Eine medikamentös bedingte Verlängerung der QT-Zeit im EKG wurde erstmals in den 60er Jahren unter antiarrhythmischer Behandlung mit Chinidin beobachtet. Seither wurde eine Vielzahl von Wirkstoffen mit dieser elektrokardiographischen Anomalie assoziiert, wobei einige davon auch bei pädiatrischen Patienten zum Einsatz kommen. Eine Verlängerung des QT-Intervalls kann zu ventrikulären Arrhythmien und letztlich zum plötzlichen Herztod führen. Gemeinsamkeit der Wirkstoffe, die eine Verlängerung der QT-Zeit bewirken, ist deren Einfluss auf die Ionenkanäle verantwortlich für die myokardiale Repolarisation.
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Einleitung
Eine medikamentös bedingte Verlängerung
der QT-Zeit im EKG wurde erstmals in den
60er Jahren unter antiarrhythmischer Be-
handlung mit Chinidin beobachtet. Seither
wurde eine Vielzahl von Wirkstoffen mit die –
ser elektrokardiographischen Anomalie as –
soziiert, wobei einige davon auch bei pädia –
trischen Patienten zum Einsatz kommen.
Eine Verlängerung des QT-Intervalls kann zu
ventrikulären Arrhythmien und letztlich zum
plötzlichen Herztod führen. Gemeinsamkeit
der Wirkstoffe, die eine Verlängerung der
QT-Zeit bewirken, ist deren Einfluss auf die Ionenkanäle verantwortlich für die myokar-
diale Repolarisation. Dazu gehören vor al
–
lem Antiarrhythmika, Antihistaminika, Anti –
biotika, Malariamittel und Psychopharmaka.
Die Anwendung psychotroper Wirkstoffe hat
in der Pädiatrie während der letzten Jahre
deutlich zugenommen. Sie werden in erster
Linie durch Pädiater, Allgemeinpraktiker und
Kinderpsychiater verschrieben, wobei diese
bisweilen nur über mangelnde Kenntnisse,
insbesondere betreffend die Sicherheit der
entsprechenden Wirkstoffe, verfügen
1). Im
Jahre 1999 wurden Empfehlungen der Ame –
rican Heart Association (AHA) betreffend die
kardiovaskuläre Überwachung von Kindern und Adoleszenten unter Medikation mit Psy-
chopharmaka publiziert
2). Seither wurden
viele neue Wirkstoffe eingeführt, die einen
potentiellen Einfluss auf das QT-Intervall
nehmen. In zeitlichem Zusammenhang damit
konnte eine Häufung von Fallberichten über
toxische Nebenwirkung beobachtet werden.
Eine Verlängerung der QT-Zeit stellt derzeit
die häufigste Ursache von Anwendungs –
einschränkungen sowie für den Rückzug
von Medikamenten vom Markt dar. Zu den
aktuellsten Beispielen gehören Wirkstoffe
wie Cisaprid, Terfenadin, Droperidol und
Sertindol
3).
Physiologie
Das Aktionspotential des Myokards wird
durch die komplexe Interaktion verschie –
dener Ionenströme über die Zellmembran
bestimmt (Abbildung 1). Die Depolarisation
erfolgt aufgrund des raschen Einstromes
von Na
+ und Ca ++ (Phase 0). Die Repolarisa –
tion beginnt mit einem kurzen Austritt von
K
+ (Phase 1), die Plateauphase (Phase 2)
wird durch einen prolongierten Einstrom von
Ca
++ und verschiedene Ausströme von K +
bestimmt. Diese Kaliumkanäle sind letztlich
für die Repolarisation verantwortlich und
werden aufgrund der Geschwindigkeit ihrer
Aktivierung sowie ihrer Leitfähigkeit in «sehr
schnell» (I
Kur, «ultra rapid»), «schnell» (I Kr, «ra –
pid») und «langsam» (I
Ks, «slow») unterteilt.
