Die ambulante Kinderchirurgie ist in vollem Aufschwung, erlaubt sie doch, die Trennung der Kinder von der Familie zu verkürzen und damit den Hospitalisationsstress zu vermindern. Die Entwicklung moderner Anästhesietechniken und der Analgesie durch Lokalanästhetika führte zur Ausweitung ambulanter Operationsindikationen. Schliesslich erlaubt es die ambulante Chirurgie, das Risiko nosokomialer Infektionen zu mindern und die Gesundheitskosten in Schranken zu halten.
Fortbildung / Formation continue
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Vol. 19 No. 5 2008
Einführung
Die ambulante Kinderchirurgie ist in vollem
Aufschwung, erlaubt sie doch, die Trennung
der Kinder von der Familie zu verkürzen und
damit den Hospitalisationsstress zu vermin-
dern. Die Entwicklung moderner Anästhesie –
techniken und der Analgesie durch Lokalan –
ästhetika führte zur Ausweitung ambulanter
Operationsindikationen. Schliesslich erlaubt
es die ambulante Chirurgie, das Risiko noso –
komialer Infektionen zu mindern und die Ge –
sundheitskosten in Schranken zu halten.
Die ambulante Chirurgie steht jedoch wei –
terhin zwei wichtigen Problemen gegen –
über:
1. Schlechtes Beherrschen der postopera –
tiven Schmerzen, mit einer Inzidenz von
10 bis 50% je nach Studie
2. Postoperative Verhaltensstörungen, de-
ren Auftreten sehr stark mit der Inten –
sität der postoperativen Schmerzen
korreliert
Schlecht beherrschte postoperative Schmer-
zen können in der Tat die Inzidenz von post –
operativem Brechreiz und Erbrechen erhö-
hen (40% bei Kindern mit Schmerzen versus
16%)
1), das Auftreten von postoperativen
Schlafstörungen begünstigen (Inzidenz 20%
bei Kindern mit schweren Schmerzen)
2) und
signifikant die Inzidenz von postoperativen
Verhaltensstörungen vermehren
3), 4).
Diese postoperativen Schmerzen bewirken
bei den Eltern grosse Ängste; 25% gaben in
einer kürzlichen Umfrage
5) an, es deswegen
vorzuziehen, ihr Kind stationär behandeln zu
lassen. Es ist deshalb wichtig, Schmerzen
in der postoperativen Phase gut zu beherr-
schen und ihnen möglichst vorzubeugen.
Durch Anleitungen, wie Schmerzen zu er-
kennen und zu behandeln sind, können die
Ängste der Eltern abgebaut werden.
Pathophysiologie
Nebst Verhaltensstörungen, können nicht
oder ungenügend behandelte Schmerzen dauernde Veränderungen im Bereiche des
Nervensystems im Sinne einer Sensibili
–
sierung verursachen. Ziel der Schmerzbe –
handlung ist es, diese Sensibilisierung zu
verhindern.
Man kennt zwei Arten Sensibilisierung :
● Periphere Sensibilisierung: Eine Ge –
webeschädigung oder Entzündung führt
zu einer peripheren Sensibilisierung mit
einer primären Hyperalgesiezone am Ort
der Gewebeschädigung (nozizeptiv).
● Zentrale Sensibilisierung: Je nach In –
tensität und Dauer dieses nozizeptiven
Reizes, kommt es auch zu einer zentra –
len Sensibilisierung im Bereiche des Hin –
terhornes des Rückenmarkes und einer,
als sekundär bezeichneten, ausserhalb
des geschädigten Gewebe liegenden
Hyperalgesie.
Symptome
Unabhängig davon, ob die Sensibilisierung
peripher oder zentral erfolgt, treten folgen –
de Symptome auf:
● Allodynie: Der Schmerz wird durch einen
nozizeptiven Reiz (z. B. Berühren) verur-
sacht.
● Hyperalgesie: Verstärkter Schmerz bei
gegebenem Reiz.
