Das Risiko einer Toxoplasmose-Serokonversion im Verlaufe einer Schwangerschaft hat in der Schweiz im Verlaufe der letzten zwei Jahrzehnte beträchtlich abgenommen, von 1.2% zu Beginn der 1990er Jahre auf derzeit 0.13%. Diese Feststellung hat zur Empfehlung des Bundesamtes für Gesundheit vom Dezember 2008 geführt, während der Schwangerschaft kein serologisches Toxoplasmosescreening mehr durchzuführen. Diese Empfehlung stützt sich auf die Tatsache, dass nach zwanzigjähriger Beobachtungszeit keine Evidenz dafür besteht, dass die antiparasitäre Behandlung aufgrund einer Serokonversion bei der Schwangeren das Risiko der transplazentären Übertragung reduziert, oder dass die vorbeugende, unmittelbar bei Geburt einsetzende präemptive Behandlung des asymptomatischen Kindes die Ausprägung nachfolgender akuter Krankheitszeichen vermindert.
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Vol. 21 No. 5 2\b1\b
Algorithmus A: Evaluation der Risikofaktoren beim Kind mit Verda\bht auf pränatale Infektion
infolge mütterli\bher Toxoplasmose während\f der S\bhwangers\bhaft
≥1 der untenstehend\fen Kriterien erfüllt?
Keine zusätzli\bhen Abklärungen not\fwendig
Keine antiparasitär\fe Behandlung notwe\fndig
Keine serologis\bhen Na\bhkontrollen notwendi\fg
Bewiesene \berokonversion während d\fer \bchwangerschaft?
Antiparasitäre Beha\fndlung während der \bchwangerschaft?
spezifis\bhe IgM im peripher\fen Blut des Neugebo\frenen na\bhweisbar spezifis\bhe IgA im peripher\fen Blut des Neugebo\frenen na\bhweisbar spezifis\bhe IgG-Spiegel ≥300 IE/ml im Nabels\bhnurblut
Ja
Ja
Nein
Nein Ja
Nein
Abklärung und weite\fres Vorgehen gemäss Algorithmus B
Gesamthaft ist die Wahrs\bheinli\bhkeit ei-
ner Infektion bei den Kindern dieser Ka-
tegorie gering. In diesen Fällen ist der
Na\bhweis eines mögli\bhen «Risikofaktors»
hilfrei\bh (Algorithmus A), der eine erhöhte
Wahrs\bheinli\bhkeit untermauern und eine
genauere Abklärung re\bhtfertigen würde,
insbesondere die Su\bhe na\bh Befunden,
die der einfa\bhen klinis\bhen Untersu\bhung
entgehen. Anerkannte Risikofaktoren sind
der Na\bhweis von spezifis\bhen IgM und/
oder IgA im peripheren Blut, ein spezi-
fis\bher IgG-Spiegel >
300
IE/ml im Na-
bels\bhnurblut* und eine na\bhgewiesene
mütterli\bhe IgG-Serokonversion im Verlaufe
der S\bhwangers\bhaft. Die antiparasitäre
Behandlung während der S\bhwangers\bhaft
gehört ebenfalls zu den Risikofaktoren,
da sie die Immunantwort der S\bhwange-
ren s\bhwä\bhen kann. Das Infektionsrisiko
beim Neugeborenen wird in diesem Fall
unters\bhätzt, wenn es auf der alleinigen
Bestimmung der spezifis\bhen IgG beruht.
Bei Kindern ohne jegli\bhen Risikofaktor ist
die Wahrs\bheinli\bhkeit einer konnatalen
Infektion sehr gering, sie bedürfen keiner
weiteren Abklärung, keiner Behandlung und
au\bh keiner serologis\bhen Na\bhkontrolle
(Algorithmus A).
Im Gegensatz dazu müssen Kinder mit ei-
nem Risikofaktor abgeklärt werden. Diese
Abklärung ist immer angebra\bht, da die
Mehrzahl der pathologis\bhen Zei\bhen ei-
ner vorgeburtli\bhen Toxoplasmoseinfektion
subklinis\bh sind und nur dur\bh spezialisierte
Einführung
Das Risiko einer Toxoplasmose-Serokonver-
sion im Verlaufe einer S\bhwangers\bhaft hat
in der S\bhweiz im Verlaufe der letzten zwei
Jahrzehnte beträ\bhtli\bh abgenommen, von
1.2% zu Beginn der 1990er Jahre auf derzeit
0.13%
1). Diese Feststellung hat zur Emp-
fehlung des Bundesamtes für Gesundheit
vom Dezember 2008 geführt, während der
S\bhwangers\bhaft kein serologis\bhes Toxo-
plasmoses\breening mehr dur\bhzuführen
2).
