Formulierung von Empfehlungen zur Diagnostik, Behandlung, Abklärung und Nachkontrolle von Harnwegsinfektionen bei Neugeborenen, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahre. Die nachstehenden Empfehlungen sind nicht als absolut gültige Richtlinien zu verstehen. Individuelle Umstände, insbesondere der klinische Zustand, können beim einzelnen Patienten Abweichungen vom vorgeschlagenen Prozedere rechtfertigen.
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Zielsetzung
Formulierung von Empfehlungen zur Diagnos-
tik, Behandlung, Abklärung und Nachkontrol –
le von Harnwegsinfektionen bei Neugebore –
nen, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen bis
16 Jahre. Die nachstehenden Empfehlungen
sind nicht als absolut gültige Richtlinien zu
verstehen. Individuelle Umstände, insbeson –
dere der klinische Zustand, können beim
einzelnen Patienten Abweichungen vom vor –
geschlagenen Prozedere rechtfertigen.
Grundlagen
Der Harntrakt ist bei Kindern jeden Alters,
insbesondere aber bei Säuglingen und Klein –
kindern eine häufige Quelle von Infektionen.
Die Harnwegsinfektionen sind bei Kindern von
besonderer Bedeutung, weil sie erstens für
eine erhebliche Morbidität während der aku –
ten Infektion verantwortlich sind, und zwei –
tens weil sie langfristig Ursache für die Ent –
wicklung einer arteriellen Hypertonie oder für
einen Nierenfunktionsverlust sein können.
Die Betreuung von Kindern mit Harnwegsin –
fektionen, welche ärztliche Konsultationen,
Diagnostik, Einsatz von Antibiotika und bild –
gebende Untersuchungen einschliesst, konn –
te seit den CH-Empfehlungen 2008
1) , 2) auf
Grund neuerer Daten und in Anlehnung an
internationale Evidenz basierte Empfehlun –
gen
3 ) , 4) vereinfacht werden. Dies betrifft ins –
besondere die Bildgebung und die Anti –
biotikaprophylaxe
5 ) –1 0 ) . Die nachfolgenden
Empfehlungen der Schweizerischen Arbeits –
gruppe für pädiatrische Nephrologie (SAPN)
der Pädiatrischen Infektiologiegruppe Schweiz
(PIGS) und der Schweizerischen Gesellschaft
f ür K inder ur ologie ( Sw is s PU ) basier en au f der
aktuell vorhandenen Evidenz für die Behand –
lung von Harnwegsinfektionen beim Kind. Das optimale Vorgehen bei Kindern mit
Harnwegsinfektionen verfolgt zwei Ziele:
1.
Es ermöglicht die Erkennung, die Behand –
lung und die Abklärung derjenigen Kinder,
die für die Komplikationen prädestinieren.
Wichtig ist dabei die rechtzeitige Diagnose
zugrunde liegender urologischer/renaler
Felhbildungen.
2. Es führt zur Vermeidung unnötiger Thera –
pien und A bklär ungen b ei K inder n, die kein
Risiko für Komplikationen oder Narbenbil –
dung haben.
Altersabhängigkeit
Weil das Alter des Patienten für das Vorgehen
entscheidend sein kann, wird bei den spezifi –
schen Empfehlungen , wo r elevant , au f alter s s p e –
zifische Besonderheiten eingegangen.
Empfehlung Nr. 1: Klinischer Verdacht
auf eine Harnwegsinfektion:
Eine Harnwegsinfektion muss bei jedem
Säugling und Kind mit unklarem Fieber in
Betracht gezogen werden.
Die systematische Suche nach einer Harn –
wegsinfektion ist bei Neugeborenen, Säuglin –
gen und K leinkinder n unter 2 Jahr en mit F ieb er
besonders wichtig, weil bei ihnen die typischen
klinischen Zeichen einer Pyelonephritis (siehe
Empfehlung Nr. 2) fehlen können. Zudem kann
sich eine Harnwegsinfektion beim Neugebore –
nen und Säugling auch durch ungenügendes
Gedeihen, Irritabilität, Apathie, Trinkschwäche
oder Schlafstörung ohne Fieber manifestieren.