Der Kanal I
Kr wird durch verschiedene Wirk –
stoffklassen blockiert, was zu einer Verlang –
samung des Ausstromes von Kalium nach
extrazellulär und dadurch zu einer Verlän –
gerung der Repolarisation führt. Die grosse
Affinität dieser Wirkstoffe für besagten Ino –
nenkanal (I
Kr) wird durch dessen chemische
und strukturelle Besonderheiten erklärt 4).
Derselbe Ionenkanal ist beim LQTS2, der
häufigsten Form des kongenitalen Long-QT
Syndrom, impliziert.
Im Oberflächen-Elektrokardiogramm (EKG)
entsprechen der QRS-Komplex der Depola –
risation und die T-Welle der Repolarisation
des Herzmuskels. Entsprechend führt eine
Verzögerung der myokardialen Repolarisa –
tion zu einer Verlängerung des QT-Intervalls
(Abbildung 2). Bei verzögerter Repolarisa –
tion kommt es gehäuft zum Auftreten ven –
trikulärer Rhythmusstörungen, insbesonde –
re der sogenannten «Torsade de pointes» als
charakteristische Arrhythmie beim Long-QT
Syndrom. Dabei handelt es sich um eine po –
lymorphe, ventrikuläre Tachykardie, welche
durch wellenförmige Kammerkomplexe mit
Medikamente und Long-QT Syndrom
Nicole Sekarski, Tatiana Boulos, Stefano Di Bernardo
Pädiatrische Kardiologie, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne
Übersetzung: R. von Vigier, Bern
Abb. 2: Elektrokardiogramm: QT-Verlängerung bei 9jährigem Kind unter Risperidon und
zusätzlich Erythromycin bei Mykoplasmen- Pneumonie
Abb. 1: Aktionspotential des Herzmuskels
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variabler Amplitude und Rotation der QRS-
Achse gekennzeichnet ist (Abbildung 3).
Klinisch imponiert diese meist selbstlimitie –
rende Rhythmusstörung mit Palpitationen,
Schwindel, Synkopen und Krampfanfällen.
In 10 –17% der Fälle kann eine Torsade de
pointes-Tachykardie jedoch zum Kammer-
flimmern und plötzlichen Herztod führen.
EKG-Auswertung
Das QT-Intervall reicht vom Beginn der Q-
Zacke bis zum Ende der T-Welle (Abbildung
4). Fehlmessungen der QT-Zeit beruhen
meist auf der Schwierigkeit, das Ende der
T-Welle genau zu bestimmen, insbesondere
falls diese flach ist oder beim Vorliegen
einer U-Welle. Der Schnittpunkt einer Tan –
gente am absteigenden Schenkel der T-
Welle mit der isoelektrischen Linie gilt dabei
grundsätzlich als Endpunkt der T-Welle. Falls
die T- in eine U-Welle übergeht ohne zuvor
die isoelektrische Linie zu erreichen, so ist
diese zum QT-Intervall dazugehörend zu
rechnen
6). Die Dauer der QT-Zeit ändert sich
mit der altersabhängigen Ruheherzfrequenz.
Deshalb wird bevorzugt eine rechnerisch für
die Herzfrequenz korrigierte QT-Zeit (QTc)
angewendet, welche eine Beurteilung des
QT-Intervalls unabhängig von der Herzfre –
quenz erlaubt, ohne dass ein Nomogramm
verwendet werden muss. Zum bestmögli -chen Vermeiden von Messfehlern sollte
das QT-Intervall stets in den Ableitungen II
oder V5 bestimmt werden. Automatisierte
Elektrokardiographen bestimmen meist die
Intervalle QT und QTc; angesichts der stark
variablen Form der T-Welle empfiehlt es sich
jedoch diese Intervalle manuell zu kon trol-
lieren. Die am häufigsten verwendete Formel
zur Berechnung der frequenzkorrigierten QT-
Zeit (QTc) ist jene nach Bazett (Abbildung
4), welche jedoch bei Herzfrequenzen über
100/min. die QTc überschätzt.
