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Kardiogenetik – ein Update

Das Verständnis der Genetik kardiovaskulärer Krankheiten hat in den letzten Jahren signifikante Fortschritte gemacht1). Diese «kardiogenetische» genannten Erkrankungen stellen eine...

Einführung

Das Verständnis der Genetik kardiovaskulärer Krankheiten hat in den letzten Jahren signifikante Fortschritte gemacht1). Diese «kardiogenetische» genannten Erkrankungen stellen eine heterogene Krankheitsgruppe dar, die durch genetische Varianten (Mutationen) mit variablen Erscheinungsbildern bedingt sind. Es handelt sich um 1) Ionenkanalerkrankungen (Long-QT-Syndrom, Brugada-Syndrom und katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie (CPVT)), 2) Kardiomyopathien (hypertroph, dilatativ, restriktiv, arrhythmogen, non-compaction).

Die Empfehlungen der Fachgesellschaften für die Betreuung dieser Patienten beinhalten mehr und mehr genetische Überlegungen1-4). Dies führt zu komplexen und wichtigen Fragestellungen bezüglich Information der Familien, Einwilligung und Timing der Abklärungen. Ein multidisziplinärer Ansatz mit Erwachsenen- und Kinderkardiologen und Genetikern ist wesentlich, um möglichst angemessen auf die betroffenen Familien eingehen zu können.

Der Kinder- oder Hausarzt muss informiert sein und in die Betreuung dieser Patienten eingebunden werden.

Einige Grundkenntnisse

Jede Zelle unseres Körpers enthält im Zellkern alle notwendigen Informationen, um einen Menschen zu kreieren. Die genetischen Informationen sind auf unsere 46 Chromosomen (23 väterlichen und 23 mütterlichen Ursprungs) verteilt, wovon 22 den Autosomen und 2 den Geschlechtschromosomen (XX für Mädchen, XY für Knaben) entsprechen. Sie bestehen aus dem sehr komplex und heterogen ihrer Struktur entlang angelegten DNA-Doppelstrang (Desoxyribonukleinsäure). Die kleinste DNA-Einheit die uns Informationen zur Synthese eines Proteins vermittelt, nennt man ein Gen. Jedes Gen ist in unseren Zellen doppelt vertreten, die Kopien werden Allele genannt. Das genetische Alphabet besteht aus vier Nukleotiden: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C); die Gene sind jeweils aus einer sehr präzisen Folge dieser vier Nukleotide zusammengesetzt. Man findet in einem Gen variable (mutationstolerante) Abschnitte sowie solche, die selbst in verschiedenartigen Tierarten erhalten sind. Ein Fehler in einem dieser gut erhaltenen Abschnitte kann ein klinisches Bild verursachen, das man Phänotyp nennt. Der Genotyp ist die genetische Sequenz eines Individuums.

Eine genetische Anomalie in einem Gen oder Chromosom kann das herstellen eines Proteins stören, im Sinne einer fehlenden, übermässigen oder abnormen Produktion. Das Protein das in unserem Körper seine Funktion nicht mehr ausüben kann, verursacht eine genetische Krankheit. Die Ausprägung der Krankheit kann selbst innerhalb ein und derselben Familie variabel sein (variable Expressivität) oder sich unter Umständen gar nicht zeigen (unvollständige Penetranz). Bei Trägern einer Erbkrankheit besteht jedoch das Risiko, die Erkrankung zu übertragen, ohne dass deren Schweregrad bei den Nachkommen vorausgesagt werden kann.

Allgemeine Grundsätze der genetischen Tests

Es gibt zwei üblicherweise verwendete Arten genetischer Tests zur Diagnose kardiogenetischer Missbildungen: Zytogenetische und Tests durch Sequenzierung5).

Die Zytogenetik wird verwendet, um die Integrität der Chromosomen (Anzahl und Struktur) zu prüfen. Sie umfasst den Karyotyp (Untersuchung der Chromosomen unter dem Mikroskop), die gezielte Untersuchung eines bestimmten Chromosomenabschnittes (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, FISH) und die array-CGH; es werden damit abnorme Chromosomenzahlen und vor allem Deletionen und Duplikationen erfasst.

