In der Schweiz sterben pro Jahr mehr als 8000 Menschen vorzeitig an tabakassoziierten Erkrankungen. Dies sind deutlich mehr verfrühte Todesfälle als z. B. durch Verkehrsunfälle (400), illegale Drogen (200) und AIDS (100). Die direkten Behandlungskosten betragen 1.5 Milliarden Franken, die indirekten Kosten 4.5 Milliarden Franken und die sozialen Kosten insgesamt 10.7 Milliarden Franken (Schweizerische Fachstelle für Alkohol und andere Drogenprobleme SFA, www.ispa.ch). Von den 1.7 Millionen regelmässigen Rauchern in der Schweiz haben 80 bis 90% mit dem Rauchen vor dem 18. Lebensjahr begonnen, weshalb Nikotinabhängigkeit in renommierten medizinischen Fachzeitschriften wiederholt als «pädiatrische Erkrankung» bezeichnet wurde. Tabak wird überwiegend in Form von Zigaretten genossen, aber auch das ebenso schädliche Rauchen von Wasserpfeifen hat in jüngster Zeit an Attraktivität gewonnen. Viele der über 4000 Inhaltsstoffe von Tabak führen bei längerem regelmässigem Tabakkonsum wegen der hohen Toxizität zu zahlreichen Folgeerkrankungen wie Krebs, Herz- reislauf-Erkrankungen inklusive Herzinfarkt und Schlaganfall sowie Lungenerkrankungen wie chronischer Bronchitis und Lungenemphysem, aber auch zu vorzeitiger Hautalterung.
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Vol. 18 No. 4 2007
Zusammenfassung
Die Prävalenz rauchender Jugendlicher hat
zwar in den letzten paar Jahren leicht ab
genommen, aber es rauchen immer noch
viel zu viele Jugendliche, oft im Glauben,
nicht süchtig zu sein und jederzeit mit dem
Rauchen aufhören zu können. Jugendliche
mit chronischen Krankheiten, z. B. Asthma
bronchiale oder Diabetes, rauchen zudem
mindestens so häufig wie gesunde Gleich
altrige.
Auf gesellschaftlicher Ebene haben ver
schiedene Massnahmen in der Schweiz
zu einer Abnahme der Akzeptanz von Ak
ti v und Passi vrauchen geführt. Weitere
Massnahmen im Sinne einer Verhältnisprä
vention (z. B. hohe Steuern, umfassendes
Tabakwerbe verbot, rauchfreie öffentliche
Gebäude und Restaurants, Abgabe verbot an
Jugendliche) müssen für die ganze Schweiz
flächendeckend folgen.
Kinder und Jugendärzte können durch die
Erhebung einer psychosozialen Anamne
se den Raucherstatus von jugendlichen
Patienten und ihrem sozialen Umfeld wie
derholt gezielt bestimmen und nach Risiko
faktoren wie auch protektiven Faktoren für
potentiellen Nikotinkonsum fragen. Moti
vationsfördernde Rauchstopp Beratung in
der kinderärztlichen Praxis kann so einen
wichtigen Beitrag zur Prävention leisten
und rauchende Jugendliche in der erfolg
reichen Durchführung des Rauchstopps
unterstützen.
Einleitung
In der Schweiz sterben pro Jahr mehr als
8 000 Menschen vorzeitig an tabakassozi
ierten Erkrankungen 1). Dies sind deutlich
mehr verfrühte Todesfälle als z. B. durch
Verkehrsunfälle (400), illegale Drogen (200)
und AIDS (100). Die direkten Behandlungs
kosten betragen 1.5 Milliarden Franken, die
indirekten Kosten 4.5 Milliarden Franken
und die sozialen Kosten insgesamt 10.7 Mil
liarden Franken (Schweizerische Fachstelle
für Alkohol und andere Drogenprobleme
SFA, www.ispa.ch ). Von den 1.7 Millionen re
gelmässigen Rauchern in der Schweiz haben
80 bis 90% mit dem Rauchen vor dem 18.
