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Konsensus Empfehlungen zur Behandlung von Harnwegsinfektionen bei Kindern und Jugendlichen in der Schweiz – 2020

Übersetzung basierend auf:
Buettcher M, Trueck J, Niederer-Loher A, et al. Swiss consensus recommendations on urinary tract infections in children. Eur J Pediatr. (2020). https://doi.org/10.1007/s00431-020-03714-4

Ziel

Diese Empfehlungen richten sich an Fachleute im Gesundheitswesen, die im ambulanten und stationären Setting Kinder (0-16 Jahre) behandeln. Die Empfehlungen gelten für Harnwegsinfektionen (HWI) bei Kindern mit und ohne vorbestehende Risikofaktoren einschliesslich Kinder mit angeborenen Fehlbildungen der Nieren und Harnwege (CAKUT; Congenital anomalies of the kidney and urinary tract). Die Empfehlungen gelten nicht für Kinder mit bekannter primärer oder sekundärer Immunschwäche oder nosokomialen HWI.

Hintergrund

Eine akute Pyelonephritis (PN) kann zu erheblicher Morbidität führen.1-3) HWI per se sind jedoch nur in geringem Umfang verantwortlich für zukünftige Morbidität, z.B. arterielle Hypertonie oder chronische Nierenerkrankungen.4) Der Hauptrisikofaktor für diese Folgen sind angeborene Fehlbildungen der Nieren und Harnwege (CAKUT).5)

Empfehlung Nr. 1 – Klinischer Verdacht auf Harnwegsinfektion (HWI)

HWI sollten immer in Betracht gezogen werden bei Kindern mit Fieber ohne Fokus

Für die Diagnosestellung einer HWI ist eine systematische Untersuchung bei Neugeborenen sowie Kindern unter 2 Jahren, die sich mit Fieber vorstellen, wichtig. In dieser Altersgruppe fehlen üblicherweise die typischen klinischen Zeichen.

Risikofaktoren für die Entwicklung einer HWI:

  • Prä- oder postnatal diagnostizierte angeborene Fehlbildungen der Nieren und/oder Harnwege (CAKUT).
  • Positive Familienanamnese für höhergradigen vesikoureteralen Reflux (VUR) oder Nierenkrankheiten
  • Männliche Säuglinge ohne Zirkumzision
  • Pathologischer Urinfluss oder gestörte Blasenentleerung
  • Verstopfung
  • Vorgeschichte mit Hinweisen auf frühere HWI oder rezidivierende HWI

Empfehlung Nr. 2 – Differenzierung zwischen oberer und unterer HWI

Die Differenzierung zwischen oberer (Pyelonephritis) und unterer (Zystitis) HWI ist entscheidend für eine korrekte Behandlung

Die klassischen klinischen Zeichen und Symptome der HWI sind Pollakisurie, Dysurie, Flankenschmerzen und Fieber. Säuglinge und Kinder mit signifikanter Bakteriurie (siehe unten) und Fieber haben eine akute PN und nicht eine Cystitis. Bei Kindern <2 Jahren kann das Fieber auch fehlen, während andere unspezifische Zeichen und Symptome (reduziertes Trinkverhalten, Gedeihstörung, Lethargie oder Irritabilität) auftreten können. Daher sollte bei Kindern <2 Jahren im Zweifelsfall eine PN gesucht und ausgeschlossen werden. Untere HWI (Zystitiden) sind bei Mädchen >2 Jahren häufig. Die Diagnose einer Zystitis kann bei Kindern mit Dysurie, Pollakisurie und Bakteriurie, jedoch ohne Fieber und Flankenschmerzen in Betracht gezogen werden (siehe Empfehlung Nr. 4). Die Bestimmung der Entzündungsmarker alleine hilft nicht, initial eine PN sicher ein- oder auszuschliessen. 23) Wiederholt tiefe Entzündungsmarker wie z.B. C-reaktives Protein (CRP <20 mg/l) oder Procalcitonin (PCT < 0.5 ug/l) sprechen jedoch eher gegen die Diagnose einer PN.24) Mittels Ultraschall kann eine PN weder bestätigt noch ausgeschlossen werden.

Empfehlung Nr. 3 – Methoden der Urinsammlung

Bei Säuglingen und Kleinkindern wird zur Urinabnahme die Blasenkatheterisierung oder eine suprapubische Punktion und Aspiration empfohlen. Diese beiden Methoden sind der «Goldstandard» für eine verlässliche Diagnostik einer HWI. Eine «clean-catch» Urinprobe bietet eine gute Alternative bei Säuglingen und Kleinkindern ohne Blasenkontrolle. Eine Beutel-Probe (“Säckliurin”) sollte nur zum Ausschluss einer HWI angewandt werden. Eine Beutel-Probe sollte nicht zur Urinkultur eingesandt werden.