Normwerte
Der obere Grenzwert der QTc beträgt 450
msec. für Männer beziehungsweise 460
msec. für Frauen
8). Die Beziehung zwischen
Dauer der QTc und dem Auftreten von Torsa –
de de pointes-Tachykardien ist jedoch nicht
linear. Beim kongenitalen Long-QT Syndrom
werden grosse intrafamiliäre Variationen
der QTc beobachtet. Weiterhin ist die QTc
alters- und geschlechtsabhängig und variiert
mit der Tageszeit, mit körperlicher Anstren -gung und den Mahlzeiten. Eine QTc > 500
msec. sowie eine Verlängerung der QTc >
60 msec. im Vergleich zu einer Voruntersu
–
chung vor Einführen einer medikamentösen
Therapie haben jedoch beide prädiktiven
Wert für das Auftreten von Torsade de poin –
tes-Tachykardien
8), 9) .
Risikofaktoren
Genetik
Mehrere Gene wurden mit dem konge –
nitalen Long-QT Syndrom in Verbindung
gebracht, wobei drei Loci für die Mehrheit
der beschriebenen Fälle verantwortlich
sind: LQTS1 (Chromosom 11p15.5), LQTS2
(Chromosom 7q35-36) und LQTS3 (Chro –
mosom 3q21-24). Klinisch werden zwei
Phänotypen unterschieden, das rezessiv
vererbte Jerwell-Lange-Nielson Syndrom
(assoziiert mit Schwerhörigkeit) sowie das
dominant vererbte Romano-Ward Syndrom
ohne Hör störung. Diese Syndrome äussern
sich durch Synkopen, unerklärte Krampfan –
fälle und plötzliche Todesfälle, ausgelöst
Abb. 3: Torsade de pointes: 14-jährige Pati –
entin mit dilatativer Kardiomyopathie bei
Myokarditis; Behandlung mit Amiodaron,
Dopamin und Domperidon
Abb. 4: Elektrokardiogramm: Bestimmung
von QT und QTc
kardiovaskulär Amiodaron Epinephrin/Norepinephrin
Disopyramid Flecainid
Dobutamin Midodrin
Dopamin Sotalol
Ephedrin
psychotrop Amitryptilin Methadon
Chloralhydrat Methylphenidat
Chlorpromazin Nortriptylin
Clozapin Olanzapin
Fluoxetin Risperidon
Haloperidol Sertralin
Imipramin
gastro-intestinal Domperidon Ondansetron
Octreotid
pulmonal Salbutamol Terbutalin
Salmeterol
antimikrobiell Erythromycin Levofloxacin
Clarithromycin Moxifloxacin
Azithromycin Trimethoprim-Sulfamethoxazol
Ciprofloxacin
antiviral Amantadin Foscarnet
antiparasitär Chloroquin Pentamidin
Mefloquin
antimykotisch Fluconazol Ketoconazol
Itraconazol
Varia Phenylephrin Tacrolimus
Phenylpropanolamin
Tabelle 1: Liste der wichtigsten Wirkstoffe mit QT-Verlängerung
(adaptiert nach www.qtdrugs.org )
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Inhibitor Substrat Inhibitor Substrat
1A2 Cimetidin Theophyllin 2D6
Fluoroquinolon Clozapin
Fluvoxamin Imipramin
Mexiletin
Naproxen
2C9 Amiodaron Diclofenac
Fluconazol Ibuprofen
Isoniazid Piroxicam
Tolbutamid
Glipizid 3A4,5,7
Irbesartan
Celecoxib
Fluvastatin
Naproxen
Phenytoin
Sulfamethoxazol
Warfarin
2C19 Fluoxetin Progesteron
Fluvoxamin Omeprazol
Ketoconazol Lansoprazol
Lansoprazol Pantoprazol
Omeprazol Diazepam
Phenytoin
Phenobarbital
Amitryptilin
Clomipramin
Cyclophosphamid
2D6 Amiodaron Metoprolol
Chlorpheniramin Propafenon
Cimetidin Timolol
Clomipramin Amitryptilin
Fluoxetin Clomipramin
Haloperidol Desipramin
Methadon Imipramin
Paroxetin Paroxetin
Quinidin Haloperidol
Ranitidin Risperidon
Ritonavir Thioridazin
Disulfiram Codein
Dextromethorphan
Flecainid
Mexiletin
Ondansetron
Tramadol
