Es ist eine Tatsache, dass die Konsultationszahlen in Notfallstationen stetig ansteigen. Das ist nicht nur in der Schweiz so, sondern auf der ganzen Welt. Über die Gründe dafür soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
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Vol. 17 No. 1 2006 H i n w e i s e / I n f o r m a t i o n s
1. Einführung
Es ist eine Tatsache, dass die Konsultations –
zahlen in Notfallstationen stetig ansteigen.
Das ist nicht nur in der Schweiz so, sondern
auf der ganzen Welt. Über die Gründe
dafür soll an dieser Stelle nicht diskutiert
werden.
Personelle und räumliche Anpassungen an
die steigenden Patientenzahlen sind nur in
einem begrenzten Ausmass möglich und
hinken den Bedürfnissen hinterher.
Triage in einer Notfallstation dient dem
Zweck, die begrenzten personellen und ma –
teriellen Möglichkeiten auf das medizinisch
Dringliche zu konzentrieren.
Eine im Jahre 2002 durchgeführte Umfrage
an 22 Schweizer Kinderkliniken sollte Auf –
schluss darüber geben, ob Triage ein Thema
ist, und ob diesbezüglich irgendwelche An –
strengungen unternommen werden.
2. Umfrage 2002
20 von 22 angeschriebenen Kliniken haben
den Fragebogen zurückgesandt. Die wich –
tigsten Schlussfolgerungen sind:
a) Kinder werden primär von einer Pflege
–
fachfrau gesehen und untersucht. ( Abb. 1 )
b) Kinder werden mehrheitlich nicht in der
Reihenfolge des Eintreffens behandelt.
(Abb. 2 )
c) Nicht die Person, die das Kind zuerst
sieht, entscheidet über die Reihenfolge
der Behandlung. ( Abb. 3 )
d) Es besteht ein grosses Interesse an Tri
–
age, vorhandene Triagekonzepte gibt es
aber kaum. ( Abb. 4 + Abb. 5 )
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es
keine formellen Triagesysteme gab, die Pa –
tienten aber trotzdem meist nach Dringlich –
keit behandelt wurden. Die Pflegefachfrauen
hatten zwar den ersten Kontakt zu den
Patienten, machten die ersten klinischen
Untersuchungen, entschieden aber nicht
über die Reihenfolge der Behandlung.
3. Arbeitsgruppe Triage
Aus diesem Interesse an Triage und der
Tatsache, dass weltweit verschiedene gut
etablierte Triagesysteme vorhanden sind,
entstand die Idee, eine «Arbeitsgruppe Tri –
age» zu gründen. Warum sollte jede Klinik
für sich ein neues Triagesystem erfinden,
wenn man mit vereinten und damit konzen –
trierten Kräften allenfalls ein bestehendes
Triagesytem übernehmen und an unsere
Verhältnisse anpassen könnte?
Im November 2004 trafen sich im Kinder –
spital Zürich Vertreter aller interessierten
Kliniken zum ersten Mal, um gemeinsam
über Triage zu diskutieren. Wichtig war, dass
bereits bei diesem ersten Treffen Vertreter-
Innen aus dem ärztlichen Bereich und aus
dem Pflegebereich zusammen kamen. Eige –
ne Erfahrungen mit Triagesystemen wurden
vorgestellt von Jean-Daniel Krähenbühl aus
Lausanne, Alain Gervaix aus Genf und Ser –
gio Stocker aus Zürich.
Einige Zeit wurde darauf verwendet, welt –
weit bestehende Triagesysteme vorzustel –
len. Die eigentlichen Pionierländer, was
klinische Notfallmedizin anbelangt, sind die
Vereini gten Staaten von Amerika, Kanada,
England und Australien. Sie sind vereint in
der 1991 gegründeten «International Fede –
ration for Emergency Medicine», kurz IFEM.