Die Blasenkatheterisierung wird öfters praktiziert als die suprapubische Blasenpunktion. Sie gilt als sicher und das Infektionsrisiko ist tief. Weil die Katheterisierung bei Knaben schwierig sein kann, sollte diese von einer erfahrenen Person durchgeführt oder überwacht werden. Wenn eine dieser Methoden geplant wird, kann eine vorausgehende sonographische Kontrolle hilfreich sein, um festzustellen, ob sich genügend Urin in der Blase befindet. Die Gewinnung eines Mittelstrahlurins (MSU) ist die bevorzugte Methode bei kooperativen Kindern mit etablierter Blasenkontrolle, die den entsprechenden Anweisungen folgen können. Eine «clean-catch» Urinprobe bietet eine gute Alternative bei Säuglingen und Kleinkindern ohne Blasenkontrolle. Hierzu wird, nach der Reinigung des Genitales mit sterilem Wasser oder Kochsalzlösung, der Mittelstrahlurin von den Eltern oder dem Pflege-/Hilfspersonal aufgefangen. Eine nicht-invasive Stimulation (Blasen “tapping” mit oder ohne Massage des Sakralbereichs) ermöglicht eine schnellere Miktion.25, 26)

Die Methode der Urinentnahme spielt eine wichtige Rolle zur Interpretation der Urinanalyse, da Mittelstrahlurin und clean-catch Urin eine grössere Kontaminationsrate haben im Vergleich zur Katheterisierung und suprapubischen Blasenpunktion. Eine Beutel-Probe (“Säckliurin”) sollte nur zum Ausschluss einer HWI angewandt werden. Eine Beutel-Probe sollte nicht zur Urinkultur eingesandt werden, da dieser Urin mit Perinealflora kontaminiert ist. Wird ein Sammelbeutel benützt, ist es wichtig, diesen nur kurz anzubringen (15-30 min), ihn nach Auffangen des Urins sofort zu entfernen und die Urinanalyse unverzüglich vorzunehmen. Im Falle eines pathologischen Befundes sollte eine zweite Probe mittels Katheterisierung, clean-catch oder suprapubischer Blasenpunktion entnommen werden und zur Urinkultur eingesandt werden, bevor man eine empirische antibiotische Therapie initiiert. Eine Übersicht der altersspezifischen Empfehlungen der Uringewinnung ist in Tabelle 1A dargestellt.

Empfehlung Nr. 4 – Urinanalyse und -kultur; zusätzliche Labortests

Die Diagnose einer HWI erfordert eine Urinanalyse und -kultur. Urinstix (Leukozyten-Esterase und Nitrit) oder die mikroskopische Untersuchung allein sind nicht ausreichend, um eine HWI definitiv zu bestätigen.

In der Grundversorgung stellt der Urinstreifentest eine schnelle und praktische Methode für die Urinanalyse dar. In diesem Setting rechtfertigt der zusätzliche geringe Sensitivitätsgewinn der mikroskopischen Analyse nicht den zusätzlichen Kosten- und Zeitaufwand. Es ist zu beachten, dass der Urinstreifentest in einigen wenigen Situationen falsch negativ sein kann (z.B. negative Leukozyten-Esterase und negatives Nitrit bei Kindern unter 3 Monaten, die eine hohe Entleerungsfrequenz haben oder bei Infektionen mit Enterococcus spp.).27) Demgegenüber kann der Urinstreifentest im Zusammenhang mit anderen Situationen falsch positiv sein (z.B. Kontamination, Fieber aufgrund einer anderen Ursache, Entzündungsprozesse).28) Im Kliniklabor kann der Streifentest mit der mikroskopischen Untersuchung kombiniert werden, um die Sensitivität leicht zu verbessern. Im Vordergrund stehen hier jedoch der Gewinn an Spezifität, insbesondere bei jungen Säuglingen, sowie die erweiterte mikroskopische Beurteilung des Urins bei unklaren Befunden im Urinstreifentest. Selbst wenn beide Tests angewandt werden, liegt die Sensitivität nicht bei 100%, so dass eine Urinkultur für eine sichere Diagnose unerlässlich ist.

