Die Sichelzellanämie ist eine Krankheit, verursacht durch einen häufigen, autosomal rezessiv übertragenen Gendefekt der BetaKette des Hämoglobins Sie kennzeichnet sich durch ein abnormes, Hämoglobin S genanntes Hämoglobin aus, das polymerisiert und auskristallisiert, was eine Versteifung und verminderte Verformbarkeit der Erythrozyten zur Folge hat. Es gibt mehrere Formen Sichelzellanämie (SS, SC, SBeta, usw.). Es handelt sich um chronisch hämolytische Krankheiten, die sich durch drei akute Ereignisse äussern: Schwere Anämie, schwer verlaufende bakterielle Infekte und akute ischämische, vasookklusive Krisen, als Folge des Aufprallens ungenügend verformbarer Erythrozyten auf kleine Gefäs se. Die Folgen sind Komplikationen in verschiedenen Organen. Die Diagnose wird durch Hämoglobinelektrophorese gestellt, die in zahlreichen Labors durchgeführt werden kann. Die Behandlung ist im Wesentlichen vorbeugend (antibiotische Prophylaxe, Impfung, Schmerzberatung und -behandlung, Bluttransfusionen, Hydroxycarbamid, Folsäuresupplementation), in seltenen Fällen, im Wesentlichen bei Befall der Hirngefässe, ursächlich (intrafamiliäre Knochenmarktransplantation oder Nabelschnurblutspende). Die Prognose ist abhängig von der klinischen Form, ist unvorhersehbar, variabel und verbleibt ungünstig, trotz einer Lebenserwartung, die in westlichen Ländern ca. 50 Jahre beträgt.
16
was zu einer hämolytischen Anämie führt.
Diese Erythrozytenzerstörung findet haupt-
sächlich in der Milz statt und führt zu einer
funktionellen Asplenie und Splenomegalie
durch Milzsequestration führt. Diese ver –
formten Erythrozyten erhöhen auch die
Blutviskosität, wodurch das Endothel ge –
schädigt und der Blutfluss behindert oder
unterbrochen wird (Vasookklusion). Es
kann ein entzündlicher Faktor mitbeteiligt
sein.
Epidemiologie weltweit und
in der Schweiz
Die Prävalenz der Sichelzellerbanlage wird
in Europa auf ca. 1/150 geschätzt. In Zent –
ral- und Westafrika (15–25%), in den franzö –
sischen Überseegebieten Mittelamerikas
(10–12%) und in Mittelmeerländern (je nach –
dem 1–12%) ist eine hohe Prävalenz dort zu
beobachten, wo Malaria herrscht(e), da
diese Erkrankung vor schweren Verläufen,
insbesondere zerebraler Malaria schützt. In
Frankreich werden jährlich 200–230 Kinder
mit Sichelzellanämie geboren.
Zahlen für die Schweiz (gemäss Swiss
Haemoglobinopathy Platform, nicht publi –
ziert) sind beim Autor erhältlich.
Symptome und Komplikationen
Im englischen Sprachgebrauch wird zwi –
schen «SCA» (sickle cell anemia) und «SCD»,
(sickle cell disease) unterschieden. Die SCA
ist die häufigste Form, wobei die homozy –
goten Patienten, gemeinhin «SS» genannt,
erkranken und das Sichelzellsyndrom in
verschieden ausgeprägter Form aufweisen,
während die heterozygoten, kurz «AS» ge –
nannt, Träger des Sichelzellgens sind und
nicht erkranken. Die SCD umfasst alle an –
deren, für das klinische Syndrom verant –
wortlichen Genotypen (HbSC, HbSßthal
o,
HbSßthal +).
Die klinischen Erscheinungsbilder können
in akute, chronische und Formen mit Spät –
folgen unterteilt werden. Es ist nicht das
Ziel dieses Artikels, eine vollständige Liste
aller möglichen Komplikationen, sondern
vielmehr ein umfassendes Bild zu vermit –
teln.