● Spontanschmerz: Schmerz ohne voran –
gehenden Reiz.
Mechanismen
Eine periphere Sensibilisierung kommt da –
durch zustande, dass die Gewebeschädigung
durch Freisetzung einer Vielzahl Moleküle,
zu einer Veränderung des Reizniveaus der
peripheren nozizeptiven Rezeptoren führt.
Diese Rezeptoren, die üblicherweise keine
Schmerzen übertragen, beginnen dies zu
tun. Beim heutigen Stand der Kenntnisse
scheint es, dass diese periphere Sensibilisie –
rung sich nach der Heilung zurückbildet.
Eine zentrale Sensibilisierung tritt auf ein
nach sequentieller Aktivierung der im zweiten
Hinterhornneuron des Rückenmarks befindli -chen Rezeptoren, insbesondere N-methyl-D-
Aspartat (NMDA)-Rezeptoren, durch stimu
–
lierende Aminosäuren. Die Aktivierung der
NMDA-Rezeptoren beweist die zentrale Sen –
sibilisierung. Die Symptome dieser zentralen
Sensibilisierung können über die Heilung der
Gewebeschädigung hinaus andauern, und zu
chronischen Schmerzen oder zu einer erhöh –
ten Schmerzempfindlichkeit führen. Das ZNS
der Säuglinge und des Neugeborenen ist,
wegen seiner Unreife und grossen Plastizität,
für nozizeptive Reize besonders empfänglich.
So kann ein im Kleinkindesalter ungenügend
behandelter Schmerz die Reaktionen auf
Schmerzen während der Kindheit und bis
ins Erwachsenenalter beeinflussen. Taddio
et al. haben dies gut veranschaulicht durch
Beobachtung der Schmerzreaktion beim
Impfen von 6- und 18-monatigen Kindern
6).
Sie konnten zeigen, dass als Neugeborene
ohne Anästhesie beschnittene Knaben spä-
ter intensivere Schmerzreaktionen hatten
als unbeschnittene.
Diese pathophysiologischen Kenntnisse müs –
sen uns zu besonderer Wachsamkeit bei der
Schmerbehandlung von Kindern anspornen.
Beurteilung von Schmerzen
beim Kind
Vor einer allfälligen Behandlung müssen
Schmerzen korrekt beurteilt werden. Die
Beurteilung muss vor und nach der Behand –
lung stattfinden, will man Wirksamkeit und
Nutzen einer Behandlung bewerten.
Es gibt eine Vielzahl von Schmerzskalen, die
beim Kind angewendet werden können:
● Autoevaluations-Skalen: Sobald das
Verständnis seitens des Kindes vorhan –
den ist, sollten die Autoevaluations-Ska –
len verwendet werden. Die bekannteste
ist die Gesichter-Skala (Faces Pain Sca –
le, FPS), von Hicks et al. überarbeitet
und validiert
7). Diese Skala zeigt ganz
links ein neutrales Gesicht welches
keinerlei Schmerzen ausdrückt und ganz
rechts ein durch unerträgliche Schmer-
zen verzogenes Gesicht, dazwischen 4
intermediäre Gesichtsausdrücke.
● Heteroevaluations-Skalen: Beim Klein –
kind, welches nicht spricht oder die
Skalen nicht versteht, können die Ver-
haltensskalen verwendet werden. Lange
Zeit wurde die CHEOPS-Skala (Children
Hospital East Ontario Pain Scale
8)), be –
vorzugt; diese scheint aber inzwischen
Schmerzen beim Kind nach ambulanter
Chirurgie: Wie bewerten? Wie behandeln?
Chantal Mamie, Walid Habre, Genf
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
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Vol. 19 No. 5 2008 Fortbildung / Formation continue
durch die mehr Vorteile aufweisende
FLACC-Skala (Face, Legs, Activity, Cry,
Consolability
9)) enttrohnt. Letztere ist ein-
facher anzuwenden und zählt wie die FPS
10 Punkte. Sie führt zudem die «Beru –
higbarkeit» (consolability) ein, ein bei
der Schmerzbetreuung oft gebrauchter,
aber selten erwähnter Begriff (Tab. 1).