Indikationen für eine Urinkultur:

  • immer bei Kindern im Alter von <90 Tagen mit Verdacht auf Harnwegsinfektion oder Fieber ohne Fokus
  • bei Kindern >90 Tage, bei denen klinisch der Verdacht auf eine akute PN besteht und die einen positiven Teststreifen (Leukozyten-Esterase/Nitrit) und/oder ein positives Ergebnis der Urinmikroskopie (Pyurie) haben
  • bei allen Kindern in einem reduzierten Allgemeinzustand oder mit hohem Verdacht auf eine invasive bakterielle Erkrankung
  • bei allen Kindern mit rezidivierenden HWI und urogenitalen oder nephrologischen Grunderkrankungen (CAKUT, hochgradiger VUR (WHO Grad IV-V)
  • bei allen Kindern, wenn die klinischen Symptome und Anzeichen nicht mit der Urinstix-Mikroskopie-Analyse korrelieren

Zusätzliche Laboruntersuchungen: Eine empirische antibakterielle Therapie sollte erst nach Entnahme einer Urinprobe zur Analyse und Kultur eingeleitet werden. Bei Kindern <60 Tage und bei Kindern, bei denen das Risiko einer schweren Erkrankung besteht oder die wahrscheinlich nicht in der Lage sind, orale Medikamente einzunehmen (schlechter Allgemeinzustand, Erbrechen, reduziertes Trinkverhalten), sollte vor Beginn der parenteralen Therapie zusätzlich zu einer Urinkultur immer eine Blutkultur entnommen werden. Insbesondere bei Neugeborenen und bei Säuglingen in reduziertem Allgemeinzustand sollte möglichst vor Beginn einer Therapie eine Sepsis-Abklärung (Blut-, Urin- und Liquoruntersuchung und -kultur) durchgeführt werden.

Eine Übersicht der altersspezifischen Empfehlungen für Urinanalysen und zusätzliche Laboruntersuchungen ist in Tabelle 1A dargestellt.

Tabelle 1: Zusammenfassung der HWI-Behandlung (Antibiogramm: antimikrobielle Empfindlichkeitsprüfung)

Empfehlung Nr. 5 – Definition einer positiven Urinkultur

Das Wachstum eines einzelnen Keimes in der Urinkultur nach Katheterisierung ≥10’000 [≥104] KBE/ml bzw. Mittelstrahlurin ≥100’000 [≥105] KBE/ml ist suggestiv für eine HWI.

Bei jungen Säuglingen (< 3 Monate) mit häufiger Miktion kann nach Katheterisierung bereits ein Wachstum von 1’000-10’000 (103 – 104) KBE (Kolonie bildende Einheiten) /ml auf eine HWI hindeuten. Im Urin, der durch suprapubische Aspiration gewonnen wurde, deutet jegliches Bakterienwachstum auf eine HWI hin. Im Allgemeinen spricht das Wachstum von ≥ 2 verschiedenen Bakterienarten für eine Kontamination.8, 29, 30) Insbesondere bei jungen Säuglingen kann jedoch das Wachstum von zwei Bakterienarten (insbesondere E. coli und Enterokokken) einen relevanten Befund darstellen und soll als HWI betrachtet werden, wenn die Anzeichen und Symptome sowie zusätzliche Laboruntersuchungen mit dieser Diagnose übereinstimmen.31, 32) Ein signifikantes Wachstum sogenannter Nicht-E.coli-Bakterien ist häufig mit dem Vorliegen einer anatomischen Fehlbildung (CAKUT) assoziiert, weshalb Kleinkinder bis zum Alter von 3 Jahren beim Vorliegen einer non-E.coli Infektion mit bildgebenden Verfahren untersucht werden sollen. CAKUT sollte auch bei älteren Kindern mit Inkontinenz oder dysfunktionaler Blasenentleerung in Betracht gezogen werden, falls eine Obstipation ausgeschlossen wurde15) (siehe auch Empfehlung Nr. 1 und 8). In einer kürzlich von Coulthard33) durchgeführten Metaanalyse, in der die optimale Schwelle der Bakterienkoloniezahl (KBE) im Urin untersucht wurde, welcher mit unterschiedlichen Methoden gewonnen wurde, hatte das Wachstum eines einzelnen Uropathogens bei ≥100’000 KBE/ml (≥105) die höchste Sensitivität (0.99) für die korrekte Diagnose einer Harnwegsinfektion, unabhängig vom Alter und der verwendeten Methode.