Da es sich um eine Blutkrankheit mit vas –
kulären Auswirkungen handelt, können alle
Organe betroffen sein.
Zusammenfassung
Die Sichelzellanämie ist eine Krankheit, ver
–
ursacht durch einen häufigen, autosomal re –
zessiv übertragenen Gendefekt der Beta-
Kette des Hämoglobins Sie kennzeichnet sich
durch ein abnormes, Hämoglobin S genanntes
Hämoglobin aus, das polymerisiert und aus –
kristallisiert, was eine Versteifung und ver –
minderte Verformbarkeit der Erythrozyten zur
Folge hat. Es gibt mehrere Formen Sichelzel –
lanämie (SS, SC, SBeta, usw.). Es handelt sich
um chronisch hämolytische Krankheiten, die
sich durch drei akute Ereignisse äussern:
Schwere Anämie, schwer verlaufende bakte –
rielle Infekte und akute ischämische, vasook –
klusive Krisen, als Folge des Aufprallens un –
genügend verformbarer Erythrozyten auf
kleine Gefäs se. Die Folgen sind Komplikatio –
nen in verschiedenen Organen. Die Diagnose
wird durch Hämoglobinelektrophorese ge –
stellt, die in zahlreichen Labors durchgeführt
werden kann. Die Behandlung ist im Wesent –
lichen vorbeugend (antibiotische Prophylaxe,
Impfung, Schmerzberatung und -behandlung,
Bluttransfusionen, Hydroxycarbamid, Folsäu –
resupplementation), in seltenen Fällen, im
Wesentlichen bei Befall der Hirngefässe, ur –
sächlich (intrafamiliäre Knochenmarktrans –
plantation oder Nabelschnurblutspende). Die
Prognose ist abhängig von der klinischen
Form, ist unvorhersehbar, variabel und ver –
bleibt ungünstig, trotz einer Lebenserwar –
tung, die in westlichen Ländern ca. 50 Jahre
beträgt. Einführung
Diese schwere, noch verkannte Krankheit,
von UNESCO, WHO, UNO und der afrikani –
schen Union in den Jahren 2005 bis 2008
als gesundheitspolitisch vordringliches Pro –
blem anerkannt, ist weltweit die häufigste
genetische Krankheit . 100 bis 150 Millio-nen Menschen sind gesunde Überträger
der Sichelzellanämie, und jährlich werden
300
000 bis 400 000 Kinder mit dieser
Krankheit geboren. Drepanozytose, vom
griechischen drepanon, die Sichel, englisch
sickle cell disease (SCD) oder auch kurz SS
genannt, ist eine Erbkrankheit des Hämo –
globins. Sie schwächt den Patienten durch
Schmerz, Infekte und Müdigkeit.
Ursprünglich entwickelte sie sich in südli –
chen Ländern und verbreitete sich im Laufe
der Jahrhunderte durch erzwungene oder
freiwillige Wanderung und Völker vermi –
schung. Bis in die 1980er Jahre war die Si –
chelzellanämie in der Schweiz selten. Durch
Migration und Adoption werden Ärzte und
andere Berufsgruppen vermehrt mit dieser
Krankheit konfrontiert, die viele komplexe
Aspekte aufweist (multiorganisch, präven –
tivmedizinisch, beratend, schulisch und
beruflich, psychologisch und kulturell). Die
hämatologische Abteilung Lausanne be –
treut 2012 etwa vierzig Kinder mit einer
Sichelzellanämie, gleich viele sind es in
Genf. Die Daten in der deutschsprachigen
Schweiz sind wahrscheinlich vergleichbar.
Die Betreuung wird anschliessend von der
Erwachsenenhämatologie übernommen,
wobei häufiger Patienten verloren gehen.