Die Sequenzierung erkennt abnorme Nukleotide (Buchstaben des genetischen Alphabetes). Durch die Sanger Sequenzierung (Sequenzierung eines einzelnen Gens) und die Hochdurchsatz-Sequenzierung (Next Generation Sequencing (NGS)), mit welcher eine Vielzahl Gene mehrerer Individuen in einem Ansatz sequenziert werden können, indem die Sequenz des Patienten mit einer Referenzsequenz verglichen wird. Nach der bioinformatischen Auswertung werden die identifizierten Mutationen je nach ihrer pathogenen Auswirkung in 5 Kategorien klassifiziert: Gutartig, wahrscheinlich gutartig, wahrscheinlich pathogen, pathogen6). In keine dieser Kategorien klassifizierbare Mutationen werden als «Varianten mit unbekannter Signifikanz (VUS)» bezeichnet7) (Abb. 1).

Abbildung 1. Kardiopathien: Algorithmus für Gentests und Screening bei Blutsverwandten
Unter Beizug der persönlichen und Familienanamnese ermöglicht es die initiale klinische Abklärung zu bestimmen, ob es sich um eine erworbene oder wahrscheinlich genetische, entweder syndromale Kardiopathie, wenn diese Teil eines komplexen klinischen Bildes ist, oder nicht-syndromale isolierte Kardiopathie handelt. Nachdem die Indikation zur NGS-Analyse validiert wurde, werden durch die Ergebnisse entweder eine pathogene Variante in einem Gen identifiziert und der diagnostische Verdacht bestätigt (grün), keine verdächtige Variante (rot) oder eine Variante mit unbekannter Signifikanz (VUS) identifiziert. Wurde eine pathogene Variante identifiziert, ergibt sich die Indikation zur Untersuchung der Blutsverwandten, um eine entsprechende kardiologische Betreuung zu veranlassen. Wurde keine Variante identifiziert, sollte bei allen Verwandten ersten Grades des Indexfalles eine kardiologische Abklärung durchgeführt werden.

Welcher Test verwendet wird, hängt von der klinischen Indikation ab: Die Zytogenetik wird vor allem bei gewissen angeborenen Herzmissbildungen verwendet, die molekularen Tests bei Patienten mit Verdacht auf monogenetische Erbkrankheiten.

Indikationen für genetische Abklärungen

Kardiogenetische Abklärungen werden im Allgemeinen zu diagnostischen Zwecken oder zur Risikovorhersage durchgeführt4). Im ersten Fall wurde zuvor meist durch den Kardiologen oder Kinderarzt eine wahrscheinlich erbliche Herzkrankheit diagnostiziert und das Kind zur genetischen Abklärung zugewiesen (Abb. 1). Ziel der Abklärung ist es dann, einen Gendefekt als Ursache des klinischen Bildes zu identifizieren, und so die Diagnose molekulargenetisch zu bestätigen. Die molekulare Diagnostik ermöglicht es, die therapeutische Strategie festzulegen, den Übertragungsmodus zu klären und eine genetische Beratung durchzuführen. Dies ist von besonderer Bedeutung bei einem plötzlichen Todesfall. Ist die pathogene Variante beim Patienten identifiziert, wird eine Segregationsanalyse der elterlichen Genome durchgeführt und falls nötig weiterer Blutsverwandter, die krank oder gesund sein können. Ziel der präsymptomatischen Untersuchung ist es, einerseits mögliche Träger der genetischen Variante, bei denen das Risiko besteht, die Krankheit zu entwickeln, zu identifizieren und eine entsprechende Betreuung anzubieten, andererseits nicht-Träger beruhigen zu können. Die präsymptomatischen Abklärungen können für Personen die bisher als gesund betrachtet wurden, wesentliche psychologische und versicherungstechnische Auswirkungen haben. Vor und nach der Abklärung muss eine genetische und eine psychologische Beratung  stattfinden.

Gentests beim Kind

Wird beim Kind eine genetische Untersuchung durchgeführt, soll gemäss den Prinzipien medizinischer Ethik beachtet werden, was in seinem Interesse liegt (Fürsorge und Schadenvermeidung). Gentests sind einzig indiziert, wenn sie klinische Konsequenzen haben. Sie sind somit gerechtfertigt und werden ausgeführt, um eine klinische Situation zu klären. Hingegen werden Gentests bei Kindern ohne klinische Zeichen, d.h. präsymptomatisch, mit dem Zweck lediglich eine mögliche Trägerschaft zu ermitteln, nicht systematisch angeboten4), obwohl sie von Eltern oft gewünscht werden. Es sollte abgewartet werden bis das Kind ein Alter erreicht hat, in welchem es seine Meinung kundtun kann; entweder bis zur Volljährigkeit (18 Jahre) wo der junge Erwachsene seine Autonomie und Selbstbestimmung ausüben kann, oder schon früher (14-16 Jahre) sofern das Kind urteilsfähig ist. Da die Penetranz der meisten kardiogenetischen Krankheiten unvollständig und ihre Expressivität variabel sind, beinhaltet ein positiver Gentest nicht unbedingt, dass das Kind den Phänotyp entwickeln wird und wie die klinischen Symptome sein werden. Die genetische Beratung wird dadurch umso komplexer, aber auch unbedingt notwendig; ebenso ist eine dem Gentest vorangehende psychologische Beratung wünschenswert.

