Neugeborenen- und Kindersterblichkeit
Im Jahre 2016 verstarben weltweit 5.6 Millionen Kinder vor ihrem 5. Geburtstag1). Die sogenannte under-five mortality rate (U5MR) wird in Anzahl Todesfällen bezogen auf 1000 Lebendgeburten angegeben. Die globalen Diskrepanzen in der U5MR sind enorm: in Afrika südlich der Sahara verstirbt eines von 13 Kindern, in Ländern mit hohem Einkommen (high income countries, HICs) verstirbt eines von 189 Kindern vor dem 5. Geburtstag1). In der Schweiz beträgt die U5MR 4/1000, d. h. eines von 250 Kindern verstirbt vor dem 5. Geburtstag. Fast die Hälfte (46%) dieser Todesfälle betreffen Neugeborene.
Rund 99% aller neonatalen Todesfälle sind in Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen (low and middle income countries, LMICs) zu beklagen, wobei sich die Todesursachen Neugeborener zwischen HICs und LMICs nicht unterscheiden: Frühgeburtlichkeit, perinatale Asphyxie und schwere Infektionen sind für rund 80% aller Todesfälle von Neugeborenen verantwortlich2). Viele dieser Patienten weisen eine Ateminsuffizienz auf, und bei eingeschränkter Verfügbarkeit von Methoden zur Atem- unterstützung ist diese häufig unmittelbar für den Tod verantwortlich.
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Neugeborenen- und Kindersterb-
lichkeit
Im Jahre 2016 verstarben weltweit 5.6 Millio –
nen Kinder vor ihrem 5. Geburtstag 1). Die
sogenannte under-five mortality rate (U5MR)
wird in Anzahl Todesfällen bezogen auf 1000
Lebendgeburten angegeben. Die globalen
Diskrepanzen in der U5MR sind enorm (Abb.
1) : in Afrika südlich der Sahara verstirbt eines
von 13 Kindern, in Ländern mit hohem Ein –
kommen (high income countries, HICs) ver –
stirbt eines von 189 Kindern vor dem 5. Ge –
burtstag
1). In der Schweiz beträgt die U5MR
4/1000, d. h. eines von 250 Kindern verstirbt
vor dem 5. Geburtstag. Fast die Hälfte (46%)
dieser Todesfälle betreffen Neugeborene.
Rund 99% aller neonatalen Todesfälle sind in
Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen
(low and middle income countries, LMICs) zu
beklagen, wobei sich die Todesursachen Neu –
geborener zwischen HICs und LMICs nicht
unterscheiden: Frühgeburtlichkeit, perinatale
Asphyxie und schwere Infektionen sind für
Humanitäre Neonatologie
Thomas M. Berger a und Matthias Roth-Kleiner b
a) NEO FOR NAMIBIA – Helping Babies Sur vive, Brambergstrasse 25, Luzern; www.neo-for-namibia.orgb) Souf fle2vie – Aide aux nouveau-nés en Guinée, chemin de l’Eglise 18, 1066 Epalinges; www.souffle2vie.ch
rund 80 % aller Todesfälle von Neugeborenen
verantwortlich 2). Viele dieser Patienten wei –
sen eine Ateminsuffizienz auf, und bei einge –
schränkter Verfügbarkeit von Methoden zur
Atemunterst ützung ist diese häufig unmittel –
bar für den Tod verantwortlich.
Meilensteine in der Geschichte der
Neonatologie
Während am Ende des 19. und zu Beginn des
20. Jahrhunderts neue Erkenntnisse zur Ther –
moregulation, Hygiene und Ernährung kranker
Neugeborener die Überlebenschancen dieser
Patienten zu verbessern vermochten, begann
mit der Einführung der Sauerstofftherapie in
den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts eine
entscheidende Ära in der Neonatologie.