Venlafaxin
Paracetamol
Ethanol
Nortriptyline
Delaviridin Clarithromycin
Indinavir Erythromycin
Nelfinavir Quinidin
Ritonavir Alprazolam
Saquinavir Diazepam
Amiodaron Midazolam
Cimetidin Cyclosporin A
Clarithromycin Tacrolimus
Diltiazem Indivavir
Erythromycin Ritonavir
Fluvoxamin Saquinavir
Itraconazo Chlorpheniramin
Ketoconazol Amlodipin
Verapamil Diltiazem
Felodipin
Nifedipin
Verapamil
Atrovastatin
Simvastatin
Buspiron
Haloperidol
Methadon
Pimozid
Sildenafil
Trazodon
Vincristin
Tabelle 2: Wirkstoffe abhängig von CYP450
durch Angst, laute Geräusche, körperliche
Anstrengung, Schwimmen und Bradykar-
dien. Bei Kindern mit kongenitalem Long-
QT Syndrom können Wirkstoffe, die eine
zusätzliche Verlängerung des QT-Intervalls
bewirken, das Auftreten von Torsade de
pointes auslösen.
Geschlecht
Medikamentös induzierte Torsade de pointes-
Tachykardien treten beim weiblichen Gesch –
lecht gehäuft auf. Die Ursache ist bislang un –
geklärt, wobei hormonelle Einflussfaktoren
vermutet wurden
10).
Angeborene Herzvitien
Die Prävalenz von Reizleitungsstörungen
ist bei Patienten mit kongenitalen Vitien
(korrigiert und unkorrigiert) erhöht. Das
Risiko ventrikulärer Arrhythmien ist am
höchsten bei Patienten mit Fallot-Tetralo –
gie, mit univentrikulären Herzen sowie mit hypertropher und dilatativer Kardiomyopa
–
thie. Bei diesen Patienten ist entsprechend
besondere Vorsicht bei der Anwendung von
Wirkstoffen mit potentieller Verlängerung
des QT-Intervalls geboten.
Elektrolytstörungen
Hypokaliämie und Hypomagnesiämie ge –
hören zu den Risikofaktoren für das Auf –
treten von Torsade de pointes. Bereits
Kalium-Werte im unteren Normbereich
verringern den transmembranären Kalium-
Austausch und prädisponieren damit zum
Blockieren des Kanales I Kr. In Situationen
mit erhöhtem Risiko für das Auftreten
von Elektrolytstörungen – wie zum Beis –
piel Erbrechen und Durchfall, Therapie
mit Diuretika, reno- tubuläre Azidose und
Anorexia mentalis – ist deshalb auch be –
sondere Vorsicht bei der Anwendung von
Wirkstoffen mit potentieller Verlängerung
des QT-Intervalls geboten
11). Co-Medikation
Das Risiko von Torsade de pointes-Tachy-
kardien kumuliert bei Assoziation verschie
–
dener Wirkstoffe (zum Beispiel Neuroleptika
und Antidepressiva), die auch isoliert das
QT-Intervall verlängern
12).
Cytochrom P450 (CYP450)
Dieses System ist für die Oxidation und
den Metabolismus von mehr als 90% der
verwendeten Medikamente verantwortlich.
Es existieren viele Iso-Enzyme von CYP450,
wobei 3A4, 2C19, 1A2, 2C9 und 2D6 die fünf
wichtigsten Vertreter darstellen
13 ). Die Mehr-
zahl der Psychopharmaka sowie Makrolide,
Antimykotika und antiretrovirale Wirkstoffe
werden durch die hepatischen Iso-Enzyme
3A4 und 2D6 metabolisiert. Durch Kombi –
nation verschiedener Wirkstoffe, die durch
dieselben Stoffwechselwege abgebaut wer-
den, kann es zu kompetitiver Hemmung mit
konsekutiver Kumulation und Verlängerung
Fortbildung / Formation continue
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des QT-Intervalls kommen. Eine Aufzählung
der häufigsten verwendeten Wirkstoffe, die
von CYP450 abhängig sind findet sich in
Tabelle 2.
