Zusammenfassung
Primäre ciliäre Dyskinesie (Primary Ciliary Dyskinesia, PCD) bezeichnet eine Gruppe angeborener Erkrankungen mit Störungen der Zilienmotilität. Genetik und Zilienfunktion sind unterschiedlich betroffen. Dies führt zu einer Heterogenität im klinischen Erscheinungsbild (Phänotyp) und Verlauf. Die Diagnostik ist komplex und benötigt beträchtliche Erfahrung in der Durchführung und Interpretation der Tests. Um Betroffene rasch und zielgerichtet zu behandeln, ist eine frühe Diagnose unbedingt anzustreben.
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Zusammenfassung
Primäre ciliäre Dyskinesie (Primary Ciliary
D yskinesia, PCD) bezeic\bnet eine Gruppe
angeborener Erkrankungen mit Störungen der
Zilienmotilität. Genetik und Zilienfunktion sind
untersc\biedlic\b betroffen. Dies fü\brt zu einer
Heterogenität im klinisc\ben Ersc\beinungsbild
(P\bänotyp) und Verlauf. Die Diagnostik ist
komplex und benötigt beträc\btlic\be Erfa\brung
in der Durc\bfü\brung und Interpretation der
Tests. Um Betroffene rasc\b und zielgeric\btet
zu be\bandeln, ist eine frü\be Diagnose unbe –
dingt anzustreben.
Klinische Manifestation
Wä\brend das Vorliegen der klassisc\ben Kar –
tagener-Trias mit Situs inversus, Bronc\biekta –
sien und c\bronisc\ber Sinusitis sc\bnell den
Verdac\bt auf eine Zilienfunktionsstörung auf –
kommen lässt, ist die Diagnosestellung bei
der Me\brza\bl der Patienten sc\bwierig. Nur
knapp die Hälfte der Patienten \bat einen Situs
inversus. Bronc\biektasien sind Spätfolgen
sc\blec\bt be\bandelter PCD und sollten nic\bt
zur Diagnostik benutzt, sondern vermieden
werden. Die typisc\ben Symptome (Husten,
Otitiden und R\binitis) sind unspezifisc\b. Um
den Ver lau f günstig zu b eeinflus sen, sollte die
Diagnose möglic\bst frü\bzeitig gestellt und die
1Pädiatrische Pneumologie, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital Bern, Universität Bern, Schweiz; 2Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern,
Schweiz; 3Institut für Anatomie, Universität Bern, Schweiz; 4Pneumologie, Universitäts-Kinderspital Zürich, Schweiz
Abkürzungen
PCD Primäre ciliäre Dyskinesie
nNO nasales Stickstoffmonoxid
HSVM, HVMA Hoc\bgesc\bwindigkeits-
Video-Mikroskopie
TEM Transmissions-
Elektronenmikroskopie
IF Immunfluoreszenz
ERS European Respiratory
Society
Primäre ciliäre Dyskinesie (PCD):
ein kurzes Update und aktuelle
diagnostische Kriterien
Loretta Müller 1, Claudia Kue\bni 1, 2, Stefan A. Tsc\banz 3, Andreas Jung 4, P\bilipp Latzin 1 und
Carmen Casaulta 1
Patienten multi-disziplinär an spezialisierten
Zentren versorgt werden, in enger Zusammen –
arbeit mit dem praktizierenden Pädiater oder
Hausarzt. Die Kombination von prolongiertem
produktivem Husten, rezidivierenden Otitiden
und einer c\bronisc\ben R\binitis/Sinusitis
sollte den be\bandelnden Kinderarzt an eine
PCD denken lassen. Über 50 % der Kinder
\baben respiratorisc\be Probleme als Neugebo –
rene, die sic\b als verzögert auftretendes
Atemnotsyndrom beim Termingeborenen oder
neonatale Pneumonie äussern. C\bronisc\ber
Husten und R\binitis treten oft sc\bon in den
ersten Lebenstagen auf (Tabelle 1). Daneben
gibt es eine lange Liste anderer Symptome,
die bei einzelnen Patienten vor\banden sind
(Tabelle 2) . Viele davon sind jedoc\b se\br sel –
ten.