Genetik und Pathophysiologie
Die Sichelzellanämie ist eine genetische
Krankheit mit autosomal rezessiver Über –
tragung und beruht auf einer einzigen
(monogenen) Mutation des auf dem Chro –
mosom 11 gelegenen Betahämoglobin-
Gens. Das normale Hämoglobin A wird
durch Hämoglobin S (HbS) ersetzt.
Die HbS-Moleküle haben die Eigenschaft,
im sauerstoffarmen (Kälte, Dehydrierung)
Zustand Polymerketten und damit Fasern
zu formen, die dem Erythrozyten eine stei –
fe Sichelform geben und dessen O
2-Trans –
portfähigkeit vermindern. Diese Erythrozy –
ten werden leichter und schneller zerstört,
Sichelzellanämie im Kindesalter –
ein Leitfaden für den Kinderarzt
Cécile Jérôme Choudja* ,**,*** Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, la Chaux-de-Fonds
* Unité d’hématologie oncologie pédiatrique, Bugnon
46, CHUV 1011 Lausanne
** Unité d’éthique, Bugnon 21, CHUV 1011 Lausanne
*** Dépar tement de pédiatrie, Hôpital du Valais, Ré –
seau Santé Valais, Sion
Vol. 23 Nr. 5 2012
Fortbildung
17
zum klassischen Hirnarterienbefall (an zere-
brovaskulären Insult denken, obwohl dessen
Prävention heutzutage durch frühzeitige
Schädel-Doppleruntersuchung, und bei er –
höhtem Risiko, Bluttransfusionen möglich
ist), seltener zu Nieren- und Leberischämie,
zu Kardiomyopathien (schon die chronische
Anämie hat echographische Auswirkungen)
und Beinulzera eher im Erwachsenenalter.
Es ist wichtig, die Spätfolgen zu kennen (die
im Prinzip im Erwachsenenalter auftreten,
uns aber das Mass der Schwere dieser
Krankheit geben) und deshalb schon im
Kindesalter an deren Vorbeugung zu denken.
Es handelt sich v. a. um Spätfolgen früherer
Häufige und Schlüsselsymptome:
•
Schmerz durch vasookklusive Krisen,
insbesondere der Knochen (Wirbelsäule,
Thorax, Extremitäten), klassische Säug –
lingsdaktylitis, seltener Priapismus, aku –
ter Nieren- oder Thoraxinfarkt.
• Anämie , insbesondere schwere akute
aregenerative Anämie infolge aplasti –
scher Krisen, bedingt durch Par vovirus
B19. Sie kann Folge einer Milzsequestra –
tion sein, v. a. beim Kleinkind, und muss
bei akuten Bauchschmerzen oder einer
ungewöhnlichen Splenomegalie in Be –
tracht gezogen werden.
• Immer muss bei den oben genannten
Symptomen nach Fieber gesucht werden (und umgekehrt), das Warnzeichen eines
schweren Infektes sein kann. Das Risiko
bakterieller Infekte (Pneumokokken,
Haemophilus, Salmonellen, Mycoplasma)
ist gross, zu befürchten sind vor allem die
Pneumokokkensepsis und eine Osteomy
–
elitis durch Salmonellen.
Längenwachstum und Gewichtszunahme
müssen überwacht werden.
Die chronische Hämolyse kann zu Blasen –
steinen führen.
Der chronisch fortschreitende vaskuläre Be –
fall führt zur Retinopathie, im Kindesalter
A
Antibiotika. Penicillinprophylaxe ab 2 Monaten und bis mindestens Ende des 5. Lebensjahr
B B19. Eine Parvovirus B19-Infektion muss bei jeder schweren, aregenerativen Anämie gesucht werden und bedarf meist einer symptomatischen
Therapie mittels Bluttransfusionen.
C Chorionzotten. Die pränatale Diagnose ist ab 12–13 Wochen Amenorrhoe möglich.
D Drepanozytose. Vom griechischen drepanon , die Sichel
E Elektrophorese. Erste Hb-Elektrophorese bei einem Patienten mit Sichelzellanämie 1949 durch Wells et al.