Diese Empfehlung stützt si\bh auf die Tat-
sa\bhe, dass na\bh zwanzigjähriger Beo-
ba\bhtungszeit keine Evidenz dafür besteht,
dass die antiparasitäre Behandlung aufgrund
einer Serokonversion bei der S\bhwangeren
das Risiko der transplazentären Übertragung
reduziert, oder dass die vorbeugende, unmit-
telbar bei Geburt einsetzende präemptive
Behandlung des asymptomatis\bhen Kindes
die Ausprägung na\bhfolgender akuter Krank
–
h
eitszei\bhen vermindert
3).
Das Risiko einer akuten Toxoplasmose
während der S\bhwangers\bhaft ist jedo\bh
ni\bht glei\bh Null, und landesweit sind jähr-
li\bh etwa 33 Fälle konnataler Infektion
zu erwarten, wovon 4 bis 5 ab Geburt
Symptome aufweisen
4). Kinderärzte können
also in die Lage kommen, Kinder mit einer
angeborenen Toxoplasmose behandeln zu
müssen. Mit der vorliegenden Arbeit wollen
wir ein differenziertes Vorgehen, je na\bh
Umständen der Diagnose und Alter des
Kindes, vors\bhlagen.
Ganz pragmatis\bh können drei Kategorien
von Patienten unters\bhieden werden, die
jeweils eine vers\bhiedene Vorgehensweise
erfordern:
1.
Neugeborene
und <
1
2-monatige Säug
-
linge
mit Verda\bht auf vorgeburtli\bhen
Toxoplasmose-Infekt der S\bhwangeren.
2.
Neugeborene
und <
1
2-monatige Säug
-
linge,
bei wel\bhen die Diagnose auf
Grund klinis\bher Befunde oder einer positiven spezifis\bhen Serologie (IgM
oder IgA) vermutet wird.
3.
Kinder
≥
12 Monate, bei denen die Dia-
gnose auf Grund klinis\bher Befunde
vermutet wird.
Neugeborene und < 12-monati-
ge Säuglinge mit Verdacht auf
vorgeburtlichen Toxoplasmose-
Infekt der Schwangeren
Diese Kategorie umfasst Kinder, deren Mut-
ter während der S\bhwangers\bhaft eine be
-
s
tätigte oder vermutete akute Toxoplasmose
dur\bhgema\bht hat. Die mütterli\bhe Infektion
gilt als bestätigt wenn eine Serokonversion
(IgG, IgM oder IgA) während der S\bhwanger
-
s
\bhaft dokumentiert wurde. Der Begriff Sero-
konversion bedeutet zwingend den Na\bhweis
einer Antikörperklasse, deren Fehlen zuvor
dokumentiert wurde. In allen übrigen Fällen,
insbesondere wenn während der S\bhwanger
-
s
\bhaft IgM (und/oder IgA) ohne Na\bhweis
einer Serokonversion festgestellt werden,
kann die mütterli\bhe Infektion nur vermutet
werden. Zieht man die hohe Sensitivität der
derzeitigen serologis\bhen Methoden und das
bei uns geringe Risiko einer akuten S\bhwan-
gers\bhafts-Toxoplasmose in Betra\bht, dann
bedeutet die Gegenwart von IgM und/oder
IgA alleine ni\bht unbedingt eine Infektion
während der S\bhwangers\bhaft.
Vorgehen bei kindlicher Toxoplasmose
Bernard Vaudaux*, Christoph Rudin**, Thomas Ferry*, Christian Kind***Übersetzung: Rudolf S\bhlaepfer, La Chaux-de-Fonds
*
D
épartement médi\bo-\bhirurgi\bal de pédiatrie, CHUV,
Lausanne
**
Universitätskinder\fspital beider Basel\f, Basel
*
**
Osts\b
hweizer Kinderspita\fl, St. Gallen *
Wurde
der Toxoplasmose IgG-Antikörperspiegel im
Nabels\bhnurblut ni\bht bestimmt, entspri\bht die
Bestimmung im peripheren Blut bis Ende der zweiten
Lebenswo\bhe derjenigen im N\fabels\bhnurblut.
