erlernt
werden, spezifische
Schulungen werden
angeboten
Amiel-
Tison Neurologische
Untersuchung Standardisierter
Neurostatus
(Hirnnervenstatus,
Tonus, Reflexe etc..),
kategorische Variablen 0 Mte – 6
Jahre
10 Min
GutIntrarater: Nicht
untersucht
Interrater: Mässig Kann als Ergänzung
zum «klassischen
Neurostatus», in der
Praxis angewendet
werden. Braucht
jedoch spezifische
Schulung.
BSID-II Standardisiertes Scoring Motor Scale: 81
items mit grob- und
feinmotorischen
Aufgaben,
kontinuierliche Variablen 1 Mte – 3.5
Jahre
15 – 20 Min (nur
motor scale) Keine Angaben Intrarater: Nicht
untersucht
Interrater: Gut Ganze Testbatterie
zu aufwändig für die
Kinderarztpraxis.
Motorische Subskalen
können in der Praxis
angewendet werden.
Testutensilien sind
jedoch aufwändig
und teuer und nicht
separat für motorische
Skala erhältlich.
GMA Strukturierte Beobachtung Assesment der
Variablität und
Komplexität von
Spontanbewegungen,
kategorische Variablen 0 Mte – 4
Mte
3-10 Minuten
Videoaufzeichnung,
Bewertung ca. 10-
15 Min Gut bis sehr gut Intrarater: Sehr
gut
Interrater: Sehr
gut Kann gut in der
Kinderarztpraxis
abgewendet
werden, spezifische
Schulungen werden
angeboten, braucht
jedoch viel Übung und
fachlichen Austausch
HINE Neurologische Untersuchung Standardisierter
Neurostatus
(Hirnnervenstatus,
Tonus, Reflexe etc..),
kategorische Variablen,
kategorische Variablen 2 Mte – 24
Mte
ca .10 Min
GutIntrarater: Nicht
untersucht
Interrater: Sehr
gut Kann als Ergänzung
zum «klassischen
Neurostatus», in der
Praxis angewendet
werden. Braucht
jedoch spezifische
Schulung.
Infanib Standardisiertes Scoring Standardisierte klinische
Untersuchung mit 20
Items in verschiedenen
Kategorien (zB. Tonus,
Vestibuläre Funktion,
Kopfkontrolle),
kategorische Variablen 1 Mte – 18
Mte
Einige Minuten Mässig
Nicht untersucht Kann als Ergänzung
zum «klassischen
Neurostatus», in der
Praxis angewendet
werden. Braucht
jedoch spezifische
Schulung. Die Autoren
haben selber keine
Erfahrungen mit
diesem Test.
MAI Standardisiertes Scoring 65 Items in 4 Kategorien
(Reflexe, automatische
Bewegungen,
Willkürbewegungen,
Tonus), kontinuierliche
Variablen 0 – 12 Mte 20 – 30 Min Mässig
Intrarater: Mässig
Interrater: MässigZu aufwändig für die
Kinderarztpraxis
Muscle
Power Standardisierte
neurologische
Untersuchung Standardisierter
Neurostatus mit
speziellem Augenmerk
auf passiven und aktiven
Muskeltonus 3 – 12 Mte Keine Angaben Gut
Nicht untersucht Die Autoren haben
keine Erfahrungen mit
diesem Test
NBI Standardisiertes Scoring 120 Items in den
Subkategorien Tonus,
Bewegungsqualität,
orale Motorik, Reflexe
und motorische
Entwicklungsschritte,
kont. Variablen 0 Mte – 12
Mte
Keine Angaben Keine Angaben Nicht untersucht Zu aufwändig für die
Kinderarztpraxis.
Die Autoren haben
keine Erfahrungen mit
diesem Test
1Prof. ffRTofaff.bin
15
Fortbildung Neuropädiatrie
Ta b e l l e 1: Testeigenschaf ten und B eschr eibung einzelner Test ver f ahr en. Diese Tab elle b er uht au f dem A r tikel von Heinemann et al 4 und hat nicht
den Anspruch komplett zu sein. Weitere Testverfahren sind in den übrigen Referenzen erwähnt
PDMS-
2 Standardisiertes
Scoring Grob- und
feinmotorische Skala
mit verschiedenen
Subkategorien (Reflexe,
Fortbewegung,
Objektmanipulation \h
etc.), kontinuierliche
Variablen 0 Mte – 6
Jahre
45 – 60 Min Mässig
Intrarater: Nicht
untersucht
Interrater: Sehr
gutZu aufwändig für die
Kinderarztpraxis.