Besondere Wachsamkeit zur Erkennung und
Behandlung von Harnwegsinfektionen ist an –
gezeig t , weil das er höhte Risiko f ür die Ent s te –
hung von Nierenparenchymnarben bei wieder –
holten Harnwegsinfektionen durch zahlreiche
klinische Studien und experimentelle Unter –
suchungen untermauert wird.
Empfehlung Nr. 2: Unterscheidung
zwischen Zystitis und Pyelonephritis:
Für die adäquate Behandlung ist es ent –
scheidend, zwischen einer Zystitis und
einer Pyelonephritis zu unterscheiden; nur Pyelonephritiden führen zu Nierenparen
–
chymnarben und Langzeitfolgen.
Die klassischen Symptome einer Harnwegsin –
fektion sind Pollakisurie, Dysurie, Flanken –
schmerzen und Fieber. Flankenschmerzen
und Fieber sind Zeichen für eine Pyeloneph –
ritis. Diese Zeichen können beim Kind < 2
Jahre fehlen oder durch unspezifische Symp -
tome wie in Empfehlung Nr. 1 beschrieben,
ersetzt sein. Bei Kindern < 2 Jahre muss im
Zweifel vom Vorliegen einer Pyelonephritis
ausgegangen werden. Zystitiden sind vor al -
lem bei Mädchen nach dem zweiten Lebens -
jahr häufig. Die Diagnose einer Zystitis kann
beim Kind > 2 Jahre erwogen werden, wenn
z. B. Dysurie oder Pollakisurie, ein entspre –
chender Urinbefund (siehe Empfehlung Nr.
4), aber kein Fieber und keine Flanken –
schmerzen vorhanden sind. Ein tiefes CRP
(< 10 mg/l) macht eine Pyelonephritis un -
wahrscheinlich, schliesst sie aber nicht aus.
Eine Nieren-Sonographie erlaubt weder den
definitiven Nachweis noch den Ausschluss
einer Pyelonephritis.
Empfehlung Nr. 3: Methoden der
Urinsammlung:
Beim Säugling und Kind sind der Einmal-
Blasenkatheterismus und die Blasenpunk -
tion die Methoden der ersten Wahl und
gelten als «Gold-Standard» zur Diagnose -
stellung einer Harnwegsinfektion.
Der Einmal-Blasenkatheterismus w ir d häu-
figer angewendet als die Blasenpunktion und
ist als Gold-Standard akzeptiert. Die Gefahr,
durch Katheterisierung der Blase eine Infekti -
on zu verursachen, ist gering. Beim Knaben
und Mädchen erfordert der Blasenkatheteris -
mus die Erfahrung einer Fachperson. Die
Technik der Blasenpunktion ist risikoarm,
aber ihre Erfolgsrate zur Uringewinnung ist
abhängig von der Erfahrung mit dieser Tech -
nik.
Die Sammlung von Mittelstrahlurin kann
bei kooperativen grösseren Kindern und
nach guter Anleitung als Alternative anstelle
des Einmalkatheters zur Sammlung von Urin
in B etr acht gezogen wer den. Auch b ei Säug -
lingen (< 12 Monate) kann diese Technik
alternativ angewendet werden, benötigt al -
lerdings viel Geduld und Zeit und ent -
sprechende Berücksichtung bei der Be -
fundinterpretation. Mittelstrahlurin gilt
wegen höherer Kontaminationsrate nicht als
«Gold-Standard».