● Wiederkehrende oder chronische
Schmerzen: Die Farbenskala 10 ) ist bei
kleineren Kindern mit rekurrierenden
oder chronischen Schmerzen nützlich;
sie erlaubt es, die globale Entwicklung
der Schmerzen zu beurteilen. Man bittet
das Kind, seinen Schmerz auf einem
Männchen zu lokalisieren und je nach In –
tensität mit einer anderen Farbe anzuge –
ben. Beim älteren Kind mit chronischen
Schmerzen kann man die Wörterskala
nach Bourreau (Questionnaire de dou –
leur de Saint Antoine
11), französisches
Pendant des angelsächsischen McGill
(QDSA)) verwenden.
Schmerzbehandlung:
Multimodaler Approach
Seit mehreren Jahren zeichnet sich ein
Konsensus zugunsten einer multimodalen
Schmerzbehandlung
12) ab. Die Kombination
mehrerer, auf verschiedener Ebene wirken –
der Medikamente, soll den Schmerz auf
mehreren Fronten angreifen. Dies erlaubt
es auch, zwischen verschiedenen Medika –
mentenklassen existierende Synergien zu
nutzen. Die jeweiligen Dosen können damit
herabgesetzt und, zumindest theoretisch,
die Nebenwirkungen verringert werden.
Wir verfügen über ein breites Spektrum an
solchen Medikamenten:
● Lokalanästhetika: Blockieren die Leitung
und wiederholte Stimulierung in den C-
Fasern
● Anti NMDA-Moleküle, wie z. B. Ketamin,
verhindern die Aktivierung der NMDA-
Rezeptoren und damit das Auftreten
einer zentralen Sensibilisierung.
● NSAID und Paracetamol blockieren die
periphere und zentrale Prostaglandin –
synthese.
● Opiate blockieren an ihren Rezeptoren
den Kalziumeintritt in das zweite Neu –
ron.
● Die Alpha-2-Agonisten haben eine spe –
zifische Affinität zu den adrenergen
Alpha-2-Rezeptoren und verhindern ins –
besondere die Noradrenalinfreisetzung
in die Synapse.
In der Praxis sind die Dinge nicht so einfach:
Die Lokalanästhetika sind bei Infekten un –
wirksam und haben oft eine beschränkte
Wirkungsdauer. Die Wirksamkeit der anti-
NMDA ist zwar in experimentellen Studien
statistisch signifikant, die klinischen Studien
sind jedoch umstritten. Die NSAID haben
Kontraindikationen und die Opiate können
zu einer opiatbedingten Hyperalgesie füh –
ren!
Paracetamol
Wirkungsmechanismus: Es handelt sich
um ein schwach wirksames Analgetikum,
welches zentral durch Hemmung von Cox2
und wahrscheinlich Cox3 ansetzt. Es soll
auch auf die absteigenden, hemmenden,
serotoninergen Fasern einwirken.
Pharmakokinetik: Paracetamol tritt sehr
schnell vom Blut ins Gehirn über, ist doch
die maximale Konzentration im Liquor zwei
Stunden nach oraler Einnahme erreicht,
mit nachgewiesener Opiateinsparung. Eine
kürzliche Metaanalyse ergibt, dass die Kom –
bination von Paracetamol/Morphin, vergli –
chen mit der Verabreichung von Morphin
alleine, den Bedarf an Opiaten um etwa
20% verringert, ohne jedoch die Inzidenz
der morphinbedingten Nebenwirkungen zu
verringern
13). Die Halbwertszeit von Para –
cetamol beträgt beim Neugeborenen 9.6
Stunden, im Kindesalter 4.2 und beim Er-
wachsenen 2.5 Stunden. Die Biodisponibi –
lität bei peroraler und iv-Verabreichung ist
100%. Sie ist bei rektaler Verabreichung sehr
variabel und reicht von 25% bis 98%, im Mit –
tel 70%, abhängig davon, ob die Resorption
durch die oberen oder unteren Hämorrhoi –
dalvenen stattfindet (direkte Leberpassage
oder nicht).