Dennoch sollte die Urinkultur nicht als einziges Kriterium für die Diagnose einer HWI verwendet werden, sondern immer im Zusammenhang mit der klinischen Situation (Vortestwahrscheinlichkeit, Vorgeschichte, Risikofaktoren, klinische Befunde, Ergebnisse von Urinanalyse und Blutuntersuchungen (siehe auch Empfehlung 1, 2 und 4)) betrachtet werden, um die korrekte Diagnose zu stellen.34)

In seltenen Fällen kann eine PN ohne Pyurie und/oder Bakteriurie vorliegen. Bei Kindern mit Fieber ohne Fokus, mit erhöhten Entzündungsmarkern, Flankenschmerzen oder Erbrechen und normaler Urinanalyse und Bakteriologie, kann in ausgewählten Fällen ein Uro-MR oder eine Nierenszintigraphie helfen, eine (fokale) Nephritis zu diagnostizieren.35, 36)

Es wird nicht empfohlen, bei Säuglingen und Kindern eine asymptomatische Bakteriurie zu suchen oder zu behandeln, da diese auf eine Besiedlung der Blase mit Bakterien hindeutet, die oft nicht virulent sind. In der Regel haben diese Kinder keine klinischen Symptome einer HWI und eine normale Urinanalyse.37, 38)

Empfehlung Nr. 6 – Behandlung einer HWI

Die Behandlung von Harnwegsinfektionen (Wahl des Antibiotikums, Verabreichungsweg) soll auf dem Alter, der klinischen Präsentation sowie Risikofaktoren aus der medizinischen Vorgeschichte des Patienten basieren. Bei Kindern < 60 Tage sollte immer erwogen werden, mit einer parenteralen Behandlung zu beginnen. Bei Kindern > 60 Tage in gutem Allgemeinzustand ist eine orale Therapie einer parenteralen Therapie gleichwertig. Die lokalen Resistenzprofile (falls verfügbar) sollten bei der Auswahl der empirischen Therapie berücksichtigt werden. Es sollte, wenn immer möglich eine Anpassung der Therapie nach Erhalt des Antibiogramms des isolierten Keimes erfolgen. Eine Pyelonephritis soll gesamt für 7 bis 10 Tage therapiert werden.

Im Allgemeinen hängt die empirische Behandlung von Kindern mit Verdacht auf eine HWI vom Alter des Kindes, der Schwere der Erkrankung, dem Vorliegen von begleitenden gastrointestinalen Symptomen (z.B. Erbrechen), von zugrunde liegenden medizinischen und/oder urologischen Komorbiditäten und lokalen antimikrobiellen Resistenzmustern ab. Da bei Neugeborenen und Kleinkindern im Alter von < 2 Monaten ein erhöhtes Risiko für eine Urosepsis besteht, wird empfohlen, in dieser Altersgruppe mit einer parenteralen Therapie zu beginnen. Gegenwärtig gibt es nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen für die optimale Gesamtdauer einer antimikrobiellen Therapie bei Kindern mit febrilen Harnwegsinfekten. Eine Behandlung über einen Zeitraum von 7-10 Tagen gilt auch bei Kleinkindern < 90 Tage als wirksam und ausreichend.10-12, 39) Diese Dauer gilt nach neueren Daten auch bei parenteral behandelten Säuglingen < 60 Tage mit bakteriämischer HWI als wirksam und ausreichend, sofern eine begleitende Meningitis ausgeschlossen wurde.11)

Bei Kindern mit einem schweren Verlauf einer HWI und zugrundeliegenden medizinischen und/oder urologischen Komorbiditäten kann eine Behandlung über längere Zeiträume individuell in Betracht gezogen werden.

Umstellung auf orale Behandlung

Es gibt nur begrenzte Daten zur Bioverfügbarkeit der meisten oral verabreichten Antibiotika bei Säuglingen < 3 Monaten. Klinische und Sicherheitsdaten in der Altersgruppe < 6 Monate sind jedoch ermutigend. Eine große retrospektive Studie an Kleinkindern unter 6 Monaten (68% < 3 Monate; 19% Neugeborene) ergab keinen Unterschied im Therapieversagen zwischen intravenös verabreichten Antibiotika für 3 Tage oder weniger und 4 Tage oder mehr.40) Ein Cochrane-Review (Einschluss von Kindern ab Geburt bis 18 Jahre) und eine weitere Studie (Einschluss von Kindern 1 bis 36 Monate) zur akuten PN bei Kindern, die 10-14 Tage lang mit Antibiotika behandelt wurden, ergaben keinen Unterschied in Bezug auf Fieberdauer oder Nierenfolgeschäden im Vergleich der 3 Therapieformen: Durchgehend intravenös behandelt versus 3 Tage intravenös, gefolgt von oraler Therapie versus durchgehend oraler Therapie.14, 41) In einer retrospektiven Studie bei Neugeborenen mit Harnwegsinfektionen (mit oder ohne Bakteriämie), jedoch ohne Meningitis, wurde bei einer durchschnittlichen Dauer von 4 Tagen parenteraler Antibiotikagabe mit anschliessender oraler Behandlung keine Therapieversagen oder Rezidive beobachtet.42)