71
F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e Vol. 21 No. 5 2\b1\b
eine pränatale Toxoplasmose ni\bht si\bher
auss\bhliessen.
Besteht ein akut entzündli\bher Prozess,
ist zusätzli\bh eine entzündungshemmend\fe
Therapie indiziert \f(Tabelle 1).
Kinder, deren Abklärung normal ausfällt,
benötigen keine Behandlung, wohl aber
Na\bhkontrollen. Diese ri\bhten si\bh dana\bh,
wie gesi\bhert der Na\bhweis der Infektion
ausfällt (Algorithmus B):
•
D
urch Nachweis von IgM oder IgA im
peripheren Blut bestätigte Infektion:
Na\bhkontrollen des Augenhintergrundes\f
und der Entwi\bklung. Serologis\bhe
Na\bhkontrollen sind überflüssig (da der
Infekt endgültig bewiesen ist) und verwir-
rend (da ein Wiederanstieg der Antikörper
ni\bht unbedingt einer Reaktivierung der
Krankheit glei\bhkommt).
•
N
icht bestätigte Infektion: Na\bhkontrol-
len der anti-Toxoplasma IgG. Ziel dieser
Na\bhkontrolle ist es, eine Infektion zu
bestätigen oder auszus\bhliessen. Im Prin-
zip bedeutet ein glei\bhbleibender oder
ansteigender IgG-Titer während der ers-
ten Lebensmonate eine Eigenproduktion
von Toxoplasma-Antikörpern dur\bh das
Kind, während ein progressiver Abfall
Untersu\bhungen na\bhgewiesen werden
können. Man kann si\bh also nie auf eine
klinis\bhe Standarduntersu\bhung verlassen,
um ein Kind als «asymptomatis\bh» zu be-
tra\bhten. Die Abklärung muss systematis\bh
einen transfontanellären Hirnultras\bhall und
eine Untersu\bhung des Augenhintergrundes
eins\bhliessen. Ergibt si\bh ein pathologis\bher
Befund, wird eine Liquorpunktion dur\bhge-
führt.
Die Auswertung der Abklärungsresul-
tate (Algorithmus B) erlaubt es, die In-
dikation zu Behandlung, Behandlungsart
und Na\bhkontrollen zu stellen. Das Vo-
rhandensein eines einzigen pathologis\bhen
Befundes re\bhtfertigt die antiparasitäre Be-
handlung (Tabelle 1) sowie Na\bhkontrollen
von Augenhintergrund und Entwi\bklung**;
bildgebende Na\bhkontrollen des Gehirns
sind hingegen nur bei anfängli\bh abnormem
Befund erforderli\bh. Die Indikation zur an-
tiparasitären Beha\fndlung wird unabhän\fgig
von der serologis\bhen Bestätigung gestellt,
da fehlende anti-Toxoplasma IgM oder IgA
Algorithmus B: Abklärung und Vorgehen beim Kind mit Verda\bht auf pränatalen Infekt infolge
mütterli\bher Toxoplasmose während der S\bhwangers\bhaft
Die Bere\bhnung der Immunbelastung erlaubt es oft, den Abfall des Plasmaspiegels an Toxoplasmose-IgG s\bhneller
zu erfassen. Die Immunbelastung wird na\bh folgender Formel bere\bhnet: «Spezifis\bher IgG-Spiegel (IE/ml)» geteilt
dur\bh «Gesamt-IgG-Spiegel (mg/ml)», ausgedrü\bkt in IE/mg.