Pathophysiologie
Den Symptomen zugrunde liegt eine fe\blende
oder pat\bologisc\be Funktion einer \boc\bkom –
plexen Zellorganelle, der Zilie. Diese \baarför –
migen an der apikalen Zellmembran liegenden
Strukturen mit einem mikrotubulären Zyto –
skelett werden in motile und immotile Zilien
eingeteilt. Sie finden sic\b in fast allen Orga –
nen, \baben neben der Bewegung von Flüssig –
keiten auc\b mannigfaltige Transport- und
«sensing»-Funktionen und sind pat\bop\bysio –
logisc\b an vielen syndromalen Krank\beiten
ursäc\blic\b beteiligt. Speziell zu erwä\bnen sind
die nodalen Zilien, welc\be wä\brend der emb –
ryonalen Entwicklung durc\b i\bre Rotationsbe –
wegung die umgebende Flüssigkeit in Bewe –
gung versetzen und damit die korrekte
Lateralisation der entste\benden Organe be –
wirken. Funktionieren diese Zilien nic\bt ist die
Lateralisation der Organe zufällig und es bil –
det sic\b in 50 % der Fälle ein Situs inversus.
Epidemiologie
PCD ist in der Sc\bweiz unterdiagnostiziert.
Au sge \b e n d vo n e i n e r P r äval e n z vo n 1 : 10 0 0 0 4)
und einer Einwo\bnerza\bl von 8.4 Millionen
sollten in der Sc\bweiz ca. 840 Mensc\ben mit
PCD leben. Im Sc\bweizer Register für Patien –
ten mit PCD sind trotz wieder\bolten Umfragen
bei allen pädiatrisc\ben und adulten Pneumo –
logen, anderen Spezialärzten (HNO) und der
Patientenorganisation nur 133 Pateinten re –
gistriert. Möglic\be Gründe für die tiefe Detek –
tionsrate sind die unspezifisc\be und variable
Sy mptomatik, v. a. b ei B etrof fenen o\bne Situs
inversus, und die Sc\bwierigkeiten in der Dia –
gnostik, welc\be \bo\be Anforderungen an Infra –
struktur und Erfa\brung stellt. Das Wissen um
die Erkrankung ist darüber \binaus auc\b \beute
noc\b in der Ärztesc\baft unzureic\bend, wobei
die Zuweisungen in die Diagnostik-Zentren in
den letzten Ja\bren erfreulic\berweise sowo\bl
für Kinder als auc\b für Erwac\bsene deutlic\b
zugenommen \baben.
\biagnostik
Die Diagnostik ist \berausfordernd. Es gibt
keinen einzelnen Gold-Standard-Test, sondern
man benötigt eine Kombination versc\biedener
Untersuc\bungen
2): nasales Stickstoffmonoxid
(nNO), Gewinnung von nasalen Epit\belzellen
für Hoc\bgesc\bwindigkeits-Video-Mikroskopie
( HSV M , auc\b als H V MA b ezeic\bnet ) , Tr ansmis
–
sions-Elektronenmikroskopie (TEM), Immun –
• Prolongierter produktiver Husten,
oft seit den ersten Lebenstagen
• C\bronisc\be R\binitis und R\binosinusitis
• Rezidivierende Otitiden und
c\bronisc\ber Paukenerguss
(Seromukotympanon)
• Neonatales Atemnotsyndrom
bei Termingeborenen
• Situs inversus (Ac\btung: nur bei 50 %)
Der vom nationalen PCD- Diagnostikzentrum
in Sout\bampton entwickelte und extern vali –
dierte PICADAR-Score (Tabelle 3) gewic\btet
die wic\btigsten Symptome und erlaubt, die
Wa\brsc\beinlic\bkeit einer PCD-Diagnose abzu –
sc\bätzen (Abbildung 1) . Wic\btig zu wissen ist,
dass der Score nur bei Kindern mit c\bronisc\b
produktivem Husten angewendet werden
sollte
3).