Zusammenfassung der Behandlungsempfehlungen aller Altersgruppen

  1. Beginn mit parenteraler Verabreichung der Antibiotika bei Kindern < 60 Tage und bei Kindern, bei denen das Risiko einer schweren Erkrankung besteht oder die wahrscheinlich nicht in der Lage sind, Medikamente oral einzunehmen (reduzierter Allgemeinzustand, Erbrechen, schlechtes Trinkverhalten).
  2. Nach Erhalt des Erregers mit Antibiogramm der Urinkultur, Anpassung der Therapie, am besten gezielte Monotherapie (Antibiotika-Optionen und Dosierung sind in Tabelle 1B und 2 aufgeführt).
  3. Im Falle des Nachweises eines multiresistenten Erregers (z.B. ESBL) sollten Hygienemassnahmen und Therapie mit einem Spezialisten für pädiatrische Infektionskrankheiten besprochen werden.
  4. Bei unzureichendem Ansprechen auf die parenterale Therapie, Erbrechen oder schlechtem Trinkverhalten soll nicht auf eine orale Therapie umgestellt werden.
  5. Die Behandlung soll mit einem Spezialisten für pädiatrische Infektionskrankheiten besprochen werden, falls kein orales Standard-Antibiotikum auf Grundlage des Erregers und Antibiogramms in der Urinkultur identifiziert werden kann.
  6. Bei Kindern mit akuten und/oder chronischen Nierenerkrankungen, mit schweren renalen/urologischen Fehlbildungen, neurogener Blase oder Fremdmaterial soll initial eine parenterale Therapie erwogen werden; der Wechsel auf eine orale Therapie soll nach einem interdisziplinären Konsilium (päd. Nephrologie, Urologie und Infektiologie) festgelegt werden.
  7. Im Falle einer Sepsis mit Bakteriämie kann es erforderlich sein, die Dauer der parenteralen Behandlung zu verlängern.

Altersspezifische Empfehlungen für die empirische Antibiotikatherapie und die Dauer sind in Tabelle 1B und 2 aufgeführt. Optionen für die orale empirische Antibiotikatherapie in der Schweiz sind derzeit Amoxicillin-Clavulansäure oder Cephalosporine der 3. Generation. Die Entscheidung, welche dieser beiden Optionen verwendet wird, soll aufgrund der lokalen Resistenzprofile (falls verfügbar) getroffen werden. Antibiogramme nach Erreger, Alter, stationär versus ambulant und Region in der Schweiz sind online publiziert www.anresis.ch und können bei der Entscheidung helfen. Antibiotika-Dosierungen und maximale Tagesdosen sind, sofern verfügbar, in Übereinstimmung mit SwissPedDose www.swisspeddose.ch aufgeführt.

Empfehlung Nr. 7 – Überwachung und Kontrollen während der HWI

Am Tag 3 (bis 5) nach der Erstdiagnose und dem Beginn der empirischen Antibiotikatherapie sollen die Kinder klinisch untersucht werden, um das Ansprechen auf die Behandlung zu beurteilen und die Diagnose (nach Erhalt der Befunde der Urinkultur) zu bestätigen. Die Ergebnisse der Urinkultur sollen überprüft und die Medikation nach Antibiogramm angepasst werden. Wenn kein signifikantes Wachstum in der Urinkultur zu verzeichnen ist, soll die empirische antimikrobielle Therapie gestoppt und nach einer alternativen Diagnose gesucht werden.

Anschliessend ist eine erneute Untersuchung des Kindes nur dann notwendig, wenn Anzeichen einer persistierenden oder sich verschlechternden Infektion vorliegen, d.h. wenn das Kind noch febril ist oder sich der klinische Zustand nicht verbessert hat. In diesen Fällen muss unter Umständen die anfängliche Arbeitsdiagnose überdacht und weitere Differentialdiagnosen oder Komplikationen wie eine Pyonephrose oder ein (peri)renaler Abszess evaluiert werden. In dieser Situation ist die Durchführung einer Sonographie der Nieren und Harnwege erforderlich (Tabelle 1C). Bei adäquatem Ansprechen und gesicherter Diagnose soll keine erneute Urinanalyse, Urinkultur oder Entzündungslabor während oder am Ende der Therapie durchgeführt werden.