Medikamente
Eine Vielzahl von Medikamenten kann zur
Verlängerung der QT-Zeit führen (Tabelle 1),
wobei das «University of Arizona Center for
Education and Research on Therapeutics»
eine Datenbank zum Thema etabliert hat
(www.torsades.org und www.qtdrugs.org).
Die Verlängerung der QT-Zeit und damit
das Risiko für das Auftreten von Rhythmus –
störungen ist zumeist dosisabhängig, wobei
das Auftreten einer verzögerten Repola –
risation oft bereits bei normalen Plasma-
Spiegeln beobachtet werden kann.
Antiarrhythmika
Die arrhythmogene Nebenwirkung dieser
Wirkstoffe ist seit langer Zeit bekannt
14),
wobei davon vor allem Antiarrhythmika der
Klassen IA (Chinidin, Ajmalin), III (Sotalol,
Amiodaron) und seltener IC (Propafenon,
Flecainid) betroffen sind. Bei pädiatrischen
Patienten werden ausschliesslich Antiarrhy-
thmika der Klassen III und IC verwendet.
Antihistaminika
Fälle von Torsade de pointes wurden im Zu –
sammenhang mit Terfenadin und Astemizol
beschrieben. Die neuen Wirkstoffe wie Ceti –
rizin und Fexofenadin haben dagegen keine
arrhythmogene Nebenwirkung
15).
Antimikrobielle Wirkstoffe
Gewisse Antibiotika, Antimykotika (Keto –
conazol, Fluconazol), Malariamittel (Chlo –
roquin) und Proteaseinhibitoren (antiretro –
virale Wirkstoffe) können das QT-Intervall
verlängern. Bei den Antibiotika sind es vor
allem Erythromycin gefolgt von Clarithromy-
cin, die das QT-Intervall verlängern. Azithro –
mycin dagegen hat nur einen geringen Ein –
fluss und wurde bisher nie mit dem Auftre –
ten von Torsade de pointes-Tachykardien in
Verbindung gebracht
16 ).
Methadon
Dieses synthetische Opiat wird zur Schmerz –
therapie und zur Behandlung beim Entzugs –
syndrom eingesetzt. Im Gegensatz zu Mor-
phin, kann Methadon zu einer Verzögerung
der Repolarisation führen. Methadon wird
hepatisch (CYP450 3A4) metabolisiert, wo –
bei die lange Halbwertszeit das Auftreten hoher Plasma-Spiegel begünstigt. Rhythmus-
störungen (Torsade de pointes) unter Metha –
don sind oft durch gleichzeitige Verabrei –
chung mehrerer Wirkstoffe mit Einfluss auf
die QT-Zeit bedingt
17).
Psychopharmaka
Die Anwendung von Psychopharmaka hat in
der Pädiatrie während der letzten Jahre deut –
lich zugenommen. Sie werden nicht nur zur
Behandlung von Psychosen, sondern auch
bei anderen Erkrankungen wie Autismus,
Aufmerksamkeitsdefizit/-Hyperaktivitätss –
törungen, Gemütsstörungen und Verhalten –
sauffälligkeiten eingesetzt
18)–20) . Neuroleptika
können zu einer Verlängerung der QT-Zeit
führen. Insbesondere Phenothiazine, Buty-
rophenone und Pimozid sowie die atypis –
chen Neuroleptika wie Risperidon, Olanza –
pin, Chlorpromazin und Clozapin sind dafür
bekannt
21). Wenngleich weniger häufig bei
pädiatrischen Patienten eingesetzt, wurden
trizyklische Antidepressiva wie Desipramin,
Amitryptilin, Nortryptilin und Imipramin auch
mit QT-Verlängerung und Torsade de pointes-
Tachykardien in Verbindung gebracht. Ausser
bei gleichzeitigem Vorliegen weiterer Risiko –
faktoren, ist die Gefahr von Rhythmusstörun –
gen unter selektiven Serotonin-Wiederaufna –
hmehemmern (Sertralin, Fluoxetin) geringer.
