Unfälle durch Strangulation stellen für Säuglinge und Kleinkinder ein wesentliches Risiko dar. Fachleute und Publikum wurden in den letzten Jahren auf bestimmte Mechanismen, wie die Strangulation durch Halsketten («Bernsteinketten») oder durch Sturz und Einklemmen zwischen den Gitterstäben des Bettchens, aufmerksam gemacht. Die Folgen können für das Kind verheerend sein, denn wird das Ereignis überlebt, ist die Prognose nach kardiopulmonalen Wiederbelebungsmassnahmen bei dieser Art Unfall ungünstig und mit einem hohen Prozentsatz an neurologischen Schäden durch zerebrale Ischämie behaftet. Die Art und Weise, wie der Säugling in der Wiege gebettet wird, kann ein Strangulationsrisiko darstellen.
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Einführung
Unfälle durch Strangulation stellen für Säug
linge und Kleinkinder ein wesentliches Risi
ko dar. Fachleute und Publikum wurden in
den letzten Jahren auf bestimmte Mechanis
men, wie die Strangulation durch Halsketten
(«Bernsteinketten») oder durch Sturz und
Einklemmen zwischen den Gitterstäben
des Bettchens, aufmerksam gemacht 1), 2) .
Die Folgen können für das Kind verheerend
sein, denn wird das Ereignis überlebt, ist die
Prognose nach kardiopulmonalen Wiederbe
lebungsmassnahmen bei dieser Art Unfall
ungünstig und mit einem hohen Prozentsatz
an neurologischen Schäden durch zerebrale
Ischämie behaftet 3).
Die Art und Weise, wie der Säugling in der
Wiege gebettet wird, kann ein Strangulati
onsrisiko darstellen. Kürzlich wurde in unser
Spital ein Säugling nach einem potentiell
tödlichen Strangulationsunfall eingeliefert.
Die Ursache ist in ein althergebrachter, in
der albanisch sprechenden Be völkerung,
und wahrscheinlich auch in anderen Kulturen
üblicher Brauch, das Kind zu betten.
Zur Geburt des ersten Kindes schenkt die
Grossmutter väterlicherseits ihrer Schwie
gertochter eine Wiege, in welche das Neuge
borene, wie in Abbildung 1 zu sehen, gebettet
wird. Sobald das Kind schläft, wird die Wiege
mit einem Tuch gänzlich zugedeckt und so
mit dem Blick entzogen ( Abbildung 2 ).
Diese Tradition hat interessante ästhetische
und symbolische Aspekte, birgt jedoch Ge
fahren, über welche die betroffenen Eltern
aufgeklärt werden sollten. Alle Fachleute
sollten zur Verbreitung dieser Information
beitragen, schon auf der Neugeborenensta
tion und später bei den ersten Vorsorgeun
tersuchungen.
Fallvorstellung
Almir, ein 6 monatiger Säugling, wurde
v on seinen Eltern bewusstlos (GCS 3) auf
die Notfallstation des Hôpital du Chablais
gebracht, nachdem sie ihn scheinbar tot in
seinem Bettchen vorfanden. Noch während
der Wiederbelebungsmassnahmen stellte
man zahlreiche Petechien fest, ausschliess
lich im Gesicht, sowie mit einem Strangu
lationsmechanismus vereinbare Hautblu
tungen am Hals. Der anfängliche Verdacht
eines plötzlichen Kindstodes (SID) wurde
differentialdiagnostisch auf eine mögliche
infektiöse Ursache (purpura fulminans), ei
nen Unfall oder gar v ersuchte Kindstötung
ausgeweitet.
Die BGA beweist die Schwere des Ereig
nisses (pH 7.0, BE –14,4 mmol/l, Laktat 10
mmol/l). Glücklicherweise war die Reani
mation erfolgreich, Almir erholte sich rasch
und ohne bleibenden Schaden.
In der Folge erfuhren wir, dass die Mutter
Almir etwa 10 Minuten vor dem Auffinden
zu Bett gelegt hatte. Sie kehrte ins Kinder
zimmer zurück, um die vergessene abend
liche Antibiotikadosis (6. Behandlungstag
einer günstig verlaufenden Mittelohrent
zündung) zu
verabreichen und fand ihr Kind
bewusstlos, nicht mehr atmend, in der in
Abbildung 3 wiedergegebenen Stellung.
Die Eltern unternahmen erste Wiederbele
bungsmassnahmen.
Diskussion
Differentialdiagnostische Überlegungen zu
SID und ALTE wurden in einer kürzlich er
schienen Paediatrica diskutiert 4).
Obwohl relativ selten, ist die Strangulation
eine wichtige und vermeidbare Ursache
eines plötzlichen, unfallbedingten Todes
beim Säugling und Kleinkind.
Rauchschwalbe berichtet über183 Todes
fälle durch Erdrosselung durch Vorhang
schnüre zwischen 1981 und 1995 (Inzidenz
0,14/100 000 Personen, 93% der Opfer
unter 3jährig) 3).
Nach Feldmann 5) spielt das Kinderbett bei
der Mehrzahl der akzidentellen Erstickungs
unfälle des Kleinkindes eine kausale Rolle
(64/233 Fälle), dicht gefolgt von Seilen,
Strängen und Schleifen (62/233 Fällen). In
einer Analyse von 42 Fällen von unfallbe
dingtem Ersticken im Kindesalter stellte Alt
mann als häufigste Ursachen das Zudecken
des Gesichtes (16 Fälle) und im Zusammen
hang mit dem Bett stehende Strangulation
(Schnur, Leintuch usw.) (13 Fälle) fest 2).