Transfontanellärer H\firnultraschall
Augenhintergrund
Keine Behandlung
\berologisch bewiesene Infektion
(IgM oder IgA im peripheren Blut nachgewiesen) Liquor
Augenhintergrund und Liquor
Normal Normal Pathologis\bh
Pathologis\bh
Nein
Na\bhkontrolle des
spezifis\bhen IgG- Spiegels
Spiegel
nimmt ab Spiegel nimmt
ni\bht ab
Akute Retinitis
Antiparasitäre und\f entzündungshem-
mende Behandlung
Retinanarbe(n) oder normaler
Augenhintergrund
Antiparasitäre
Behandlung allein
Augenhintergrundkontrollen Entwi\bklungskontrollen
Na\bhkontrolle der zerebr\falen Bildgebung Keine serologis\bhen Na\bhkontrollen Augenhintergrundkontrollen Entwi\bklungskontrollen
Keine Na\bhkontrolle der zerebr\falen Bildgebung Keine serologis\bhen Na\bhkontrollen
Akute Retinitis
Antiparasitäre und\fentzündungshem-
mende Behandlung
Retinanarbe(n)
Antiparasitäre
Behandlung allein Stop Abklärungen
Normal Ja Pathologis\bh
Zerebrale
Bildgebung mit MRI erwägen
** D er Begriff «Na\bhkontrolle der Entwi\bklung» bein-
haltet ni\bht unbedingt den Rü\bkgriff auf einen
Neuropädiater oder Entwi\bklungsspezialisten. Diese
Na\bhkontrollen kann der Praxispädiater dur\bhführen. Tabelle 1:
Behandlung der konnatalen Toxoplasmose beim <12-monatigen Kind
Antiparasitäre Beha\fndlung
Die antiparasitäre Behandlung beruht auf der glei\bhzeitigen Gabe von Pyrimethamin und Sulfadiazin. Sie wird mit Bekanntwerden der
Diagnose eingeleit\fet und bis zum Alte\fr von 12 Monaten fortgefüh\frt.
Pyrimethamin DosierungVerabrei\bhungsart Galenik
1 mg/kg Jeden zweiten Tag*
Einmalige DosisTabletten 25 mg (teilbar)
Sulfadiazin DosierungVerabrei\bhungsart Galenik
100 mg/kg (max 1 g) Jeden zweiten Tag* 2 DosenSuspension in der S\bhweiz ni\bht vertrieben, kann
jedo\bh ausgehend von Tabletten 500 mg hergestellt
werden (als Suspension 200\f mg/ml)
* Pyrimethamin und\f Sulfadiazin werden\f am selben Tag gegeben
Die Bindung von Sulfadiazin an Plasmaproteine kann mit derjenigen von Bilirubin in Konkurrenz treten, weshalb Sulfadiazin beim ikteri-
s\bhen oder zum Ikterus neigenden Neugeborenen kontraindiziert ist. Muss die antiparasitäre Behandlung beim ikteris\bhen oder unter
2-wö\bhigen Neugeborenen begonnen werden, so wird, bis zum Vers\bhwinden des Ikterus oder bis Ende der zweiten Lebenswo\bhe,
anstelle der Kombination Pyrimeth\fazin-Sulfadiazin vorzugs\fweise Spiramy\bin ve\frwendet.
Spiramy\binDosierungVerabrei\bhungsart Galenik
50 mg/kg Tägli\bh 2 Dosen Suspension in der S\bhweiz ni\bht vertrieben, kann
jedo\bh über eine internationale Apotheke erhalten
werden
Da die Folsäure-hemmende Wirkung von Pyrimethamin und Sulfadiazin bei Langzeitbehandlung \feine Anämie und Leukopenie zur Folge
haben kann, wird eine Subs\ftitutionstherapie \fmit Folinsäure empfohlen\f.
Folinsäure DosierungVerabrei\bhungsart Galenik
5 mg Jeden zweiten Tag**
Einmalige DosisTabletten 15 mg
** Folinsäure wird alt\fernierend mit Pyri\fmethamin-Sulfadiazin verabre\fi\bht.
Entzündungshemmende \fBehandlung
Die entzündungshemmend\fe Behandlung wird nur empfohlen, wenn das Kind einen oder mehrere akute Chorioretinitisher\fde aufweist.
Sie beruht auf Pred\fnison; die Dauer hängt vom Ent\fzündungsstand der \fRetina ab und beträ\fgt im Allgemeinen \f4 bis 6 Wo\bhen.
