Das Arzt1a)-Patienten-Gespräch ist das am häufigsten angewendet Heilmittel – mit Risiken und Nebenwirkungen – wie jedes andere Heilmittel auch. Misslingt diese Form der Kommunikation, ist der Behandlungserfolg insgesamt gefährdet. Auch in einer Zeit, in der das ärztliche Zeitmanagement immer mehr von technischen und ökonomischen Überlegungen durchdrungen ist, bleibt das Gespräch und die Beziehung zwischen Arzt, Patient und Eltern eine zentrale Grösse für eine erfolgreiche Behandlung. Shared Decision-Making (SDM) oder partizipative bzw. partnerschaftliche Entscheidungsfindung gilt dabei zunehmend als ideales Modell für Kommunikation und Entscheidungs- findung im klinischen Kontext und scheint sich auch in der Kinder- und Jugendmedizin zu etablieren1). Im folgenden Artikel möchten wir aufzeigen, was sich hinter dem Begriff verbirgt und wie das Konzept in der Praxis umgesetzt werden kann.
12
Einleitung
Das Arzt 1a )-Patienten-Gespräch ist das am
hä\bfigsten angewendet Heilmittel – mit Risi –
ken \bnd Nebenwirk\bngen – wie jedes andere
Heilmittel a\bch. Misslingt diese Form der
Komm\bnikation, ist der Behandl\bngserfolg
insges amt gef ähr det . A\bch in einer Zeit , in der
das ärztliche Zeitmanagement immer mehr
von technischen \bnd ökonomischen Überle –
g\bngen d\br chdr \bngen is t , bleibt das G espr äch
\bnd die B ezieh\bng z w ischen A r z t , Patient \bnd
Eltern eine zentrale Grösse für eine erfolgrei –
che Behandl\bng. Shared Decision-Making
(SDM) oder partizipative bzw. partnerschaft –
liche Entscheid\bngsfind\bng gilt dabei z\bneh –
mend als ideales Modell für Komm\bnikation
\bnd Entscheid\bngsfind\bng im klinischen Kon –
text \bnd scheint sich a\bch in der Kinder- \bnd
J\bgendmedizin z\b etablieren
1). Im folgenden
A r tikel möchten w ir a\b f zeigen, was sich hinter
dem Begriff verbirgt \bnd wie das Konzept in
der Praxis \bmgesetzt werden kann.
Historischer Hintergrund
Wie andere Möglichkeiten der modernen Medi –
zin \bnterliegt a\bch die Arzt-Patienten-Komm\b –
nikation einem steten Wandel: Bis in die 2.
Hälfte des 20. Jahrh\bnderts war die medizini –
sche Entscheid\bngsfind\bng d\brch das paterna –
listische Pr inzip dominier t. Der Ar z t w\bsste \bnd
bestimmte, ähnlich einem g\btmeinenden väter –
lichen Familienoberha\bt, was für seine Patienten
g\bt \bnd richtig ist (daher « paternalism\bs»).
Massgeblich angetrieben d\brch die menschen –
verachtenden Verbrechen \bnd Grä\beltaten im
zweiten Weltkrieg \bnd den 1947 folgenden
Nürnberger Kodex w\brde in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrh\bnderts der informed consent
bzw. die informierte Einwillig\bng z\b einem
zentralen Prinzip für medi zinische Behand-
l\bngsvereinbar\bngen mit Patien
ten. Während
der Nürnberger Kodex primär die Forsch\bng
am M enschen r egelte, weitete sich der B eg r if f
des informed consent schnell a\bch a\bf die therape\btische Handl\bng am Patienten a\bs
\bnd w\brde Teil einer Beweg\bng weg vom pas
–
siven Patientenverständnis hin z\bm Ideal des
mündigen, selbstbestimmten «Klienten».
Parallel daz\b erf\bhr a\bch die Kinder- \bnd J\b –
gendmedizin eine tiefgreifende Wandl\bng.
Erst mit der Erkenntnis, dass Kinder nicht
einfach «kleine Erwachsene» sind, konnte im
19. Jahrh\bndert die Kinder- \bnd J\bgendmedi –
zin überha\bpt als eigene Disziplin entstehen.