Deshalb sind diese Wirkstoffe geeigneter zur
Behandlung von Depressionen bei Patienten
mit kardialen Erkrankungen
22), 23) . Obwohl Li –
thium verschiedene Arrhythmien auszulösen
vermag, wurden bislang keine Fälle einer
signi fikanten Verlängerung des QT-Intervalls
beobachtet
22).
Stimulantien
Keiner der aktuell gebräuchlichen Arznei –
stoffe mit stimulierender Wirkung (Methyl –
phenidat, (Dextro-)amphetamin, Pemolin)
führt zur QT-Verlängerung oder Torsade de
pointes-Tachykardien. Trotzdem können diese
Wirkstoffe verschiedene kardiale Neben –
wirkungen auslösen, insbesondere supra –
ventrikuläre Arrhythmien wie Sinusbrady-
und -tachykardien sowie weiterhin Auffällig –
keiten des ST-Segmentes und in gewissen
Fällen eine arterielle Hypertonie
24), 25) .
Im Jahre 1999 wurden Empfehlungen der
American Heart Association (AHA) betref –
fend die kardiovaskuläre Überwachung von
Kindern und Adoleszenten unter Medikation
mit Psychopharmaka publiziert
2). Dabei wur-
den keinerlei Massnahmen beim Einsatz von
Stimulantien empfohlen. Die Wirkstoffe zur
Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit/- Hyperaktivitätsstörungen werden in der Be
–
völkerung, vom medizinischen Fachpersonal
und in der Literatur kontrovers diskutiert
26).
Die Diagnose «Aufmerksamkeitsdefizit/-Hy-
peraktivitätsstörung» wird zunehmend häufig
gestellt und verschiedene Studien zeigten
eine erhöhte Prävalenz bei Kindern mit kardia –
len Erkrankungen
27)–29) . Die Furcht vor schwe –
rwiegenden Nebenwirkungen, Berichte von
plötzlichen Todesfällen, sowie Warnungen der
Pharmaindustrie und der FDA unterstützen
diese kontroverse Diskussion. Deshalb hat
sich die American Heart Association noch –
mals mit dem Thema aus einandergesetzt und
kürzlich Empfehlungen betreffend die kardiale
Überwachung von Kindern unter Behandlung
mit Stimulantien herausgegeben
26).
Klinisches Vorgehen
Vor dem Verschreiben von Wirkstoffen mit
EKG-Veränderungen als potentielle Ne –
benwirkung sind einige Vorsichtsmassnah –
men empfohlen (Tabelle 3).
Anamnese
Eine ausführliche Anamneseerhebung ist
unabdingbar, wobei ein Schwergewicht dem
Vorkommen von Synkopen, Unwohlsein,
Pal pi tationen, Krampfanfällen, Rhythmus –
stör ungen, Herzmissbildungen und Elektro –
lytstörungen zukommen muss. Die Familien –
anamnese – insbesondere betreffend Schwer-
hörigkeit, Herzrhythmusstörungen und
plötz licher Todesfälle – ist ebenfalls bedeu –
tungsvoll. Weiterhin ist die Einnahme sonsti –
ger Medikamente genau zu erfragen.
Körperliche Untersuchung
Diese umfasst insbesondere die Messung
der Herzfrequenz und des arteriellen Blut –
druckes sowie die Untersuchung betreffend
klinischer Zeichen, hinweisend auf das Vor-
liegen einer Herzmissbildung.
Elektrokardiogramm
Bei Behandlung mit Wirkstoffen, die ent –
weder eine Verlängerung des QT-Intervalls
bewirken können oder die mit dem Auftre –
ten von Torsade de pointes-Tachykardien in
Verbindung gebracht wurden, ist vor Beginn
der Therapie und bei letztgenannten zusätz –
lich auch nach Erreichen des steady-state
ein EKG abzuleiten. Diese Untersuchung ist
weiterhin bei allen Patienten mit vorbeste –
henden Risikofaktoren notwendig
3), 22), 23), 30) .