Kardiogenetische Krankheiten

1. Kanalopathien

Ionenkanalerkrankungen sind mit einem erhöhten Risiko für Arrhythmien und plötzlichem Herztod verbunden. Das Herz ist dabei anatomisch normal. Die Arrhythmien werden durch strukturelle und funktionelle Störungen der Ionenkanäle hervorgerufen, daher die Bezeichnung Kanalopathien. Die häufigsten sind das Long-QT-Syndrom, das Brugada-Syndrom und die katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie (CPVT).

1.1 Long-QT-Syndrom

Die Inzidenz des Long-QT-Syndroms (LQT) beträgt 1:2000; es zeichnet sich durch eine Verlängerung von QT im EKG (Abb. 2) aus, die unter Umständen eine ventrikuläre Tachykardie, «torsade de pointe» genannt, verursachen kann (Abb. 2B)2,3). Klinische Symptome sind Herzklopfen, Synkopen bis zum plötzlichen Herztod. Gemäss der Literatur erleben 1-3% der Patienten mit einem LQT im Verlaufe ihres Lebens einen überlebten plötzlichen Herztod. Risikofaktoren für Arrhythmien sind das männliche Geschlecht bis zum Alter von 13 Jahren, das weibliche nach dem Alter von 13 Jahren, ein Herzfrequenz-korrigiertes QT >500 ms, im Zusammenhang mit Hypokaliämie oder QT verlängernden Medikamenten sowie Aufregung, Stress und Anstrengung3). Die Arrhythmien auslösenden Faktoren sind jedem LQT-Typ eigen. Beim LQT-Typ 1 sind es das Schwimmen und kaltes Wasser, beim LQT-Typ 2 lauter und plötzlicher Lärm (Alarm, Sirene, Wecker), beim LQT-Typ 3 der Schlaf. Die Diagnose richtet sich nach den Kriterien von Schwartz (Tabelle 1)8). Die Empfehlungen der Expertengruppe für die Betreuung (Klasse I) sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

Tabelle 1. Schwartz-Score
Tabelle 2. Betreuung von Patienten mit Long-QT-Syndrom

Es wurden bisher rund 15 Gene identifiziert, die an den verschiedenen monogenetischen Formen des Long-QT beteiligt sind. Jedes Gen betrifft einen bestimmten LQT-Typ (1-15)9). Die am häufigsten betroffenen Gene sind jedoch KCNQ1 (LQT-Typ 1), KCNH2 (LQT-Typ 2), zwei Kaliumkanäle, und SCN5A (LQT-Typ 3), ein Natriumkanal. Sie sind für 30-35%, 25-30% bzw. 5-10% der Fälle verantwortlich9). Es handelt sich um autosomal dominant übertragene Gene mit einer engen Korrelation Phänotyp-Genotyp (Abb. 2C). In seltenen Fällen kann das LQT Teil eines Syndroms mit Entwicklungsrückstand, Schwerhörigkeit und morphologischen Auffälligkeiten (des Gesichtes und der Extremitäten) sein. Die Träger von zwei pathogenen, am LQT beteiligten Varianten im selben Gen (autosomal rezessive Form) oder in zwei unterschiedlichen Genen leiden im Allgemeinen an einer schwereren klinischen Form.

Abbildung 2. A. 12-Kanal-EKG: Long-QT Typ 1. B. EKG mit «torsades de pointes». C. Charakteristische EKGs der drei häufigsten Long-QT-Formen: LQT1: T-Welle mit breiter Basis; LQT2: gekerbte T-Wellen niedriger Amplitude; LQT3: Langes isoelektrisches Segment und spitze T-Welle.

