Chronisch rezidivierende Bauchschmerzen sind ein häufiges Problem, durchschnittlich 8 % der Kinder in westlichen Ländern sind davon betroffen. Bei einer Befragung anlässlich der schulärztlichen Untersuchung in Basel (jeweils 1300 Kinder/Altersgruppe), waren Bauchschmerzen bei Kindergarten- und Primarschülern die meist genannte Schmerzsymptomatik (6 % aller Kinder im Kindergarten, 10 % der Primarschüler), gefolgt von Kopfschmerzen. Bei den Jugendlichen des 9. Schuljahres waren Bauchschmerzen die dritthäufigste Schmerzlokalisation (13 % aller Jugendlichen), hinter Kopfschmerzen und Schmerzen des Bewegungsapparates. Mädchen gaben häufiger Schmerzen an als Knaben und Migrantenkinder häufiger als Schweizer Kinder. Den meisten dieser Bauchschmerzen liegt keine gefährliche Erkrankung zu Grunde, sie führen jedoch häufig zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität der betroffenen Kinder und ihrer Familien. Die Kinder und Familien, die wegen der Bauchschmerzen einen Arzt konsultieren, erwarten eine sorgfältige Abklärung, griffige Erklärungen für die Ursache der Beschwerden und eine angemessene Behandlung. Der behandelnde Arzt sieht sich dabei gelegentlich im Dilemma. Einerseits sollten keine potentiell gefährlichen Erkrankungen verpasst, andererseits aber auch keine unnötigen diagnostischen Massnahmen oder Therapien veranlasst werden. Die folgenden Ausführungen sollen helfen, Bauchschmerzen von Kindern und Jugendlichen mittels Algorithmen richtig einordnen zu können. Weiter werden Erklärungsmodelle für die Pathophysiologie der Beschwerden, sowie Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie erläutert. Die Empfehlungen basieren im Wesentlichen auf den 2011 publizierten deutschen Konsensus-Richtlinien für Definition, Pathophysiologie und Management des Reizdarmsyndroms, sowie auf den pädiatrischen Rom-III-Kriterien.
8
Einführung
Chronisch rezidivierende Bauchschmerzen
sind ein häufiges Problem, durchschnittlich 8
%
der
Kinder in westlichen Ländern sind davon
betroffen
1). Bei einer Befragung anlässlich der
schulärztlichen Untersuchung in Basel (jeweils
1300 Kinder/Altersgruppe), waren Bauch –
schmerzen bei Kindergarten- und Primarschü –
lern die meist genannte Schmerzsymptomatik
(6
% all
er Kinder im Kindergarten, 10
% der
Primarschüler), gefolgt von Kopfschmerzen.
Bei den Jugendlichen des 9. Schuljahres waren
Bauchschmerzen die dritthäufigste Schmerz –
lokalisation (13
% al
ler Jugendlichen), hinter
Kopfschmerzen und Schmerzen des Bewe –
gungsapparates. Mädchen gaben häufiger
Schmerzen an als Knaben und Migrantenkin –
der häufiger als Schweizer Kinder
2). D en meis –
ten dieser Bauchschmerzen liegt keine gefähr –
liche Erkrankung zu Grunde, sie führen jedoch
häufig zu einer erheblichen Beeinträchtigung
der Lebensqualität der betroffenen Kinder und
ihrer Familien.
Die Kinder und Familien, die wegen der
Bauchschmerzen einen Arzt konsultieren,
erwarten eine sorgfältige Abklärung, griffige
Erklärungen für die Ursache der Beschwerden
und eine angemessene Behandlung. Der be-
handelnde Arzt sieht sich dabei gelegentlich
im Dilemma. Einerseits sollten keine potenti-
ell gefährlichen Erkrankungen verpasst, ande –
rerseits aber auch keine unnötigen diagnosti -schen Massnahmen oder Therapien veranlasst
werden.
Die folgenden Ausführungen sollen helfen,
Bauchschmerzen von Kindern und Jugendli
–
chen mittels Algorithmen richtig einordnen zu
können. Weiter werden Erklärungsmodelle für
die Pathophysiologie der Beschwerden, sowie
Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie
erläutert. Die Empfehlungen basieren im We –
sentlichen auf den 2011 publizierten deut-
schen Konsensus-Richtlinien für Definition,
Pathophysiologie und Management des Reiz –
darmsyndroms
3), sowie auf den pädiatrischen
Rom-III-Kriterien4).