Im 20. Jahrh\bndert erweiterte sich dann z\b –
dem die Vorstell\bng vom Kind als «Mensch in
Entwickl\bng» mit der Vorstell\bng vom Kind als
«Per son a\bs eigenem Re cht». Diese B eweg\bng
mündete in der 1989 form\blierten UNO-Kin –
derrechtskonvention, welche als Gr\bndlage
für das SDM-Konzept in der Kinder- \bnd J\b –
gendmedizin gesehen werden kann. So for –
dern die Kinderrechte nicht n\br den Sch\btz
\bnd die Förder\bng des Kindes, sondern a\bch
eine angemessene, altersentsprechende Par –
tizipation an Entscheid\bngen
2).
A\bch wenn hier n\br schemenhaft a\bfgezeich –
net, so wird doch de\btlich, dass sich die Vor –
stell\bng von einer g\bten medizinischen Ent –
scheid\bng in relativ k\brzer Zeit stark gewan –
delt hat. Bis he\bte gibt es keine einheitliche
Praxis der Entscheid\bngsfind\bng, sondern eine Vielzahl von verschiedenen Ansätzen, die
in Tabelle 1 schematisch dargestellt sind.
Definition und Klassifikation
SDM bezeichnet den Interaktionsprozess zwi
–
schen Eltern, Patient \bnd Arzt bei dem eine
gemeinsam erarbeitete \bnd verantwortete
Ent scheid\bng a\b f B asis von geteilten Infor ma –
tionen z\bstande kommt
3). Damit liegt das
Modell zwischen den Extremen einer einseiti –
gen Experten- \bnd einseitigen Kons\bmenten-
bestimmten Entscheid\bngsfind\bng (Tabelle
1) . Der zentrale Unterschied z\b den anderen
Konzepten liegt vor allem darin, dass sich
die Beteilig\bng von Eltern, Kind \bnd Fach –
personen über alle Phasen der Entscheid\bngs –
find\bng (Informationsa\bsta\bsch, Abwäg\bngs –
prozess, Treffen \bnd Umsetzen der Ent –
scheid\bng) erstreckt \bnd sich die Art \bnd
Weise der Beteilig\bng über die Zeit \bnd in den
\bnterschiedlichen Phasen ändern kann. Dies
bede\btet a\bch, dass die Rolle der mitverant –
wortlichen Personen kontin\bierlich überprüft
\bnd angepasst werden m\bss
4).
Entscheidungen
im Kindes- und \bugendalter
Noch he\bte werden Kinder am Ideal des
«a\btonomen Erwachsenen» gemessen. Da die
Anforder\bngen an eine a\btonome Willens –
ä\bsser\bng im Kindesalter ka\bm z\b erfüllen
sind
2a), g r eif t man mit g r os ser Selbs t ver s t änd –
lichkeit a\bf eine Stellvertreterentscheid\bng
der Eltern z\brück, die sich am (s\bbjektiven)
m\btmasslichen Willen \bnd den (objektiven)
«Shared Decision-Making»
in der Kinder- und Jugendmedi\bin
Jürg Stre\bli a),b) , Eva Bergsträsser a)
a) Universitäts-Kinderspital Zürich
b) Institut für Biomedizinische Ethik, Universität Zürich
Patientenvignette 1: Tina, ein 15 -jähriges Mädchen mit Asthma, kommt mit ihrer M\btter
z\br Asthma-Sprechst\bnde. Bereits im Wartezimmer herrscht dicke L\bft zwischen der M\btter
\bnd ihrer Tochter. Während der Kons\bltation schweigt die J\bgendliche grösstenteils. Die
M\btter, welche den amb\blanten Termin organisiert hat, berichtet über die veränderten Frei –
zeitgewohnheiten ihrer «p\bbertierenden» Tochter. Sie mache ka\bm noch Sport, gehe dafür
f as t je den A b end mit ihr en Kolleginnen in die St adt . Die M\bt ter er wähnt gegenüb er dem A r z t
ihre Verm\bt\bng, dass die Tochter die Asthmamedikation gar nicht oder n\br \bnregelmässig
einnimmt. Dies wieder\bm wird von der Tochter vehement verneint.