Die Urinsammlung mittels Säckchen führt
insbesondere bei Säuglingen sehr häufig zu
falsch positiven Urinbefunden. Säckchenurin
Diagnose und Behandlung von
Harnwegsinfektionen beim Kind
Empfehlungen der Schweizerischen Arbeitsgruppe für pädiatrische Nephrologie
(SAPN) 1), der Pädiatrischen Infektiologiegruppe Schweiz (PIGS, www.pigs.ch) 2)
und der Schweizerischen Gesellschaft für Kinderurologie (SwissPU) 3)
1) Christoph Rudin, Guido Laube, Eric Girardin
2) Christoph Berger, Christoph Rudin, Anita Niederer,
Klara Posfay Barbe,
Philipp Agyeman
3) Rita Gobet
10Formurrrliorurrrmeng
10Formulieri
11
soll nicht zum A nlegen einer Kultur ver wendet
werden. Falls ein Säckchen zur Urinsammlung
verwendet wird, ist es unerlässlich, dieses nur
für kurze Zeit (15–30 Minuten) anzukleben,
unmittelbar nach Miktion zu entfernen und
den Urin ohne Verzug zu analysieren (keine
Kultur). Zeigt ein Säckchen-Urin verdächtige
Be funde (Leukozyturie, Nitrit), soll zur end -
gültigen Diagnose und vor Beginn einer Anti -
biotikatherapie ein Katheter- oder Blasen -
punktionsurin gesammelt und daraus eine
Urinkultur angelegt werden.
Empfehlung Nr. 4: Urinanalyse und
Urinkultur:
Die Diagnose einer Harnwegsinfektion
erfodert eine Urinanalyse und eine Urin -
kultur. Die Urinanalyse mittels Streifen -
tests (Leukozyten-Esterase und Nitrit) wie
auch die mikroskopische Urinuntersu -chung sind nicht genügend sensitiv, um
alleine die Diagnose einer Harnwegsinfek
-
tion zu bestätigen.
Der Nitrit-Test und die Leukozyten-Esterase
haben eine niedrige Sensitivität, insbesonde -
r e b ei den jüngs ten K inder n. Au f einen au f f äl -
ligen Streifentest sollte wo möglich eine mik -
roskopische Untersuchung des Urins folgen.
Allerdings haben Leukozyten-Esterase und
standardisierte mikroskopische Quantifizie -
rung der Leukozyten und/oder Bakterien im
Urin trotz hohem negativen Voraussagewert
eine nicht ausreichende Sensitivität. Die Un -
tersuchung des Urinsediments im Katheter-
oder Blasenpunktionsurin durch eine geübte
Person hingegen gibt bei Identifikation von
Leukozytenzylindern ein positives Indiz für
eine Harnwegsinfektion mit Beteiligung des
Nierenparenchyms (Pyelonephritis). Die un -
genügende Sensitivität und Spezifität der Urinanalyse (Streifentest und Mikroskopie)
zum Nachweis einer Harnwegsinfektion zei
-
gen, dass sie die Urinkultur nicht ersetzen
kann. Ein positiver Befund in der Urinana -
lyse erhärtet den Verdacht auf eine Harn -
wegsinfektion und berechtigt nach Abnah -
me einer Urinkultur bei entsprechender
Klinik zum Beginn empirischen Antibiotika-
Therapie.
Empfehlung Nr. 5: Definition einer
positiven Urinkultur:
Im Urin, der mittels Blasenpunktion gewon -
nen wurde, ist jedes Wachstum von uropatho -
genen Bakterien in der Urinkultur unabhängig
von der Keimzahl diagnostisch für das Vorlie -
gen einer Harnwegsinfektion.