Definitionen
1999 wurden erstmals durch eine internatio –
nale pädiatrische Arbeitsgruppe diagnosti –
sche Kriterien für funktionelle gastrointesti –
nale Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter
aufgelistet. 2006 wurden diese Kriterien mo –
difiziert und schliesslich als pädiatrische
Rom-III-Kriterien publiziert
4). Neben den funk –
tionellen Bauchschmerzen (Bauchschmerzen-
assoziierte funktionelle Darmerkrankungen)
werden Störungen mit Erbrechen und Aero –
phagie sowie Obstipation und Stuhlinkonti –
nenz gemäss den Rom-III-Kriterien als eigene
Entität klassiert (Tabelle 1) .
Innerhalb der Gruppe mit funktionellen
Bauchschmerzen werden nochmals vier Un –
tergruppen definiert: •
funk
tionelle Dyspepsie
(Oberbauchbeschwerden)
•
Reizd
armsyndrom (RDS)
•
abdo
minelle Migräne
•
kind
liche funktionelle Bauchschmerzen
bzw. kindliches funktionelles Bauch-
schmerzsyndrom (Tabelle 2)
Die Rom-III-Kriterien ermöglichen erstmals
eine positive Definition und Klassifikation. Der
Schwerpunkt der folgenden Ausführungen
liegt auf dem Reizdarmsyndrom und den
funktionellen Bauchschmerzen im Kindes-
und Jugendalter.
Pathogenese
Im Vergleich zur Erwachsenenmedizin ist die
Datenlage bezüglich Pathogenese bei funkti –
onellen Bauchschmerzen und RDS bei Kin –
dern und Jugendlichen noch relativ dünn. Es
gibt jedoch einige Resultate, die auf eine
multifaktorielle Pathogenese hinweisen
5):
•
Infe
ktionen/Entzündungen: Es konnte
gezeigt werden, dass bei Kindern mit funk –
tionellen Bauchschmerzen und RDS minime
entzündliche Darmveränderungen und eine
gesteigerte gastrointestinale Permeabilität
nachweisbar sind
6) und die Beschwerden,
insbesondere ein RDS, durch einen entera –
len Infekt ausgelöst werden können
7).
•
Inte
stinale Hypersensitivität: Wie bei
den Erwachsenen konnte auch bei Kindern
und Jugendlichen mit funktionellen Bauch –
schmer zen und RDS eine gesteiger te intes –
tinale Hypersensitivität nachgewiesen wer –
den. Auf Grund von Erwachsenendaten gibt
es Hinweise auf folgende Pathomechanis –
men: Alterationen der serotonergen Me –
chanismen auf der Substrat- und Rezep –
torebene, erhöhte Innervation der Darm
–
schl
eimhaut, verändertes Schleimhaut-
Mediatorprofil, welches zu einer Aktivie-
rung des enterischen Nervensystems und
der nozizeptiven Nerven führt, Steigerung
der spinalen Weiterleitung von intestinalen
Reizen, Aktivierung anderer und grösserer
Hirnareale bei Patienten mit RDS im Ver-
gleich zu Kontrollen sowie Veränderung der
Sympatikus-Parasympatikus-Aktivierung
3).
•
Genet
ische Faktoren: Es gibt Hinweise
auf eine mögliche genetische Prädispositi –
on f ür RDS. Es konnte gezeig t wer den, das s
die Konkordanz für RDS bei monozygoten
Zwillingen höher ist als bei dizygoten (17.2
%
ver
sus 8.4
%). G
leichzeitig wurde aber auch
gefunden, dass das Risiko für einen dizygo –
ten Zwilling an einem RDS zu erkranken
Funktionelle Bauchschmerzen bei
Kindern und Jugendlichen – Ein Update
Beatrice Müller und Marc Sidler für die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrische
Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (SGPGHE)
H. Funktionelle Störungen: Kinder und Adoleszente
H1. Erbrechen und Aerophagie H1a. Adol eszentes Ruminationssyndrom
H1b. Synd
rom des zyklischen Erbrechens
H1c. Aerop
hagie
H2. Bauchschmerzen-assoziierte funktionelle Darmerkrankungen
H2a. Funkt
ionelle Dyspepsie
H2b. Reiz
darmsyndrom
H2c. Abdo
minelle Migräne
H2d. Kindl
iche funktionelle Bauchschmerzen
H2d1
.