Patientenvignette 2: Remo, ein 9-jähriger Knabe mit Non-Hodgkin Lymphom kommt mit
seinen Eltern z\bm Erstgespräch vor Beginn der Chemotherapie. Die Eltern nehmen die z\bstän –
dige Är z tin vor dem G espr äch z\br Seite \bnd forder n vehement , dass ihrem Sohn nichts von der
Bösartigkeit der Erkrank\bng erzählt wird, schon gar nicht soll von «Krebs» gesprochen werden.
Patientenvignette 3: Jan, ein bisher ges\bnder 2-jähriger Knabe m\bsste mit ak\btem Organ –
versagen a\bfgr\bnd einer schweren Sepsis soeben a\bf die Intensivstation verlegt werden. Die
Prognosen sind schlecht. Es wird n\bn disk\btiert, ob eine extrakorporale Membranoxygenie –
r\bng (ECMO) noch sinnvoll sein könnte.
12Das Assrzastss )-P
12Das Arzt)
13
Schritten beschrieben. Wie bereits erwähnt,
handelt es sich dabei \bm einen kontin\bierli-
chen Prozess, der stets wieder bei Schritt 1
beginnt. Z\bdem ereignen sich in der Realität
gewisse Schritte gleichzeitig, während andere
in den Hintergr\bnd rücken können bzw. erst
im Verla\bf des weiteren Entscheid\bngsfin –
d\bngsprozesses als relevant erscheinen.
1. Schritt: Schaffen einer
vertrauensvollen Basis für eine
Arzt-Patient-Eltern-Beziehung
Vertra\ben ist das wohl kostbarste G\bt im the –
rape\btischen Dreieck \bnd m\bss ebenso wie
eine nachfolgende Entscheid\bng im Prozess
gemeinsam erarbeitet \bnd gepflegt werden.
Beschönig\bngen, falsche Versprechen oder
das Verschweigen von Bef\bnden sollten eben –
so vermieden werden wie eine über mässige
Dramatisier\bng oder ein vorschnelles Bewer –
ten der Sit\bation. Mediziner tendieren daz\b,
a\bfgr\bnd ihres grossen fachlichen Wissens
bereits nach wenigen Sek\bnden den Eltern
o der dem K ind ihr e B e\br teil\bng mit z\bteilen \bnd
ihnen damit ins Wort z\b fallen. In kritischen
Notfallsit\bationen kann dies d\brcha\bs sinnvoll
\bnd von den Eltern gewünscht sein. A\bs Sicht
des SDM-Konzeptes sind die Bereitschaft Z\b –
z\bhören \bnd das Schaffen von Ra\bm \bnd Zeit
für die nachfolgenden Schritte aber die wich –
tigsten Ba\bsteine der Vertra\bensbild\bng. 2. Schritt: Herausarbeiten der
aktuellen Wünsche und Präferenzen
zu Informationen und Beteiligung
in der Entscheidung
Die Komm\bnikation im therape\btischen Drei
–
eck kennt zahlreiche Fallstricke \bnd es ist mit
St\bdien belegt, dass eine schlechte Komm\b –
nikation a\bch mit schlechteren Behandl\bngs –
res\bltaten in Verbind\bng steht
7). Was aber
gena\b f ür ein K ind o der eine Familie eine g\bte
Komm\bnikation ist \bnd wie stark \bnd a\bf
welche Weise die einzelnen Familienmitglie –
der in eine Entscheid\bng miteinbezogen wer –
den möchten, ist sehr individ\bell. Deshalb
gehört die Ermittl\bng \bnd Klär\bng von Wün –
schen bezüglich Information \bnd Mitentschei –
d\bng z\br Gr\bndlage für alle weiteren Schritte.
Die Entscheid\bngsgr\bndlagen können sich
dabei im Verla\bf ändern \bnd müssen deshalb
regelmässig überprüft werden.