Tabelle 2: Therapeutische- und prophylaktische antimikrobielle Optionen für HWI

Empfehlung Nr. 8 – Die Rolle und Zeitpunkt der Bildgebung der Nieren und Harnwege bei HWI

Bei allen Kindern, unabhängig vom Alter, soll nach der ersten Episode einer Pyelonephritis eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden. Eine MCUG wird nur unter bestimmten Umständen geplant.

Eine Ultraschalluntersuchung (US) der Nieren und Harnwege kann eine PN oder einen vesikoureteralen Reflux (VUR) weder bestätigen noch ausschließen. Bei allen Kindern, unabhängig vom Alter, soll diese jedoch nach der ersten Episode einer Pyelonephritis durchgeführt werden.

In folgenden Situationen ist bereits in der Akutphase eine US empfohlen:43-46)

  • Kinder mit atypischer PN (Sepsis oder septischer Schock; pathologischer Urinfluss; palpatorisch abdominelle oder vesikale Resistenzen; erhöhtes Kreatinin; Nichtansprechen auf die Behandlung mit resistenzgerechten Antibiotika innerhalb von 48 Stunden)
  • Kinder mit rezidivierenden HWI

Anatomische Fehlbildungen oder die seltene Situation einer Pyonephrose (Eiter im Nierenbecken und/oder Harnleiter) mit sekundärer Obstruktion können mit dieser Methode erkannt werden.

Bei Kindern mit typischer PN, die auf die Behandlung anspricht, kann die Ultraschalluntersuchung zu einem späteren Zeitpunkt nach Abheilung der Infektion durchgeführt werden.

Bei Kindern mit nicht-E.coli-HWI, die gut auf Antibiotika ansprechen und keine anderen Merkmale einer atypischen Infektion (wie oben angegeben) aufweisen, kann der US ebenfalls nach Abheilung der Infektion durchgeführt werden. (Tabelle 1D).

Miktionszystourethrographie (MCUG)

Das Ziel des MCUG ist die Aufdeckung von:

  • hochgradiger VUR (Grad IV und V)
  • posteriore Urethralklappen (PUK) bei Knaben
  • Blasen- und Ureteranomalien (zum Beispiel Ureterozele)

Wir empfehlen, die MCUG nur unter den folgenden Umständen durchzuführen:

  • CAKUT und/oder Dilatation der Harnwege nach Ultraschall Untersuchung (eine isolierte leichte Dilatation des Nierenbeckens (≤ 10 mm) ist keine Indikation für die Durchführung einer MCUG)
  • pathologischer Urinfluss (z.B. durch PUK bei Knaben), nicht durch Dehydratation bedingte Oligurie, Harnverhalt
  • Infektion mit non- E. coli Erregern
  • Nichtansprechen auf die Behandlung mit geeigneten Antibiotika innerhalb von 48 Stunden
  • erhöhtes Kreatinin (je nach Alter) oder Dyselektrolytämie (zum Beispiel Hyponatriämie und Hyperkaliämie bei Verdacht auf sekundären transienten Pseudohypoaldosteronismus) oder arterielle Hypertonie
  • rezidivierende PN (2 oder mehr Episoden)

Das MCUG soll nicht nach einer ersten Episode einer Harnwegsinfektion bei einem Neugeborenen oder jungen Säugling als Routineuntersuchung durchgeführt werden, wenn die oben aufgeführten Umstände nicht vorliegen.15, 47) Wenn eine Familienanamnese mit höhergradigem VUR (Grad IV und V) vorliegt, kann eine MCUG auf individueller Basis in Betracht gezogen werden. Eine MCUG ist vor allem bei Kindern bis zum Alter von 3 Jahren indiziert, da es selten ist, dass ein Kind erst im höheren Alter Anzeichen und klinisch relevante Symptome oder Komplikationen eines VUR, PUK oder Blasenanomalien aufweist.7) Bei älteren Kindern sind Blasen-Darm-Fehlfunktionen und Obstipation wahrscheinlicher für (rezidivierende) HWI verantwortlich und sollen daher auf diese untersucht und grosszügig behandelt werden (siehe Empfehlung 10).

