Einführung
Blei ist ein seit alten Zeiten verwendetes Metall, dessen Inhalation und Einnahme toxisch sind. Es ist in unserer Umwelt präsent, durch Verunreinigung von Boden, Luft, Wasser, Nahrungsmitteln, Hausstaub und Konsumgegenständen. Durch gesundheitspolitische Massnahmen, wie das Verbot bleihaltiger Treibstoffe und Malfarben, der Ersatz bleierner Kanalisationen, die Kontrolle von Konsumgütern und Regulierung industrieller Emissionen, wurde seit den 1970er Jahren eine signifikante Verminderung des Blutbleispiegels in der Bevölkerung erreicht. Das Expositionsrisiko für Kinder besteht vor allem in schlecht kontrollierten Konsumgütern und in Wohnhäusern mit noch bleihaltigen Wandanstrichen (problematisch bei Renovation ohne Schutzmassnahmen oder bei beschädigter Farbschicht). Der Gebrauch bleihaltiger Malfarben hat seit den 1950er Jahren abgenommen, wurde in der Schweiz aber erst 2005 verboten, mit Inkrafttreten am 1.8.2006 der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung (Verbot von Malfarben mit mehr als 100 ppm Blei).
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Einführung
Blei ist ein seit alten Zeiten ver wendetes Me-
tall, dessen Inhalation und Einnahme toxisch
sind. Es ist in unserer Umwelt präsent, durch
Verunreinigung von Boden, Luft, Wasser,
Nahrungsmitteln, Hausstaub und Konsumge –
genständen.
Durch gesundheitspolitische Massnahmen,
wie das Verbot bleihaltiger Treibstoffe und
Malfarben, der Ersatz bleierner Kanalisatio –
nen, die Kontrolle von Konsumgütern und
Regulierung industrieller Emissionen, wurde
seit den 1970er Jahren eine signifikante Ver –
minderung des Blutbleispiegels in der Bevöl –
kerung erreicht. Das Expositionsrisiko für
Kinder besteht vor allem in schlecht kontrol –
lierten Konsumgütern und in Wohnhäusern
mit noch bleihaltigen Wandanstrichen (prob –
lematisch bei Renovation ohne Schutzmass –
nahmen oder bei beschädigter Farbschicht).
Der Gebrauch bleihaltiger Malfarben hat seit
den 1950er Jahren abgenommen, wurde in
der Schweiz aber erst 2005 verboten, mit In –
krafttreten am 1.8.2006 der Chemikalien-Ri –
sikoreduktions-Verordnung (Verbot von Mal –
farben mit mehr als 100 ppm Blei).
Schwere symptomatische Vergiftungen durch
hohe Blutbleispiegel sind im Kindesalter sel –
ten geworden. Studien zeigen jedoch, dass
Blei selbst bei tiefen Blutbleispiegeln (< 50
µg/l) neurologische und Verhaltensstörungen
verursachen kann: Verminderung kognitiver
Fähigkeiten und akademischer Leistungen,
Aufmerksamkeitsstörungen und strafbares
Verhalten
1) -4) . Es gibt keine untere Toxizitäts -
grenze unter welcher Blei als unschädlich
betrachtet werden kann
1) -4) .
Auf Grund dieser neuen Erkenntnisse wurde
der Referenzwert für den Blutbleispiegel in
Deutschland
4) au f 35 µ g/l und in Fr ankr eich 3)
und den USA 1) au f 50 µ g/l her abgeset z t ( 20 09
bzw. 2012 und 2015). In Frankreich wird der
Saturnismus durch einen Blutbleispiegel von
> 50 µg/l definiert, und nicht durch das Auf –
treten von Symptomen.
Bleivergiftung beim Kind in der Schweiz
Ein unterschätztes Risiko? Eine verkannte Problematik?
Nicole Jundt Herman, Etagnières
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Ziel dieses Beitrages ist es, nebst einer allge –
meinen Übersicht zur Bleivergiftung im Kin –
desalter die schweizerischen Empfehlungen
zu erörtern und diese mit gewissen Empfeh –
lungen und Gepflogenheiten im Ausland zu
vergleichen.
Bleiquellen
Blei ist in der Erdkruste natürlicherweise
vorhanden. Auf Grund seiner industriellen und
häuslichen Verwendung tritt Blei in den ver –
schiedensten Formen auf, wie in Tabelle 1
zusammengefasst.