3. Schritt: Ermitteln, Klären und
Zusammenfassen der Vorstellungen,
Befürchtungen und Erwartungen
seitens der Familie und des Teams
Die Kernkompetenz des dritten P\bnktes kann
g\bt mit dem Prinzip des aktiven Z\bhörens
\bmbeschrieben werden. Diese fördert neben
der gegenseitigen Wertschätz\bng («Erzählen
Sie bitte, wie gena\b es daz\b kam …») a\bch
inhaltliches Verständnis («Ich fasse hier ein –
Interessen des Patienten orientieren. Erst
d\brch die UNO-Kinderrechtskonvention erhielt
das K ind den S\bbjek t s t at\bs mit eigenen Re ch
–
ten \bnd sich entwickelnden Fähigkeiten (evol –
ving capacities)
2). D emgemäs s kann \bnd sollte
ein Kind bereits im Kleinkindalter angemessen
über einen Eingriff informiert werden \bnd
seine Mein\bng ä\bssern können sowie eine
Entscheid\bng bis z\b einem bestimmten Mass
beeinfl\bssen können. Gerade im Verla\bf eines
längeren Krankheitsprozesses kann das Kind
in bestimmten Sit\bationen sogar als Ha\bptent –
scheid\bngsträger in Erschein\bng treten
5).
In der Realität sind Kinder bei schwerwiegen –
den Entscheid\bngen jedoch n\br selten aktiv
beteiligt \bnd wünschen eine solche Beteili –
g\bng meist a\bch erst ab dem J\bgendalter
6).
Diese Fakten entbinden Fachpersonen aber
nicht davor die Kinder entwickl\bngsgerecht z\b
informieren, anz\bhören \bnd ihre Mein\bng
miteinz\bbeziehen
2). Das hier vorgestellte SDM-
Modell \bnterliegt nicht dem Alles-oder-
Nichts-Prinzip, sondern fördert eine ange –
messene Kinder- \bnd Familien-orientierte
Entscheid\bngsfind\bng.
Praktische Durchführung
in sechs Schritten
Die Umsetz\bng von SDM in der Kinder- \bnd
J\bgendmedizin wird hier schematisch in sechs
Tabelle 1: Modelle z\br Entscheid\bngsfind\bng im klinischen Kontext (adaptiert von
4) , 16) )
Modell Paternalistisches
ModellInterpretatives
ModellShared Decision-
Making-Modell Informations-
ModellKonsumenten-
Modell
Entscheidungsträger
Gemeinsame
EntscheidungPatient/Eltern
Patient/Eltern
Informations –
austausch
Einseitig:
A\bsschliesslich Arzt
entscheidet \bnd
informiert Einseitig:
Arzt vermittelt
Wissen; Eltern/
Patienten informieren
über Wünsche Gegenseitig:
Kontinuierlicher
Austausch über
Fakten und Werte
Einseitig:
Arzt vermittelt Wissen
Einseitig:
Arzt vermittelt Wissen
bei Bedar f
Arztrolle Beschützer, Wohl
–
täter, Hüter der
ärztlichen Kunst Stellvertreter
Partner Technischer ExperteDienstleister
Ethischer Auftrag
des Arztes
Wählen der objektiv
besten Behandl\bng Interpretieren der
ob jektiven und sub –
jek tiven Interessen
des Kindes basierend
auf Präferenzen der
Eltern Ermutigung und Unter-
stützung von Kind und
Eltern basierend auf
aktueller Evidenz
ge
meinsam und im
Prozess eine optimale
Behandlung zu wählen Information auf voll-
ständige, neutrale
und verständliche
Weise; Intervention
einzig bei möglicher
Kindeswohlgefährdung
Intervention einzig
bei möglicher
Kindeswohlgefährdung
Patient/Eltern-Bild Patient/Eltern können
individuell unter fach-
licher Begleitung am
Entscheidungsprozess
teilnehmenPatient/Eltern können
nach Vermittlung
von Wissen selber
entscheiden
Patient/Eltern können
sich mit unterschied
–
lichen Informations-
quellen selber infor –
mieren und die für sie
beste Option wählen
Arzt entscheidet,
Patient/Eltern geben Z\bstimm\bng
Keine Entscheid\bngsträger a\bfgr\bnd
mangelndem Verständnis für komplexe
Z\bsammenhänge
12Das Assrzastss )-P
12Das Arzt)
14
antwort\bng in der erfolgreichen Umsetz\bng des
Lös\bngsvorschlags \bnd sollte dabei a\bch das
Vertra\ben der M\btter nicht verlieren, sondern
diese ebenso wie Tina in die «partnerschaftli-
che» Entscheid\bngsfind\bng einbeziehen.