Gutes Tool für
wissenschaftliche
Zwecke.
PRP 9 standardisiert erfasste
Primitivreflexe, kont.
Variablen0 – 24 Mte Keine Angaben Keine Angaben Intrarater: Nicht
untersucht
Interrater: GutDie Autoren haben
keine Erfahrungen mit
diesem Test
SOMP-I Strukturierte Beobachtung der
Motorik 13 kontininierliche
Skalen für jeden
einzelnen Körperteil,
den ganzen Körper,
die Fortbewegung
in verschiedenen
Positionen (Bauchlage,
Rückenlage, stehend,
Gehend) 0 Mte – 10
Mte
Keine Angaben Keine Angaben Intrarater: Mässig
Interrater: GutZu aufwändig für die
Kinderarztpraxis
TIME Standardisiertes Scoring 5 Subtests in
den Kategorien
Mobilität, motorische
Organisation, Stabilität,
social-emotionales
Verhalten, funktionelle
Performance,
fokussiert auf
Bewegungsübergängen,
kontinuierliche Variablen 4 Mte – 3.5
Jahre
10 – 55 Min Keine Angaben Intrarater: Nicht
untersucht
Interrater: Sehr
gutZu aufwändig für die
Kinderarztpraxis
TIMP Strukturierte Beobachtung der
Motorik 42 verschiedene Items
in unterschiedlichen
Bereichen, kont.
Variable 0 – 4 Mte Keine Angaben Gut
Intrarater: Nicht
untersucht
Interrater: GutZu aufwändig für die
Kinderarztpraxis
Touwen Standardisierte neurologische
Untersuchung Standardisierter
Neurostatus
(Hirnnervenstatus,
Tonus, Reflexe etc..),
kategorische Variablen 0 Mte –
selbst.
Gehen
15 Min
GutNicht untersucht Kann als Ergänzung
zum «klassischen
Neurostatus», in der
Praxis angewendet
werden. Braucht
jedoch spezifische
Schulung.
AIMS = Alberta Infant Motor Scale, Amiel-Tison = Amiel-Tison neurological examination ; BSID = Bayley Scales of Infant Development; HINE = Hammersmith
Infant Neurological Examination, GMA = General Movement Assessment, Ifanib = Infant neurological international battery, IMP = Infant Motor Profile, MAI =
Movement Assessment of Infants, Muscle Power = Active and Passive Muscle Power, PDMS = Peabody Developmental Motor Scales, SOMP = Structured Obser –
vation of Motor Per formance, TIME = Toddler and Infant Motor Evaluation, TIMP = Test of Infant Motor Per formance, Touwen = Touwen Infant Neurological Exa –
mination
die Unterscheidung von permanenten und
transienten neurologischen Auffälligkeiten 6.
Die Testeigenschaf ten der HINE sind in Tab el –
le 1 näher aufgeführt.
Alberta Infant Motor Scale (AIMS)
7
AIMS ist ein bereits anfangs der 90er Jahre
entwickeltes, oft auch in der pädiatrischen
Physiotherapie verwendetes standardisiertes
Assessment der frühen motorischen Entwick –
lung. Die Metho de basier t au f einer B eobach –
tungsskala motorischer Meilensteine der Ent –
wicklung in vier verschiedenen Positionen (liegend in Bauchlage, liegend in Rückenlage,
sitzend und stehend) und umfasst insgesamt
58 verschiedene Items. Die Methode kann
von Geburt bis zum Alter von 18 Monaten
angewendet werden. Zur Vereinfachung der
Durchführung liegen – ähnlich wie bei der
HINE – grafische Darstellungen vor, die die
Dokumentation erleichtern. Zur Veranschau
–
lichung können die Resultate der jeweiligen
Messungen in Perzentilenkurven eingetragen
werden und so der individuelle Entwicklungs –
verlauf des untersuchten Kindes dargestellt
werden. Die Methode ist einfach zu erlernen und es werden keine spezifischen Materialien
benötigt. Neben dem gut verständlichen Ma
–
nual werden Kurse angeboten, in welchen die
Methode gezielt erlernt werden kann. Die
Durchführung dauert etwa 30 Minuten.