Spezialfall bleihaltige Farben:
In der Schweiz kann in Gebäuden, die vor
2006 und insbesondere vor 1950 errichtet
wurden, Bleifarbe auf allen bemalten Flächen
vorhanden sein: Hölzerne Flächen (Türen und
Türrahmen, Fensterläden), Metallgegenstän –
de (Rostschutzfarbe von Geländern, Heizkör –
pern, Trägern) und Mauern (abwaschbare
oder nicht abwaschbare Farben)
5).
Ist die Blei enthaltende Farbe mit bleifreier
Farbe übermalt und die Oberfläche in gutem
Zustand, besteht keine direkte Expositionsge –
fahr. Blättert die Farbe jedoch ab oder bei
Renovation ohne adäquate Vorsichtsmass –
nahmen (z. B. Schleifen von Täfelungen), kann
Blei in Luft und Staub gelangen. Die Einwoh –
ner, und insbesondere Kinder sind somit Blei
durch Inhalation oder Einnahme über die
Hände ausgesetzt.
Die Abteilung für Luft, Lärm und nichtionisie –
rende Strahlen des Kantons Genf (SABRA) hat
2013 das Vorhandensein von Blei in Gebäuden
unter sucht . B lei w ur de in b einahe 50 % der vor
2006 errichteten Bauten festgestellt
6).
Toxikokinetik des Bleis 2), 3)
Die enter ale B leiabsor ption b etr äg t b eim K ind
40 -50 % , beim Erwachsenen 5 -10 % , und wird
verstärkt durch Eisen- und Calciummangel
sowie durch Vitamin D. Die toxische Wirkung
von Blei ist dosisabhängig und korreliert mit
dem Blutspiegel. Der Blutbleiwert wiederspie –
gelt das Gleichgewicht zwischen Bleiexpositi –
on zum Zeitpunkt der Blutentnahme und dem Körpervorrat, in Weichteilen (5 -10 %) und im
Knochen, dem hauptsächlichsten Speicheror
–
gan (90 -95% im Erwachsenen-, 75% im Kin –
desalter). Das im Knochen gebundene Blei übt
keine toxische Wirkung aus, kann aber unter
gewissen Bedingungen aus dem Knochen
freigegeben werden: Knochenumbau während
des Wachstums, bei Entmineralisierung (Bett –
lägerigkeit, längerdauernde Kortisontherapie,
Osteoporose) oder Schwangerschaft und
Stillen (transplazentarer Übergang ab 12.
SSW). Nach Expositionsende erfolgt der Ab –
fall des Blutbleispiegels langsam, mit einer
Bluthalbwertszeit von einem Monat. Die Halb –
wertszeit im Knochen beträgt 10 -30 Jahre.
Die Ausscheidung erfolgt vor allem über die
Nieren.
Symptome der Bleivergiftung
Die toxischen Auswirkungen von Blei auf den
Organismus sind irreversibel. Gefährdet sind
insbesondere Kleinkinder, da sie alles in den
Mund nehmen und Blei stärker absorbieren.
Neurologische Zeichen treten schon bei tiefen
Blutspiegeln (< 50 µg/l) auf: Kognitive und
Aufmerksamkeitsstörungen, Aggressivität
und asoziales Verhalten (Verhaltensstörungen
und strafbares Verhalten)
1) -3) . B ei einer Zunah -
me des B lutbleispiegels von 0 au f 10 0 µ g/l is t
ein Verlust von 6-7 Punkten des Intelligenz -
quotienten zu erwarten
1) -3) . Darüber hinaus
führen jede zusätzlichen 100 µg/l zu einer
IQ -Abnahme von 1-3 Punkten
2).
Während der Schwangerschaft kann Blei zu
Fehlgeburt, Untergewicht und neurotoxischen
Symptomen beim Fötus führen. Im Kindesal -
ter kommt es zu Minderwuchs, Pubertätsver -
zögerung und Hörstörungen, bereits bei Spie -
geln < 100 µg/l
1) -3) .
Die gesundheitlichen Auswirkungen von Blei
auf Kinder und Erwachsene sind in Tabelle 2
zusammengefasst.
Diagnostik
Die Diagnose der Bleivergiftung beruht auf
venös bestimmtem Blutbleispiegel. Es gibt
kapillare Screeningtests, diese sind jedoch
weniger zuverlässig und erfordern je nach
Resultat eine venöse Bestätigung.