Im Folgenden sollen die in diesen Länder
vorhanden Triagesysteme kurz vorgestellt
werden.
Gemeinsam ist allen Systemen, dass sie
aufgrund klinischer Kriterien die maximale
Wartezeit für einen Patienten festlegen.
4. Triagesysteme weltweit
Vereinigte Staaten von Amerika
Keine Einheitlichkeit. Es bestehen 3-Stufen-,
4-Stufen- und 5-Stufen-Modelle mit schlech –
Triage in Schweizer
Kinder-Notfallstationen
Sergio Stocker, Zürich
Abbildung 4: Wer ist interessiert an einer multizentrischen Evaluation eines vorhandenen Triagesystems?
Abbildung 5: Gibt es bereits angewandte Triagekonzepte?
Abbildung 2: Werden Kinder in der Reihen – folge des Eintreffens behandelt?
Abbildung 3: Wer entscheidet über die Reihenfolge der Behandlung?
Abbildung 1: Wer untersucht die Patienten zuerst?
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ter Übereinstimmung und einer Tendenz zu
den 5-Stufenmodellen.
England
Die «Manchester Triage Group» hat dieses
5-Stufen-Modell entwickelt:
Nr. Name Farbe Zielzeit (min)
1 Immediate Rot 0
2 Very urgent Orange 0
3 Urgent Gelb 60
4 Standard Grün 20
5 Non-urgent Blau 240
Dieses System ist anwendbar für Erwach –
sene und Kinder. Für verschiedenste Krank –
heitsbilder (z. B. «Atemnot bei Kindern»,
«Hodenschmerzen», «Durchfall») gibt es
Flussdiagramme, die den Patienten je nach
Symptomen in eine Triagekategorie eintei –
len.
Kanada
Der «Canadian Paediatric Triage and Acuity
Scale» ist ebenfalls ein 5-Stufen-Modell:
Nr. Name Zielzeit (min)
I Immediate 0
II Emergent 5
III Urgent 30
IV Less urgent 60
V Non-urgent 120
Die Einteilung in eine bestimmte Triage –
kategorie erfolgt nicht nach Tabellen oder
Flussdiagrammen, sondern anhand von
«Umschreibungen» von Krankheitsbildern
oder Krankheitszuständen.
Australien
Der «Australasian Triage Scale» (ATS) wurde
vom Australasian College for Emergency
Medicine (ACEM) aus dem bereits seit 1993
bestehenden «National Triage Scale» abge –
leitet und wird seit dem Jahr 2000 in allen
Notfallstationen Australiens, Neuseelands
und Neu Guineas für Erwachsene und Kinder
angewendet.
Es ist ebenfalls ein 5-Stufen-Modell:
Nr. Name Farbe Zielzeit (min)
1 Resuscitation Rot 0
2 Emergency Orange 10
3 Urgent Grün 30
4 Semi-urgent Blau 60
5 Non-urgent Weiss 120
Die Einteilung in eine Triagekategorie erfolgt
auf Grund der Beurteilung von Atmung,
Atemwegen, Kreislauf, des Bewusstseins
und von Schmerzen.
Die verschiedenen Modelle wurden disku –
tiert, Vor- und Nachteile gegeneinander
abgewogen. Am Ende des Tages hatten wir
uns auf folgendes Vorgehen geeinigt:
● Es macht Sinn, in Schweizer Kinderkli –
niken ein gemeinsames System einzu –
führen, anstatt dass jede Klinik für sich
das Triage-Rad neu erfindet.
● Ein 5-Stufen-Modell ist differenzierter als
ein 3- oder 4-Stufen-Modell und entspricht
am besten unseren Bedürfnissen.
● Der Australasian Triage Scale (ATS) soll
die Basis für Triage an unseren Kinder –
kliniken werden.
● Weitere Treffen der noch jungen Arbeits –
gruppe sollten folgen.