Kindl
iches funktionelles Bauchschmerzsyndrom
H3. Obstipation und Stuhlinkontinenz
H3a. Funk
tionelle Obstipation
H3b. Stuhl
inkontinenz ohne Stuhlrückhaltemanöver
Ta b e l l e 1: Funktionelle gastrointestinale Erkrankungen/Störungen gemäss Rom-III-Kriterien 4)
Lieb Mt glb d MrdS
Lieb Mtgld l
9
doppelt so gross war (15.2 %), w enn seine
Mutter an einem RDS litt, als wenn der an –
dere Zwilling betroffen war (6.7
%), w
as ein
Hinweis darauf sein könnte, dass das sozi-
ale Lernen mit eine starke Rolle spielt
8).
•
Psycho
soziale Faktoren: Nicht alle Kin-
der- und Jugendlichen mit Bauchschmerzen
suchen einen Arzt auf. Es konnte gezeigt
werden, dass die Entscheidung, ein Kind in
eine Konsultation zu bringen, beeinflusst
wird vom Ausmass der vom Kind erlebten
Schmerzen, dem psychologischen Distress
(Leid, Kummer und Sorge) der Mutter und
der Neigung zu einem «katastrophisieren –
den» Denken
5).
Weite
r spielt das erlernte Krankheitsverhal-
ten eine entscheidende Rolle. Kinder lernen
am Modell der Eltern und wiederholen Ver -haltensweisen, die belohnt werden. So
konnte gezeig t wer den, das s b ei K inder n mit
Schulabsentismus wegen Bauchschmerzen,
die Eltern eher mit Sorge und Schonverhal
–
ten auf die Beschwerden reagieren.
Diagnostik
In erster Linie müssen entzündliche, anatomi –
sche und metabolische Störungen ausge –
schlossen werden. Gemäss der Leitlinie Reiz –
darmsyndrom der Deutschen Gesellschaft für
Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
(DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für
Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM)
haben gewisse Erkrankungen wie Kohlenhyd –
ratmalabsorption phänotypische Überschnei –
dungen zum RDS. Am Anfang der Diagnostik steht eine sorgfäl
–
tige und str uk tur ier te A namnese und klinische
Untersuchung, wobei insbesondere Alarm –
symptome («red flag signs») ausgeschlossen
werden müssen (Tabelle 3).
Obwohl Laboruntersuchungen bei fehlenden
Warnzeichen nicht in jedem Fall obligat sind,
wird ein Basislabor empfohlen
3 ) (Tabelle 4) .
Bei Fehlen von Warnzeichen und Auffälligkei –
ten in den Basisuntersuchungen kann auf
weitergehende Diagnostik wie Endoskopie,
pH-Metrie und bildgebende Untersuchungen
verzichtet werden. Es gibt keine Evidenz für
einen prädiktiven Wert der Abdomen-Sono –
graphie
3). Ein Helicobacter pylori – Screening
(C13-Atemtest oder Stuhlantigentest) ist ohne
diagnostischen Wert, da eine Assoziation
zwischen chronischen Bauchschmerzen und
Subgruppe Diagnosekriterien
H2a.
Funktionelle Dyspepsie Alle Kriterien müssen erfüllt sein:
(Auftreten mind. ein Mal pro Woche innerhalb von mind. zwei Monaten vor Diagnosestellung)
1.
Persi
stierender oder wiederkehrender Schmerz und Unwohlsein im oberen Abdomen
2.
Kein
e Besserung durch Defäkation, nicht mit Änderung der Stuhlfrequenz oder Konsistenz
asso
ziiert (kein RDS)
3.
Kein
Anhalt für entzündliche, anatomische, metabolische oder neoplastische Prozesse
H2b.