Tabelle 1\b Bei diesen Symptomen sollte man
an eine PCD denken.
27Primäiie riciimlDy
27Primäe cl
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AltersgruppeErscheinung Indikation für PCD DiagnostikVorkommen
bei PCD
absolutrelativ
Alle Persistenter produktiver Husten ohne andere Ursache
XHäufig
Situs inversus (totalis oder partialis) XKnapp 50%
Heterotaxie (komplexe Lateralitätsdefekte) mit/
ohne Herzdefekte mit respiratorischer Symptomatik X
Ca. 10%
Angeborenes komplexes Herzvitium (v. a. TGA) XCa. 5%
Persistente nicht-allergische Rhinitis XHäufig
Geschwister von PCD-Betroffenen XHäufig
Chronische Otitis media XHäufig
Ventrikulomegalie und Hydrozephalus aufgrund
einer Aquäduktstenose X
Sehr selten
Jungen mit orofazialem digitalem Syndrom Typ 1 XSehr selten
Ösophagus- und biliäre Atresie XSehr selten
Säuglinge Neonatales Respiratory distress syndrome, Atelektase
beim reifen Neugeborenen
X
Häufig
Kontinuierliche Rhinorrhoe, beginnend am ersten Lebenstag XHäufig
Kinder Chronischer feuchter/produktiver Husten mit
rezidivierenden Atelektasen (v. a. des Mittellappens)
und Pneumonien ungeklärter Genese
X
Häufig
Bronchiektasen ungeklärter Genese XHäufig
Atypisches therapierefraktäres Asthma
(v. a. mit feuchtem Husten) X
Häufig
Täglich bestehende therapierefraktäre Rhinitis XHäufig
Chronische Otitis media mit Ergüssen
und Mittelohrschwerhörigkeit X
Häufig
Chronische Sinusitis XHäufig
Schwere gastroösophageale Refluxerkrankung XMittel
Retinitis pigmentosa (Jungen) XSehr selten
Polyzystische Nierenerkrankung XSehr selten
Jugendliche/
Erwachsene Progrediente Bronchiektasen unklarer Ursache
(betont in Mittellappen/Lingula und Unterlappen)
X
Häufig
Chronische mukopurulente Sputumproduktion XHäufig
Unklarer progredienter Abfall der Lungenfunktion XHäufig
Infertilität durch Spermiendysmotilität XHäufig
Polyposis nasi XMittel
Uhrglasnägel oder Trommelschlägelfinger XMittel
Weibliche Infertilität und Extrauteringravidität XSelten
Tabelle 2\b Möglic\be Symptome bei PCD. Häufig auftretende Symptome sind fett gedruckt. Abgeändert von 1) und ergänzt aus 2)
fluoreszenz (IF), Zellkulturen und genetisc\be
Untersuc\bungen 2), 5) .
Nasales Stickstoffmonoxid (nNO)
NO wird von den Epit\belzellen der unteren und
oberen Atemwege produziert. Die NO-Kon –
zentration beträgt in den unteren Atemwegen
in der Regel beim Gesunden um die 25 ppb,
in der Nase zwisc\ben me\breren 100 und
>1000 ppb. Bei Patienten mit PCD betragen
die nas alen N O – Wer te of t nur wenige ppb, die
Ursac\ben der erniedrigten nNO-Werte bei P CD sind no c\b unklar
6). Die M es sung von nNO
eignet sic\b gut als Screening-Met\bode für
PCD in tertiären Zentren, bei weniger selekti –
onierten Patienten (wie in der Primärversor –
gung ) is t der pr ädik ti ve Wer t eines tiefen nNO
allerdings sc\blec\bt – nur se\br wenige (<10 %)
der Patienten mit einem niedrigen nNO in ei -
ner Praxis \baben tatsäc\blic\b PCD
5), 7) . Auc\b
falsc\b niedrige Werte kommen vor (z. B. bei
R\binitis, Nasenpolypen, Sinusitis usw.). Bei
einer stark PCD-verdäc\btigen Anamnese sind
auc\b bei normalen nNO-Werten weitere Ab -klärungen angezeigt, da bekannt ist, dass das
nNO bei einigen PCD-Mutationen im norma
-
len Bereic\b liegt
2). Die Tec\bnik der nasalen
NO -Messung ist altersab\bängig, erfordert viel
Erfa\brung und sollte da\ber in spezialisierten
Zentren durc\bgefü\brt werden
2).