Die AIMS wurde wiederholt als Assessment-
Methode in einer grossen Zahl klinischer
Studien in den unterschiedlichsten Populati –
onen verwendet. Beispielsweise wurden ehe –
mals frühgeborene Kinder, Kinder mit ange –
borenen Herzfehlern und Kinder mit
Schädeldeformitäten mit der AIMS nachunter –
1Prof. ffRTofaff.bin
16
Fortbildung Neuropädiatrie
sucht. Die AIMS weist eine gute intra- und
interrater Reliabilität mit eher mässiger prä-
diktiver Validität auf. Die Testeigenschaften
der AIMS sind in Tabelle 2 näher aufgeführt.
Bayley Scales of Infant Development
(BSID)
8,9
Die BSID ist ein umfassender Entwicklungs –
test zur Ent w icklungs diag nostik in den er sten
Lebensjahren. Ihre ursprüngliche erste Versi –
on wurde von der Psychologin Nancy Bayley
entwickelt und erstmals 1969 veröffentlicht.
Die z weite Ver sion ( B SID – II ) w ur de 1993 üb er –
arbeitet. Die BSID -II umfasst eine kognitive
Skala (mental scale) und eine motorische
Skala ( motor scale ) . 20 06 er schien die er neut
überarbeitete Testversion – die Bayley Scales
of Infant and Toddler (BSID -III). Im Vergleich
zur BSID -II ist die BSID -III ausführlicher und
differenzierter. Neben der kognitiven und der
motorischen Skala wurden zusätzlich eine
Sprachskala und eine Skala für die sozial-
emotionale Entwicklung eingeführt. Für die
BSID -III besteht auch eine deutsche Normie-
rung. In jedem der fünf Untertests der Bayley-
III sind die nach Schwierigkeit angeordneten
Aufgaben dem Kind in einer vorgegebenen
Reihenfolge vorzugeben. Altersbezogene
Startpunkte sowie Umkehr- und Ausstiegsre –
geln ermöglichen eine differenzierte und zu –
gleich ökonomische Erhebung des Entwick –
lungsstandes des Kindes. Die Reihenfolge der
Untertests kann den Bedürfnissen des Kindes
angepasst werden.
Für die Auswertung liegen Vergleichswerte
nicht beeinträchtigter Kinder für 17 Alters –
gruppen vor. Die Zeitdauer für die Durchfüh –
rung des BSID -III ist abhängig vom Alter und
der Kooperation des Kindes und von der Er –
fahrung des Untersuchers. Die Testung kann
jedoch bei älteren Kindern über eine Stunde
andauern und erfordert viel von Kind und
Untersucher.
Die BSID gelten als internationaler Goldstan –
dard in der Entwicklungsdiagnostik bei Kin –
dern mit erhöhtem Risiko für Entwicklungsstö –
rungen. Sie wurden als Outcome-Parameter in
z a
hlreichen klinischen Studien verwendet.
Auch in der Schweiz wird die BSID -III bei der
Nachsorge von ehemals frühgeborenen Kin –
dern und Kindern, die unter einer perinatalen
A s
phyxie litten beim 2 Jahres Follow-Up als
Testverfahren eingesetzt
2. Dies ermöglicht
einen Vergleich der Resultate verschiedener
internationaler Studien untereinander. Trotz
seiner umfassenden Anwendung zeigt der BSID-III aber Limitierungen bei der motori
–
schen Untersuchung. Der Test wurde nicht als
T e
st zur Früherfassung von neurologischen
Auffälligkeiten oder Entwicklungsstörungen
entwickelt. Die Autoren haben selber entspre –
chend auch wenig klinische Erfahrung in der
A n
wendung des BSID-III in den ersten Lebens –
monaten und in der Literatur bestehen kaum
A n
gaben bezüglich seiner prädiktiven Wertig –
keit für spätere neurologische Störungen
3,4.
Der BSID-III wird demnach meist auch nicht
als Testverfahren für die Motorik alleine ein –
geset z t , sonder n eher um ein globales B ild der
E n
twicklung des Kindes in den verschiedenen
Bereichen darzustellen. Deshalb wird der
BSID -III von den Autoren nicht als Tool für die
Frühdiagnostik der Motorik empfohlen.