Kontraindikationen von Paracetamol sind
der G6PD-Mangel und Leberfunktionsstö-
r ungen. Eine kürzlich erschienene Studie
beim gesunden Erwachsenen hat eine mehr
als dreifache Erhöhung der Normwerte der
Aminotransferasen nach Einnahme von 4 g
Figur 1
Tabelle 1: FLACC – Skala (Face, Legs, Activity, Cry, Consolability)
Gesicht 0 = kein besonderer Gesichtsausdruck oder lächelndes Gesicht
1 = gelegentliches Grimassieren oder Stirnrunzeln,
in sich gekehrt, desinteressiert
2 = Augenbrauen häufig bis konstant zusammengezogen, Kinn zittert
Beine 0 = normale Position oder entspannt
1 = unruhig, angespannt
2 = schnelle Streckung und Beugung, angezogen
Aktivität 0 = liegt ruhig, normale Position, Bewegungen leicht möglich
1 = krümmt sich, rutscht hin und her, angespannt
2 = bäumt sich, rigide oder schreckhaft, zuckende Bewegungen
Weinen 0 = weint nicht (wach oder schlafend)
1 = stöhnt oder wimmert, gelegentliches Klagen
2 = weint ununterbrochen, schreit oder schluchzt, häufiges Klagen
Beruhig- 0 = zufrieden, entspannt
barkeit 1 = lässt sich durch gelegentliche Berührung beruhigen, durch Herum-
tragen oder Zusprechen, lässt sich ablenken
2 = schwer zu beruhigen oder zu trösten
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Paracetamol nachgewiesen. Dies bereits am
dritten Behandlungstag und bei Paraceta-
molspiegeln im therapeutischen Bereich
14).
Dosierung: Wir bevorzugen die orale Ver-
abreichung (oder iv, falls letztere nicht
möglich). Die Dosis beträgt 15 mg/kg, bei
postoperativen Schmerzen systematisch
alle 6 Stunden während 48 Stunden, um
einen wirksamen Plasmaspiegel aufrecht –
zuerhalten.
● Nicht-steroidale Entzündungshe-
mer (NSAID)
Wirkungsmechanismus: Die NSAID
hemmen ebenfalls die Prostaglandin –
synthese, jedoch vor allem peripher
durch Cox2-Hemmung. Schwaches An –
algetikum, mit jedoch ausgeprägterer
Einsparung an Opiaten als Paracetamol,
in der Grössenordnung 30–40%
15).
Nebewirkungen: Der grösste Nachteil
ist die reversible Hemmung von Throm –
boxan A2, was zu einer Beeinträchtigung
der Thrombozytenfunktion und vermehrt
zu Blutungen führt. Die NSAID sollen
auch auf die Osteoblasten einwirken und
die Kallusbildung nach Frakturen oder
Osteosynthese verschlechtern. Ketoro –
lac schliesslich darf wegen des Risikos
einer Niereninsuffizienz parenteral nicht
länger als 72 Stunden verabreicht wer-
den
16 ).
Pharmakokinetik: Die Kombination
NSAID/Morphin verringert signifikant
die Inzidenz von Brechreiz und Erbre –
chen sowie die sedierende Wirkung im
Vergleich zu Morphin alleine.
Mac Quay hat 1997 den NNT (number
needed to treat) untersucht, der benö-
tigt wird, um einen mittleren bis starken
Schmerz um 50% über 4–6 Stunden zu
verringern. Die drei Medikamente mit
dem tiefsten NNT (ca. 3) sind NSAID:
Diclofenac, Naproxen und Ibuprofen, un –
mittelbar gefolgt von Morphin
17 ).