Lebensjahr begonnen, weshalb Nikotinab
hängigkeit in renommierten medizinischen
Fachzeitschriften wiederholt als «pädiat
rische Erkrankung» bezeichnet wurde 2).
Tabak wird überwiegend in Form von Zi
garetten genossen, aber auch das ebenso
schädliche Rauchen von Wasserpfeifen hat
in jüngster Zeit an Attraktivität gewonnen
3).
Viele der über 4000 Inhaltsstoffe von Ta
bak führen bei längerem regelmässigem
Tabakkonsum wegen der hohen Toxizität zu
zahlreichen Folgeerkrankungen wie Krebs,
HerzKreislauf Erkrankungen inklusi ve Herz
infarkt und Schlaganfall sowie Lungener
krankungen wie chronischer Bronchitis und
Lungenemphysem, aber auch zu vorzeitiger
Hautalterung 4). Weitere Folgeerscheinungen
von chronischem Tabakkonsum sind Impo
tenz und Unfruchtbarkeit. Wird während der
Schwangerschaft geraucht, so können eine
Reihe weiterer Komplikationen auftreten,
die das ungeborene Kind betreffen.
Tabak-Epidemie im Jugendalter
Die in den neunziger Jahren unter den Ju
gendlichen stark angestiegene Prävalenz
an RaucherInnen hat erst in den letzten
Jahren ein Plateau erreicht und scheint in
den letzten Jahren leicht abzunehmen 5).
Das immer noch hohe Niveau der Rate
jugendlicher RaucherInnen ist besonders
beunruhigend, weil ein überwiegender Teil
der regelmässig rauchenden Jugendlichen
(d. h. mindestens 1 x pro Woche) es nicht
schafft, wieder damit aufzuhören. Anders
sieht es bei nur gelegentlich rauchenden Ju
gendlichen (d. h. weniger als 1 x pro Woche)
aus: Ein Drittel der 16 /17 jährigen Gelegen
heitsraucherInnen geht bis 20 jährig zum
täglichen Zigarettenkonsum über, ein Drittel
bleibt Gelegenheitsraucher und ein Drittel
hört mit dem Rauchen wieder gänzlich auf.
Früher Einstieg in den Tabakkonsum erhöht
das Risiko von späterem regelmässigem
Rauchen 6).
Die tabakassoziierten Gesundheitspro
bleme treten meist noch nicht im Jugend
alter auf. Dies verstärkt noch das unter
jugendlichen RaucherInnen häufig anzu
treffende Gefühl von Un verletzbarkeit. Ni
kotin ist aber vom Suchtpotenzial her ver
gleichbar mit den illegalen Drogen Kokain
und Heroin, so dass der Konsum nicht ohne
weiteres beendet werden kann 7). Man geht
da von aus, dass sich bei Jugendlichen die
Abhängigkeit von Nikotin wegen der Un
reife der neuronalen Transmittersysteme
rascher entwickelt. Beinahe ein Viertel aller
12 bis 13 jährigen RauchanfängerInnen
haben bereits nach 4 Wochen erste Ent
zugssymptome, obwohl sie zum Teil nicht
einmal täglich rauchten 8).
Jugendliche mit chronischen Krankheiten
wie Diabetes und Asthma rauchen nicht
etwa weniger als sonst gesunde Jugendli
che 9). Der Grund dafür liegt wahrscheinlich
darin, dass diese chronisch kranken Jugend
lichen von den Gleichaltrigen anerkannt
werden wollen und sie sich selber und dem
sozialen Umfeld beweisen wollen, dass
sie keinen Einschränkungen unterliegen
und «dazu gehören». Leider verstärkt das
Rauchen oft erheblich die gesundheitlichen
Risiken der Grundkrankheit.