Im Urin, der mittels Einmalkatheter ge -
wonnen wurde, ist Wachstum eines einzel -
nen uropathogenen Keimes in einer Zahl
Therapie
Amoxicillin i. v. 100–150 mg/kg/die i.v. in 3–4 Dosen
Gentamicin
1 Frühgeborene oder Neugeborene in 1. Lebenswoche: Dosierung je nach Gestationsalter,
siehe Neonatologie -Empfehlungen ; Neugeborene > 1. Lebenswoche und alle älteren Kinder
6–7,5 mg/kg/die in 1 Dosis
Amikacin
1 15 mg/kg/die i.v. (oder i.m.) in 1 Dosis
Tobramycin
1 4–6 mg/kg/die i.v. (oder i.m.) in 1 Dosis
Ceftriaxon
2 50 mg/kg/die i.v. (oder i.m.) in 1 Dosis
Amoxicillin/Clavulansäure 80 mg/kg/die p.o. in 2 –3 Dosen
Ceftibuten
3 9 mg/kg/die p.o. in 1 Dosis (erste 2 Dosen im Abstand von 12 Stunden)
Cefixim
4 8 mg/kg/die p.o. in 1 oder 2 Dosen
Cefpodoxim
4 8 mg/kg/die p.o. in 2 Dosen
Cefuroxim
5 20–30 mg/kg/die p.o. in 2 Dosen
Cotrimoxazol
5 36–60 mg/kg/die (6 -10 mg TMP/kg/die) p.o. in 2 Dosen
Prophylaxe
Amoxicillin 6 10–20 mg/kg/die p.o. in 1 oder 2 Dosen
Trimethoprim
7 2–3 mg/kg/die p.o. in 1 oder 2 Dosen
Cotrimoxazol
2 9–12 mg/kg/die p.o. (1.5 -2 mg TMP/kg/die) in 1 oder 2 Dosen
Nitrofurantoin
8 1–2 mg/kg/die in 1 oder 2 Dosen
Tabelle: Dosierungsempfehlungen für Antibiotika zur Therapie/Prophylaxe von Harnwegsinfektionen bei Kindern
1) Die Aminoglykoside können gleichwertig eingesetzt werden. Bei allen Aminoglykosiden altersabhängige Dosierungen
für Früh- und Neugeborene beachten
2) Kontraindiziert für Neugeborene < 1 Monat und/oder bei Hyperbilirubinämie
3) Ab dem 6. Lebensmonat zugelassen (1 Dosis pro Tag; erste zwei Dosen im Abstand von 12 Stunden, danach Gabe alle 24 Std.)
4) Cefixim (1 Dosis pro Tag) und Cefpodoxim (2 Dosen pro Tag) sind ab dem 2. Lebensmonat zugelassen
5) Dosierung zur Therapie bei Zystitis, nicht 1. Wahl für Pyelonephritis
6) Prophylaxe ausschliesslich im Neugeborenenalter (< 4 Wochen)
7) Kann von jeder Apotheke besorgt werden (ein Antrag an Swissmedic ist nicht erforderlich):
Infectotrimet® Suspension 50 oder 100 (50 oder 100 mg/5 ml)
8) Nitrofurantoin = 2. Wahl (unerwünschte Wirkungen), siehe Text
10Formurrliorurrmeng
10Formulieri
12
Empfehlungen
von > 10’000 CFU/ml Urin diagnostisch für
eine Harnwegsinfektion, im Mittelstrahlu-
rin eine Keimzahl > 100’000 CFU/ml Urin.
Bei jungen Kindern mit häufiger Blasenentlee –
rung kann bereits eine Urinkultur aus Kathe –
terurin mit 1’000–10’000 CFU/ml Ausdruck
einer Harnwegsinfektion sein. Diese Beson –
derheit soll zusammen mit der klinischen
Präsentation und den andern Laborbefunden
bei der Beurteilung berücksichtigt werden.
G ener ell weis t der Nachweis von > 2 ver schie –
denen Keimen in der Urinkultur auf eine
Kontamination hin. Besonders bei Säuglingen
ist jedoch eine signifikante Bakteriurie mit
Wachstum von zwei Keimen möglich, insbe –
sondere das gleichzeitige Wachstum von
Escherichia coli und Enterokokken.
Empfehlung Nr. 6: Antibiotika –
Therapie der Harnwegsinfektionen
abgestuft nach Alter (Antibiotika-
Dosierungen siehe Tabelle):
Alter ≤ 2 Lebensmonate, alle Harnwegs –
infektionen (+/- Fieber)
• Immer intravenöse Therapie, Therapiebeginn
erst nach Abnahme von Blutkulturen
• Empirischer Beginn mit einer Antibiotika-
Kombinationstherapie mit Amoxicillin und
Aminoglykosid. Nach Erhalt des Antibio –
gramms ist bei gutem Ansprechen eine
gezielte Monotherapie möglich. (Im 2.