General Movements Assessment
(GMsA) 10
Das GMsA wurde erstmals Ende der 70er
Jahre von Heinz Prechtl beschrieben. Die
Methode beruht auf der Beobachtung von
Spontanbewegungen von Neugeborenen und
Säuglingen. General Mouvements (GMs) sind
spontan auftretende, ungerichtete Bewegun –
gen des gesamten Körpers in einer variablen
Abfolge von Bewegungen im Bereich von Kopf,
Rumpf, Armen und Beinen. Die Bewegungen
sind variabel im räumlichen und zeitlichen
Ausmass und sehen durch Rotationsbewegun-
gen flüssig und elegant aus. GMs verändern
sich mit der zunehmenden Reifung des Säug –
lings. Sie treten bereits intrauterin ab der 9.-
10. SSW auf. Man unterscheidet fetale GMs
(vor der 24. SSW), «Preterm GMs» (zwischen
der 24. und 37. SSW; sehr variable und kom-
plexe Bewegungen, oft schnell mit hoher
Amplitude), «Writhing Movements» (zwischen
37. SSW und 8 Wochen nach G ebur t ; kr af t vol –
le, windende Bewegungen, langsamer und mit
weniger hoher Amplitude als die preterm
GMs) und «Fidgety Movements» (zwischen 8
und 16 Wochen nach Geburt; kleine, feine,
tänzelnde Bewegungen mit moderater Ge –
schw indigkeit ) . Die G Ms wer den je nach Per i –
ode gemäss ihrer Qualität und ihrer Variabili –
tät in einzelne Kategorien eingeteilt. Bei den
«Fidgety Movements» werden beispielsweise
Kinder mit normalen, abnormalen und fehlen –
den «Fidgety Movements» unterschieden.
Das GMsA wird in vielen Zentren zur neurolo –
gischen Frühdiagnostik von Risikokindern
eingesetzt. Die Spontanbewegungen der
Säuglinge werden gemäss einem standardi –
sierten Protokoll auf Video aufgezeichnet. Die
Auswertung findet anhand der Videoaufzeich -nungen st at t und die B ewer tung der Sp ont an
–
bewegungen erfordert Übung und Erfahrung.
Die Untersuchung dauert etwa 10 bis 15 Mi-
nuten. Die Entwickler der Methode bieten
regelmässig Kurse an, in welchen das Asses-
sment erlernt werden kann. Zahlreiche wis –
senschaftliche Arbeiten befassten sich vor –
wiegend mit der Frage der prädiktiven
Wertigkeit der GMs-Analyse für spätere Ent-
wicklungsstörungen wie beispielsweise einer
Cerebralparese. Die Analyse zeigt eine hohe
prädiktive Wertigkeit mit einer Sensibilität bis
zu 100 % für die spätere Diagnosestellung ei-
ner Cerebralparese
3 , 4 ,1 0 ,11 . Die meisten Studi –
en berichten über eine gute interrater Varia –
bilität (Referenzen)
3 , 4 ,11 – wenngleich eine
Studie aus der Klinik der Autoren deutlich
weniger zuverlässige Daten bezüglich Reliabi –
lität zeigte
12.
Diskussion
Die frühzeitige Diagnosestellung von Bewe –
gungsstörungen während der frühen motori –
schen Entwicklung ist aus verschiedenen
Gründen wichtig im pädiatrischen Alltag. Die
Verbesserung der intensivmedizinischen
Massnahmen bei frühgeborenen Kindern so –
w ie b ei K inder n mit neonat aler Asphy x ie f ühr t
dazu, dass zunehmend grössere Populationen
von Kindern mit erhöhtem Risiko für Bewe-
gungsstörungen gezielt nachuntersucht wer –
den müssen. Wenn immer möglich sollen
Kinder mit motorischen Auffälligkeiten bereits
in einem frühen Stadium von einer gezielten
Förderung der Entwicklung profitieren kön –
nen. Frühinterventionen haben einen positi –
ven Effekt auf die kognitive und motorische
Entwicklung. Auch wenn bisher die Evidenz
der lang fristigen Wirksamkeit von breit ange –
legten Frühinterventionen auf die motorische
und kognitive Entwicklung limitiert ist, aus
neurophysiologischer Sicht ist davon auszu –
gehen, dass diejenigen Kinder, welche eine
Therapie tatsächlich benötigen, mehr profitie-
ren, wenn die Therapie möglichst früh be-
ginnt
13.
Deshalb ist es notwendig, bereits in einem
frühen Stadium auffällige Kinder mit einem
hohen Risiko für spätere neurologische Prob –
leme zu diagnostizieren. Allerdings sind die
neurologischen Befunde auch bei Kindern,
welche zu einem späteren Stadium eine
schwere Bewegungsstörung entwickeln, in
der frühen Säuglingszeit unspezifisch und
oftmals schwierig zu diagnostizieren.