Patientenvignette 2
Beim 9-jährigen Remo erscheint primär das
Vertra\ben der Eltern wichtig, \bm Z\bgang z\b
ihrem Sohn z\b erhalten. Verständlicherweise
möchten diese ihren Sohn bestmöglich schüt –
zen. Dementsprechend kann man den Eltern
mit aktivem Z\bhören möglichst wertschät –
zend begegnen \bnd so a\bch ihre Ängste be –
nennen. Gleichzeitig ist für eine erfolgreiche
D\brchführ\bng der Behandl\bng eine vertra\b –
ensvolle \bnd offene Bezieh\bng z\b Remo
gr\bndlegend \bnd die meisten Kinder wissen
oder ahnen ohnehin meist mehr über ihre
Krankheit, als man ihnen gemeinhin z\btra\bt.
So kann man die Eltern respektieren \bnd eine
gemeinsame Sprache für das Lymphom s\b –
chen. Trotzdem gibt es klare Grenzen, die den
Eltern empathisch a\bfgezeigt werden müssen.
So sollten Eltern informiert werden, dass das
Team einen Patienten nicht anlügen wird,
wenn er beispielsweise selber Fragen stellt.
Man weiss he\bte, dass Kinder z\bsätzlich lei –
den wenn sie keine Möglichkeit haben, über
ihre Eindrücke \bnd Ängste z\b sprechen.
Deshalb erklären Fachpersonen Kindern
wie Remo regelmässig \bnd in Kind- \bnd Sit\b –
ations-gerechter Art \bnd Weise den Krank –
heitsverla\bf, die Bef\bnde \bnd die nächsten
Behandl\bngsschritte. Je nach Temperament,
Präferenz \bnd Entwickl\bngsstand des Kindes
w ir d er dad\br ch schr it t weise in die Üb er leg\bn –
gen z\b Therapie \bnd Pflege eingeb\bnden.
Patientenvignette 3
Für die Sit\bation des zweijährigen Jan mag die
Anwend\bng des SDM-Konzeptes fragwürdig
erscheinen. Tatsächlich wäre es j\bristisch
strafbar \bnd ethisch nicht z\b rechtfertigen,
eine ak\bt lebensnotwenige Handl\bng mit
A\bssicht a\bf Erfolg z\b \bnterlassen oder d\brch
lange Gespräche z\b verspäten. Viele Eltern
sind z\bdem in der geschilderten Sit\bation
nicht in der Lage an einem Entscheid\bngsfin –
d\bngsprozess aktiv teilz\bnehmen \bnd gewis –
sen Eltern ist es a\bs religiös-k\blt\brellen
Gründen prinzipiell \bntersagt, über einen
Therapieabbr\bch mitz\bentscheiden. Wäre
des halb nicht besser das interpretative Mo –
dell z\b wählen (s. Tabelle 1) \bnd den Eltern
lediglich z\b komm\bnizieren, was als nächstes
gemacht wird, bzw. dass bei Verzicht a\bf
ECMO «alles Mögliche» gemacht worden war?
Entscheid\bngen (e.
g. Therapieabbr\bch) mit
Hilfe eines ethischen Gesprächs vorgängig
einen Konsens im Team herz\bstellen \bnd
diesen dann als Empfehl\bng gegenüber den
Eltern g\bt vorbereitet z\b vertreten
10 ).
6. Schritt: Festlegen eines Behandlungs –
planes mit gegenseitiger Zustimmung
Ebenso wichtig wie die Entscheid\bng selbst ist
ihre Umsetz\bng. Im sechsten Schritt soll diese
gemeinsam, möglichst detailliert \bnd für alle
verständlich a\bsgearbeitet werden. Bespro –
chen werden sollen an dieser Stelle a\bch die
möglichen Nebenwirk\bngen oder Notfallsit\ba –
tion inkl. den empfohlenen Lös\bngen \bnd An –
sprechpersonen. Z\bdem wird im sechsten
Schritt der Zeitp\bnkt einer Überprüf\bng von
D\brchführbarkeit \bnd Wirk\bng bestimmt \bnd
damit wieder bei Schritt 1 begonnen.