Nicht alle Notfallstationen brauchen ein for –
melles Triagesystem. Einige haben bereits
ein eigenes System und müssen dieses
selbstverständlich nicht ändern. Die grosse
Mehrheit aber entschied sich für den ATS.
5. Australasian Triage Scale
Er ist wie oben beschrieben ein 5-Stufen-
Modell, dass ähnlich dem «Notfall-ABC»
auf der Beurteilung der Vitalparameter be –
ruht. Für jedes Kriterium, also Atmung,
Atemwege, Kreislauf, Bewusstsein inklusive
Schmerz wird tabellarisch eine Einteilung
in eine von 5 Kategorien vorgegeben. Wei –
ter werden neurovaskuläre, psychiatrische
und ophthalmologische Parameter beurteilt
(Tabelle 1 ). Der Parameter mit der tiefsten
Kategorie legt die Gesamtkategorie fest. Die
Beurteilung dieser Parameter erfolgt unab –
hängig von der eigentlichen Diagnose.
Vom ATS sind schriftliche Unterlagen zur Tri –
age im Allgemeinen und Schulungsunterla –
gen zur praktischen Umsetzung in englischer
Sprache vorhanden. Diese können beim Au –
tor dieses Artikels bezogen werden.
6. Weiteres Vorgehen
Die Arbeitsgruppe hat sich dann im Septem –
ber 2005 in Genf zum zweiten Mal getroffen,
um erste Erfahrungen mit der Umsetzung
auszutauschen. Dieses Treffen wurde von
Dr. Alain Gervaix organisiert.
Die Umsetzung war noch unterschiedlich
weit gediehen, alle waren sich aber einig,
auf dem richtigen Weg zu sein. Dr. Urs
Schumacher von KS Münsterlingen hat die
ausführlichen englischen Originalunterlagen
etwas gerafft und übersetzt. Sie können
bei ihm bezogen werden: urs.schumacher@
stgag.ch
7. Aktueller Stand
Die folgende Zusammenstellung ist das Re –
sultat einer erneuten Umfrage und zeigt den
Stand der Dinge per Ende November 2005:
● ATS bereits eingeführt haben folgende
Kliniken:
– Klinik für Kinder und Jugendliche
Kantonsspital Münsterlingen
– Kinderklinik Kantonsspital Aarau
– Klinik für Kinder und Jugendliche
Stadtspital Triemli
– Hôpital des Enfants Hôpitaux
Universitaire de Genève
– Kinderspital Zürich
● ATS soll eingeführt werden in diesen
Kinderkliniken:
– Département de pédiatrie, CHUV,
Lausanne
– Kinderklinik Winterthur
– Département de Pédiatrie,
Centre Hospitalier du Centre
du Valais, Hôpital de Sion
– Service de pédiatrie, Hôpital
Communal, La Chaux-de-Fonds
– Kinderklinik Wildermeth, Biel
– Service de Pédiatrie,
Hôpital Pourtalès, Neuchâtel
– Clinique de Pédiatrie,
Hôpital Cantonal Fribourg
– Universitäts-Kinderklinik beider Basel
– Ostschweizer Kinderspital St.Gallen,
auf Probe
● Interesse an der Einführung des ATS,
noch keine konkreten Pläne
– Service de pédiatrie,
Hôpital Régional Délémont
8. Nächstes Treffen
Das 3. Treffen der Arbeitsgruppe wird am
12.5.2006 im KS Aarau stattfinden und wird
freundlicherweise von Gérald Berthet orga –
nisiert. Details werden frühzeitig veschickt.
Korrespondenzadresse:
Dr. Sergio Stocker,
LA Notfallstation Kinderspital Zürich
Geissbergstrasse 81, 8208 Schaffhausen
Tel. 052 625 00 59, Fax 052 625 00 56
sergio.stocker@hin.ch
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Autoren/Autorinnen
Dr. Sergio Stocker , LA Notfallstation Kinderspital Zürich, Schaffhausen