Lebensmonat kann Ceftriaxon optional
Aminoglykoside und nach Ausschluss von
Infektionen mit Enterokokken auch Amoxi –
cillin ersetzen; Kontraindikation für Ceftri –
axon: Hyperbilirubinämie)
• Therapiedauer: 10–14 Tage i. v., bei positi –
ver Blutkultur mindestens 14 Tage
Alter > 2 aber < 6 Lebensmonate, alle Harn -
wegsinfektionen (+/- Fieber)
• Therapiebeginn parenteral mit Ceftriaxon,
Abnahme von Blutkulturen vor Therapiebe -
ginn
• Bei gutem Ansprechen, negativen Blutkul -
turen und erst nach Erhalt der Urinkulturen
und des A ntibiog r amms ist ein Wechsel au f
eine orale Therapie mit Cephalosporinen
der dritten Generation (siehe Tabelle) bzw.
gemäss Antibiogramm möglich.
• Keine Umstellung auf perorale Therapie bei
fehlendem/fraglichem Therapieanspre -
chen, Erbrechen, unsicherer Einnahme der
oralen Therapie, gemäss Antibiogramm
nicht verfügbarer oraler Therapie, urologi -
schen Fehlbildungen, neurogener Blase
oder Fremdmaterial (Rücksprache mit Kin -
der-Nephrologen/Kinder-Urologen) • Therapiedauer (inklusiv 1–3 Tage i. v./i. m.
Behandlung): 10–14 Tage
Alter > 6 Lebensmonate: Febrile Harn-
wegsinfektion (Pyelonephritis):
• Rein perorale Therapie mit Cephalospori –
nen der dritten Generation, unter folgenden
Voraussetzungen:
• Es liegt kein septisches Zustandsbild vor,
kein Erbrechen, es kann von einer zuver –
lässigen oralen Medikamenten-Einnahme
ausgegangen werden, es bestehen keine
urologischen Fehlbildungen, keine neuro –
gene B lase und es is t kein Fr em dmater ial
vorhanden (Rücksprache mit Kinder-
Nephrologen/Kinder-Urologen)
• Es findet eine klinische Kontrolle und Re –
Evaluation am Tag 3 (vgl. Empfehlung Nr.
7) statt: Kontrolle des Therapieanspre –
chens, Bestätigung der Diagnose und
allenfalls Anpassung der Therapie nach
Erhalt der Urinkulturen und des Antibio –
gramms
• Therapiedauer 10–14 Tage
Alter > 6 Lebensmonate: Afebrile
Harnwegsinfektion (Zystitis)
• Therapiewahl unter Berücksichtigung der
lokalen Resistenzlage und den Grundregeln
zur Prävention der Resistenzentwicklung:
a. Cotrimoxazol
b. Amoxicillin/Clavulansäure
c. Cephalosporine der zweiten Generation,
z. B. Cefuroxim
d. Cephalosporine der dritten Generation
• Therapiedauer 3–5 Tage; die Behandlung
mit einer Einmaldosis wird beim Kind nicht
empfohlen.
Empfehlung Nr. 7: Kontrollen während
der akuten Phase der Infektion:
Am 3. Tag nach Diagnosestellung und Be –
ginn der empirischen Antibiotikatherapie
erfolgt eine klinische Kontrolle (im Spital
oder beim Kinderarzt) zur Überprüfung
des Therapieansprechens sowie zur Bestä –
tigung der Diagnose, und allenfalls Anpas –
sung der Therapie nach Erhalt der Urinkul –
turen und des Antibiogramms. Bei
negativer Urinkultur soll die empirische
Therapie beendet und die Diagnose über –
prüft werden.
• Eine er neute Ur inunter suchung am Tag 3 is t
nur notwendig, wenn das Kind noch nicht
afebril ist.
