Wir freuen uns über die Möglichkeit, die neuen Empfehlungen der «U.S. Preventive Services Task Force» (USPSTF) bezüglich Blutdruck-Screening im Kindesalter1) beurteilen zu dürfen.
L
Wir freuen uns über die Möglichkeit, die neu-
en Empfehlungen der «U.S. Preventive Ser –
vices Task Force» (USPSTF) bezüglich Blut-
druck-Screening im Kindesalter
1) b eur teilen zu
dürfen.
Verschiedene pädiatrische Gesellschaften
empfehlen das routinemässige Blutdruck-
Scr eening im K indesalter. In der Schweiz w ir d
empfohlen, den Blutdruck ab dem Alter von 6
Jahren regelmässig zu messen, dies auch bei
gesunden Kindern ohne spezielle Symptome.
In anderen Ländern wird der Blutdruck regel –
mässig ab dem Alter von 3 Jahren gemessen.
Der Grund für die Einführung von Blutdruck-
Screening-Programmen im Kindesalter ist die
Tatsache, dass die arterielle Hypertonie bei
Erwachsenen epidemische Proportionen er –
reicht hat und die häufigste Todesursache
weltweit ist. Ausserdem zeigen aktuelle
Schätzungen, dass bis 5
% d
er Kinder eine
arterielle Hypertonie aufweisen und bis 15
%
der
Adoleszenten abnorme Blutdruckwerte
haben (wenn die Grenze in dieser Altersgrup –
p e b ei 120/80 mm Hg geset z t w ir d ) . Die päd
–
ia
trische Hypertonie, insbesondere die essen –
tielle Hypertonie, bleibt symptomlos, dennoch
zeigen bis 40
% d
er hypertensiven Kinder be –
reits bei Diagnosestellung eine linksventriku –
läre Hypertrophie. Verschiedene Studien zei –
gen eindeutig, dass der Blutdruck vom
Kindesalter bis ins Erwachsenenalter eine
Progression oder ein «Tracking» zeigt: Hyper –
tensive Erwachsene waren häufig auch als
Kinder hypertensiv. Die Resultate der Studie
«Young Finns Study» unterstützen zusätzlich
die frühe Diagnosestellung und Therapie der
arteriellen Hypertonie, damit das kardiovas –
kuläre Risiko bei Erwachsenen gesenkt wer-
den kann.
Das pädiatrische Blutdruck-Screening wurde
durch die USPSTF geprüft, um genau zu wis-
sen, ob genügend Evidenz für Nutzen, Benefit
und Sicherheit dieses Screenings besteht.
Die Schlussfolgerung dieser Analyse zeigt,
dass die aktuelle Evidenz ungenügend ist, um
Benefit und Schaden eines universellen Blut -druck-Screenings bei Kindern für die Vorbeu
–
gung von kardiovaskulären Erkrankungen bei
Erwachsenen und Kindern beurteilen zu kön –
nen 1): «current evidence is insufficient to as-
sess the balance of benefits and harms of
screening for primary hypertension in asym-
ptomatic children and adolescents to prevent
subsequent cardiovascular disease in child –
hood or adulthood.»
Diese Schlussfolgerung der USPSTF basiert
auf den fehlenden Daten aus longitudinalen,
randomisierten, kontrollierten Studien.
Wir sind der Meinung, dass die Analyse der
USPSTF viele Aspekte der Blutdruckmessung
bei Kindern nicht berücksichtigt hat und die
Schlussfolgerungen der USPSTF entsprech
–
en
d nicht korrekt sind. Wir möchten hier
demzufolge die wichtigsten Punkte erwäh –
nen:
1.
Für
die Studie wurden mehr als 1000 Arti –
kel über das Thema selektioniert, am
Schluss wurden jedoch nur 35 Artikel be –
rücksichtigt. Viele Artikel wurden in die
Analyse nicht eingeschlossen, da gewisse
Selektionskriterien nicht erfüllt waren. Wir
sind der Meinung, dass diese Selektions –
kriterien zu restriktiv waren und wichtigen
Beobachtungsstudien zu wenig Beachtung
geschenkt wurde. Zum Beispiel gibt es
keine randomisierten, kontrollierten Studi –
en über die Korrelation zwischen Blut –
druck-Screening im Kindesalter und kardio –
vaskulären Erkrankungen bei Erwachsenen
(solche Studien bräuchten eine Beobach –
tungszeit von 40–50 Jahren); viele Beob –
achtungsstudien zeigen aber, dass die
Blutdruckwerte im Kindesalter die Blut –
druckwerte bei Erwachsenen voraussagen,
oder dass eine klare Korrelation zwischen
Blutdruckwerten bei Kindern und End-Or –
gan-Schäden bei Erwachsenen besteht,
zum Beispiel eine Korrelation zwischen den
Blutdruckwerten im Alter von 12 Jahren
und der Intima-Media Dicke der Karotiden
(Zeichen der Atherosklerose) bei Erwach –
senen. 2.
Di
e Analyse der USPSTF kommt zum
Schluss, dass die Studien, die die Wirksam –
keit der antihypertensiven Therapien unter –
suchen, inadäquat sind. Es gibt verschiede –
ne Studien, die die Wirksamkeit von Diät,
Gewichtsverlust, Bewegung und medika –
mentöser Therapie sehr gut und mit langen
Beobachtungszeiten bei Kindern unter –
sucht haben; aber auch diese Studien
wurden in die Analyse der USPSTF nicht
eingeschlossen.
3. Zu m Schluss das wichtigste bezüglich Blut-
druck-Screening im Kindesalter: Ein Blut –
druck-Screening identifiziert die wenigen
(aber bedeutsamen) Kinder mit einer se –
kundären Ursache der arteriellen Hyperto –
nie, die asymptomatisch sind und sonst
verpasst würden (zum Beispiel Kinder mit
unbekannten Nierenerkrankungen, Nieren –
arterienstenosen, Aortenisthmusstenosen
usw.) .
Zusammenfassend wurden die Empfehlungen
der USPSTF
1) durch eine zu strenge Selektion
der Evidenz verfälscht; wichtige, zur Verfü –
gung stehende Beobachtungsstudien wurden
nicht in die Analyse miteinbezogen. Wenn die
perfekte Evidenz fehlt, braucht der Pädiater
«common sense»: Wichtige, sorgfältig durch –
geführte Studien mit einer etwas niedrigeren
Evidenz zeigen eindeutig, dass ein Blutdruck-
Screening im Kindesalter Vorteile für die
Kinder und für die zukünftigen Erwachsenen
bringt.
Die Schweizerische Hypertonie Gesellschaft
empfiehlt deshalb weiterhin das Blutdruck-
Screening im Kindesalter.
Referenz
1) Moyer VA. Screening for primar y hypertension in
ch ildren and adolescents: U.S. Preventive Services
Task Force Recommendation Statement. Pediatrics
2013 ; 132: 9 07–914 .
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. G. Simonetti
Leitender Arzt Kindernephrologie
Universitätsklinik für Kinderheilkunde
Inselspital
3010 Bern
Blutdruck-Screening im Kindesalter –
immer noch sinnvoll!
Giacomo D. Simonetti, Bern; Mario G. Bianchetti, Bellinzona
im Auftrag der Schweizerischen Hypertonie Gesellschaft
1Prof. ffRTof.ff.abi
1Prof. RTafT
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Giacomo D. Simonetti , Istituto pediatrico della Svizzera Italiana, Ente Ospedaliero Cantonale, Bellinzona & Università della Svizzera Italiana, Lugano, Mario G. Bianchetti Andreas Nydegger