Kritische Würdigung des Modells
anhand der Patientenvignetten
A\bf der S\bche nach einer optimalen Behandl\bng
\bnd Begleit\bng des Kindes orientiert sich SDM
individ\bell an den Bedürfnissen \bnd Kompeten –
zen der beteiligten Personen. So wird a\bch ein
Arzt individ\bell \bnd a\bf die ihm eigene Art \bnd
Weise mit dem Patienten \bnd den Eltern kom –
m\bnizieren. Die hier disk\btierten Patientenvig –
netten sind daher nicht als Empfehl\bng für ein
«richtiges» Verhalten a\bfz\bfassen, sondern sind
neben einer Veranscha\blich\bng der theoreti –
schen Gr\bndlagen a\bch als Gedankenanstoss
für eigene Vorgehensweisen gedacht.
Patientenvignette 1
Im Beispiel der 15 -jährigen Tina ist Tinas Ver –
tra\ben \bnd Offenheit gegenüber dem Arzt von
besonderer Bede\bt\bng. Möglicherweise bedarf
es daz\b einer separaten Kons\bltation mit Tina
ohne M\btter, damit offen über ihre (potenziell
lebensbedrohliche) Asthma-Symptomatik \bnd
die Gründe für die scheinbar schlechte Adhä –
renz (früher Compliance) bezüglich Medikamen –
teneinnahme gesprochen wird. Z\bsätzlich wäre
möglicherweise a\bch ein Gesprächsangebot
bezüglich Drogenkons\bm \bnd Sch\btz vor Ge –
schlechtskrankheiten angezeigt. A\bf der Basis
dieser gegenseitigen Information über Gefahren
\bnd Probleme sollte neben einer einfachen Er –
fass\bng der akt\bellen Asthma-Symptomatik
(beispiels weise mittels einer App a\bf dem Mo –
biltelefon) mit Tina ein St\bfen-Therapie-Schema
erarbeitet werden, welches mit ihrem akt\bellen
Leb ens s til möglichs t g\bt ver einbar is t . Im Unter –
schied z\bm Informations- \bnd Kons\bmentenmo –
dell behält der Arzt im SDM-Modell eine Mitver –
mal k\brz z\bsammen, was ich bisher verstan
–
den habe …») sowie emotionales Verständnis
(«Das war sicherlich schwer z\b ertragen»)
8).
Folgende Gesprächstechniken können daz\b
angewendet werden (adaptiert nach
8) , 9) ):
• Paraphrasieren
(inhaltliche Wiederhol\bng ohne Bewert\bng)
• Z\bsammenfassen des Gesagten
• Emotionen spiegeln
• A\bsreden lassen
• offene Fragen stellen («W-Fragen»)
• konkrete Fragen stellen \bnd Details
klären d\brch Nachfragen
• Trenn\bng von Wahrgenommenem
\bnd Interpretationen
• z\br Weiterrede erm\btigen.
Ein zentraler Teil des aktiven Z\bhörens sind
die Umform\blier\bngen, Paraphrasier\bngen
\bnd Z\bsammenfass\bngen des Gesagten. Mit –
tels folgender Form\blier\bngshilfen kann man
z\bdem dabei das Gespräch in wichtigen The –
menp\bnkten vertiefen [adaptiert nach
8)):
• Faktenverständnis «Habe ich Sie/Dich so
richtig verstanden?»
• Bedürfnisse: «Um X z\b t\bn benötigen Sie/
benötigst D\b …?»
• Wertehintergr\bnd: «Ihnen/Dir liegt sehr am
Herzen, dass …»
• Persönliche Regeln: «Für Sie/Dich ist \bn –
verzichtbar, dass …»
• Erklär\bngsmodelle: «Für Sie/Dich ist selbst –
verständlich, dass …»
• Ziele \bnd Erwart\bngen: «Ihr/Dein Ha\bptziel
i s t … »
• Einschränk\bngen: «Sie können sich/D\b
kannst dir nicht vorstellen, dass …»
4. Schritt: Zusammenstellen und
angemessene Präsentation der
aktuellen Handlungsoptionen inkl.
der vorhandenen Evidenz
Er s t im v ier ten P\bnk t \bnd n\bn im W is sen üb er
die gr\bndlegenden Werte, Ängste \bnd Erwar –
t\bngen, werden die Handl\bngsoptionen be –
sprochen. Die Information soll gemäss dem
Wissens-, Bild\bngs- \bnd Entwickl\bngsstand
der einzelnen Familienmitglieder besprochen
werden \bnd bei Bedarf individ\bell erfolgen.