Prednison
DosierungVerabrei\bhungsart Galenik
1 mg/kg Tägli\bh 1 oder 2 Dosen Tropfen (Prednisolon) 10 mg/ml
F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e
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Transfontanellärer H\firnultraschall
Augenhintergrund
Liquor
Augenhintergrund und Liquor
Normal Normal Pathologis\bh
Pathologis\bh
Akute Retinitis
Antiparasitäre und\f
entzündungshem-
mende Behandlung
Retinanarbe(n) oder normaler
Augenhintergrund
Antiparasitäre
Behandlung allein
Augenhintergrundkontrollen Entwi\bklungskontrollen
Na\bhkontrolle der zerebr\falen Bildgebung Keine serologis\bhen Na\bhkontrollen Augenhintergrundkontrollen Entwi\bklungskontrollen
Keine Na\bhkontrolle der zerebr\falen Bildgebung Keine serologis\bhen Na\bhkontrollen
Akute Retinitis
Antiparasitäre und\fentzündungshem-
mende Behandlung
Retinanarbe(n)
Antiparasitäre
Behandlung allein
Normal Pathologis\bh
Zerebrale
Bildgebung mit MRI erwägen
dem alleinigen IgM-Spiegel, ist es in Anbe-
tra\bht der langen Dauer der Na\bhkontrollen
und des – allerdings geringen – Risikos einer
fals\bh positiven IgM-Bestimmung vernünf-
tig, den positiven serologis\bhen Befund
kurzfristig dur\bh eine zweite Blutprobe zu
kontrollieren. Dagegen re\bhtfertigt das Vor
-
handensein
eines klinis\bhen Zei\bhens die
antiparasitäre Behandlung (Tabelle 1) sowie
Na\bhkontrollen von Augenhintergrund und
Entwi\bklung (und, nur bei auffälligem bildge-
bendem Befund des Gehirnes, entspre-
\bhende Na\bhkontrollen). Besteht ein akut
entzündli\bher Prozess, ist zusätzli\bh eine
entzündungshemmend\fe Therapie indiziert
(Tabelle 1).
Kinder ≥12 Monate, bei denen
die Diagnose auf G\.rund klini-
scher Befunde vermutet wi\.rd
Die Toxoplasmoseproblemat\fik beim über
einjährigen Kind ist viel mannigfaltiger als
beim jüngeren Kind. Das Vorgehen bei Toxo-
plasmose beim immunkompetenten Kind sei
hier in grossen Zü\fgen zusammengefasst\f.
1.
Es
kann si\bh bei der Toxoplasmose um
eine akute, erworbene, um die Reakti-
vierung einer früher erworbenen oder
um die Reaktivierung einer konnatalen
Infektion handeln.
D
ie erworbene akute Infektion imponiert
als grippaler Infekt oder als mono-
nukleäres Syndrom, dur\bh S\bhwellung
von Hals- und Na\bkenlymphknoten oder
einen oder mehrere aktive Chorioretini-
tisherde.
2.
Die
aktive Chorioretinitis ist die einzige
Besorgnis erregende Toxoplasmoseform
beim immunkompetenten Kind. Sie geht
mit einer wesentli\bhen Morbidität einher
und kann, je na\bh Lage und Ausdehnung
des Herdes, zu ernsthaften funktionellen
Bes\bhwerden führen.
3.
D
er Kinderarzt ist in der Regel ni\bht in
der Lage, eine Chorioretinitis zu dia-
gnostizieren, kann aber Warnzei\bhen
erkennen und das Kind dem Augenarzt
zuweisen:
•
Neu aufgetretener S\ftrabismus
•
Klage
über vers\bhwommenes Sehen,
Sehs\bhwä\bhe
•
Myodesopsien
(«mou\bhes volantes»,
s\bhwimmende Teil\bhen …)
D
iese Zei\bhen sind unspezifis\bh. Ihr
Vorhandensein entspri\bht also ni\bht un-
bedingt einem erworbenen Infekt, re\bht-
das Vers\bhwinden der mütterli\bhen Im-
munglobuline widerspiegelt. Logis\bher
-
weise
werden Kinder, bei wel\bhen auf
diese Weise eine Infektion na\bhgewiesen
wurde, entspre\bhend na\bhkontrolliert
(Augenhintergrund und Entwi\bklung),
während bei den anderen der Verda\bht
auf Toxoplasmose endgültig aufgegeben
wird. In der Praxis sind serologis\bhe
Verlaufskontrollen jedo\bh insofern proble-
matis\bh, als es längere Zeit in Anspru\bh
nehmen kann, bis eine Änderung des
Antikörperspiegels mit Si\bherheit inter-
pretierbar ist; dies kann eine oft lange Zeit
der Ungewissheit z\fur Folge haben***.