Kontraindikationen: postoperative Kon –
traindikationen sind präexistierende Ge –
rinnungsstörungen, langdauernde und
ausgedehnte Eingriffe sowie Tonsillek –
tomien, wo das postoperative Blutungs –
risiko doppelt so hoch ist (siehe unten).
Dosierung: Die Ibuprofendosis ist 3×10
mg/kg/d, am besten per os. Naproxen
2×10 mg/kg/d. Die NSAID müssen
ebenfalls regelmässig über eine Zeitdau –
er von 48 Stunden verabreicht werden
um einen wirksamen Plasmaspiegel auf –
rechtzuerhalten.
● Tramadol
Wirkungsmechanismus: Die Wirkung
ist analgetisch, über die zentralen mo –
noaminergen Bahnen, mit schwacher
Affinität für die μ1-Rezeptoren. Der
erste Metabolit ist ein μ-Agonist.
Nebenwirkungen: Die Inzidenz von
Brechreiz und Erbrechen ist ca.10%,
Krämpfe wurden ebenfalls beschrie –
ben.
Pharmakokinetik: Das Konzentrations –
maximum wird bei oraler Einnahme nach
weniger als 30 Minuten erreicht. Die
Plasmakonzentration bleibt 6–7 Stun –
den über dem analgetischen Niveau (100
ng/ml). Die Konzentration des ersten
Metaboliten ist 30%. Beim Erwachsenen
ist die Halbwertszeit 5 Stunden und
9 Stunden für den Metaboliten, beim
1–8-jährigen Kind sind die Halbwerts –
zeiten 3.5 bzw. 5.8 Stunden. Die Biodis –
ponibilität ist mit ca. 68% nach oraler
Einnahme befriedigend. Die Biodispo –
nibilität nach rektaler Verabreichung ist
recht konstant mit einer Halbwertszeit
von 4.3 Stunden.
Die Dosis beträgt 2 mg/kg alle 8 Stun –
den.
● Kodein
Kodein wirkt nach Demethylierung durch
ein Enzym des Cytochroms P450, wel –
ches Kodein in Morphin umwandelt. Ko –
diert wird dieses Enzym durch das Gen
CYP2D6, das einem Polymorphismus
unterworfen ist. Träger dieses Polymor-
phismus können Kodein nicht in Mor-
phin umwandeln. Williams et al.
18) haben
bei 47% der Kinder im London Royal ORL
Hospital einen Genotyp mit verminder-
ter Enzymaktivität festgestellt. Sie wie –
sen 48 Stunden nach Einnahme von 1.5
mg/kg Kodein ausgeprägtere Neben –
wirkungen auf (Brechreiz, Erbrechen,
Sedierung und Verstopfung). Kodein
besitzt deshalb kein therapeutisches
Interesse mehr
18).
Multimodale Analgesie
In der Praxis bevorzugen wir den multimo –
dalen Approach, durch Kombination von
Paracetamol, NSAID und Tramadol (oder
Opiate bei starkem Schmerz).
Besonderheiten der Betreuung
zuhause nach ambulanter Chirurgie
Eine gute Steuerung der Analgesie verlangt
die Zusammenarbeit von Chirurg, Anästhe -sist, Hausarzt und Eltern des ambulant
operierten Kindes. Die Rückkehr nach Hau
–
se bedeutet die Übertragung der Verant –
wortung auf die Eltern. Sie müssen deshalb
unbedingt darin unterrichtet werden, wie
Schmerzen zu beurteilen und zu behandeln
sind. Schmerzen zuhause können nicht zu
vernachlässigende Folgen haben.
● Zunahme von Brechreiz und Erbrechen:
Nach Tonsillektomie ist die Inzidenz von
postoperativem Brechreiz/Erbrechen
bei Patienten mit starken Schmerzen
40% versus 16% in der Gruppe ohne
Schmerzen
1).