Eine Anämie im Blutbild findet sich erst bei
hohen Blutbleiwerten (700 µg/l). Basophile
Tüpfelung der Erythrozyten findet man bei
verschiedenen Krankheitsbildern (Thalassä -
mie, Schwer met all ver gif tung , pr imär e Enz y m -
störungen), ihr Vorhandensein muss jedoch
13Blei eestleneeiaZv
13Blei stnaZvrwd l
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als Warnzeichen für eine mögliche Bleivergif-
tung betrachtet werden. Die Bestimmung der
Porphyrine (freies Protoporphyrin und Zink-
Protoporphyrin) ist zur Diagnose leichter
Bleivergiftungen nicht von Nutzen, da die
Werte erst ab einem Blutbleispiegel von 250
µg/l ansteigen, pathologische Befunde zudem
verschiedene Ursachen haben können
8). Die
Bestimmung von Eisen und Calcium ermög -
licht einen entsprechenden Mangel festzu -
stellen, der eine vermehrte Bleiabsorption
verursachen kann.
Behandlung und Sanierung
Die Entsorgung der Kontaminationsquelle ist
entscheidend. Bei schweren Vergiftungen
kann durch Chelieren zirkulierendes Blei an
ein Molekül gebunden, und damit die Aus -
scheidung durch die Nieren begünstigt und
eine Senkung des Blutbleispiegels erreicht
werden. Der französische Leitfaden führt die
zur Verfügung stehenden Chelatoren und
deren Dosierung auf
2). Die Stiftung Tox Info
Suisse kann ebenfalls konsultiert werden
(Notfallnummer 145, www.toxinfo.ch) . Es gibt
keine Behandlung für leichte Vergiftungen.
Empfehlungen für die Cheliertherapie
2):
Blutbleispiegel ≤ 250 µg/l: Keine Chelierung
Blutbleispiegel 250 -450 µg/l: Bestimmung
wiederholen, um die Kinetik zu verfolgen,
Chelierung bei Zunahme
Blutbleispiegel 450-700 µg/l: Orale Chelie -
rung, Einleitung im Spital
Blutbleispiegel ≥ 700 µg/l: Intravenöse Che -
lierung mit 2 Chelatoren
Ratschläge für Diagnostik und Sanierung von
Gebäuden findet man in Informationsbroschü -
ren, die auf den Internetseiten verschiedener kantonaler Dienststellen konsultiert werden
können
5),6),9),10),11) .
Schweizerische Gesetze und
Empfehlungen
Die verschiedenen Gesetzesartikel, die den
Gebrauch von Blei in der Schweiz und die
Grenzwerte in den möglichen Bleiquellen re
-
glementieren, sind im «Factsheet Blei» des
Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aufge -
führt und können auf der Internetseite des
BAG abgerufen werden
7). Obwohl letztere
2016 aktualisiert wurde, ist hervorzuheben,
dass das Dokument immer noch Links zu in -
zwischen überholten ausländischen Websei -
ten aufführt (z. B. bezüglich der deutschen
«Stoffmonographie Blei»
4)).