F Fieber und Müdigkeit. Symptome, die nicht banalisiert werden sollten, da sie Anzeichen von Komplikationen oder schwerer Infekte sein
können
G Genetische Beratung. So früh wie möglich anbieten
H Hygiene. Lebenshygiene (Hydrierung, Kleidung, Lüftung der Räume) sowie Erziehung und Information von Patienten, Eltern, Lehrern können
Komplikationen vorbeugen.
I Impfung. Ein optimaler Impfschutz (Pneumokokken, Meningokokken, aber auch Grippe) ist angesichts der funktionellen Asplenie wichtig.
J Jamaica. Der erste Fall einer Sichelzellanämie wurde 1910 durch Herrick bei einem Studenten in Jamaica beschrieben.
K Knochenmarktransplantation oder Nabelschnurblutspende. Einzige Möglichkeit, die Krankheit zu heilen, kann aber auch Nebenwirkungen
haben. Selten angewandte Massnahme, die in komplexen Situationen und bei intrafamiliär kompatiblem Spender angeboten werden soll.
L Litalir
®. Hydroxyurea oder Hydroxycarbamid, 1995 entdeckt. Erstes Medikament, das Komplikationen der Sichelzellanämie, insbesondere die
schweren Schmerzkrisen und das akute Thoraxsyndrom, verhindern kann
M Morphin, MEOPA. Medikamente, deren Einsatz nicht allzu lange hinausgezögert werden sollte
N Notfall. Anhaltender Schmerz, Fieber, schwere Anämie sind als Notfall zu betrachten.
O O
2. Sauerstoffgabe bei vasookklusiven Krisen selbst bei normaler O 2-Sättigung
P Priapismus. Durch Blutstau verursachte Komplikation, betrifft 40–50% der er wachsenen Patienten und auch bei Kindern nicht selten (6%), ist
ein medizinisch-chirurgischer Notfall
Q Qualität. Lebensqualität wird verschieden eingeschätzt und hängt von persönlichen Wertvorstellungen ab, auf die bei der Betreuung dieser
Patienten Rücksicht genommen werden muss.
R Radiologie. Transkranielle Doppleruntersuchung und angio-MRT schon im Kleinkindesalter, um frühzeitig das Risiko eines zerebrovaskulären
Unfalles festzustellen, dem durch monatliche Bluttransfusionen vorgebeugt werden kann.
S Schmerz. Auch wenn die Eltern den Namen der Krankheit nicht unbedingt kennen, so wissen sie bestimmt, dass sie sehr schmerzhaft ist.
T Transfusion. Erythrozytentransfusion akut bei Komplikationen oder prophylaktisch und wiederholt bei Risiko eines zerebrovaskulären Insults
U Ursprungsland. Bei Patienten aus Risikogebieten ( Ta b. 2) an Sichelzellanämie denken
V VK 500. Ein Molekül, über welches besonders in Afrika viel berichtet wird und die Sichelzellanämie heilen soll. Es gibt bisher jedoch keine
seriöse Studie dazu, weshalb es nicht empfohlen werden kann.
W Wasser. Baden bei Wassertemperaturen unter 25° kann eine vasookklusive Krise verursachen, die der Patient nicht so leicht vergessen würde …
X/Y XX oder XY, die Sichelzellanämie wird autosomal rezessiv vererbt und betrifft beide Geschlechter.
Z Zeit. Der Zeitfaktor ist entscheidend: Diagnose, Beratung, Vorbeugung und Behandlung so früh wie möglich
Ta b e l l e 1: Sichelzellanämie von A bis Z.
Vol. 23 Nr. 5 2012
Fortbildung
18
• Prävention des akuten Thoraxsyndroms,
grundsätzlich Atemphysiotherapie (mehr –
mals täglich stimulierende Spirometrie).
• Immer nach einem infektbegünstigenden
Faktor suchen und ohne Verzug eine
Antibiotikatherapie einleiten.