Im Vorsorgemanual der Schweizerischen Ge –
sellschaft für Pädiatrie (SGP) sind einzelne
Untersuchungsbestandteile der motorischen
1Prof. ffRTofaff.bin
17
Fortbildung Neuropädiatrie
Entwicklung in den ersten beiden Lebensjah-
ren sehr gut beschrieben (
http://www.swiss-
paediatrics.org/sites/default/files/mitglieder/
checklisten/pdf/checklisten_201204_d_
office.pdf ). Den Autoren des vorliegenden
Artikels ist bewusst, dass die vorgestellten
Assessments oft die zeitlichen Ressourcen in
der Kinderarztpraxis übersteigen und für die
Routinediagnostik auch nicht empfohlen sind.
Die beschrieben Assessments sind demnach
auch nicht als Standardinstrumente für die
Reihenuntersuchung gesunder Kinder ge –
dacht, sondern stellen vielmehr Instrumente
zur gezielten Untersuchung von Risikokindern
dar. In der Kinderarztpraxis finden diese Ins
–
tr
umente nur in Einzelfällen Anwendung. Sie
erset zen in keinem Fall eine fundier te pädiat –
rische und kinderneurologische Untersu –
chung. So empfehlen wir Kinder mit eindeutig
pathologischen Befunden im Neurostatus,
deutlicher motorischer Entwicklungsverzöge –
rung, Hinweisen auf eine fehlende motorische
Entwicklung oder gar eine motorische Ent –
wicklungsregression in eine Spezialambulanz
zuzuweisen.
Trotz der Vielfalt der Auswahl weisen sämtli-
che Instrumente neben vielen Vorteilen auch
Nachteile auf. Gerade bei der Frühdiagnostik
ist die prädiktive Wertigkeit bei sämtlichen
Instrumenten eingeschränkt. Das heisst, dass
die frühzeitige Diagnosestellung von Bewe –
gungsstörungen im Säuglingsalter immer mit
grosser Vorsicht durchzuführen ist. Die Bera –
tung der Eltern sollte nicht nur auf den Unter –
suchungsresultaten der angewendeten Test –
verfahren beruhen, sondern immer auch auf
einer fundierten neurologischen Untersu –
chung, sowie der Beurteilung von Zusatzun –
tersuchungen, wie beispielsweise zerebraler
Bildgebung. Viele der Testverfahren sind
zeitlich aufwändig und erfordern viel Erfah –
rung. Eine Kooperation zwischen Kinderphy –
siotherapie und den jeweiligen Ärzten in den
Spezialsprechstunden ist demnach unabding –
bar. O b und wann ein K ind von einer Inter ven –
tion profitiert, kann nie alleine durch ein
Testverfahren beantwortet werden. Neben
den klinischen Befunden und der Anamnese
sind für die Indikationsstellung einer Förde –
rung immer auch weitere Aspekte wie z. B.
Kenntnisse des psychosozialen Umfelds not –
wendig.
Schlussfolgerung
Die Evaluation der motorischen Entwicklung
in den beiden ersten Lebensjahren hat einen
grossen Stellenwert in der Pädiatrie. Die Vor -sorgeuntersuchung in der Kinderarztpraxis
ermöglicht es, Auffälligkeiten der motori
–
schen Entwicklung zu erkennen und zu ent –
scheiden, wann ein Kind in eine Spezial –
sprechstunde zugewiesen werden soll. Aus
zeitlichen Gründen ist jedoch eine genaue
motorische Entwicklungsdiagnostik in der
K inder ar z tpr a x is of t nicht möglich. K inder mit
eindeutig pathologischen Befunden im Neu –
rostatus, sehr ausgeprägter Entwicklungsver-
zögerung oder Hinweisen auf eine Entwick –
lungsregression bedürfen einer
weiterführenden Abklärung und sollten in eine
Spezialambulanz zugewiesen werden. Ver –
schiedene Assessments ermöglichen eine
genauere und standardisierte Diagnostik der
Motor ik und damit auch eine Aus sage üb er die
Prognose hinsichtlich der späteren Entwick –
lung. Diese Testverfahren sind jedoch oft
zeitaufwändig und können nur durch spezi-
fisch geschultes Personal durchgeführt wer –
den.
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Korrespondenzadresse
Dr. med. Sebastian Grunt
Abteilung Neuropädiatrie,
Entwicklung und Rehabilitation
Universitätsklinik für Kinderheilkunde
Inselspital 3010 Bern
sebastian.grunt@insel.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert.
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Autoren/Autorinnen
PD Dr. Sebastian Grunt , Entwicklung und Rehabilitation, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital, Bern Ruth Stauffer Lacorcia Sandra Frauchiger Andreas Nydegger