Das BAG publiziert folgende Empfehlungen
betreffend Blei
7): Keramikgeschirr unbekann -
Bleiquelle Expositionsmodus Kommentare
Bleifarben, in WohnbautenVerschlucken von
Farbfragmenten durch Kinder
Einnahme, Inhalation von
kontaminiertem Staub Risiko insbesondere bei Renovation ohne Vorsichtsmassnahmen oder
bei beschädigter Oberfläche
Wasser Hahnenwasser Kanalisationen oder Schweissstellen aus Blei
Spielsachen Verschlucken von Farbe Z. B. alte Kleinmodelle von Fahrzeugen
Spielsachen unkontrollierter Herkunft
Immer Etiketten kontrollieren
Gegenstände Verschlucken Gewisse Schmuckstücke
Gegenstände aus Blei (z. B. Vorhanggewichte)
Mit Email oder Bleifarben bemalte Gegenstände
Nahrungsmittel Einnahme Durch Erde oder Luft kontaminierte pflanzliche Nahrungsmittel
Wild
Geschirr aus Keramik,
Kristall oder Zinn Kontakt mit Nahrungsmitteln
Ungenügend gebrannte Bleiglasur
Feriensouvenirs
Längerdauernder Kontakt, insbesondere säurehaltiger Nahrungsmittel
Tabakrauch Inhalation Aktive oder passive Tabakrauchexposition
Heilmittel Einnahme, Hautkontakt Traditionelle Heilmittel, in Form von Tees, Pillen oder Salben, ayur vedische
Medizin, pflanzliche Heilmittel, komplementäre Nahrungsmittel, die nicht
kontrolliert wurden
Kosmetika Einnahme, Inhalation,
Hautkontakt Traditionelle Kosmetika (Khôl, Surma, Kajal, Tiro)
Kosmetika ungenügend kontrollierten Ursprungs
Verbrennen von
bemaltem Holz Inhalation
Anwendung als Heizstoff oder in Cheminées
Boden im Freien Einnahme, Inhalation Industrie, Schiessstände, ehemalige Schuttablagerungen, äussere
Renovierung ohne Vorsichtsmassnahmen. Natürliche Ursachen
(Erosion, Vulkanausbrüche)
Industrielle Stätten Verschmutzung von Luft und
umgebenden Böden In Aktivität oder nicht
Freizeitbeschäftigungen Einnahme, Inhalation Tonwaren mit bleihaltigem Email, Glasmalerei, Jagd, Sportschiessen, Fischen
(Bleigewichte), Kleinmodelle mit Bleibestandteilen oder mit bleihaltiger Farbe
bemalt
Farben für Kunstmaler Einnahme, Inhalation Gewisse Farben für Kunstmaler enthalten noch Blei
Berufliche Tätigkeit Potentielle direkte Exposition
Erwachsener Indirekte Kontamination der Wohnräume durch Arbeitskleider und Schuhe
Tabelle 1: Bleiquellen 1) , 2) , 7)
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13Blei stnaZvrwd l
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ter Herkunft für Esswahren vermeiden; Erneu-
erung alter Farbanstriche, die möglicherweise
Blei enthalten durch einen Spezialisten; Ver -
wenden bleifreier Farben für Keramik und
durch Künstler; Schwangere sollten nicht
mehr als zweimal wöchentlich Wild geniessen.
Die Kantone überwachen den Bleigehalt in
Nahrungsmitteln, Gebrauchsgegenständen,
Wasser, Boden, Düngemitteln, Kompost, Luft
und Abfällen. Die Gebäudediagnostik vor dem
Ausführen von Bauarbeiten schliesst in den
meisten Kantonen bei Bauten vor 1990 und
einer A bf allmenge > 20 0 m
3 den Nachweis von
Blei ein. In drei Kantonen gibt es Richtlinien
zum Nachweis von Bleifarben beim Umbau
oder Abbruch eines Gebäudes: Genf für Bau –
ten vor 2006, Neuchâtel vor 1994 und Frei –
burg vor 1993. Für Schiessstände besteht
ein eidgenössischer Sanierungsplan. In meh –
reren Kantonen zirkuliert ein Informations -blatt über das Vorhandensein von Blei in
Schmuckstücken
12 ).
Es gibt keine spezifische, offizielle schweize –
rische Empfehlung zur Prävention von Bleiex –
position und -vergiftung im Kindesalter. Der
Kanton Genf hat mehrere Broschüren über
B lei im Wohn – und Leb ensr aum ver öf fentlicht ;
es werden dort die Folgen einer Bleikontami –
nation auf die Gesundheit der Kinder er –
klärt
6 ) , 11 ) . Es besteht in der Schweiz keine
Meldepflicht bei Bleivergiftung.
Referenzwerte für den
Blutbleispiegel
Der Referenzwert einer toxischen Substanz
hängt vom Biomonitoring einer Population ab
(für Blei-Überwachung des Blutbleispiegels der
B evölker ung im Ver lau fe der Zeit ) . Da es b ei uns
kein entsprechendes Monitoring gibt, bezieht
sich die Schweiz auf ausländische Werte.
In den USA wurde der Referenzwert für Kinder
2012 auf 50 µg/l gesenkt, auf Grund von Po –
pulationsstudien und der Auswirkungen selbst
tiefer Spiegel auf die Gesundheit der Kinder.
Da es keinen unteren Grenzwert für die toxi –
sche Wirkung von Blei gibt, wurde der untere
klinische Schwellenwert («level of concern»)
in den USA 2012 völlig aufgegeben. In Frank –
reich wurde der Referenzwert für Kinder und
Schwangere 2015 auf 50 µg/l gesenkt. In
Deutschland ist der Referenzwert seit 2009
mit 35 µg/l noch tiefer.