1.2 Brugada-Syndrom

Die Inzidenz des Brugada-Syndroms beträgt 1:2000 (1:1000 in Ländern Südostasiens)3). Es ist charakterisiert durch eine domartige Hebung des ST-Segmentes gefolgt von einer negativen T-Welle in den rechtspräkordialen Ableitungen V1 und V2. Es besteht das Risiko von Synkopen oder plötzlichem Herztod durch Kammerflimmern, am häufigsten in Ruhe oder nachts. Diese Symptome können durch Fieber ausgelöst werden. Sie treten häufig gegen das Alter von 40 Jahren auf und sind bei Männern häufiger als bei Frauen.

Die Diagnose wird mit dem EKG gestellt (Abb. 3), beim Kind insbesondere bei Fieber oder durch den Ajmalin-Test, der jedoch vor der Adoleszenz weniger zuverlässig ist.

Die Empfehlungen der Expertengruppe zur Betreuung (Klasse I) sind in Tabelle 4 zusammengefasst1,3,4).

Tabelle 4. Betreuung von Patienten mit Brugada-Syndrom

Bei 15-30% der Patienten ist das Brugada-Syndrom durch eine pathogene Variante im einen Natriumkanal kodierenden Gen SCN5A10) bedingt. Das autosomal dominant übertragene Gen wird im Allgemeinen von einem der beiden Eltern vererbt, doch wird in den meisten Fällen keine pathogene oder wahrscheinlich pathogene Mutation gefunden. Obwohl es eine Liste der Gene gibt, die man verdächtigt am Brugada-Syndrom beteiligt zu sein, vermutet man eher eine polygene Vererbung (mit Nukleotidveränderungen in mehreren Genen). Die Diagnose Brugada-Syndrom ist deshalb klinisch und das Fehlen einer genetischen Variante ändert nichts an der Betreuung.

Abbildung 3. EKG bei Brugada-Syndrom.

1.3 Katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie (CPVT)

Die CPVT ist eine seltene kardiogenetische Krankheit mit einer Inzidenz von 1:10’0003). Die Tachykardie wird durch eine adrenerge Stimulation ausgelöst, entweder bei körperlicher Anstrengung oder bei einem emotionalen Stress (Abb. 4). Die Arrhythmie wird durch das Ausscheiden von Calcium in das sarkoplasmatische Retikulum verursacht. Das mittlere Alter bei Auftreten von Symptomen beträgt 8 Jahre, 30% der Patienten haben die ersten Symptome vor dem Alter von 10 Jahren. Selbst unter Behandlung und Einschränkung körperlicher Aktivität ist die Inzidenz von plötzlichem Herztod 1-7% 4 Jahre und 11-14% 8 Jahre nach Diagnosestellung.

Die Empfehlungen der Expertengruppe zur Betreuung (Klasse I) sind in Tabelle 5 zusammengefasst1,3).

Tabelle 5. Betreuung von Patienten mit CPVT

Das autosomal dominant übertragene Gen RYR2 ist das bei CPVT am häufigsten betroffene (50-55%)11). Es wird in 50% der Fälle von einem Elternteil vererbt, die Penetranz wird dabei auf 83% geschätzt. Es gibt allerdings noch weitere autosomal dominant (CALM1) und rezessiv (u.a. CASQ2, TRDN und TECRL) vererbte Gene, die zu einer CPVT prädisponieren können11). Die Identifizierung der pathogenen Variante beim oft plötzlich verstorbenen Indexfall ermöglicht Gentests bei Blutsverwandten durchzuführen, und so Personen zu erkennen, die einer entsprechenden kardiologischen Betreuung bedürfen.

Abbildung 4. Belastungs-EKG bei CPVT.

2. Kardiomyopathien

Erbliche Kardiomyopathien sind primäre, sowie in ihrer klinischen wie genetischen Erscheinung heterogene Myokardschäden.

Mit einer Inzidenz von 1:250-500 handelt es sich um die häufigsten kardiogenetischen Krankheiten2,3). Sie können in jedem Alter, selbst bei Säuglingen und Kindern auftreten. Die klinischen Erscheinungsbilder sind je nach Art der Kardiomyopathie variabel und umfassen Arrhythmien, Herzinsuffizienz und plötzlicher Herztod. In >50% der Fälle sind es familiäre monogenetische Formen (Tabelle 3). Die Vererbung erfolgt autosomal dominant oder rezessiv, auch X-gebunden.

Tabelle 3. Mit den wichtigsten kardiogenetischen Pathologien assoziierte Gene.