Reizdarmsyndrom Alle Kriterien müssen erfüllt sein:
(Auftreten mind. ein Mal pro Woche innerhalb von mind. zwei Monaten vor Diagnosestellung)
1.
Abdo
minelle Beschwerden (Unwohlsein nicht als Schmerz beschrieben) oder Schmerz,
der mi
t zwei oder mehr Kriterien mind. 25
% der Ze
it assoziiert ist
a) Besser
ung nach Stuhlgang
b) Begi
nn ist mit Wechsel der Stuhlfrequenz assoziiert
c) Begi
nn ist mit Wechsel der Stuhlkonsistenz assoziiert
2.
kein
Anhalt für entzündliche, anatomische, metabolische oder neoplastische Prozesse
H2c.
Abdominelle Migräne Alle Kriterien müssen erfüllt sein:
(Auftreten von mindestens zwei Episoden innerhalb von 12 Monaten vor Diagnosestellung)
1.
Paro
xysmale Episoden von starkem akutem periumbilikalem Schmerz,
der mi
nd. eine Stunde anhält
2.
Zwis
chenzeitliche Phasen von gewohnter Gesundheit für Wochen bis Monate
3.
Schmerz
beeinträchtigt die normale Alltagsaktivität
4.
Schm
erz ist assoziiert mit 2 oder mehr der folgenden Kriterien:
a) Anor
exie
b) Übel
keit
c) Erb
rechen
d) Kopf
schmerz
e) Pho
tophobie
f) Blä
sse
5.
Kein
Anhalt für entzündliche, anatomische, metabolische oder neoplastische Prozesse
H2d.
Kindliche funktionelle
Bauchschmerzen Alle Kriterien müssen erfüllt sein:
(Auftreten mind. ein Mal pro Woche innerhalb von mind. zwei Monaten vor Diagnosestellung)
1.
Epis
odischer oder kontinuierlicher Bauchschmerz
2.
Krit
erien für andere funktionelle Darmerkrankungen nicht erfüllt
3.
Kein
Anhalt für entzündliche, anatomische, metabolische oder neoplastische Prozesse
H 2 d1.
Kindliches funktionelles
Bauchschmerzsyndrom Alle Kriterien müssen erfüllt sein:
(Auftreten mind. ein Mal pro Woche innerhalb von mind. zwei Monaten vor Diagnosestellung)
Die diagnostischen Kriterien für kindliche funktionelle Bauchschmerzen müssen mind. 25
% der Z
eit
auftreten und mind. einen der folgenden weiteren Punkte erfüllen:
1.
Reduk
tion der Alltagsaktivität
2.
Zusät
zliche somatische Symptome wie Kopfschmerz, Gliederschmerzen oder Schlafstörung
Ta b e l l e 2: Einteilung und diagnostische Kriterien der funktionellen Bauchschmerzen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 4 bis 18 Jahren
gemäss Rom-III-Kriterien 4)
1Prof. ffRTofaff.bai
1Prof. RTafT
10
einer Helicobacter pylori-Infektion in ver-
schiedenen Studien nicht bestätigt werden
konnte
3).
Bei Verdacht auf eine Kohlenhydratmalab –
sorption oder -digestion kann eine probato
–
risch
e Eliminationsdiät von Lactose oder
Fructose in Erwägung gezogen werden. Ent –
sprechende H
2-Atemtest sind nicht immer
notwendig 3).
Therapie
Die wichtigste Voraussetzung für eine er folg –
reiche Therapie ist eine vertrauensvolle Arzt-
Patienten-Beziehung. Eine positive Arzt-Pati –
enten-Interaktion führt zu einer geringeren
Anzahl an Re-Konsultationen
11 ). Patienten mit
funktionellen Bauchschmerzen und RDS und
ihre Familien wünschen sich eine Anerken –
nung ihres Leidens, emotionellen Support,
Erklärungen bezüglich Ursache der Symptome
sowie eine Bestätigung/Versicherung, dass
sich keine potentiell gefährliche Krankheit
hinter den Beschwerden versteckt. Ein sehr
wichtiger Schritt in der Therapie ist die ge –
meinsame Erarbeitung eines plausiblen
Krankheitsmodells (bio-psycho-soziales Mo –
dell), aus welchem ein individuelles Behand –
lungskonzept abgeleitet werden kann. Das
bio-psycho-soziale Modell ermöglicht spezifi –
sche Auslöser für die Beschwerden zu eruie –
ren, sowie die Zusammenhänge zwischen
Stress, Emotionen und den somatischen
Symptomen zu klären (Tabelle 5 ).