Gewinnung von Epithelzellen
Wenn Anamnese und PICADAR-Score den
Verdac\bt für eine PCD -Erkrankung er\bärten
und/oder die nNO -Werte tief sind, sind wei -
terfü\brende Untersuc\bungen sinnvoll. Dafür
27Primäiie riciimlDy
27Primäe cl
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werden mittels eines nasalen (oder seltener
bronc\bialen) Brus\bings Epit\belzellen entnom-
men und für die weitere Diagnostik aufberei -
tet. Beim nasalen Brus\bing werden kleine
Bürstc\ben in die Nasenlöc\ber eingefü\brt und
mittels Dre\bbewegung Zellen von den mittle -
ren oder unteren Nasenmusc\beln gewonnen.
Die Entna\bme wird von den Betroffenen als
unangene\bm bis sc\bmerz\baft empfunden. Die
Applikation von Lokalanäst\betika ist aber
wegen Beeinflussung des Ziliensc\blages kon -traindiziert. Allenfalls kann die Entna\bme
durc\b den Einsatz eines Sedativums erleic\b
-
tert werden. Je me\br Erfa\brung die Untersu -
c\ber \baben, desto \bö\ber fällt der Ertrag an
Zellen aus. Die Zellen sollten möglic\bst bald
(inner\balb von Stunden) nac\b der Entna\bme
weiterverarbeitet werden.
Hochgeschwindigkeits-Video-Mikros -
kopie (HSVM, HVMA)
Die gewonnenen Zellen werden unter einem Lic\btmikroskop begutac\btet und der Zilien
-
sc\blag mit einer Hoc\bgesc\bwindigkeits-Ka -
mera aufgenommen (mit 300 Bildern/Sekun -
de). Mittels spezieller Programme kann der
Ziliensc\blag verlangsamt (30 -60 Bilder/Se -
kunde) beobac\btet und analysiert werden
(siehe Abbildung 2) . Das Sc\blag mus ter ( B ewe -
gung, Amplitude, Koordination inner\balb einer
Zelle wie auc\b zwisc\ben den Zellen) und die
Sc\blagfrequenz werden beurteilt. Die Sc\blag -
frequenz ist bei PCD oft reduziert, kann je -
doc\b bei gewissen Mutationen auc\b er\bö\bt
sein, sodass die Sc\blagfrequenz nie alleine für
die Beurteilung verwendet werden darf, son -
dern immer nur in Kombination mit dem
Sc\blagmuster
2).
Die HSVM stellt \beute das zentrale Element
der PCD -Diagnostik dar; sie soll bei jedem
klinisc\ben Verdac\bt auf eine PCD mit wieder -
\bolt niedrigem nasalem NO durc\bgefü\brt
werden. Die internationalen ERS-Guidelines
empfe\blen, sowo\bl die Messung des nasalen
NO als auc\b die HSVM dreimal zu wieder\bo -
len, bevor eine Diagnose bestätigt werden
kann. Ob dies bei eindeutigen Befunden wirk -
lic\b notwendig ist, ist im Moment noc\b un -
klar
2). HSVM sollte nic\bt als alleinige Met\bode
zur Diagnose benutzt werden, da subtile De -
fekte oft sc\bwierig zu diagnostizieren sind
und eine Bestätigung mit einer zweiten Me -
t\bode die diagnostisc\be Sic\ber\beit er\bö\bt.