Internationale Empfehlungen
In den USA und in Fr ankr eich w ir d die B lei ver –
giftung im Kindesalter als dringliches gesund –
heitspolitisches Problem betrachtet. Diese
beiden Länder setzen sich für eine Strategie
der primären Prävention ein mit dem Ziel, Ri –
sikofaktoren einer Exposition zu beseitigen,
bevor es zu einer Vergiftung kommen kann.
Tabelle 2: Gesundheitliche Auswirkungen von Blei
2) * ALA: ∂ -Aminolävulinsäure; ALAD: ∂ -Aminolävulinsäure-Dehydrase
Blutbleispiegel (μg/l) Wirkung
> 2000 Sterberisiko, Erwachsene
Risiko schwerer Enzephalopathie, Erwachsene
1500-2000 Zytolytische Hepatitis
De-Toni-Debré-Fanconi-Syndrom
1000-1500 Risiko tödlicher Vergiftung, Kinder
Hohes Risiko schwerer Enzephalopathie im Kindesalter
Risiko klinisch eindeutiger peripherer Neuropathie, Erwachsene
Bleikolik
700-1000 Anämie
Risiko schwerer Enzephalopathie, Kinder
Elektrophysiologische Zeichen einer peripheren Neuropathie individuell feststellbar
500-700 Erhöhung der ALA* im Urin über den Grenzwert
Bauchschmerzen und verlangsamte Darmtätigkeit
Risiko glomerulärer und tubulo-interstitieller Nephropathie (nach längerdauernder Exposition)
400-500 Nachgewiesene hirnorganische Störungen, Erwachsene
Risiko subakuter Enzephalopathie, Kinder
Erste Zeichen einer tubulären Nierenstörung
Abfall des Hämoglobinspiegels (Anämie erst über 700-800 µg/l)
200-400 Abfall der Nervenleitgeschwindigkeit
Erhöhung von Zink-Protoporphyrin
Störung der Vitamin-D-Synthese
Verlängerung der Zeit bis zum Eintreten einer Schwangerschaft bei exponierten Männern
Erhöhtes Fehlgeburt-Risiko bei Exposition während der Schwangerschaft
100-200 Beeinträchtigung des Spermiogrammes
5 0 -10 0 Verzögerte sexuelle Reifung beim Kind
Erhöhtes Risiko verzögerter Pubertät
Erhöhtes Risiko einer Schwangerschaftshypertonie
Hemmung der ALAD*
<50 Kognitive Störungen, Kinder
Abfall des Hörvermögens, Kinder (begrenzte Beweise bei Erwachsenen)
Erhöhung des Blutdruckes und Risiko arterieller Hypertonie, Erwachsene
Verminderte glomeruläre Filtrationsrate, Erwachsene und Jugendliche
Erhöhtes Risiko chronischer Nierenerkrankung, Erwachsene
Erhöhtes Risiko für Untergewicht bei Exposition in utero
Wachstumsstörung, Kinder
13Blei eestleneeiaZv
13Blei stnaZvrwd l
16
Die Massnahmen sekundärer Prävention zie-
len darauf ab, Vergiftungen bei möglichst
tiefen Blutbleispiegeln zu erfassen, um die
Quelle der Bleivergiftung ausfindig zu machen
und zu eliminieren, und so die Auswirkungen
auf die Gesundheit der Kinder zu mindern.
In Fr ankr eich hat der Haut C onseil de la Santé
Publique 2017 die Empfehlungen f ür die Fr üh -
erkennung und Betreuung der Bleiexposition
im Kindesalter und während der Schwanger -
schaft aktualisiert
2). Für K inder unter 6 Jahr en
wird empfohlen, bei den Vorsorgeuntersu -
chungen im Alter von 9 und 24 Monaten und
3 und 4 Jahren mittels eines Fragebogens
nach Expositions-Risikofaktoren zu suchen.