Die AHA empfiehlt nun auch eine EKG-Un –
tersuchung vor der Behandlung von Patien –
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Vol. 19 No. 4 2008 Fortbildung / Formation continue
ten mit Aufmerksamkeitsdefizit/-Hyperak-
tivitätsstörungen mit Stimulantien. Dadurch
sollen jene Faktoren erkannt werden, die ei –
nerseits mit plötzlichem Todesfall assoziiert
sein können, andererseits aber anamnes –
tisch und klinisch nicht entdeckt werden. Mehrere Studien im Zusammenhang mit
plötzlichen Todesfällen kamen zur Schluss
–
folgerung, dass mittels EKG-Untersuchung
eine signifikante Anzahl von Erkrankungen
wie ein kongenitales Long-QT Syndrom,
ein Wolff-Parkinson-White Syndrom, ein Brugada Syndrom und eine hypertrophe
Kardiomyopathie entdeckt werden 26).
Bei Vorliegen von auffälligen Befunden ist
eine Beurteilung durch einen Kinderkardio –
logen empfohlen (Abbildung 5).
Nachkontrollen
Anlässlich der Folgeuntersuchungen sind
das Auftreten von Symptomen, die Ein –
nahmen zusätzlicher Medikamente sowie
allfällige Dosisänderungen zu erfragen und
bei Bedarf eine elektrokardiographische
Verlaufsuntersuchung zu veranlassen.
Schlussfolgerungen
Viele bei Kindern zum Einsatz kommende –
insbesondere auch psychotrope – Medika –
mente können potentiell schwerwiegende
kardiovaskuläre Nebenwirkungen hervor-
rufen. Vor dem Beginn einer derartigen
Therapie müssen das Risiko einer QT-Ver-
längerung eingeschätzt, die Kombination
von solchen Wirkstoffen vermieden und
gegebenenfalls elektrokardiographische
Folgeuntersuchungen organisiert werden.
Soweit möglich sollen derartige Wirkstoffe
nur als zweite oder dritte Wahl eingesetzt
werden. Patienten, Familien und verschrei –
bende Ärzte müssen die potentiellen Risiken
und die entsprechenden Vorsichtsmass –
nahmen kennen.
Referenzen:
Siehe französischer Text.
Korrespondenzadrese:
Dr. Nicole Sekarski, PD et MER
Cardiologie pédiatrique
CHUV
1011 Lausanne
Nicole.Sekarski@chuv.ch
Persönliche Anamnese Unwohlsein, Synkopen (vor allem anstrengungsinduziert)
Krampfanfälle
Thoraxschmerz, Anstrengungsdyspnoe
Anstrengungsintoleranz
Palpitationen, Arrhythmien
Arterielle Hypertonie
Herzgeräusch
Thoraxschmerzen / Palpitationen bei viraler Erkrankung
Medikamente
Nahrungszusätze
Familienanamnese Plötzlicher oder unerklärter Todesfall in jungem Alter
Plötzlicher Todesfall oder Myokardinfarkt < 35 Jahre
Plötzlicher Todesfall, anstrengungsinduziert
Arrhythmien
Hypertrophe oder dilatative Kardiomyopathie, rechts
-
ventrikuläre Dysplasie
Long-QT Syndrom, Short-QT Syndrom, Brugada Syndrom
Wolff-Parkinson-White Syndrom
Synkope, reanimationsbedürftig
Marfan Syndrom
Klinische Untersuchung Pathologisches Herzgeräusch
Arterielle Hypertonie
Arrhythmie
Phänotyp vereinbar mit Marfan Syndrom
EKG Pathologische Befunde
Tabelle 3: Klinisches Vorgehen für Patienten unter psychotroper Medikation
Abb. 5: Algorithmus zur Verschreibung psychotroper Medikamente in der Pädiatrie
Weitere Informationen
Übersetzer:
Rodo von Vigier
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Nicole Sekarski , Unité de cardiologie pédiatrique, DFME, CHUV, Lausanne