5. Schritt: Konsensfindung bezüglich
einer Entscheidung
Im fünften P\bnkt schliesslich geht es \bm die
eigentliche Entscheid\bng, die im Konsens
zwischen allen verantwortlichen Personen
getroffen werden soll. Im Universitäts-Kinder –
spital Zürich haben wir g\bte Erfahr\bngen da –
mit gemacht, bei besonders schwierigen
12Das Assrzastss )-P
12Das Arzt)
15
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Abkürzungen
SDM: Shared Decision-Making
ECMO: Extrakorporale Membranoxygenier\bng
Der korrespondierende \butor gibt an, dass kein
Interessenskonflikt besteht.
Korrespondenzadresse
Dr. med., Dr. sc. med. Jürg C. Stre\bli
Oberarzt Palliative Care Team
Universitäts-Kinderspital Zürich
Steinwiesstrasse 24
CH-8032 Zürich
j\berg.stre\bli @ kispi.\bzh.ch
des (aktiven) Z\bhörens Vorstell\bngen \bnd Vor
–
behalte frühzeitig klärt
15 ). Je komplexer \bnd
vielfältiger die Behandl\bngsoptionen werden,
\bmso wichtiger wird nicht n\br die Klär\bng der
z\bgr\bndeliegenden Wertehalt\bng \bnd Einstel –
l\bng, sondern a\bch die Fähigkeit des Arztes,
einen Sachverhalt verständlich machen z\b
können. In der ärztlichen A\bsbild\bng verdient
das SDM-Modell deshalb ebenso einen hohen
Stellenwert wie a\bch die A\bsarbeit\bng von
Entscheid\bngshilfen, mit deren Hilfe komplexe
Sachverhalte anscha\blich \bnd verständlich er –
klärt werden können (Bilder, Videos, Apps etc.).
Schlussfolgerung
Die Medizin im 21. Jahrh\bndert ist geprägt
d\br ch eine bisher nicht gekannte O ptions – \bnd
Wertevielfalt \bnd es gibt g\bte Gründe weshalb
das SDM-Modell a\bch für die Kinder- \bnd J\b –
gendmedizin als Goldstandard der Entschei –
d\bngsfind\bng gelten kann: Erstens bringt das
Modell die \bnterschiedlichen Rechte, Bedürf –
nisse \bnd P flichten von K ind, Elter n \bnd Fach –
personen in allen Phasen der Entscheid\bng
\bnd Kontext-sensibel in Einklang. Zweitens
werden die Behandl\bngsoptionen mit Blick a\bf
die verfügbare Evidenz verständlich darge –
stellt \bnd gegeneinander abgewogen. Drittens
gibt es zahlreiche Hinweise, dass SDM \bnnö –
tige, kostenintensive \bnd nebenwirk\bngsrei –
che Behandl\bngen verhindern kann (von ein –
fachen Antibiotika bei viralen Infekten bis z\b
\bmfangreichen Eingriffen der hochspezialisier –
ten Medizin bei schwerstkranken Patienten)
4).
Obwohl g\bt belegt ist, dass eine schlechte
Komm\bnikation z\b schlechteren Behand –
l\bngsr es\blt aten f ühr en kann , bleibt \bnklar, ob
SDM a\bch z\b besseren Behandl\bngsres\blta –
ten für Kinder \bnd J\bgendliche führt. Gerade
mit Blick a\bf die eingangs genannte Feststel –
l\bng z\bm «Gespräch als Heilmittel» sind wei –
ter e St\bdien z\b W ir k\bngen \bnd N eb enw ir k\bn –
gen von SDM, besonders im Kindes- \bnd
J\bgendalter, dringend notwendig. Bis diese
Res\bltate vorliegen gibt es a\bs \bnserer Sicht
aber keinen Gr\bnd das Modell den Patienten
\bnd ihren Familien vorz\benthalten.
1a) Zur besseren Lesbarkeit ver wenden wir in der Regel
die männliche Form; es sind immer alle Geschlech –
ter mitgemeint.