Wieso Jugendliche rauchen
Die Gründe, welche dazu führen, dass eine
jugendliche Person Zigaretten zu rauchen
beginnt, sind vielfältig. Fragt man die Ju
gendlichen danach, wird als weitaus häu
figster Grund die Lust zum Probieren ge
nannt (SFA 2003).
Das Experimentieren mit der Zigarette er
scheint vielen Jugendlichen besonders an
ziehend, weil sie in unserer Kultur immer
noch als Indikator des Erwachsenseins
gilt und durch die Tabakindustrie gezielt
als Symbol für Freiheit, Jugendlichkeit und
sexuelle Attraktivität vermarktet wird.
Jenseits des Experimentierstadiums sind
für regelmässigen Zigarettenkonsum gut
dokumentierte Assoziationen bekannt mit
Faktoren wie gering ausgeprägtem Selbst
wirksamkeitserleben, Aufmerksamkeitsstö
Rauchende Jugendliche: Eine pädiat –
rische Krankheit mit Langzeitfolgen –
was wir Pädiater dagegen tun können
Christoph Rutishauser, Adoleszentenmedizin, Uni versitäts Kinderkliniken, Zürich
Jürg Barben, Pneumologie/Allergologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen
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Vol. 18 No. 4 2007 F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e
rungen 10), oppositionellem und aggressivem
Verhalten 11), «sensation seeking» 12), aber
auch emotionalen Problemen wie negati vem
Stress (z. B. wegen schulischen Misserfol
gen und beruflicher Perspekti vlosigkeit),
Depression und Ängsten 13), wobei der Ziga
rettenkonsum wohl teilweise als eine Art
Selbstmedikation eingesetzt wird. Mädchen
rauchen zudem auch für eine bessere Ge
wichtregulierung (Appetitreduktion durch
Nikotin). Mit zunehmendem Alter erscheint
insbesondere tägliches Rauchen auch an
niedrigere Bildung gekoppelt. Regelmässige
körperliche Aktivität hingegen hat einen
protektiven Effekt
14), wobei wahrscheinlich
nicht primär die Sorge der körperlich akti ven
Jugendlichen vor Leistungseinschränkung
bei Zigarettenkonsum eine Rolle spielt, son
dern eher der Umstand, dass regelmässige
körperliche Akti vität einen positi ven Einfluss
auf das emotionale Wohlbefinden hat.
Zu den wichtigsten Risikofaktoren für re
gelmässigen Tabakkonsum im Jugendalter
zählen der Zigarettenkonsum von Eltern,
Geschwistern und KollegInnen, dies als
Ausdruck von sozialem Lernen wie auch
leichterem Zugang 15), 16) . Bei den familiären
Einflussvariablen kommen genetische Fak
toren 17) und der Erziehungsstil bzw. das
Ausmass elterlicher Überwachung hinzu
(Rauchen häufiger sowohl bei zu autori
tärem Stil wie auch «Laissez Faire» Stil) 15), 18) .
Wenn ein Elternteil raucht, verdoppelt sich
das Risiko für die jugendliche Person, auch
mit dem Rauchen zu beginnen. Das Risiko
ist verdreifacht bis ver vierfacht, wenn beide
Eltern oder ein Elternteil und ein Geschwis
ter rauchen. Wenn der beste Freund oder
die beste Freundin der jugendlichen Person
raucht, so besteht eine Wahrscheinlichkeit
von 90%, dass die jugendliche Person zu
rauchen beginnt. Nach neueren Untersu
chungen spielen jedoch auch hier elterliche
Einflüsse eine wichtige indirekte Rolle, weil
die Selektion von Freunden durch familiäre
Grunderfahrungen und haltungen mitge
prägt wird 19).