Besteht bei einem asymptomatischen Kind
ein solcher Risikofaktor, wird eine Bestim -
mung des Blutbleispiegels angeordnet. Dies
wird ebenfalls durchgeführt, wenn gewisse
suggestive klinische Zeichen oder Lern-, Ver -
haltens- oder neurologische Störungen und
ein Umweltrisiko bestehen. Ein Blutspiegel
von ≥ 50 µg/l ist meldepflichtig und hat eine
notfallmässige Umgebungsuntersuchung und
je nach Blutbleispiegel eine ärztliche Betreu -
ung des Kindes zur Folge. Wird eine Bleiquel -
le fes t ges tellt , die no ch weiter e K inder b etr ef -
fen könnte, wird der Blutbleispiegel auch bei
diesen bestimmt. Ein Wert von 25-49 µg/l
wird nach 3-6 Monaten kontrolliert.
In den USA w ir d die B es timmung des B lutblei -
spiegels bei Kindern im Alter von 12-24 Mo -
naten je nach Vorhandensein regionaler Risi -
kofaktoren empfohlen (≥ 25% der Gebäude vor
1960 erbaut oder Prävalenz des Blutbleispie -
gels ≥ 50 µg/l bei ≥ 5% der Kinder). Es wird
hier auf eine detaillierte Darstellung der bei
einem Blutbleispiegel ≥ 50 µg/l empfohlenen
Massnahmen, die ähnlich den französischen
sind, verzichtet
1).
Die neuesten deutschen Empfehlungen sind
im 2. Addendum zur «Stoffmonographie Blei»
enthalten
4).
Diskussion
Seit den 1970er-Jahren wurden durch beacht -
liche Bemühungen die Auswirkungen von Blei
auf die Bevölkerung verringert. Mit Erfolg,
wenn man den mittleren Blutbleispiegel be -
trachtet, der in den USA von 150 µg/l in den
Jahren 1976-1980 auf 13 µg/l in den Jahren
2007-2010 abgefallen ist
13 ). In der Schweiz
b etr ug der mit tler e B leispiegel 1980 125 µ g/l,
gegenüber 16.3 µg/l in einer 2011 bei 74
Kinder durchgeführten Studie
14 ). Die Bleiproblematik darf jedoch nicht ver
-
nachläs sig t wer den, ver bleibt B lei do ch allge -
genwärtig, zum Beispiel in Farbanstrichen von
Gebäuden oder in importierten Konsumgü -
tern, die durch die Maschen der offiziellen
Kontrollen fallen. In den USA verstarb im Jahr
20 06 ein K ind , weil es ein bleier nes Schmuck -
stück verschluckte, das als Geschenk einem
via Internet gekauften Paar Schuhe beilag
1).
Gesundheitspolitisch sind nicht die individu -
ellen Fälle schwerer Vergiftung entscheidend,
sondern die Vielzahl leichter Vergiftungen,
durch den globalen Verlust an kognitivem und
intellektuellem Potential und die indirekt
verursachten Kosten
1).
Die National Health and Nutrition Examination
Survey (NHANES) ergab, dass in den USA
zwischen 2007 und 2010 2.6% der Kinder im
Vorschulalter einen Blutbleispiegel ≥ 50 µg/l
hatten
1). In einer im Jahr e 2014 in G enf dur ch -
geführten Studie hatten 2 von 124 untersuch -
ten Kindern, d. h. 1.6% , einen kapillären
Blutbleispiegel ≥ 50 µg/l (nicht venös über -
prüft)
16 ). Gemäss einer nationalen Studie von
2011 in den USA w ir d die A nz ahl G ebäude, die
bleihaltige Farben aufweisen, auf 35% ge -
schätzt
1), während man in Genf schätzt, dass
50 % der vor 2006 erbauten Gebäude mit Blei
belastet sind. Beim Vergleich dieser Zahlen
wird man sich bewusst, dass die Bleiproble -
matik in der Schweiz nicht an Aktualität ver -
loren hat und sich von den Verhältnissen in
anderen Ländern nicht unterscheidet. Die
Bevölkerung sollte deshalb aktiv auf die Ge -
fahren im Zusammenhang mit Blei aufmerk -
sam gemacht werden, insbesondere bei Re -
novationen ohne Vorsichtsmassnahmen von
vor 2006 erbauten Gebäuden. Keine Renova -
tion sollte ohne vorausgehende Bleidiagnostik
unternommen werden, oder es müssen von
vornherein adäquate Vorsichtsmassnahmen
getroffen werden
5).