● Zunahme von Schlafstörungen: Kain et
al. 4) haben Schlafstörungen bei Kindern
während 5 Tagen nach einer ambu –
lanten Operation untersucht und mit
einer nicht operierten Kontrollgruppe
verglichen. Während der ersten post –
operativen Nacht hatten 50% der Kinder
Schlafstörungen, in der fünften Nacht
noch15%. Die Schmerzscores waren bei
den Kindern mit Schlafstörungen signi –
fikant höher
4).
● Zunahme von postoperativen Verhaltens –
störungen: Kotiniemi et al. 3) konnten
nachweisen, dass Kinder nach ambulan –
ter Tonsillektomie mit starken Schmer-
zen am Tag der Operation 9-mal häufi –
ger Verhaltensstörungen aufwiesen als
Kinder mit keinen oder nur leichten
Schmerzen; 70% der Kinder mit starken
Schmerzen hatten Verhaltensstörungen.
In der 4. postoperativen Woche hatten
die Kinder mit starken Schmerzen noch
4-mal häufiger Verhaltensstörungen als
die Kinder ohne Schmerzen
1).
● Schmerzen wurden von 80% der El –
tern von tonsillektomierten Kindern als
schwerwiegendes Problem beurteilt
19 ).
Ernährungsstörungen kamen an zweiter
Stelle (63%). In dieser Studie bekamen
die Eltern bei der Entlassung keinerlei
Instruktion betreffend Schmerzbekämp –
fung, sondern lediglich Paracetamolzäpf –
chen
19 ).
Praktische Verhaltensregeln
Den Eltern muss je nach Eingriff erklärt
werden, wie lange und wie starke Schmer-
zen zu erwarten sind. Dazu benötigen sie
Beurteilungskriterien. Die Zahlenskala ist
leicht erlernbar und kann bei älteren Kinder
angewandt werden. Daneben gibt es den
«postoperative pain measure for parents»,
der auf englisch für 2–12-jährige Kinder
validiert wurde (Tabelle 2)
20). Bei positiver
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Antwort auf mehr als 6 Fragen sind die
Schmerzen behandlungsbedürftig. Die
Schmerzbehandlung muss kunstgerecht
durchgeführt werden und die Eltern müs-
sen davor gewarnt werden, Schmerzmittel
bei Bedarf zu verabreichen. Je nach Eingriff
müssen die Analgetika regelmässig über
24 bis 48 Stunden verabreicht werden, um
einen wirksamen Plasmaspiegel zu erhal –
ten. Nützlich ist dabei, den Eltern die (oben
aufgezählten) Komplikationen von ungenü-
gend behandelten Schmerzen zu erklären.
Eine kürzliche Studie
21) ergab, dass 50%
der befragten Eltern der Meinung sind, es
müsse vermieden werden, nach einem am –
bulanten Eingriff Analgetika zu geben, und
35% denken, dass die zu verabreichende
Dosis geringer sein sollte, als die im Spital
verwendete. Diese Studie ergab ebenfalls,
dass Mütter und Väter unterschiedliche
Meinungen betreffend Schmerzbekämpfung
haben: Obwohl die Schmerzbeurteilung die –
selbe war, vertraten die Väter die Meinung,
Schmerzmittel seien gefährlich und sollten
nur bei sehr starken Schmerzen gegeben
werden. Diesen Tatsachen muss beim Ge –
spräch mit den Eltern Rechnung getragen
werden.
Sonderfall Tonsillektomie
Die Tonsillektomie führt zu einer kurzdau –
ernden Spitalaufnahme und zu starken
Schmerzen, und ist in Bezug auf Schmerz –
bekämpfung nicht immer einfach zu hand –
haben. Mehrere Metaanalysen haben die
postoperative Blutungshäufigkeit bei Be -handlung mit NSAID nach Tonsillektomie
untersucht
22). Alle schliessen auf eine ver-
gleichbare Inzidenz postoperativer Blutun –
gen zwischen den Gruppen mit oder ohne
NSAID, in den NSAID-Gruppen kam es
jedoch etwa 4-mal häufiger zu einer opera –
tiven Revision. NSAID sollen deshalb nach
Adeno-Tonsillektomie nicht verschrieben
werden.