2.1 Hypertrophische Kardiomyopathie (HCM)

Die HCM kennzeichnet sich durch eine isolierte linksventrikuläre Hypertrophie ungeklärter Ursache. Bei den sarkomerischen Formen besteht vor allem eine Septumhypertrophie (Abb. 5), die zu einer subaortalen Obstruktion und diastolischen Dysfunktion des linken Ventrikels führen kann. Die klinischen Symptome sind variabel, die Patienten können asymptomatisch oder symptomarm sein. Am häufigsten sind Anstrengungsdyspnoe, Angina Pectoris, Herzklopfen, Unwohlsein oder Synkopen, sowie plötzlicher Herztod. Klinisch können meist ein verstärkter oder verschobener Herzspitzenstoss und ein raues mesokardiales, durch Valsalva-Manöver verstärktes Austreibungsgeräusch festgestellt werden. Das EKG ist in 90% der Fälle pathologisch, mit Zeichen einer linksventrikulären Hypertrophie und Repolarisationsstörungen. Die Diagnose wird echokardiographisch gestellt. Die Behandlung hängt vom Kardiomyopathie-Typ und den Symptomen ab; sie kann medikamentös (Betablocker, Kalziumantagonisten) oder chirurgisch (Myektomie) sein. Je nach Risikograd kann ein implantierbarer Defibrillator zur primären Prävention indiziert sein2,3).

Beim Kind kommen differentialdiagnostisch metabolische (Morbus Fabry, Barth-Syndrom, Friedreich-Ataxie), neuromuskuläre (Duchenne, Becker) oder syndromale Erkrankungen (RAS-Signalwegkrankheiten wie das Noonan-Syndrom oder das LEOPARD-Syndrom) in Frage. Diese betreffen jedoch im Allgemeinen den ganzen linken Ventrikel (konzentrische Hypertrophie) und können klinisch mit einer allgemeinen Muskelschwäche, allgemeinem Entwicklungsrückstand und/oder Epheliden, sowie Nieren-, Augen und Gehörbeteiligung einhergehen4). Sie sind durch Mutationen in den sogenannt nicht sarkomeren Genen bedingt12).

Die pathogenen Varianten in den Genen, die sarkomerische Proteine codieren, haben im Wesentlichen kardiale Auswirkungen. Die Gene MYH7 (myosine heavy chain 7) und MYBPC3 (myosine-binding protein C3) sind für ca. 75% der genetischen Formen von HCM verantwortlich13). Es handelt sich um autosomal dominant übertragene Gene mit variabler Expressivität und altersbedingt unvollständiger Penetranz. Die pathogenen Varianten im Gen MYH7 führen im Allgemeinen zu einer frühzeitiger auftretenden und schwereren HCM als durch die MYBPC3-Mutationen. Erwähnenswert ist eine in der Schweiz aufgetretene aus dem Kanton Bern stammende Neumutation (founder mutation) im Gen MYBPC3, c3330+2T>G.

Abbildung 5. Echokardiographie: Parasternale Ansicht (Längsachse) einer hypertrophen Kardiomyopathie mit ausgeprägter Septumverdickung (Pfeil). LV = linker Ventrikel; LA = linker Vorhof; RV = rechter Ventrikel; Ao = Aorta.

2.2 Dilatative Kardiomyopathie (DCM)

Die familiäre DCM besteht in einer Erweiterung und systolischen Funktionsstörung des linken Ventrikels (Abb. 6). Sie kann in jedem Alter und postpartal auftreten. Die Symptome sind die einer Herzinsuffizienz verschiedener Ausprägung. Die Behandlung hängt vom Schweregrad ab und ist in erster Linie medikamentös; bei progredientem Verlauf muss eine Herztransplantation in Betracht gezogen werden. Die dilatative Kardiomyopathie kann isoliert oder mit Muskeldystrophien auftreten, die mit progredientem Muskelschwund und erhöhten CK einhergehen, wie die Muskeldystrophien Duchenne und Becker oder die X-chromosomal übertragenen Muskeldystrophie Emery-Dreifuss4). Eine häufige monogenetische DCM beim Erwachsenen ist die mit der Hämochromatose assoziierte Form, bei welcher die Patienten Gelenkschmerzen, abnorme Leberenzymen bis zur Zirrhose und Diabetes mellitus aufweisen.

Die Ätiologie der DCM ist in genetischer Hinsicht sehr heterogen. Die Mutationen die das Titin, ein für die Elastizität des Sarkomers entscheidendes Strukturprotein, schädigen (TTN), verursachen 15-20% der isolierten DCM14), das Gen MYH7 6%. Weitere für die Sarkomerstruktur entscheidende Gene können ebenfalls eine DCM verursachen4,14) (Tab. 3). Gewisse Gene, wie LMNA, FLNC, RBM20, SCN5A, DES und DSP, können zu einem gemischten klinischen Bild bestehend aus DCM und Rhythmusstörungen führen; sie sind für 15% DCM verantwortlich14). Gelegentlich können die Rhythmusstörungen der DCM vorangehen. Eine genaue Beschreibung des Phänotyps ist für die korrekte Interpretation der genetischen Befunde wesentlich.