Einfluss der Gesellschaft
Der politische Versuch, trotz immer noch
hoher Akzeptanz des Rauchens und leich
ter Verfügbarkeit von Zigaretten den Ziga
rettenkonsum von unter 16 Jährigen in der
Schweiz durch entsprechende Gesetze
einschränken zu wollen, kommt in gewisser
Weise den Wünschen der Tabakindustrie
entgegen und ist als alleinige Massnahme
ungenügend. Den Jugendlichen den Kauf
v on Zigaretten zu verbieten, ihnen also eine
für Erwachsene bestimmte legale Droge
v orenthalten zu wollen, ist zwar im Sinne
des Kinder und Jugendschutzes durchaus
eine wünschenswerte Massnahme. Bei
Adoleszenten kann man damit jedoch auch
den Wunsch auslösen, von der « verbotenen
Frucht» zu kosten und sich zu beweisen,
dass man emotional autonom und er
wachsen ist. Solche Schutzmassnahmen
können also nur Wirkung zeigen, wenn
gleichzeitig klare Botschaften ausgesandt
werden, die genau so sehr Jugendliche wie
Erwachsene ansprechen, z. B. eindeutige
Kennzeichnung und Behandlung von Tabak
als in erheblichem Masse die Gesundheit
gefährdende Substanz (d. h. Verbot von
Werbung, Einschränkung der Erhältlichkeit
überall und rund um die Uhr), und wenn
Massnahmen zum Schutz vor Passi vrau
chen getroffen werden (z. B. durch Rauch
v erbot am Arbeitsplatz, in öffentlichen
Gebäuden, Restaurants wie auch Discos
und Bars). Diese Massnahmen zur Eindäm
mung des Tabakkonsums wurden in der
WHO Rahmenkon vention zur Eindämmung
des Tabakrauches (Framework Con vention
on Tobacco Control) im Mai 2003 erstmals
festgehalten und inzwischen von 168 Län
dern unterzeichnet (www.fctc.org). Der
Schweizer Bundesrat hat die Rahmenkon
v ention im Jahre 2004 unterzeichnet wobei
die Ratifizierung durch das Parlament noch
ausstehend ist 20).
Was können Kinderärzte tun?
Neben dem akti ven Einsatz auf gesell
schaftlicher Ebene zur raschen Umsetzung
der WHO Rahmenkonvention auch in der
Schweiz kann ebenso auf individueller Ebe
ne in der alltäglichen Kinderarztpraxis viel
bewirkt werden. Eine motivationsfördernde
Rauchstopp Beratung sowohl der Eltern als
auch der bereits rauchenden Jugendlichen
kann einen wichtigen Beitrag zur Prä vention
leisten bzw. rauchende Jugendliche in der er
folgreichen Durchführung des Rauchstopps
unterstützen. Das Aufhören mit Rauchen ist
ein dynamischer Prozess, in dem jeder Rau
cher mehrere Moti vationsstadien durchläuft.
Wiederholtes kurzes Ansprechen des Tabak
konsums (ohne jedoch urteilend zu wirken)
soll den Eltern und dem Jugendlichen helfen,
genügend Motivation zu entwickeln, ganz
mit dem Rauchen aufzuhören.
Das Anamnese- Gespräch
mit der jugendlichen Person
Bei allen Kindern und Jugendlichen sollte
regelmässig eine Evaluation möglicher ak
ti ver und passi ver Tabakrauchexposition
v orgenommen werden. Diese beinhaltet
das Verhalten von Eltern, Geschwistern
und Freunden im Hinblick auf Zigaretten
und Wasserpfeifenkonsum wie auch das
Verhalten der jugendlichen Person selber.
So einfach dies klingt, kennen doch viele
KinderärztInnen den Raucherstatus ihrer
jugendlichen PatientInnen nicht.
Nebst der Raucheranamnese soll die wieder
holte Erhebung der psychosozialen Anamne
se mit der jugendlichen Person ihre Haltung
gegenüber anderen Drogen und anderen
risikoreichen Verhaltensweisen sowie un
günstige psychosoziale Umstände erfassen.