• Ein Abdomenultraschall am Tag 3 (siehe
Empfehlung Nr. 8) nur bei fehlendem An –
sprechen auf die Therapie, persistierendem Fieber, erhöhtem Kreatinin oder bekannter
urologischer Fehlbildung
Empfehlung Nr. 8: Bildgebende Untersu –
chungen bei erster Pyelonephritis:
Ultraschall: Bei allen Kindern soll einige
Tage nach Therapiebeginn bis 4 Wochen
nach der ersten Pyelonephirtis ein Ultra –
schall der Nieren und ableitenden Harnwe –
ge durchgeführt werden.
Eine Miktions-Cysto-Urethrographie (MCUG)
soll 1–6 Wochen nach Therapiebeginn einer
Harnwegsinfektion nur bei folgenden Kindern
durchgeführt werden:
• Febrile Harnwegsinfektion im Alter < 3
Monate
• Rezidivierende febrile Harnwegsinfektion
(> 1 febrile Harnwegsinfektion)
• Auffälliger Ultraschall der Nieren und ablei –
tenden Harnwege
• Familienanamnese mit Fehlbildungen der
ableitenden Harnwege, inklusive vesikoure –
teraler Reflux (VUR)
Eine Ultraschalluntersuchung der Nieren
und ableitenden Harnwege in der Akutphase
der Pyelonephritis kann weder eine Harn –
wegsinfektion noch das Vorliegen eines VUR
bestätigen oder ausschliessen, noch hat sie
Einfluss auf das Management des Kindes mit
febriler Harnwegsinfektion. Sie kann zur
Erkennung von Fehlbildungen mit Prädispo –
sition für weitere Harnwegsinfektionen die –
nen. Bei auffälligen Befunden im Ultraschall
( z. B. Hydronephrose) sind weitere Abklärun –
gen wie z. B. ein MCUG zu planen. Ziel des
MCUG ist der Ausschluss oder Nachweis
eines VUR sowie anderer (infra-)vesikaler
Fehlbildungen (wie z. B. posteriore Urethral –
klappen beim Knaben). Weitere Untersuchun-
gen auffälliger Befunde in Ultraschall oder
MCUG erfolgen gemäss individueller Empfeh –
lung der Nephrologen/Urologen.
Eine DMSA-Szintigraphie stellt den «Gold-
Standard» dar für die Identifikation akuter
pyelonephritischer Läsionen und Narben, wird
aber in der Routinediagnostik der Pyelonephri –
tis nicht verwendet. Ihre Indikation soll in Ab –
sprache mit den Nephrologen gestellt werden.
Empfehlung Nr. 9: Indikation einer
antibiotischen Dauerprophylaxe:
Die prophylaktische Verabreichung von
Antibiotika (vgl. Empfehlung Nr. 6) zur
Reinfektionsprophylaxe wird abgesehen
von folgenden Spezialsituationen generell
nicht empfohlen.
10Formurrrliorurrrmeng
13
Eine Antibotika-Dauerprophylaxe ist aus-
schliesslich indiziert für:
• Kinder im Alter < 3 Monate nach febriler
Harnwegsinfektion bis zum MCUG
• Kinder nach febriler Harnwegsinfektion mit
auffälligem Befund im Ultraschall der Nie -
ren und ableitenden Harnwege bis zum
MCUG
• Kinder mit VUR Grad III–V
• Kinder mit rezidivierenden Harnwegsinfek -
tionen bei Blasendysfunktion oder bei neu -
rogener Blase
• Kinder mit komplexen urologischen Fehlbil -
dungen gemäss Absprache zwischen Neph -
rologen, Infektiologen und Urologen und
auf deren zeitlich begrenzte Verordnung
Für die Dauer der antibiotischen Prophylaxe
für die oben genannten Kinder gibt es keine
standardisierte Empfehlung. Die Prophylaxe
soll mindestens jährlich zusammen mit den
Nephrologen reevaluiert werden. Sie kann in
vielen Fällen nach 1–2 Jahren beendet wer -
den. Ein erneutes, zweites MCUG soll nur in
Ausnahmefällen und in Absprache mit dem
Nephrologen durchgeführt werden. Bei Durch -
bruchsinfektionen (ohne weitere urologische
Erkrankungen), schwieriger Compliance kann
eine zystoskopische Injektionstherapie an -
stelle einer antibiotischen Dauerprophylaxe in
Betracht gezogen werden
11 ).