Um Schmerzen und Brechreiz/Erbrechen
vorzubeugen, wurde versucht, NSAID durch
eine Einzeldosis Kortison per- oder postope –
rativ zu ersetzen
23). Eine kürzlich an unserem
Spital durchgeführte, nicht publizierte Studie
von Czarnetski et al., hat eine signifikante,
dosisunabhängige Zunahme von postope –
rativen Blutungen nach Steroiden nach –
gewiesen. Dies führte zur Unterbrechung
der Studie, deren ursprünglicher Zweck es
war, einen Dosis-Wirkung-Zusammenhang
nachzuweisen.
Die Schmerzbehandlung nach Tonsillekto –
mie stellt eine echte Herausforderung dar.
Der Eingriff ist schmerzhaft und der Schmerz
dauert im Mittel 10 Tage an und beeinträch –
tigt die Nahrungsaufnahme. Opiate sind bei
den ORL-Spezialisten wenig beliebt, da sie
zu Brechreiz und Erbrechen führen können,
was Blutungen der Tonsillenlogen auslösen
kann. Bei diesen Kindern ist die Kombina –
tion Paracetamol/Tramadol angezeigt. Zur
Vorbeugung von Brechreiz und Erbrechen
kann peroperativ ein Setron-Derivat verab –
reicht werden. Ebenso soll, wegen seiner
emetischen Wirkung, in den Magen geflos –
senes Blut abgesaugt werden, bevor das
Kind aufwacht und extubiert wird.
Schlussfolgerungen
Die Entscheidung, ein Kind nach einem am –
bulanten Eingriff nach Hause zu entlassen,
muss eine Anzahl Bedingungen erfüllen.
Man soll sich insbesondere vergewissern:
● dass das familiäre Umfeld adäquat ist
● dass die Informationen betreffend
Schmerzstillung begriffen wurden (klare,
detaillierte Informationen)
● dass die Eltern wissen, wie sie bei
Schmerzen zu handeln haben
● dass die Angaben betreffend Medika –
mente, ihre Wirkungen und Nebenwir-
kungen verstanden wurden
● dass die Medikamente zuhause verfüg –
bar sind
● und nicht vergessen, Kontaktpersonen
anzugeben, an welche sich die Eltern bei
Problemen wenden können.
Man sollte hingegen nicht zögern, ein Kind
nach einem sehr einschneidenden Eingriff
oder bei ungenügender Schmerzstillung im
Spital zu behalten.
Referenzen
Siehe französischer Text.
Korrespondenzadresse
Dr. Chantal Mamie
Unité d’anesthésie pédiatrique
Hôpitaux Universitaires de Genève
1211 Genève 4
Tel 022 372 33 11
chantal.mamie@hcuge.ch
Tabelle 2: Schmerzevaluation zuhause mit –
tels PPMP
Score> 6: entscpricht klinisch signifikanten
Schmerzen
1. Whine or complain more than usual
2. Cry more easily
3. Play less than usual
4. Not do the things s/he normally
does
5. Act more worried than usual
6. Act more quiet than usual
7. Have less energy than usual
8. Refuse to eat
9. Eat less than usual
10. Hold the sore part of his/her body
11. Try not to bump the sore part of
his/her body
12. Groan or moan more than usual
13. Look more flushed than usual
14. Want to be close to you more
15. Take meds when normally refuses
Weitere Informationen
Übersetzer:
Rudolf Schläpfer
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Chantal Mamie , Unité d’anesthésie pédiatrique, Hôpitaux Universitaires de Genève