Zeitpunkt der MCUG

Falls die Indikation für eine MCUG vorliegt, soll es durchgeführt werden, sobald es seitens der lokalen Radiologieabteilung terminlich möglich ist. Ein zeitlicher Mindestabstand nach Beginn der antimikrobiellen Therapie für die akute PN bis zur MCUG ist nicht nötig und hat keinen Einfluss auf die Detektion eines VUR, wie aus einer kürzlich erschienenen Studie hervorgeht.48)

Antibiotika-Prophylaxe und MCUG

Wenn ein MCUG indiziert ist, soll eine Antibiotikaprophylaxe begonnen und bis zum Zeitpunkt der Untersuchung fortgesetzt werden (Optionen siehe Tabelle 2).

Weitere Bildgebungsmodalitäten

Wenn eine pädiatrische Radiologieabteilung Erfahrung mit kontrastverstärktem Ultraschall hat, kann diese Methode vor allem bei Mädchen als Alternative (ohne das Kind ionisierender Strahlung auszusetzen) zur MCUG eingesetzt werden. Bei Knaben kann diese Methodik posteriore Urethralklappen (PUK) jedoch nicht ausschliessen. Je nach Ultraschall- und MCUG-Befund und nach interdisziplinärer (pädiatrische Nephrologie/Urologie) Diskussion kann, je nach lokaler Expertise der Radiologen und Verfügbarkeit pädiatrischer anästhesiologischer Unterstützung, eine funktionelle Bildgebung (MR-Urographie, Szintigraphie) durchgeführt werden.

Empfehlung Nr. 9 – Indikationen zur Antibiotikaprophylaxe

Im Allgemeinen wird von einer Antibiotikaprophylaxe abgeraten.

Unter den folgenden Umständen kann eine Antibiotikaprophylaxe angezeigt sein (die geplante Dauer soll dokumentiert werden):

  • Kinder mit komplexer CAKUT oder mit zugrundeliegender Blasenfunktionsstörung (nach interdisziplinärem – pädiatrische Nephrologie/Urologie/Infektiologie -Konsilium)
  • Kinder mit hochgradigem VUR (WHO Grad IV und V)*
  • Wenn eine MCUG indiziert ist, kann eine Antibiotikaprophylaxe begonnen und bis zum Zeitpunkt der Untersuchung fortgesetzt werden

* Bei Kindern mit VUR Grad III kann die Prophylaxe individuell mit den Eltern besprochen werden. Die für die Prophylaxe erforderliche Behandlungszahl (number needed to treat – NNT) zur Verhinderung einer Harnwegsinfektion beträgt circa 5500 Antibiotikadosen.49) Es konnte nicht gezeigt werden, dass eine Antibiotikaprophylaxe die Narbenbildung in den Nieren reduziert.17, 50, 51) Nebenwirkungen von Antibiotika, Resistenzentstehung49) und Einfluss auf das intestinale Mikrobiom sollen bei der Diskussion ebenfalls berücksichtigt werden52).

Es gibt keine evidenzbasierten Leitlinien zur Dauer der Antibiotikaprophylaxe. Falls eine Prophylaxe erfolgt, soll die Indikation nach 6-12 Monaten (oder auch früher) in Korrelation mit dem klinischen Verlauf und der bildgebenden Nachsorge überprüft werden. Eine zweite MCUG wird im Allgemeinen nicht empfohlen, und es soll immer eine interdisziplinäre Diskussion durch die beteiligten Spezialisten vorausgehen.

Wahl des Antibiotikums zur Prophylaxe

Trimethoprim (falls als Einzelsubstanz verfügbar) ist eine geeignete prophylaktische Option bei Neugeborenen. Um die Entwicklung von Resistenzen zu verhindern, sollten Beta-Laktam- und Chinolon-Antibiotika nicht verwendet werden. Eine Ausnahme bilden Neugeborene, bei denen Amoxicillin als Prophylaktikum akzeptiert ist. Die Prophylaxe soll nicht auf der Grundlage des Antibiogramms der Urinkultur ausgewählt werden. Wenn sich unter laufender Prophylaxe eine oder mehrere Harnwegsinfektionen entwickeln, soll in Betracht gezogen werden, die Prophylaxe auf eine andere Substanz umzustellen. Optionen und Dosierungen sind in Tabelle 2 aufgeführt.

Antimikrobielle Dosierungen und maximale Tagesdosen entsprechen, sofern verfügbar, den SwissPedDose-Empfehlungen www.swisspeddose.ch

Empfehlung 10 – Blasen-Darm-Fehlfunktion ist ein relevanter Risikofaktor für rezidivierende Harnwegsinfektionen und sollte in der Anamnese und klinischen Untersuchung vor allem bei Kindern nach Entwicklung der Kontinenz immer kontrolliert werden.