Schrittweise wurden neue Massnahmen zur
Unterstützung von Neugeborenen mit Atem –
notsyndrom eingeführt. Als eigentliche Mei –
lensteine besonders hervorgehoben werden
müssen in diesem Zusammenhang die invasi –
ve mechanische Beatmung (1960er Jahre), die
nicht-invasive Atemunterstützung (1970er Jahre) mittels kontinuierlichem positivem
Atemwegsdruck
(continuous positive airway
pressure, CPAP)
3), die Lungenreifungsinduk –
tion durch pränatal verabreichte Kortikoste –
roide (1970er Jahre)
4) und die Surfactant-
Therapie (1980er Jahre)5).
Neonatologie in Ländern mit
mittleren und tiefen Einkommen
(LMICs)
Aus der Geschichte der Neonatologie in HICs
läs s t sich ableiten, welche For t schr it te sich in
LMICs erzielen liessen, wenn bestimmte
Massnahmen zur Prävention und Behandlung
von Atemproblemen, insbesondere bei Früh –
geborenen erfolgreich eingeführt werden
könnten. In den HICs haben die Einführung
der Sauerstofftherapie, der Lungenreifungs –
induktion und der nicht-invasiven
Atemunterst ützung mittels CPAP die weitaus
grösste Auswirkung auf die Mortalität von
Fr ühgeborenen mit hyaliner Membranen –
krankheit gezeigt (Abb. 2)
6).
Während eine Sauerstofftherapie in LMICs –
wenn auch ohne adäquate Dosierung und
ohne Monitoring (Abb. 3) – in der Regel
durchgef ührt werden kann, ist eine Behand –
lung mittels CPAP in vielen dieser Länder aus
Kostengr ünden und wegen fehlender
Verf ügbarkeit von medizinischer Druckluft
nicht möglich.
Vor einigen Jahren hat eine Forschergruppe
der Rice University in Texas ein kostengünsti –
ges und robustes CPAP-Gerät entwickelt und
in Malaw i getestet . Es konnte gezeig t wer den,
dass der Einsatz des Pumani
® bubbleCPAP-
Gerätes (Abb. 4) die Überlebensrate von
Neugeborenen mit einem schweren Atemnot –
sy ndrom von 4 4 auf 71 % verbesser te
7). Diese
Reduktion der Mortalitätsrate um rund 50 %
ist vergleichbar mit der Beobachtung von
Gregory und Mitarbeitern 1971 in San Fran –
cisco : 16 von 20 ( 80 % ) mit CPAP b ehandelten
Neugeborenen überlebten, während aufgrund
historischer Daten eine Überlebensrate von
25% zu erwarten war
3).
Diese Beobachtungen legen nahe, dass mit
einer erfolgreichen Einführung von einfach zu
bedienenden und robusten CPAP-Geräten,
geeigneten Sauerstoffsättigungsmonitoren
und intensiver Schulung in LMICs dramati –
sche Verbesserungen der Überlebenschancen
Abbildung 1: Vergleich der U5MR zwischen der Schweiz (4/1000), Namibia (45/1000) und
Guinea (94/1000) (schwarz: neonatale Todesfälle 0 -28 Tage, grau: nicht-neonatale Todesfälle
1-60 Monate)
14Im Ja hrm J Je20
14Im Jahre2
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kranker Neugeborener erzielt werden könn-
ten 7). Selbstverständlich werden diese Inter –
ventionen nur dann erfolgreich sein, wenn sie
von einer guten neonatologischen Basisthera –
pie (Thermoregulation, adäquate Flüssigkeits –
therapie und Ernährung, antibiotische Be –
handlung neonataler Infektionen) begleitet
werden. In diesem Zusammenhang muss Abbildung 2: Verbesserung der Überlebenschancen von Fr ühgeborenen mit einer hyalinen
Membranenkrankheit aufgrund eines Surfactant-Mangels nach der Einführung neuer Therapien
(nach Kamath et al.
6))
insbesondere die Känguru-Methode (engl.
Kangaroo Mother Care ) hervorgehoben wer-
den (Abb. 5) .