Insbesondere soll auch auf Zeichen für eine
Depression geachtet werden. Als Alternati ve
zum strukturierten Anamnese Gespräch kön
nen allenfalls vorgedruckte Anamnesefrage
bogen verwendet werden (Beispiele können
beim Verfasser angefordert werden), wobei
diese Fragebogen jedoch nicht das anschlies
sende Gespräch mit dem Patienten ersetzen
können. Ein solches, selbst verständlich ver
traulich geführtes Gespräch wäre un voll
ständig, würde nicht auch nach möglichen
Stärken und Ressourcen gefragt werden, die
zur Lösung von Problemen genützt werden
können, z. B. spezielle Interessen und Fähig
keiten, erwachsene Vertrauenspersonen wie
Verwandte, Lehrer, Jugendgruppenleiter oder
Sporttrainer.
Eltern in ihrer Vorbildrolle
stärken
Eltern sollten, wenn möglich bereits vor der
Geburt des ersten Kindes und in regelmäs
sigen Abständen danach sachlich und ohne
zu urteilen auf die Gefahren ihres Nikotin
konsums (z. B. Passi vrauchen) aufmerksam
gemacht werden und an ihre Vorbildrolle
erinnert werden – die wenigsten rauchenden
Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder der
einst rauchen werden –, um sie zum Rauch
stopp zu moti vieren und, wenn möglich,
ärztlich bei diesem Vorhaben zu begleiten.
Sachliche Information
Die meisten Jugendlichen kennen die Lang
zeit Gesundheitsrisiken von Zigarettenkon
sum, sind sich aber kaum bewusst, dass
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dies auch sie persönlich betreffen kann.
Überraschend wenig Jugendliche wissen über
das hohe Abhängigkeitspotenzial von Nikotin
Bescheid. So glaubt mehr als ein Viertel aller
regelmässigen RaucherInnen im Jugendal
ter, jederzeit mit dem Rauchen aufhören
zu können, wenn sie es wollten (SFA 1999).
Praktizierende KinderärztInnen haben als
Vertrauenspersonen die Chance, den Jugend
lichen sachliche Informationen zum Thema
Rauchen zu übermitteln und ihnen diejenigen
Tatsachen über das hohe Suchtpotenzial von
Nikotin mitzuteilen, von denen die Tabakin
dustrie schon lange Kenntnis hat. So können
die Jugendlichen zum Beispiel direkt auf die
Tabakindustrie und ihre Lüge, nichts vom
hohen Suchtpotenzial von Nikotin gewusst
zu haben, sowie auf die manipulati ven Wer
bestrategien zur Förderung des Rauchens
unter Jugendlichen angesprochen werden.
Besonders wichtig ist für junge Frauen auch
der Hinweis auf die zusätzlichen Gesund
heitsrisiken von Tabakkonsum bei Einnahme
oraler Kontrazepti va.
Nicht rauchende Jugendliche
bestärken
KinderärztInnen sollten die Gelegenheit wahr
nehmen, nicht rauchende Jugendliche positi v
in ihrer Haltung zu bestärken, auch künftig
auf das Rauchen zu verzichten. Dabei sollten
nebst dem hohen Abhängigkeitspotenzial
v on Tabak vor allem kurzzeitige Vorteile des
Nichtrauchens ( siehe Tabelle 1 ) besprochen
werden. Abschreckungsstrategien mit der
Demonstration von Langzeitfolgen (Krebs,
Raucherbein usw.) bleiben bei Jugendlichen
meist ohne lang anhaltende Wirkung. Wenn
nicht rauchende Jugendliche auf die Frage
«Wie sieht es in zwei Jahren aus?» zögernd
antworten, sollte sich der Arzt oder die Ärztin
Zeit nehmen für eine Gegenüberstellung von
Vor und Nachteilen des Rauchens aus Sicht
der jugendlichen Person, um die jugendliche
Person im Nichtrauchen zu bestärken.
