Eine neue Salzlösung zur oralen Rehydratation und zusätzliches Zink
Akuter Durchfall ist auch heute noch eine wesentliche Ursache kindlicher Mortalität – und dies trotz unbestrittener Erfolge der oraler Rehydratationstherapie (ORT). Seit 1978, als die Weltgesundheits- organisation (WHO) und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) die orale Rehydratation durch Salzlösungen als wichtigstes Mittel im Kampf gegen den Flüssigkeitsverlust eingeführt haben, ist die durchfallbedingte Mortalität von Kindern unter 5 Jahren von jährlich 4,5 Millionnen auf 1,8 Millionen zurückgegangen1). Trotz diesen signifikanten Resultaten bleibt der akute Durchfall weiterhin eine der hauptsächlichsten Todesursachen des Kindesalters in Entwicklungsländern.
Fortbildung / Formation continue
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Vol. 19 No. 5 2008
Einführung
Akuter Durchfall ist auch heute noch eine
wesentliche Ursache kindlicher Mortalität –
und dies trotz unbestrittener Erfolge der ora
ler Rehydratationstherapie (ORT). Seit 1978,
als die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
und das Kinderhilfswerk der Vereinten Natio
nen (UNICEF) die orale Rehydratation durch
Salzlösungen als wichtigstes Mittel im Kampf
gegen den Flüssigkeitsverlust eingeführt
haben, ist die durchfallbedingte Mortalität
von Kindern unter 5 Jahren von jährlich 4,5
Millionnen auf 1,8 Millionen zurückgegang
en
1). Trotz diesen signifikanten Resultaten
bleibt der akute Durchfall weiterhin eine
der hauptsächlichsten Todesursachen des
Kindesalters in Entwicklungsländern.
Zwei Fortschritte, die zu einer erheblichen
Verminderung durchfallbedingter Todesfälle
beitragen können – der Wirkungsnachweis
einer Salzlösung zur oralen Rehydratation
(SOR) mit geringerem Zucker und Natrium
gehalt (SOR mit geringerer Osmolarität) und
von Zinkzusatz zur ORT – haben 2004 WHO
und UNICEF dazu geführt, die Empfehlungen
zur Durchfallbehandlung zu überarbeiten
2).
Eine verbesserte SOR –
SOR mit geringerer Osmolarität
Die bis 2003 empfohlene SOR Formel – eine
Lösung mit 90 mmol/l Natrium und einer
Osmolarität von 311 mmol/l – hat signifi
kant zur Verminderung der durchfallbeding
ten Mortalität während dieser Zeitspanne geführt
1). Während der letzten 20 Jahre
wurden jedoch zahlreiche Studien durchge
führt, mit dem Zweck, deren Wirksamkeit zu
verbessern. Unter anderem wurden Lösun
gen mit geringerer Osmolarität versucht, um
mögliche unerwünschte, hypertoniebedingte
Wir kungen auf die Flüssigkeitsresorption zu
vermeiden. Dies wurde durch Verminderung
der Zucker und Salzkonzentration erreicht.
Eine Metaanalyse der Studien, welche die
Wirksamkeit von verschiedenen SOR mit ge
ringerer Osmolarität (Osmolarität zwischen
210 und 268 mOsm/l und Natriumkonzen
tration zwischen 50 und 75 mmol/l) unter
sucht haben, ergab, dass mit dieser neuen
SOR das Stuhlvolumen um fast 20%, die
Inzidenz von Erbrechen um fast 30% und
die Notwendigkeit intravenöser Rehydra
tation nach initial oraler Rehydratation um
40% abnahm
3). Eine Studie ergab, dass
bei Verwendung der neuen SOR weniger
intravenöse Behandlungen notwendig sind,
und 14 000 Todesfälle pro Million Durch
fallepisoden mit Dehydratation vermieden
werden können
4). Eine in Bangladesch an
über 70 000 Patienten durchgeführte Phar
makovigilanzstudie ergab, dass die SOR mit
geringerer Osmolarität (75 mmol/l Natrium,
65 mmol/l Glukose, Gesamtosmolarität
245 mOsm/l) ( T a b .1) bei Cholerapatien
ten genauso wirksam ist wie die altherge
brachte Lösung, und demzufolge zur Behand
lung dieser Patienten angewendet werden
kann
5).
Zusätzliche Zinkgabe zur
Behandlung akuter Durchfälle
Der Nachweis der Einwirkung von Zink auf
metallische Enzyme, Polyribosome, Zellwän
de und Zellfunktionen, lässt auf eine wesen
tliche Rolle bei Zellentwicklung und Funk
tionen des Immunsystems schliessen
6)–8) .
Die Verabreichung von Zink während einer
Durchfallerkrankung könnte die Immunfunk
tionen, Struktur oder Funktion des Darmes
und den Heilungsprozess der Darmschleim
haut beeinflussen, umso mehr, als Durch
fälle einen vorbestehenden Zinkmangel
verstärken könnten.