Paul und Singh haben eine schrittweise Vor –
gehensweise zur Verbesserung der neonato –
logischen Versorgung in LMICS vorgeschla –
gen
8). In Ländern mit einer neonatalen
Mortalitätsrate (NMR) von > 25 pro 1000
Lebendgeburten sollte der Fokus primär auf
eine Verbesserung der Basisversorgung ge –
richtet werden. Wenn die NMR auf weniger als
25/1000 Lebendgeburten abfällt, können
neonatologische Einrichtungen aufgebaut
werden, in denen Hebammen, Pflegende und
Ärztinnen/Ärzte kranke Neugeborene mit
einfachen und robusten Geräten (z. B. Isolet –
ten, Sauerstoffkonzentratoren, Sauerstoffsät –
tigungsmonitoren, bCPAP-Geräten) behan –
deln können.
Unterstützung von humanitären
Neonatologie-Projekten durch die
Schweizerische Gesellschaft für
Neonatologie
Mehrere Schweizer Neonatologen setzen sich
seit Jahren für Neonatologie-Projekte in
LMICs ein. Im Jahre 2016 beschloss der Vor –
stand der Schweizerischen Gesellschaft für
Neonatologie, humanitäre Neonatologie-Pro –
jek te jähr lich mit CHF 50 0 0.– zu unter stüt zen.
Der Humanitarian Neonatology Grant wurde
2018 erstmals vergeben. Auf der Homepage
der Schweizerischen Gesellschaft f ür Neona –
tologie ( www.neonet.ch ) wurde zudem eine
Plattform eingerichtet, auf welcher aktuelle
humanitäre Projekte von in der Schweiz täti –
gen Neonatologen präsentiert werden kön –
nen.
Die Schweizerische Gesellschaft f ür Neonato –
logie möchte mit ihrem Engagement Initiati –
ven unter st üt zen, die sich zum Z iel set zen, die
Diskrepanz in der neonatologischen Versor –
gung z w ischen HI Cs und LMI Cs zu ver r inger n.
Referenzen
1) Levels & Trends in Child Mor tality (Repor t 2017) –
Estimates Developed by the UN Interagency Group
for Child Mortality Estimation. The United Nations
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2) Liu L, Johnson HL, Cousens S, Perin J, Scott L, Lawn
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membrane disease. Lancet 1980;1:55-9.
Abbildung 3: Edward Francis Small Teaching Hospital (Banjul, Gambia): Neugeborene mit Atem –
insuffizienz werden über Nasenkanülen mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt; Sauerstoffmisch –
geräte und Überwachung der Sauerstoffsättigung stehen nicht zur Verfügung.
14Im Ja hrm J Je20
14Im Jahre2
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Abbildung 4: Unterstützung eines Neugeborenen mit Atemnotsyndrom mit einem Pumani ®
bCPAP- Gerät im Rundu State Hospital im Norden von Namibia
6) Kamath BD, Macguire ER, McClure EM, Goldenberg
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tries. Pediatrics 2011;127:1139-46.
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9) Paul VK, Singh M. Regionalize perinatal care in
developing countries. Semin Neonatol 2004;9:117-
24.
Anschrift Autoren
Prof. Dr. med. Thomas M. Berger
Facharzt Pädiatrie, speziell Neonatologie
Facharzt Intensivmedizin
NEO FOR NAMIBIA – Helping Babies Survive
www.neo-for-namibia.org
Brambergstrasse 25
6004 Luzern
Prof. Dr. med. Matthias Roth-Kleiner
Facharzt Pädiatrie, speziell Neonatologie
Souffle2vie – Aide aux nouveau-nés
en Guinée
www.souffle2vie.ch
Service de Néonatologie
Département femme-mère-enfant
CHUV Lausanne
Korrespondenzadresse
tmberger@ bluewin.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenskonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert.
Abbildung 5: Kangaroo Mother Care : der direkte Hautkontakt ermöglicht eine gute Thermore –
gulation, reduziert Apnoe und Bradykardie-Episoden und fördert das Stillen.
14Im Ja hrm J Je20
14Im Jahre2
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Thomas M. Berger Dr. med. Matthias Roth-Kleiner , Division de Néonatologie, CHUV, Lausanne