Protektive Aktivitäten fördern
Generell sollen jugendliche PatientInnen
durch den Kinderarzt immer wieder ermutigt
werden, körperliche Aktivitäten auszuüben,
da regelmässige körperliche Aktivität eine
protektive Wirkung nicht nur in Bezug auf
den regelmässigen Konsum von Zigaretten
und anderen psychoakti ven Substanzen
haben kann, sondern das seelische Wohl
befinden allgemein positiv beeinflusst und
v orbeugend gegen Übergewicht wirkt. In die
gleiche Richtung können andere Akti vitäten
wie musikalische Freizeitgestaltung und
soziales Engagement wirken.
Unterstützung zum Aufhören
mit Rauchen
Jugendliche RaucherInnen sollten nach dem
Umfang und den Mustern ihres Konsums
gefragt werden, um den Grad ihrer Ab
hängigkeit abschätzen zu können 21). Als
Faustregel kann gelten, dass dieser umso
größer ist, je früher am Morgen die erste
Zigarette geraucht wird und je mehr die
Menge der täglich gerauchten Zigaretten
8 bis 10 Stück übersteigt. Für Jugendliche
geeignet sind auch Selbsteinschätzungs
und Moti vationstests, die auf Webseiten wie
www.feelok.ch und www.justbesmokefree.
de angeboten werden.
Zur Einschätzung der Chancen eines Rauch
stopps, ist die Frage wichtig, ob die jugend
liche Person schon einmal den Wunsch ver
spürt oder gar versucht hat, mit dem Rau
chen aufzuhören. In einer schweizerischen
Gesundheitsbefragung von 2002 äusserten
57% der 15 bis 24 jährigen jungen Männer
sowie 56% der jungen Frauen den Wunsch,
mit Rauchen aufhören zu wollen (SFA 2004).
Der Arzt bzw. die Ärztin darf sich jedoch
nicht zum Advokat von besorgten Eltern
machen lassen und soll keinesfalls zu viel
Druck für einen Rauchstopp ausüben.
Planung des Rauchstopps
Bei Jugendlichen, die mit dem Rauchen auf
hören möchten, kann der Arzt eine wichtige
Rolle in der Umsetzung des Rauchstopps
spielen und damit die Voraussetzungen für
einen Erfolg auch verbessern. Ein erster
wichtiger Schritt ist die Festlegung eines
RauchstoppDatums sowie die gemeinsame
Planung der Umsetzung. Die Vorbereitungen
für den Rauchstopp sind indi viduell festzule
gen ( siehe Tabelle 2 ).
Durchführung des Rauchstopps
Es ist wichtig zu beachten, dass die ersten
zwei Wochen nach dem Rauchstopp eine
kritische Phase mit hoher Rückfälligkeit
darstellen, so dass das Rauchstopp Datum
nicht gerade in eine Periode mit vorausseh
bar hohem Stress (z. B. Schulabschlussprü
fungen) fallen soll. Folgende Empfehlungen
sind ferner zu beachten:
● Falls bei hoher Rauchstopp Motivation
von rauchenden Freunden ein Rauch
stopp gemeinsam mit diesen geplant ist,
die Freunde des jugendlichen Patienten
Tabelle 1: Kurz- und mittelfristige Folgen von Tabakkonsum
● Schlechter Atemgeruch
● Zahnverfärbung, Parodontose
● Vorzeitige Hautalterung
● Eingeschränkte Leistungsfähigkeit
der Lungen
● Meist rasche Abhängigkeitsent
wicklung
● Schlecht riechende Kleider und
Räume
● Hohe Kosten
● Quelle von Passivrauch für Andere
● Opfer der Manipulation durch die
Tabakindustrie
Tabelle 2: Vorbereitung Rauchstopp
● Konkretes Rauchstopp Datum auf
einen stressarmen Zeitpunkt festle
gen und nicht davon abweichen
● Rauchstopp mit rauchenden
Freunden/Eltern zusammen
(falls alle motiviert)
● Rauchende Eltern und Freunde
informieren und sie bitten, keine
Zigaretten anzubieten
● Keine oder nur wenige Zigaretten
bei sich tragen
● Verlangen nach Zigaretten
möglichst lange hinaus zögern
● Kein Zigarettenvorrat und keine
Raucherutensilien zu Hause
● Evtl. zuckerfreier Kaugummi oder
rohe Karotten als Ersatz
● Regelmässige körperliche Aktivität
steigern (Alltagsbewegung, Sport)
● Entspannungstechniken lernen/
anwenden
● Konkrete Selbst Belohnung planen
● Einüben von Sätzen zur Begründung
für den Rauchstopp für schwierige
Situationen/Selbstzweifel, zum
Beispiel:
– «Ich kann viel Geld für etwas
anderes sparen»
– «Ich rieche gut»
– «Als NichtraucherIn bin ich at
traktiver»
F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e
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aktiv in die Beratung mit einbeziehen;
besser jedoch allein aufhören als zu
sammen mit ungenügend motivierten
KollegInnen!