Die Wirkung einer zusätzlichen Zinkgabe im
Verlaufe einer akuten oder persistierenden
Durchfallerkrankung wurde durch eine Reihe
klinischer Studien belegt. Es handelte sich
dabei um, nebst anderen wichtigen Merk
malen, kontrollierte, randomisierte klini
sche Studien, bei Kindern zwischen einem
Monat und 5 Jahren. Die verabreichten Zink
dosen variierten von 5 bis 45 mg
täglich
9)–22) .
Durchfalldauer
Betrachtet man die Zeitdauer zwischen Ein
schluss in die Studie und Heilung, so wird
der Vorteil der Zinkgabe im Verlaufe eines
akuten Durchfalles offensichtlich. Elf der
zwölf in diesem Zusammenhang durchge
führten Studien trugen dazu bei, einen Zu
sammenhang von Zinkgabe und Verkürzung
der Durchfalldauer zu beweisen, und in
8 dieser Studien war die Verkürzung statis
tisch signifikant (Abb. 1). Die Metaanalyse
dieser Studien ergab eine Verkürzung der
Durchfalldauer durch Zinkzugabe um 25%
23).
In fünf der genannten Studien wurde eine
Verminderung des Anteils von länger als
7 Tagen dauernden Durchfällen festgestellt.
Die Metaanalyse der Gesamtheit dieser Stu
dien ergab, dass länger als 7 Tage dauernde
Durchfallepisoden bis auf 25% abnahmen,
es verminderte sich somit der Anteil an
persistierenden, mit einer höheren Letalität
verbundenen Durchfälle
23).
Stuhlvolumen
Acht Studien machen Angaben zu Stuhlvo
lumen und Stuhlfrequenz. Alle stellen eine
Verminderung von Stuhlvolumen und fre
quenz bei Zinkgabe fest und in fünf Studien
ist diese Abnahme statistisch signifikant.
Gesamthaft kann auf Grund dieser Daten
festgehalten werden, dass die Zugabe von
Zink zu einer Verminderung des Stuhlvolu
mens um 30% beiträgt.
Neue Empfehlungen der WHO zur
klinischen Betreuung von Durchfällen
Eine neue Salzlösung zur oralen Rehydratation und zusätzliches Zink
Dr O. Fontaine, Département de la Santé et du Développement de l’Enfan\
t et de
l’Adolescent, Organisation Mondiale de la Santé
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux de Fonds
SOR mit geringerer g/l SOR mit geringerer mmol/l
Osmolarität Osmolarität
NaCl 2.6 Natrium 75
Glukose anhydrid 13.5 Chlor 65
KCI 1.5 Glukoseanhydrid 75
Natriumzitrat 2.9 Kalium 20
Zitrat 10
totale Osmolarität 245
Tabelle 1: Neue, von WHO und UNICEF empfohlene SOR-Lösung
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Vol. 19 No. 5 2008 Fortbildung / Formation continue
Prävention von akuten und
persistierenden Durchfällen
Die Metaanalyse einer Reihe von kontrollier
ten, randomisierten Studien bei Kindern aus
Entwicklungsländern erlaubt es, die Wirkung
von zusätzlicher Zinkgabe bei der Vorbeugung
von (akuten und chronischen) Durchfällen zu
evaluieren
24). Im Verlaufe dieser Versuche
wurde mindestens die Hälfte der täglichen,
in den USA für Kinder unter 5 Jahren empfo
hlenen Zinkdosis (U.S. Recommended Daily
Allowance, RDA) ver abreicht.
Im Rahmen von 7 dieser Studien, als «Dauer
versuche» bezeichnet, wurde eine RDA oder
eine doppelte RDA 5–7 x / Woche während
der ganzen Versuchsdauer gegeben. In drei
weiteren Studien, als «Kurzversuche» bezei
chnet, wurde eine 2–4 fache RDA täglich
während 2 Wochen gegeben, gefolgt von
2–3 Monaten Nachkontrolle. Die vorbeu
gende Wirkung auf Durchfallerkrankungen
wurde global und auch abhängig von Alter,
Geschlecht, Ernährungszustand und initialem
Plasmazinkspiegel evaluiert. Nach Abschluss
der «Dauerversuche» wurde bei den zinksup
plementierten Kindern eine Reduktion der
Inzidenz von Durchfällen um 18% festgestellt
(OR 0,82 [95% CI 0,72 bis 0,93]), sowie eine
Abnahme der Durchfallprävalenz um 25% (OR
0,75 [95% CI 0,63 bis 0,88]). Nach Abschluss
der «Kurzversuche» wurde eine vergleichbare
Wirkung der Zinksupplementation wie bei den «Dauerversuchen» festgestellt: Die Dur
chfallinzidenz war bei den zinksupplementier
ten Kindern um 11% verringert (OR 0,89 [95%
CI 0,62 bis 1,28]), die Durchfallprävalenz um
34% (OR 0,66 [95% CI 0,52 bis 0,83]).
Im Verlaufe von Feldstudien konnte schliess
lich festgestellt werden, dass die zusätzliche
Zinkgabe bei der Behandlung von Durchfällen
Spitalaufnahmen um 24% und nicht unfallbe
dingte Todesfälle um 51% verringerte
25), 26) .