Dysfunktion der unteren Harnwege, z.B. gestörte Blasenentleerung am Tage und fehlende vollständige Blasenentleerung (Restharn) in Kombination mit einer Darmentleerungsstörung, z.B. Verstopfung, werden als Blasen-Darm-Störung (bowel and bladder dysfunction – BBD) bezeichnet. BBD ist ein relevanter Risikofaktor für rezidivierende HWI. Zur Aufarbeitung dieser Risikofaktoren gehören Blasen-/Darmfunktion-Tagebücher, Fragebögen oder Verhaltensuntersuchungen. Darüber hinaus ist es ratsam, bei Verdacht auf eine gestörte Blasenentleerung eine Uroflowmetrie durchzuführen. Sie kann mit der transkutanen Elektromyographie (EMG) der Damm-Muskulatur kombiniert werden, um die zugrundeliegende Ursache genauer zu differenzieren – insbesondere, wenn die Uroflowmetrie eine Stakkato-artige Entleerung zeigt.53) Der Vorteil der Kombination von EMG und Uroflowmetrie ist die Möglichkeit, intermittierende Kontraktionen der periurethralen quergestreiften Muskeln oder der levator ani Muskeln während der Blasenentleerung aufzuzeigen. Dies kann bei der Vorbereitung eines Beckenbodentrainings (Biofeedback) oder einer Neuromodulation mit Hilfe der Uro-Physiotherapie hilfreich sein.54) Dysfunktionelle Blasenentleerung kann zu hohem intravesikalen Druck und fehlender vollständiger Blasenentleerung mit Restharn führen. Ein weiterer und häufiger Risikofaktor ist die chronische Obstipation, die bei Kindern mit rezidivierender HWI mit oder ohne VUR immer in Betracht gezogen werden muss und behandelt werden soll.45)

Empfehlung 11 – Chirurgische und endoskopische Eingriffe sollen in ausgewählten Fällen auf individueller Basis in Betracht gezogen werden

Bei Kindern mit hochgradigem VUR (Grad IV und V) und rezidivierenden HWI trotz prophylaktischer Antibiotikaeinnahme oder elterlicher Zurückhaltung bei der Verwendung von Antibiotika, kann ein chirurgischer Eingriff (z.B. endoskopische Injektionen von Füllmaterial oder Ureterreimplantation) vor allem nach dem ersten Lebensjahr eine Alternative sein. Es besteht kein Konsens über den Zeitpunkt und die Art der chirurgischen Korrektur.55)

Danksagung

Wir danken herzlich pädiatrie schweiz, Pädiatrische Infektiologie Gruppe Schweiz (PIGS), Schweizerische Gesellschaft für Kinderchirurgie, Kinderspital Luzern sowie Prof. T.J. Neuhaus für die grosszügige finanzielle Unterstützung zur Ermöglichung der Open-Access Publikation des Artikels im European Journal of Pediatrics.

Einzelreferenzen siehe Publikation (open access)

Buettcher M, Trueck J, Niederer-Loher A, et al. Swiss consensus recommendations on urinary tract infections in children. Eur J Pediatr. (2020). https://doi.org/10.1007/s00431-020-03714-4

Michael Buettcher1, Johannes Trueck1, Anita Niederer-Loher1, Ulrich Heininger1 , Philipp Agyeman1 , Sandra Asner1, Christoph Berger1, Julia Bielicki1, Christian Kahlert1, Lisa Kottanattu1,  Patrick M. Meyer Sauteur1,  Paolo Paioni1,  Klara Posfay-Barbe1, Christa Relly1, Nicole Ritz1, Petra Zimmermann1,  Franziska Zucol1,  Rita Gobet2+4,  Sandra Shavit2+4,  Christoph Rudin1+3, Guido Laube3  , Rodo von Vigier3, Thomas J. Neuhaus3

1 Pädiatrische Infektiologiegruppe Schweiz PIGS, www.pigs.ch
2 Schweizerischen Gesellschaft für Kinderurologie (SwissPU, www.swisspu.ch
3 Schweizerische Arbeitsgruppe für pädiatrische Nephrologie (SAPN)
4 Schweizerische Gesellschaft für Kinderchirurgie www.swiss-pediatricsurgery.org

Die Affiliation der einzelnen Autoren ist der open access Publikation zu entnehmen.

Weitere Informationen

Korrespondenz:
Interessenkonflikt:
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
KD Dr. med.  Michael Büttcher Kinderspital Luzern, LUKS, Pädiatrische Infektiologie, Luzern ; Universitäts-Kinderspital beider Basel, Pädiatrische Klinische Pharmakologie, Basel