● Regelmässige Kontakte zwischen Arzt
und Patient bereits vor dem Rauchstopp
fix planen: 1–2 Tage vor dem Rauch
stopp Datum, 1–2 Tage danach, nach
der 1. und 2. Woche sowie wie nach 46
Wochen.
● Mindestens die Hälfte dieser Kontakte
in der Sprechstunde abhalten, der Rest
gegebenenfalls als Telefonkontakte; ev.
ergänzende SMS Verstärker versenden
lassen.
● In Absprache mit der jugendlichen Per
son die Eltern über die Rauchstopp Ab
sichten ihres Sohnes bzw. ihrer Tochter
informieren und ihnen sachliche Infor
mationen über den Ablauf des Rauch
stopps geben.
● Unterstützungsmöglichkeiten durch
Eltern prüfen, z.B. Unterstützung in
der Planung gemeinsamer und für die
jugendliche Person attraktiver Freizeit
aktivitäten (sportliche Betätigung, Wo
chenendausflug etc.).
● Zum Zeitpunkt des Rauchstopps alle
noch vorhandenen Zigaretten zerbre
chen und fortwerfen; Aschenbecher
ebenfalls fortwerfen.
● Nach dem Rauchstopp keine einzige
Zigarette mehr rauchen (die erste Zi
garette führt meist zu regelmässigem
Rauchen zurück).
● Liste mit Nachteilen des Rauchens und
Vorteilen des Rauchstopps führen und
regelmässig durchlesen, um sich per
manent zu motivieren.
● Kontakt mit rauchenden KollegInnen in
den ersten zwei Wochen der Abstinenz
soweit möglich auf ein Minimum redu
zieren bzw. diese darum bitten, nicht
in Gegenwart des abstinenten Jugend
lichen zu rauchen.
● Orte meiden, an welchen die jugendliche
Person viel geraucht hat oder wo viel
geraucht wird.
● Jedes Angebot zu rauchen freundlich
zurückweisen.
● Möglichst vielen wohlgesinnten Men
schen über den Rauchstopp erzählen,
um Unterstützung zu erhalten und die
Motivation zu verstärken.
● Bei starker Rauchlust Notfalltäschlein
zur Ablenkung allzeit bereit halten (das
Verlangen hält meist nur wenige Minu
ten an), z.B. Kaugummi oder Karotten
kauen, sehr scharfes Pfefferminzbonbon
im Mund zergehen lassen, ein Glas Was
ser trinken, Freunde anrufen, spazieren,
joggen, biken gehen.
Nikotinersatzprodukte
und Medikamente
Nikotinersatzprodukte sind grundsätzlich
für Erwachsene ab 18 Jahren frei gegeben,
einige Produkte können aber bei starker
Nikotinabhängigkeit auch für Jugendliche
ab 12 Jahren in Erwägung gezogen werden.