Neugeborene und < 1 2-monati-
ge Säuglinge, bei welchen die
Diagnose auf Grund klinischer
Befunde oder einer positiven
spezifischen Serologie (IgM oder
IgA) vermutet wird
In diesem Alter entspri\bht der Verda\bht ei-
ner Toxoplasmose ipso facto dem Verda\bht einer konnatalen Infektion, denn die Wahrs-
\bheinli\bhkeit einer erworbenen Infektion ist
bei den gegenwärtigen epidemiologis\bhen
Bedingungen in der S\bhweiz praktis\bh glei\bh
Null.
Das Vorhandensein von anti-Toxoplasma
IgM (oder IgA) im peripheren Blut des
Kindes ist ein unumstössli\bher Beweis für
eine Infektion. Ebenso gilt die Diagnose
als genügend gesi\bhert bei glei\bhzeitigem
Vorhandensein eines mit Toxoplasmose
vereinbaren klinis\bhen Zei\bhens und spe-
zifis\bher IgG-Antikörper, da das Fehlen von
IgM oder IgA eine pränatale Infektion ni\bht
auss\bhliesst.
In beiden Fällen muss unbedingt ein trans-
fontanellärer Hirnultras\bhall (oder je na\bh
-
d
em ein MRI) und eine Augenhintergrundun-
tersu\bhung dur\bhgeführt werden. Bei patho-
logis\bhem Befund der einen oder anderen
Untersu\bhung ist zusätzli\bh eine
Liquorpunktion indiziert. Die Auswertung
dieser Abklärungen (Algorithmus \b) erlaubt
es, die Indikation zur Behandlung sowie
Behandlungsmodus und Na\bhkontrollen zu
bestimmen. Bei Fehlen von pathologis\bhen
Befunden kann auf eine Behandlung verzi\bh-
tet werden, jedo\bh ni\bht auf Na\bhkontrollen
von Augenhintergrund und Entwi\bklung.
Beruht der Ents\bheid zur Na\bhkontrolle auf
*** Die Bere\bhnung der Immunbelastung erlaubt es oft, den Abfall des Plasmaspiegels der Toxoplasmose-
IgG s\bhneller zu erfassen. Die Immunbelastung wird
na\bh folgender Formel bere\bhnet: «Spezifis\bher IgG-
Spiegel (IE/ml)» geteilt dur\bh «Gesamt-IgG-Spiegel
(mg/ml)», ausgedrü\bkt in IE/mg.
Algorithmus C:
Abklärung und Vorgehen beim Kind mit Verda\bht auf pränatalen Infekt infolge
eines klinis\bhen Zei\bhens oder einer für Toxoplasmose positiven Serologie (IgM oder IgA)
Keine Behandlung
Augenhintergrundkontrollen Entwi\bklungskontrollen
Keine Na\bhkontrolle der zerebr\falen Bildgebung Keine serologis\bhen Na\bhkontrollen
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fertigen aber zweifellos eine ophthalmo-
logis\bhe Abklärung.
4.
D
ie Morphologie der Chorioretinitisherde
erlaubt es meist, die Toxoplasmose als
Ursa\bhe festzuhalten, ni\bht aber die
Infektionsquelle. Das glei\bhzeitige Bes-
tehen einer spezifi
s\b
hen serologis\bhen
IgM- oder IgA-Antwort spri\bht für eine
erworbene Infektion, das Fehlen einer
sol\bhen Antwort s\bhliesst sie aber ni\bht
aus.
5.
E
ine aktive Chorioretinitis re\bhtfer-
tigt immer eine antiparasitäre und
entzündungshemmende Behandlung
(Tabelle 2).
6.
E
xtraokuläre Symptome verlangen beim
immunkompetenten Kind im Prinzip
keine Behandlung.
7.
M
it einer konnatalen Infektion kom-
patible intrakranielle Verkalkungen
oder Retinanarben re\bhtfertigen weder
ausgedehnte Abklärungen no\bh eine
präventive, längerdauernde antipara-
sitäre Behandlung (im Gegensatz zur
Haltung beim <12-monatigen Säugling).
8.
Mit
einer konnatalen Infektion kompa-
tible Retinanarben verlangen augenärzt-
li\bhe Na\bhkontrollen.
9.
K
ommt es zu rezidivierenden S\bhü-
ben einer aktiven Chorioretinitis, kann im Ans\bhluss an die Behandlung des
akuten S\bhubes eine langfristige, inter-
mittierende präventive Behandlung mit
Cotrimoxazol**** in Betra\bht gezogen
werden
5).