Die Betreuung von Kindern und Jugendlichen
mit funktionellen Bauchschmerzen und RDS
sollte, v.
a. in
therapierefraktären Fällen und
bei starker Beeinträchtigung der altersent –
sprechenden Alltagsaktivitäten, unter Ein
–
bezu
g von psychosozial geschulten und kin –
dergastroenterologischen Fachpersonen er
–
folgen
.
Psycho-soziale Interventionen
Die gemeinsame Erarbeitung eines bio
–
psycho-
sozialen Modells, nach entsprechen –
der Vor diag nostik, bildet eine w ichtige G r und -lage für die Therapie. Die Akzeptanz des
Krankheitsmodells durch die Eltern verbes
–
sert den Outcome bei Kindern mit funktionel –
len Bauchschmerzen
12 ). Wichtig ist auch die
Beratung der Eltern im Hinblick auf den Um –
gang mit den Beschwerden des Kindes/Ju –
gendlichen. Ein Verhalten der Eltern, welches
auf Ablenkung von den Beschwerden hinzielt
statt auf Überfürsorge und Schonung, hat
einen positiven Einfluss auf den Verlauf der
Schmerzsymptomatik
13 ).
Weitere erfolgreiche Ansätze bei der Behand –
lung von Kindern und Jugendlichen mit funk –
tionellen Bauchschmerzen sind das kognitive
Verhaltenstraining
14 ) , 15 ) und die Hypnose 16 ) , 17 ) .
Symptomtagebücher und Entspannungsver –
fahren (z.
B. Yo
ga, autogenes Training) können
hilfreich sein als Ergänzung der verhaltensthe –
rapeutischen Therapie
3 ) , 10 ) . Medikamente
Auf einen regelmässigen Einsatz von Analge-
tika und chemisch definierten Spasmolytika
sollte zugunsten anderer Therapieverfahren
verzichtet werden. In Ausnahmefällen können
sie zur punktuellen Schmerzbekämpfung ein
–
gesetzt werden. Verkapseltes Pfefferminzöl
(Colpermin
®) kann bei akuten Bauchschmer –
zen als Spasmolytikum bei Kindern und Ju-
gendlichen eingesetzt werden
3).
Amitryptilin sollte eher nicht für die Behand-
lung von Kindern und Jugendlichen mit funk –
tionellen Bauchschmerzen und RDS einge –
setzt werden
3).
Sind die funktionellen Bauchschmerzen und
RDS assoziiert mit einer Obstipation und/
oder Blähungen, wird eine laxative Therapie
mit Macrogol empfohlen
3 ) , 10 ) .