Das Rauchen ist vor dem Einsatz dieser Er
satzprodukte ganz einzustellen. Die Behand
lungsdauer beträgt in der Regel max. 3 Mo
nate mit schrittweiser Dosisreduktion nach
4–8 Wochen. Applikationsformen: Pflaster
sind geeignet für regelmässige RaucherInnen
(zu Beginn e v. kombiniert mit Kaugummi und
Lutschtabletten), während Kaugummi und
Lutschtabletten für unregelmässige Raucher
geeignet sind, da es zu einem rascheren
Wirkungseintritt kommt als beim Pflaster.
Wichtig ist eine korrekte Anwendung der
Nikotinersatzprodukte, um Nebenwirkungen
(Nausea, Übelkeit etc.) bestmöglich zu ver
hindern: Beim Nikotinkaugummi ist zum
Beispiel die «Kau und Park Technik» wichtig,
d. h. das Kauen, bis der metallische Ge
schmack des Nikotins spürbar wird, dann
Kaugummi in der Wange «parken», bis der
Geschmack nicht mehr vorhanden ist, dann
erneutes Kauen (Weitere Informationen zu
Indikationen, Kontraindikationen, Applika
tionsformen, Dosierungen und Nebenwir
kungen siehe Arzneimittelkompendium).
Nikotinersatzprodukte sind bisher nicht
kassenpflichtig, werden über Zusatz versi
cherungen aber teilweise von den Kranken
kassen mitfinanziert. Bei Erwachsenen zeigt
die Kombination von intensi ver Beratung und
Nikotinersatzprodukten ( v. a. Lutschtablet
ten und Kaugummi, allenfalls in Kombination
mit dem Pflaster) die besten Abstinenzraten
(ca 15–28%) 22). In einer kürzlich publizierten
Pilotstudie mit Einsatz von Nikotinersatzpro
dukten bei jugendlichen RaucherInnen wur
de über Compliance Probleme v. a. bei sozial
benachteiligten Jugendlichen berichtet 23).
Bupropion ist ein ursprünglich als Anti
depressi vum entwickeltes Medikament,
welches das Rauchbedürfnis reduziert und
v. a. bei Erwachsenen mit mehrfach er
folglosen Raucherentwöhnungs versuchen
eingesetzt wird, bei Jugendlichen jedoch
nur vereinzelt «off label» eingesetzt wird.
Neuere Medikamente wie der Endocan
nabinoid Antagonist Rimonabant oder der
partielle Nikotin Agonist Vareniclin sind in
klinischer Erprobung.
Zu jeder Rauchstopp Methode gehören ein
fester Wille sowie die Bereitschaft, Gewohn
heiten zu ändern. Nikotinersatzpräparate
sollen keinesfalls eingesetzt werden als
Ersatz für ungenügende Motivation zum
Rauchstopp.
Gelegentlich klagen ÄrztInnen über die
geringe Erfolgsquote von RauchstoppVer
suchen bzw. –programmen. Dies liegt vor
allem an den teilweise unrealistisch hohen
Erwartungen von ÄrztInnen: Auch wenn
nur 10% der RaucherInnen mit ärztlicher
Unterstützung definitiv zu rauchen aufhö
ren vermögen, so wird damit nicht nur für
jeden dieser Ex Raucher eine Verbesserung
der Lebensqualität erreicht, sondern auch
in Bezug auf die Gesamtbevölkerung ein
bedeutender Beitrag zur Gesundheitsförde
rung sowie der Reduktion von Tabakkonsum
assoziierten Folgekosten geleistet.
Wir danken Simone Meyer für die kritische
Durchsicht des Manuskriptes.
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Christoph Rutishauser
Leitender Arzt Adoleszentenmedizin
Kinderspital Zürich
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
christoph.rutishauser@kispi.uzh.ch
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Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Christoph Rutishauser , Leiter Adoleszentenmedizin, Universitäts-Kinderspital Zürich