Antibiotika-Prophylaxe
Um Resistenzenentwicklungen vorzubeugen,
sollten grundsätzlich keine Beta-Laktam-An -
tibiotika (ausser Amoxicillin bei Neugebore -
nen) und kein Ciprofloxacin eingesetzt wer -
den.
Neugeborene
• Amoxicillin
• Trimethoprim
> 1. Lebensmonat
• Cotrimoxazol
(Trimethoprim-Sulfamethoxazol)
• Trimethoprim
• 2. Wahl: Nitrofurantoin (Nitrofurantoin soll
aufgrund möglicher pulmonaler uner –
wünschter Wirkungen
12 ) nur in Spezialfällen
nach Nutzen-Risiko-Abwägung verabreicht
werden, z. B. nach Durchbruchsinfektionen
unter Prophylaxe mit Cotrimoxazol) Empfehlung Nr. 10 : Urin-Untersuchung
bei erneutem Status febrilis bzw.
Verdacht auf Harnwegsinfektion:
Erneute Harnwegsinfektionen sollen bei Kin
–
dern mit Status nach Harnwegsinfektion
rasch erkannt und behandelt werden. Bei
Fieber oder klinischen Zeichen einer Harn –
wegsinfektion sollen umgehend eine Urinana –
lyse und eine Urinkultur durchgeführt werden.
Dies gilt eb enso f ür K inder mit einem b ekann –
ten VUR, bei welchen bei jedem Fieber ohne
Fokus eine Urinuntersuchung mit Urinkultu –
ren empfohlen wird.
Empfehlung Nr. 11: Abklärung
von Miktionsproblemen während
des Tages (Inkontinenz):
Spezielle Aufmerksamkeit muss Miktionspro –
blemen geschenkt werden, die tagsüber auf –
treten und nach einer Infektion persistieren.
Eine Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination
kann der Entstehung rezidivierender Harn –
wegsinfektionen Vorschub leisten und zu ei –
nem sekundären vesiko-ureteralen Reflux
führen. Bei diesen Patienten hat die Behand –
lung der Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination
höchste Priorität, um wiederholte Infektionen
zu verhindern. Im Besonderen ist bei solchen
Kindern auch auf das Vorliegen i) einer chro –
nischen Obstipation, ii) eines Miktionsauf –
schubes und iii) einer ungenügenden Trink –
menge zu achten – diesen Fak tor en kommt in
Bezug auf Miktionsprobleme eine grosse pa –
thogenetische Bedeutung zu.
Empfehlung Nr. 12: Wann soll die
Operation eines höhergradigen VUR
in Betracht gezogen werden?
Die zystoskopische Injektionstherapie oder
Operation eines VUR soll mit den Kinderuro –
logen diskutiert werden, wenn die Durchfüh –
rung einer antibiotischen Dauerprophylaxe
ungenügend oder zweifelhaft ist (Compli –
ance), oder wenn trotz Prophylaxe weitere
Harnwegsinfektionen mit Bildung von Nieren –
parenchymnarben auftreten. Liegen keine
weiteren urologische Fehlbildungen vor, sind
zystoskopische Injektionstherapie und Neu –
implantation des Ureters mögliche Therapie –
optionen. Im Falle von assoziierten urologi –
schen/renalen Fehlbildungen wird die
Indikation im Einzelfall diskutiert und beur –
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Nitrofurantoine-Restriction-d-utilisation-en-raison-d-
un-risque-de-survenue-d-effets-indesirables-graves-
hepatiques-et-pulmonaires-Lettre-aux-profession –
nels-de-sante .
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Christoph Berger
Co -Leiter Abteilung Infektiologie und
Spitalhygiene
Universitäts-Kinderkliniken
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
christoph.berger@ kispi.uzh.ch
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Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Christoph Berger , Infektiologie und Spitalhygiene, Universitäts-Kinderspital Zürich, Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich Andreas Nydegger