Genaue Angaben zu dieser Art Unfälle feh
len jedoch, da tot aufgefundene Kinder häu
fig den medizinischen Statistiken entgehen
und wir nicht wissen, wieviele Kinder früh
zeitig Hilfe erhalten und nicht in ärztliche
Behandlung gelangen. Shepherd schätzt,
dass Strangulation bei ungefähr 20% der tot
aufgefundenen Kindern als Todesursache
angenommen werden muss 6).
Auch nicht unfallbedingtes Erwürgen von
Säuglingen wurde beschrieben 7). Es han
delt sich jedoch wahrscheinlich um seltene
Vorkommnisse, und selbst verdächtige Fälle
können sich nachträglich als Unfall he
Strangulationsrisiko
in traditionellen Wiegen
Scilla Tracchia 1
, Christine Gehring Antille 1, Patrick Diebold 1, Olivier Reinberg 2
1) Hôpital du Chablais, 1860 Aigle
2) Ser vice de chirurgie pédiatrique, CHUV, 1011 Lausanne
Abbildungen 1–3: Gewisse Schlafgewohnheiten können für Kinder ein Strangulationsrisiko darstellen.
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rausstellen. So wurde beispielsweise ein
13monatiges Mädchen durch die Haare ihrer
Mutter erwürgt, neben der sie schlief: die
gerichtsmedizinische Untersuchung hat die
Mutter schliesslich des Verbrechens, dessen
sie angeklagt war, unschuldig befunden 8).
Solche Unfälle müssen der Öffentlichkeit
bekannt gemacht werden, im Sinne der
Vorbeugung, wie dies zum Beispiel bei einer,
glücklicherweise nicht tödlich verlaufenen,
Strangulation durch ein Plastikkabel ge
macht wurde 9).
Beim hier beschriebenen Fall haben sich
zwei Elemente als potentiell gefährlich er
wiesen: Das Festhalten des Kindes in sei
nem Bettchen mittels einem Tuch, mit dem
es sich erwürgen konnte, und das Zudecken
der Wiege, was die Überwachung verun
möglichte.
Schlussfolgerung
Unfälle durch Erwürgen können tödlich
verlaufen oder schwere bleibende Schä
den verursachen. Wir hoffen, durch unsere
Beschreibung und Illustration eines Stran
gulationsmechanismus, bedingt durch eine
besondere Art traditioneller Kinderpflege,
wie sie in der albanisch sprechenden Bevöl
kerung verbreitet ist, diese auf das einge
gangene Risiko aufmerksam zu machen. Es
könnten zum Beispiel entsprechende Emp
fehlungen, Kinderbetten mit einer seitlichen
Schutzvorrichtung betreffend, in mehreren
Sprachen verfasst und illustriert, an die
Familien abgegeben werden. Diese Informa
tion sollte auch in Kursen zur Vorbereitung
auf die Geburt, an Elternabenden und bei
Vorsorgeuntersuchungen, durch Säuglings
pflegerinnen, Kinderärzte und Medien ver
breitet werden.
Korrespondenzadresse:
Dr. Patrick Diebold
Service de pédiatrie
Hôpital du Chablais
1860 Aigle
Referenzen:1) Reinberg O. Les colliers d’ambre sont dangereux pour les petits enfants, Paediatrica, 1992,4 (1): 24–27.
2) Altmann A, Nolan T. Non intentional asphyxiation
deaths due to upper airway interference in children
0 to 14 years. Inj Prev. 1995 Jun; 1(2): 76–80.
3) Rauchschwalbe R, Mann NC Pediatric window cord
strangulations in the United States, 1981–1995. JAMA. 1997 Jun 4; 277(21): 1696–8. 4)
Causalta C. et al. SID, SID
Geschwister und ALTE: Empfohlene Abklärungen und Indikationen für das Säuglingsmonitoring, Paediatrica, 2007, 18 (1): 12–18. 5) Feldman KW, Simms RJ Strangulation in childhood: epidemiology and clinical course. Pediatrics. 1980; 65(6): 1079–85.
6) Shepherd RT. Accidental Self strangulation in a
Young Child. A Report and Review. Med Sci Law,
1990, 30(2): 119–123.
7) Sabo RA, Hanigan WC, Flessner K, Rose J, Aaland
M Strangulation injuries in children. Part 1. Clinical analysis. J Trauma. 1996 Jan; 40(1): 68–72.
8) Milkovich SM, Owens J, Stool D, Chen X, Beran M.
Accidental childhood strangulation by human hair. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2005; 69(12): 1621–8.
9) Drew CS Unintentional strangulation in children: a
professional approach to the problem. Int J Trauma Nurs. 2001; 7(2): 60–3.
Achtung: Erwürgungsgefahr in Kinderbetten!
Sipas këtyre imazheve ne dëshirojmë të ju tërhjekim vëmend
jen prindër ve edhe mjekëve: disa mënyra të vënjes në gjumë,
mundë ta rrezikojnë jetën e fëmijëve tuaj
nga ngulëfatja.
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Patrick Diebold , Service de pédiatrie Hôpital du Chablais, Aigle