Genetische Beratung, pränatale
und präimplantatorische
Diagnostik
Wie bei jeder Erbkrankheit muss das Fest –
stellen eines Falles von Sichelzellanämie zu
einer genetischen Beratung und zur Infor –
mation der erweiterten Familie führen. Sind
die Eltern Träger oder selbst krank, ist eine
pränatale Diagnose aus Chorionzotten ab
12–13 Wochen Amenorrhoe möglich, später
durch Amniozentese. Das Abortrisiko ist
jedoch nicht vernachlässigbar (0.5–1%).
Die präimplantatorische Diagnose ist mög –
lich, in der Schweiz jedoch nicht zugelassen.
Sichelzellanämie und Ethik
Angesichts einer Sichelzellanämie stellt
man Überlegungen zu Begriffen wie Krank –
heit, Normalsein, Behinderung an. Informa –
tion (insbesondere bei der Diskussion um
pränatale Diagnose und vor jedem Scree –
ning) nimmt eine zentrale Stelle ein, mit
Fragestellungen, die Ärzte und Pflegeper –
sonal oft überfordern, wie z. B. angesichts
des Übertragungsrisikos auf Nachkommen,
Heirat oder die Auswirkung auf das Ehele –
ben. Schmerz und Leiden, wie auch Wert –
vorstellungen von Eltern, Familie, Ärzten
und Pflegepersonal gehören zu den ethi –
schen Überlegungen im klinischen Alltag,
ebenso wie die Frage wie nützen (Schmerz –
linderung) ohne zu schaden (Nebenwirkun –
gen von Medikamenten wie die NSAID, von
Eisenchelatoren oder Bluttransfusionen).
Im weitesten Sinne und im Geiste einer
Zusammenarbeit mit den Ländern der süd –
lichen Hemisphäre, in Gedanken an Ge –
rechtigkeit und Gleichheit, muss die Prob –
lematik des Zuganges zur Behandlung
(Kosten der Eisenchelatoren oder Blut –
transfusionspolitik) diskutiert werden.
Sichelzellanämie und Forschung
Gentherapie hat im Tiermodell (2001 durch –
geführte Mausversuche) gewisse Erfolge
gezeigt. Geforscht wird ebenfalls in den
Bereichen Pathophysiologie, Schmerzme –
Nekrosen (aseptische Nekrose von Femur
und Humerus), restriktive Lungensyndrome,
Impotenz, Taubheit, motorische Ausfälle.
Diagnose
Die klinische und aufgrund der Familienanam
–
nese erwogene Verdachtsdiagnose wird
durch die Hämoglobinelektrophorese bestä –
tigt, die es ebenfalls erlaubt, zwischen homo –
zygoten und heterozygoten Formen zu unter-
scheiden, und eventuell weitere, assoziierte
Hämoglobinanomalien (eine anderweitige
Mutation, Thalassämie) festzustellen.
Die Diagnose Sichelzellanämie wird durch
ein Überwiegen von HbS bestätigt. Beim
Heterozygoten ist der Anteil HbS unter 30%.
Betreuung und Behandlung
Das einzige Mittel, diese Krankheit zu hei –
len, ist die Knochenmarktransplantation
(oder Nabelschnurblutspende), eine Mass –
nahme, die den schwersten Formen und vor
allem Kindern mit einem Spender innerhalb
der Familie vorbehalten bleibt.
Die Behandlung ist deshalb vor allem auf
Vorbeugung und Behandlung von Komplika –
tionen ausgerichtet.
Prävention
• Die Verdachtsdiagnose so früh wie mög –
lich erwähnen: Sichelzellanämie bei ei –
nem Familienmitglied, beide Eltern aus
einem Risikogebiet stammend ( Ta b. 2),
ein Elternteil aus einem Risikogebiet
stammend und keine diesbezügliche In –
formationen zum anderen Elternteil. • Antibiotikaprophylaxe
(Penicillin) so früh
wie möglich beginnen (ab dem Alter von
2 Monaten) und sich eines optimalen
Impfschutzes (Haemophilus, Pneumo –
kokken, Meningokokken) vergewissern.