Zusammenfassend ergaben diese Studien,
dass Zinksupplementation in therapeutischen
Dosen den Verlauf akuter Durchfälle günstig
beeinflusst und sowohl die Dauer verkürzt
als auch die Schwere vermindert. Diese
Studien zeigten ebenfalls, dass die Zinksup
plementation (längerdauernd oder kurzfistig
verabreicht) bei Kindern in Entwicklungs
ländern mit einer signifikanten Abnahme
von Durchfällen und deren Mortalität ein
hergeht. Gesamthaft kamen die Arbeiten
ebenfalls zum Schluss, dass Alter und Er
nährungszustand des Kindes die Zinkwirk
ung nicht signifikant beeinflussen. Obwohl
die ideale Dosierung noch bestimmt werden
muss, scheint eine Erhöhung der täglichen
Zinkdosis auf 30 oder 40 mg im Vergleich
zur üblicherweise verschriebenen Dosis von
20 mg keine Vorteile aufzuweisen.
Auf Grund dieser Ergebnisse sind die durch
WHO und UNICEF in New Dehli vereinigten
Experten zum Schluss gekommen, dass 10 bis 20 mg Zink/Tag während 10 bis 14
Tagen Schwere und Dauer von Durchfällen
wesentlich verringert
27).
Zusammenfassung
Die durch WHO und UNICEF Ende der 70er
Jahre eingeführten oralen Salzlösungen
(SOR) und orale Rehydratation (ORT) haben
eine bessere Behandlung der kindlichen
Durchfälle und jedes Jahr die Vermeidung
von über einer Million durchfallbedingter
Todesfälle erlaubt
28). Es scheint jedoch, dass
die Kenntnisse korrekter Durchfallbehand
lung zuhause, inklusive ORT, heutzutage in
gewissen Ländern verloren gehen
29).
Die beschriebenen wissenschaftlichen Fort
schritte sollten es erlauben, noch viele
Menschenleben zu retten, vor allem wenn
man diese Kenntnisse durch wirksame Mass
nahmen zuhause und die Mithilfe von Gesund
heitsdiensten ergänzt. Man schätzt, dass die
neuen, auf den zwei beschriebe nen wissens
chaftlichen Erkenntnissen beruhenden und
auf vorangehenden Erfahrungen (d.h. zu
sätzliche Flüssigkeitsgabe, Fortführen der
Nahrungszufuhr oder häufigeres Stillen,
frühzeitiges Erkennen von Dehydratations
zeichen) sich abstützenden Empfehlungen,
88% der durchfallbedingten kindlichen To
desfälle verhindern können
30).
Die Rehydratation von Kindern mit Durchfall
sollte mit der neuen, von WHO und UNICEF
seit 2003 empfohlenen SOR mit geringerer
Osmolarität durchgeführt werden. Den für die
Betreuung des Kindes verantwortlichen Per
sonen sollte Zink in genügender Menge für
10–14 Tage mitgegeben werden, damit die
Behandlung auch zuhause fortgeführt wer
den kann.
Ein Rückgang von durchfallbedingten Erkran
kungen und Todesfällen setzt die allgemeine
Anwendung der neuen wissenschaftlichen Er
kenntnisse und der neuen Behandlungsemp
fehlung voraus. Voraussetzung sind ebenfalls
eine Verbessserung der Kenntnisse der Fami
lien in Bezug auf Durchfallprävention und
be handlung, die Verfügbarkeit entsprechen
der Informationen und die Unterstützung be
nachteiligter Haushalte. Diese neuen Empfehl
ungen setzen deshalb den Akzent auf ein echt
es Ver ständnis der Durchfallbehandlung seitens
von Familie und Lebensgemeinschaften.
Referenzen:
Siehe französischer Text.
Korrespondenzadresse:
Siehe französischer Text.
Indien, 1988 (11)
Bangladesh, 1999 (12)
Indien, 2000 (10)
Brasilien, 2003 (9)
Indien, 2001 (17)
Indonesien, 1998 (13)
Indien, 1995 (15)
Bangladesh, 1997 (21)
Indien, 2001 (22)
Indien, 2001 (20)
Nepal, 2002 (16)
Bangladesh, 2005 (18)
Kombiniert
Unterschiede der Durchschnittswerte und 95% CI Relative Hasards und 95% CI
Vorteil Zink Vorteil Placebo
Abbildung 1: Wirkung von zusätzlichem Zink auf die Dauer akuten Durchfalls in 12 von
1988 bis 2001 durchgeführten Studien
Für jede Studie ist der Unterschied der Durchschnittswerte für Zink und Placebo (vertikaler Strich) und das 95%
Confidence Interval (horizontaler trich) dargestellt. Der vertikale Strich (1) stellt die Äquivalenzzone zwischen Zink
und Placebo dar; alle Punkte links dieses Striches bedeuten, dass Zink die Durchfalldauer verkürzt, während Punkte
rechts davon auf das Gegenteil hinweisen.
Weitere Informationen
Übersetzer:
Rudolf Schläpfer
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Olivier Fontaine , Département de la Santé et du Développement de l'Enfant et de l'Adolescent, Organisation Mondiale de la Santé, Genève