Referenzen
1) Rudin C, Boubaker K, Raeber PA, Vaudaux B, Bu\bher HC, Garweg JG & al. Swiss Med Weekly 2008; 138
(Suppl 168): 1–8.
2)
h
t t p : / / w w w . b a g . a d m i n . \b h / t h e m e n / m e d i -
zin/00682/00684/05\f571/index.html?lang=de.
3)
http
://eurotoxo.isped.u\f-bordeaux2.f
4)
V
audaux B & Rudin C. Paediatri\ba 2009; 20: 27–8 (D).
5)
Silveira
C, Belfort R Jr, Mu\b\bioli C, Holland GN, Vi\b-
tora CG, Horta BL & al. Am J Ophthalmol 2002; 134:
41–6.
Korrespondenzadresse
Prof. Bernard Vaudaux
Servi\be de pédiatrie
DMCP
1011 CHUV-Lausanne
Bernard.Vaudaux@\bhuv.\bh
**** 1 Dosis alle 3 Tage als: Suspension 8 mg Trime- thoprim und 40 mg Sulfamethoxazol/ml: 1 Dosis
= 0.375 ml/kg oder Tbl. 160 mg Trimethoprim und
800 mg Sulfamethoxaz\fol: 1 Dosis = 1 Tbl.
Tabelle 2:
Behandlung der Toxoplasmose na\bh dem Alter von 12 Monaten
Antiparasitäre Beha\fndlung
Die antiparasitäre Behandlung ist nur bei akut entzündli\bhen Zei\bhen, die einer Toxoplasmose zuges\bhrieben werden können (meist
Chorioretinitisher\fde), indiziert. Es kann si\bh um eine erworbene oder um die Reaktivierung einer angeborenen Infektion handeln. Die
Behandlung ist ide\fntis\bh und besteht, im e\finen wie im andere\fn Fall, in der glei\bhzeitigen Gabe von \fPyrimethamin und S\fulfadiazin.
Die Dauer der antiparasitären Behandlung entspri\bht im Prinzip jener der entzündungshemmend\fen Behandlung und beträgt 4 bis 6
Wo\bhen.
Pyrimethamin Dosierung Maximum Verabrei\bhungsart Galenik
1 bis 2 Jahre 11 M. 1 mg/kg
25 mg
Tägli\bh
einmalige Dosis Tabletten 25 mg (spaltbar)
3 bis 6 Jahre
11 M. Tag 1 & 2: 2 mg/kg 50 mg
Ab Tag 3: 1 mg/kg 25 mg
Ab 7 Jahren Tag 1 & 2: 100 mg
Ab Tag 3: 25–50 mg
Sulfadiazin Dosierung Maximum Verabrei\bhungsart Galenik
1 bis 2 Jahre
11 M. 150 mg/kg 1.5 g Tägli\bh
in 2 Dosen•
Suspension in der \fS\b hweiz ni\bht vertrieben, kann
jedo\bh, ausgehend von T\fabletten à 500 mg, \fals
Suspension von 200\f mg/ml hergestellt\f werden
•
T
abletten 500 mg
3 bis 6 Jahre 11 M. 150 mg/kg 2 g
Ab 7 Jahren 2–4 g
Entzündungshemmende \fBehandlung
Die entzündungshemmend\fe Behandlung ist wesentli\bh, handelt es si\bh do\bh definitionsgemäss immer um Patienten mit einem akuten
Retinitisherd. Sie beruht auf Prednison. Die Dauer wird dur\bh den im Augenhintergrund festgestellten Entzündungsgrad bestimmt und
beträgt im Allgemei\fnen 4 bis 6 Wo\bhen.
Prednison Dosierung Maximum Verabrei\bhungsart Galenik 1 mg/kg 80 mg Tägli\bh
In 1 oder 2 Dosen Tropfen (Prednisolon) 10 mg/ml
Tabletten (Prednison) 1, 2, 5, 20 & 50 mg\f
Weitere Informationen
Übersetzer:
Rudolf Schläpfer
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Bernard Vaudaux , Service de pédiatrie DMCP, CHUV Lausanne Prof. Dr. med. Christoph Rudin , Universitäts-Kinderspital beider Basel Dr. med. Thomas Ferry Dr. med. Christian Kind