• Jährliche Grippeimpfung ab dem Alter
von 6 Monaten.
• Antibiotikaprophylaxe (vergleichbar mit
Endokarditisprophylaxe) bei Zahn- und
kieferorthopädischer Behandlung mit Blu –
tungsrisiko, bei chirurgischen Eingriffen.
• Schmerzkontrolle: Schmerzen kann vorge –
beugt werden durch regelmässige, ausgie –
bige Flüssigkeitszufuhr («das Kind soll so
hellen Urin wie möglich haben»), noch ver-
mehrt bei körperlicher Tätigkeit «das Tempo
dem Kind anpassen», peinliche Hygiene
(Ernährung, Mund- und Körperhygiene,
Schlaf), gute Lüftung der Innenräume, Ver –
meiden enger Kleidung, Kälteschutz, keine
Höhenaufenthalte (nicht über 1500 m) und
kein Baden bei Temperaturen unter 25 °C.
• Im Adoleszentenalter Prävention von Rau –
chen sowie Konsum anderer Stimulantien,
Drogen und Alkohol, die Schmerzkrisen
begünstigen (durch Dehydrierung und
verminderte Sauerstoffzufuhr).
• Eltern, Kindern und Adoleszenten die
Warnzeichen erklären, die zum notfallmäs –
sigen Aufsuchen eines Arztes führen müs –
sen: Anhaltender Schmerz, Fieber über
38.5 °C, Erbrechen, Zeichen akuter Anä –
mie (Müdigkeit, Blässe, schlechtes Allge –
meinbefinden), plötzliche Zunahme der
Milzgrösse (für Eltern die wünschen, das
Palpieren der Milz bei ihren Kindern zu
lernen) oder des Bauchvolumens, ein auf
Behandlung (Trinken, Paracetamol, Urinie –
ren) nicht ansprechender Priapismus.
Bezüglich Behandlung beschränken wir uns
hier auf die wichtigsten Massnahmen bei
Schmerzkrisen:
• In erster Linie Hydrierung, p. o., wenn
nötig i. v.
• Schmerzmittel stufenweise: Zuerst Para –
cetamol, dann NSAID (oft beginnen die
Eltern mit den NSAID, es muss jedoch an
den Schutz der Nierenfunktion gedacht
werden), als nächste Stufe Kodein + Para –
cetamol, Tramadol und schliesslich Mor –
phine (Patient Controled Analgesia, ab
5–6 Jahren im Spital, ältere Patienten je
nach Umständen p. o.). An MEOPA denken.
• Sauerstofftherapie.
• Bluttransfusion nicht systematisch, je
nach klinischer Toleranz der Anämie und
bei Komplikationen.
Antillen, Guyana, Mayotte
Alle Länder Schwarzafrikas, Kap Verde
Südamerika (Brasilien), schwarze
Bevölkerung Nordamerikas
Indien, Indischer Ozean, Madagaskar,
Mauritius, Komoren
Nordafrika: Algerien, Tunesien, Marokko
Süditalien, Sizilien, Griechenland, Türkei
Mittlerer Osten: Libanon, Syrien,
Saudiarabien, Yemen, Oman
Ta b e l l e 2: Ursprungsländer der durch Sichel –
zellanämie betroffenen Populationen (Risi –
kogebiete).
Vol. 23 Nr. 5 2012
Fortbildung
19
chanismen (genetischer Polymorphismus
und Ansprechen auf Schmerzmittel), Zu-
sammenhang mit Malaria oder Erythrozy –
tenkrankheiten usw..
Schlussfolgerung
Die Sichelzellanämie ist jedermanns Sache!