Unsere Aufmerksamkeit sollte sich deshalb in
erster Linie auf eine wirksame Primärpräven -
tion konzentrieren, um die – zum grössten Teil
vermeidbaren – Bleiquellen zu eliminieren und
so die Kinder vor jeglicher Vergiftung zu
schützen. In der Schweiz fehlen der Bevölke -
rung und der Ärzteschaft Informationen zur
aktuellen Lage der immer noch bestehenden
bleibedingten Gefahren. Wir müssen uns
weiter um Information, Sanierungen, Gesetz -
gebung und Kontrolle bemühen, um neurolo -
gische und kognitive Schäden zu vermeiden,
die schon bei tiefen Blutbleispiegel < 50µg/l,
ohne untere Toxizitätsgrenze, auftreten kön -nen. Der Regierung kommt bei dieser Präven
-
tionspolitik eine zentrale Rolle zu.
Die sekundäre Prävention vermag lediglich die
Schäden einer bereits stattgefundenen Ver -
giftung einzuschränken. Ohne offizielle Emp -
fehlungen zu Diagnostik und Betreuung der
Bleivergiftung im Kindesalter verfügen wir
jedoch über keinerlei Mittel, um leichte Ver -
giftungen mit unspezifischen Symptomen, die
meist unbemerkt bleiben, zu diagnostizieren.
Im K anton G enf läu f t s eit 2013 b ei Imm obilien -
agenturen, Architekten, Bauunternehmen,
Hausbesitzern und dem breiten Publikum die
Sensibilisierungskampagne «Tr avau x S a ns
Danger» zur Problematik der gefährlichen
Stoffe in Gebäuden (Asbest, polychlorierte
Biphenyle, Blei), mit einem alle 4 Jahre aktu -
alisierten Massnahmenplan, einer Internetsei -
te und Informationsbroschüren
5),11),17) .
Und Kinder mit Migrationshintergrund? Sie
stammen aus Ländern, in welchen das Bleiex -
positionsrisiko wesentlich grösser ist als in
der Schweiz. In gewissen Aufnahmeländern
wird vorgeschlagen, bei der Erstabklärung
den Blutbleispiegel zu bestimmen.
Schlussfolgerung
Die Kinderärzte spielen bei der primären Ge -
sundheits-Prävention der Kinder eine wesent -
liche Rolle. Indem sie die Wohnbedingungen
in die Sozial- und Familienanamnese ein -
schliessen und die Eltern auf die Gefahren im
Zusammenhang mit Gebäuderenovierungen
ohne Vorsichtsmassnahmen aufmerksam ma -
chen, können sie zur Vorbeugung der Bleiver -
giftung beitragen.
Es könnte eine Informationsbroschüre für El -
tern zu den Risiken einer Bleiexposition für
die Kinder (u. U. unter Einschluss weiterer, mit
Wohn- und Lebensraum zusammenhängender
G if t s tof fe ) ausgear b eitet und dur ch die Ä r z te -
schaft verteilt werden.
Da es kein Biomonitoring der Bevölkerung
gibt , ver f üg t die Schweiz üb er keine of fi ziellen
Referenzwerte für den Blutbleispiegel. Bis ein
solches Monitoring eingeführt wird, wäre es
wichtig, sich auf neueste Empfehlungen von
Ländern zu beziehen, die ein Monitoring
durchführen, und für Kinder einen Referenz -
wert von 50 µg/l bzw. 35 µg/l anzuwenden.
Die vorbildliche Sensibilisierungskampagne
des Kantons Genf «Travaux Sans Danger»
sollte von weiteren Kantonen und dem Bund
13Blei eestleneeiaZv
13Blei stnaZvrwd l
17
nachgeahmt werden, was einen politischen
Willen zu Veränderungen voraussetzt.
Ferner wäre es wichtig, dass eine Experten-
gruppe spezifische pädiatrische Empfehlun -
gen für die Schweiz ausarbeitet, zur Vorbeu -
gung, Diagnostik und Betreuung der
Bleivergiftung, mit Blick auf eine wirksame
Präventionsstrategie.
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2013 .
Korrespondenzadresse
Nicole Jundt Herman
Kinderärztin
Rue du Bourg 1
1037 Etagnières
nicole.jundtherman @svmed.ch
Die Autorin hat keine finanzielle Unterstützung und keine
anderen Interessenskonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert.
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Pédiatre Nicole Jundt Herman , Rue du Bourg 1, 1037 Etagnières