• Schmerzen abseits des Nabels, insbesondere anhaltende Schmerzen im oberen und untere n rechten Quadranten
• Dysphagie
• rezidivierendes
Erbr
echen
• gastrointestinaler
Blutve
rlust
• chronische
und
/oder
näc
htliche
Dia
rrhoe
• nächtliche
Sch
merzen,
die das Kin
d
auf
wecken
• unklares
Fieber
•
Arthritis
• ungewollter
Gewi
chtsverlust
• Wachstumsstörung
• Leistungsknick
• verzögerte
Puber
tätsentwicklung
• Menstruationsstörung
• positive
Famil
ienanamnese
(chro
nisch
entz
ündliche
Darm
erkrankung,
Zöli
akie,
pepti
scher Ulkuskrankheit)
• Auffälligkeiten
in der kör
perlichen
Unt
ersuchung
(pat
hologische Resistenz, Hepatomegalie, Splenomegalie, perianale Auffälligkeiten)
Ta b e l l e 3: Anamnestische und klinische Warnzeichen für eine organische Ursache bei Kindern
und Adoleszenten mit chronischen Bauchschmerzen («red flag signs») 4) , 9) , 10 )
• grosses Blutbild, Entzündungsparameter (CRP oder BSG), ALAT, Gamma- GT, Lipase • Zö liakie-Serologie (Gesa mt-IgA, Transg lutaminase IgA- AK) • TSH (be
i
Ana
mnese
mit Obs
tipation)
• Urinstatus
• Stuhl
auf Par
asiten
• Bei
Dia
rrhoe:
fäka
le
Ent
zündungsmarker
(fä
kales
Cal
protectin)
Ta b e l l e 4 : Laboruntersuchung bei chronischen Bauchschmerzen 3 ) , 10 )
BiologischPsychologisch Sozial
Prädisponierende Faktoren Obstipationsneigung
Wenig Selbstvertrauen Familiäre Konflikte,
Trennung der Eltern
Auslösende Faktoren Schlag in den Bauch durch
SchulkollegenÜberforderungssituation in der
Schule, drohende Nichtbeförderung Ausgrenzung durch Peers
Erhaltende Faktoren Unregelmässige Stuhlentleerung
Andauernder Stress in der Schule,
Ungewissheit bezüglich der
weiteren Schulkarriere Überbehütung durch allein
– erzieh
ende Mutter, unverbindliche
Kontakte zum Vater
Ta b e l l e 5: Bio-psycho-soziales Modell. Bsp. eines Jugendlichen mit funktionellen Bauchschmerzen und Schulabsentismus
1Prof. ffRTofaff.bai
1Prof. RTafT
11
Diäten und Probiotika
Bei ausgewogen und altersgemäss ernährten
Kindern und Jugendlichen, sollte die Ernäh-
rung nicht umgestellt werden. Eine Nahrungs –
umstellung ist jedoch indiziert bei Fehl- oder
Mangelernährung oder gut dokumentierter
Nahrungsmittelunverträglichkeit, wobei der
Nachweis einer Nahrungsmittelunverträglich –
keit die Diagnose von funktionellen Bauch –
schmerzen oder RDS als Ursache der Be –
schwerden ausschliessen würde.
Der Einsatz von Probiotika wird empfohlen
bei Kindern/Jugendlichen, bei welchen die
Beschwerden postenteritisch aufgetreten
sind und welche an einem RDS mit Diarrhö
leiden
3 ) , 10 ) .
Alternativmedizinische Interventionen
Für die Anwendung von komplementär-medi –
zinischen oder alternativen Therapien bei
Kindern mit funktionellen Bauchschmerzen
und RDS gibt es keine Empfehlung
3 ) , 10 ) .
Zusammenfassung/
Take home message
Bauchschmerzen bei Kindern und Jugendli –
chen sind häufig, wobei in den allermeisten
Fällen keine organische Ursache zu Grunde
liegt. Die Diagnose von funktionell bedingten
Bauchschmerzen sollte möglichst affirmativ
und nicht als Ausschlussdiagnose erfolgen,
dabei hilft ein bio-psycho-soziales Erklärungs –
modell, welches gemeinsam mit Patient und
Eltern erarbeitet wird. Kognitiv-verhaltensthe –
rapeutische Interventionen, Hypnose und
Entspannungsverfahren bewirken am ehesten
eine anhaltende Besserung der Beschwerden.
Medikamente und Probiotika sind nur be-
schränkt wirksam, unnötige Ernährungsum –
stellungen sollten vermieden werden.
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107 (4): 627–31. Korrespondenzadresse
Dr. med. Beatrice Müller-Schenker
FMH Kinder- und Jugendmedizin
Schwerpunkt Gastroenterologie und Ernährung
Kaspar Pfeiffer-Strasse 4
4142 Münchenstein
bbmueller@ hin.ch
Dr. med. Marc Sidler
Pädiatrische Gastroenterologie
Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
4056 Basel
marc.sidler@ ukbb.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unter –
stützung und keine anderen Interessenkon –
flikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag
deklariert.
1Prof. ffRTofaff.bai
1Prof. RTafT
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Beatrice Müller , Praxis BauchKids, Münchenstein Dr. med. Marc Sidler , Abteilung für pädiatrische Gastroenterologie, Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Andreas Nydegger