Pädiatrische Hämatologen können die ih –
nen anvertrauten Kinder ohne die Zusam –
menarbeit mit den Kollegen in der Praxis
sowie allen anderen pädiatrischen und
kinderchirurgischen Spezialisten nicht
fachgerecht betreuen. Um die Kontinuität
der Behandlung zu garantieren, muss der
Übergang zur Erwachsenenmedizin, wie bei
allen chronischen Krankheiten, vorausge –
plant und «vorausgedacht» werden. Die
Zusammenarbeit mit Radiologie, insbeson –
dere Neuroradiologie, Genetik, Geburtshil –
fe ist eine Notwendigkeit. Wesentlich ist
auch die Betreuung durch allgemeines und
spezialisiertes Pflegepersonal, sowie die
Unterstützung durch Sozialarbeiter und
Begleitung durch Psychologen, Neuropsy –
chologen, Erzieher und Lehrer. Ethische
und juristische Fragen müssen interdiszip –
linär angegangen werden. Die betroffenen
Familien sind bereit, sich einzusetzen,
wenn sie sich entsprechend unterstützt
fühlen.
Also Rendez-vous jeweils am 19. Juni, dem
Welt Sichelzellanämie-Tag!
Informationstreffen für Familien
zum Thema Sichelzellanämie
Um betroffene Familien zu begleiten und
zu unterstützen , werden seit 2010 am
CHUV Lausanne und am Universitätsspital
Genf Informationstreffen durchgeführt.
Dieses Jahr treffen sich die in Lausanne und
Genf betreuten Familien am Samstag, 24.
November zu einer Diskussionsrunde zum
Thema Transplantation mit Dr. med. Fran –
çoise Bernaudin, Spezialistin am Centre
Intercommunal de Créteil in Frankreich.
Ein Treffen betroffener Erwachsener und
Eltern kranker Kinder aus der ganzen
Schweiz fand 2011 in Bern statt. In naher
Zukunft sollen jährlich Treffen auf nationa –
ler Ebene stattfinden, damit die Familien
die Krankheit besser verstehen lernen und
die Krankheit allgemein besser bekannt
wird, in Zusammenarbeit mit der seit 2010–
2011 bestehenden Swiss Haemoglobinopa –
thy Platform.
Referenzen• Galacteros F. Drépanocytose. Encyclopédie orpha –
net. Février 2000. www.orpha.net/data/patho/
FR/fr-drepanocy.pdf .
• La Drépanocytose. Encyclopédie Orphanet Grand
Public (Mars 2011) www.orpha.net/data/patho/
Pub/fr/Drepanocytose-FRfrPub125v01.pdf .
• Schmugge M, Speer O, Ozsahin H, Mar tin G.: La
drépanocytose en Suisse 1
ère partie: Physiopatho –
logie, clinique. Forum Med Suisse 2008; 8 (33):
582–586.
• Schmugge M, Speer O, Ozsahin H, Mar tin G.: 2
ème
partie: Mesures thérapeutiques et prophylactiques
Forum Med Suisse 2008; 8 (34): 606–608.
• Recommandations des Hautes Autorités de Santé.
Prise en charge de la drépanocytose chez l’enfant
et l’adolescent. Septembre 2005.
Empfohlene Websites
• Sickle Cell Disease International Organi –
zation http://www.drepanetworld.org/
m o d u l e s/n e w s/
• Global Sickle Cell Disease Network
http://www.globalscreenings.com
• Les lances de sickle cell, Dokument ar film
http://cutkiwi.com/spip.php? article67
Korrespondenzadresse
Dr Cécile Jérôme Choudja
Hématologie oncologie pédiatrique, CHUV
Bugnon 46
1011 Lausanne
cecile.jerome@chuv.ch
Die Autorin hat keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessens konflikte im Zusammen-
hang mit diesem Beitrag deklariert.
Vol. 23 Nr. 5 2012
Fortbildung
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. Cécile Jérôme Choudja , Hématologie oncologie pédiatrique, CHUV Andreas Nydegger