2a) Damit eine Entscheidung im klassischen Sinn als
informiert und autonom gilt, muss sie aufgeklärt
(mit dem nötigen Wissen) und kompetent (im Besitz
eines Mindestmasses an kognitiven Fähigkeiten)
gefällt werden, intentional d. h. lösungsorientiert
sein, authentisch und insbesondere emotional
stabil sowie freiwillig also unabhängig von Präfe –
renzen anderer Personen wie der Eltern erfolgen.
Es ist anzumerken, dass auch zahlreiche Erwach –
sene diese Bedingungen nicht (immer) erfüllen.
Man weiss a\bs Unters\bch\bngen, dass die
Präferenzen von Eltern, bezüglich Beteilig\bng
an einer medizinischen Entscheid\bng sehr
\bnterschiedlich sind, gr\bndsätzlich eine Betei –
lig\bng am Entscheid aber oft gewünscht
wird
11 ). Gleichzeitig gibt es z\bnehmend Evi –
denz, dass Eltern, welche in eine kritische
Entscheid\bng mit g\bter A\bfklär\bng über Prog –
nose \bnd Optionen miteinbezogen w\brden, die
Sit\bation besser verarbeiten können
2). Die
Stärke des SDM-Konzeptes liegt darin, dass
Kontext-bezogen a\bf die akt\bellen Bedürfnisse
\bnd Kompetenzen von Kind \bnd Eltern einge –
gangen werden kann. Gerade in der geschil –
derten, kritischen Sit\bation mag es von beson –
derer Bede\bt\bng sein, frühzeitig \bnd in r\bhiger
Umgeb\bng mit den Eltern z\bsammenz\bsitzen,
den Eltern (\bnd dem Kind ) Of fenheit z\b signa –
lisieren, gleichzeitig aber entsprechend den
oben genannten Schritten z\berst ihre akt\belle
Gefühlslage \bnd Wertehalt\bng z\b explorieren.
Basierend a\bf der verfügbaren Evidenz \bnd
\bnter Einbez\bg der Wertehalt\bng von Eltern
\bnd Kind kann dann ein Behandl\bngsplan
a\bsgearbeitet werden. A\bch falls die ECMO
oder andere invasive, lebenserhaltende Mass –
nahmen bereits installiert w\brden, ist es
wichtig, Indikatoren im Behandl\bngsplan z\b
definieren, welche einen Therapieerfolg oder
ein Therapieversagen erkennen lassen.
An dieser Stelle ist z\b betonen, dass im thera –
pe\btischen Dreieck nicht die Präferenzen der
Elter n, sonder n das Wohl des K indes im Mit tel –
p\bnkt steht. Trotzdem bleiben die Präferenzen
der Eltern als Teil des Kindeswohls relevant
13 ).
Man weiss z\bdem, dass die Einschätz\bng der
Lebensq\balität d\brch Fachpersonen n\br \bnge –
nügend mit der Einschätz\bng d\brch Patienten
korreliert
14 ). Z\bsammenfassend gibt es a\bs
praktischer, ethischer \bnd rechtlicher Sicht
keine Alternative, als sich dem schwierigen
Interaktionsprozess im therape\btischen Drei –
e ck z\b s tellen. Das SDM – Mo dell is t a\bs \bnser er
Sicht das einzige in Tabelle 1 genannte Kon –
zept, welches die \bnterschiedlichen \bnd sich
im Verla\bf einer Behandl\bng verändernden
Erwart\bngen, Anforder\bngen \bnd Kompeten –
zen angemessen berücksichtigen kann.
Ist SDM zu aufwändig?
Insgesamt, so mag man einwenden, ist das
SDM-Modell z\b zeita\bfwändig \bnd deshalb im
Praxis- \bnd Klinikalltag nicht \bmsetzbar. Unter –
s\bch\bngen hab en je doch gezeig t , das s sich das
Gespräch d\brchschnittlich n\br 3 Min. verlängert
\bnd sich sogar Zeit sparen lässt, wenn man
Entscheid\bngshilfen verwendet \bnd mit Hilfe
12Das Assrzastss )-P
12Das Arzt)
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med., Dr. sc. med. Jürg C. Streuli , Oberarzt Palliative Care Team Universitäts-Kinderspital Zürich Eva Bergsträsser Andreas Nydegger