Abbildung 6. Echokardiographie: Parasternale Ansicht (Längsachse) einer dilatativen Kardiomyopathie mit ausgeprägter Erweiterung des linken Ventrikels. LV = linker Ventrikel; LA = linker Vorhof; RV = rechter Ventrikel; RA = rechter Vorhof.

2.3 Arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie (ARVD)

Die ARVD kennzeichnet sich dadurch, dass das Muskelgewebe des rechten, manchmal auch linken Ventrikels zunehmend durch eine Mischung aus Binde- und Fettgewebe ersetzt wird. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, beginnt jedoch typischerweise vor dem Alter von 10 Jahren. Die Prävalenz beträgt 1:5000 – 1:200015). Klinische Zeichen sind Herzklopfen, Synkopen und plötzlicher Herztod. Die Diagnose kann echokardiographisch vermutet werden, die Untersuchung der Wahl ist jedoch die MRT. Die Behandlung ist symptomatisch. Ein Defibrillator zur primären und sekundären Prävention kann indiziert sein. Es muss auch eine Herztransplantation in Betracht gezogen werden.

Der Grossteil der für die ARVD verantwortlichen Gene greifen in die Beschaffenheit der Desmosomen, zelluläre Haftstrukturen ein. Plakophilin 2 (PKP2) ist das am häufigsten verantwortliche Gen (34-74%), gefolgt von Desmoplakin (DSP; 2-39%) und Desmoglein 2 (DSG2; 5-26%)16). Obwohl es sich in der Mehrzahl um eine autosomal dominante Vererbung handelt, lässt die sehr schwache Penetranz der Krankheit vermuten, dass weitere genetische oder Umweltfaktoren am Entstehen der ARVD beteiligt sind.

2.4 Linksventrikuläre Non-Compaction Kardiomyopathie (LVNC)

Die LVNC ist durch eine markante Trabekularisierung und ausgeprägte intertrabekuläre Vertiefungen, sowie Störung der muskulären Verdichtung des linken Ventrikels gekennzeichnet. Sie kann isoliert oder in Verbindung mit den Phänotypen HCM und DCM auftreten. Die klinischen Zeichen sind bei signifikanter Beteiligung die des assoziierten Phänotyps. Häufig wird die Diagnose bei einer routinemässig durchgeführten Echokardiographie gestellt. Der diagnostische Goldstandard ist die MRT. Die Behandlung ist abhängig vom Schweregrad der Krankheit.

Es handelt sich um eine genetisch sehr heterogene Erkrankung. Die Mehrzahl der Fälle ist bedingt durch Mutationen in den Genen MYH7 und MYBPC34), doch sind auch Mutationen in weiteren Genen betroffen, insbesondere im X-chromosomal übertragenen Tafazzin-Gen (TAZ), sowie in den autosomal vererbten Genen alpha-Dystrobrevin (DTNA), LIM Domain Binding Protein 3 (ZASP/LDP3) und Lamin A/C (LMNA)17).

Schlussfolgerung

Gentests gehören zu den Empfehlungen der Fachgesellschaften zur Betreuung von Patienten mit kardiogenetischen Herzkrankheiten. Die multidisziplinäre Beratung bietet den Patienten mit einer erblichen Kanalopathie oder Kardiomyopathie und deren Familien eine zugleich spezialisierte und globale Betreuung. Angesichts der konstanten Fortschritte der genetischen Kenntnisse erfordern diese Krankheiten eine regelmässige Neubeurteilung.

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Weitere Informationen

Übersetzer:
Rudolf Schlaepfer
Korrespondenz:
Autoren/Autorinnen
Dr med.  Maria Isis Atallah Gonzalez Service de Médecine Génétique, CHUV, Lausanne

Dr. med.  Sabrina Bressieux-Degueldre Unité de cardiologie pédiatrique, DFME, CHUV, Lausanne

Prof. Dr. med.  Andrea Superti-Furga Service de Médecine Génétique, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne

Prof. Dr. med.  Nicole Sekarski Unité de cardiologie pédiatrique, DFME, CHUV, Lausanne