Die HSV M \bat gegenüb er der TEM den Vor teil,
dass sie nic\bt nur strukturelle Defekte, son -
dern auc\b funktionelle PCD-Varianten erfas -
sen kann, welc\be der Ultrastruktur-Analyse
entge\ben
8). Die Untersuc\bung benötigt Erfa\b -
rung und entsprec\bende Ausrüstung. Da\ber
wird sie nur an spezialisierten Zentren mit
einer genügend \bo\ben Za\bl an Untersuc\bun -
gen durc\bgefü\brt (in der Sc\bweiz derzeit am
HUG Genf, Kinderklinik des Inselspitals Bern
und Kinderspital Züric\b).
Transmissions-Elektronenmikroskopie
(TEM)
Lange Zeit galt die Untersuc\bung der ziliären
Ultrastruktur mittels TEM als Goldstandard
der PCD-Diagnostik. Seit aber me\brere PCD-
verursac\bende Mutationen entdeckt wurden,
die eine normale Ultrastruktur aufweisen
9),
und moderne Met\boden der Zilienfunktions -
analyse zur Verfügung ste\ben, \bat die TEM
\beute in erster Linie einen bestätigendenden
C\barakter. Man ge\bt davon aus, dass ca. 30 %
der PCD-Fälle eine normale Ultrastruktur
aufweisen.
Tabelle 3\b PI CADAR - Scor e. Wa\br sc\beinlic\bkeit von P CD b ei K inder n mit c\br onisc\b pr o duk ti vem
Husten 3)
Abbildung 1\b Wa\brsc\beinlic\bkeit des Vorliegens einer PCD. Auf der Y-Ac\bse kann man die
Wa\brsc\beinlic\bkeit einer PCD ablesen für die jeweiligen Werte des Picadar Scores (x-Ac\bse) 3)
27Primäiie riciimlDy
27Primäe cl
30
Abbildung 3\b Sc\bematisc\be Darstellung der ziliären Ultrastruktur
Abbildung 4\b TEM-Aufna\bmen Zilienquersc\bnitte. Elektronenmikroskopisc\be Aufna\bmen von
\bumanen Nasalbrus\bings, Vergrösserung ca. 60 000 x. Balken: 250 nm. A: gesunde Kontrolle,
10 -jä\briges Mädc\ben, c\bronisc\be R\binopat\bie, normaler Vitalbefund. B: 2-monatiger Knabe,
unklare Pneumopat\bie, Vitalbefund mit tiefer Sc\blagfrequenz, PCD-Diagnose aufgrund ver-
sc\biedener tubulärer Störungen im TEM, u. a. multiple Transpositionen (Pfeil, fe\blendes Zent -
ralpaar, ein perip\berer Doppeltubulus rutsc\bt nac\b zentral). C: 7-jä\briger Junge, c\bronisc\be,
unklare Pneumopat\bie, komplett amotile Zilien. PCD-Diagnose im TEM durc\b komplettes
Fe\blen der äusseren UND inneren Dyneinarme Die Ultrastruktur der Zilien beste\bt aus neun
Doppeltubuli und zwei einzelnen Zentraltubu
-
li. Die äusseren Doppeltubuli \baben äussere
und innere Dyneinarme und sind per regula -
torisc\bem Nexin-Dynein-Komplex miteinan -
der verbunden. Von jedem Doppeltubulus
verläuft eine Radialspeic\be in Ric\btung Zent -
rum (Abbildung 3) . Mit Hilfe der TEM können
vor allem Defekte der äusseren und inneren
Dyneinarme, Desorganisation der Tubuli mit/
o\bne Verlagerung der Zentraltubuli (u. a.
«Transposition», siehe Abbildung 4 ) und Un-
ordnung bezüglic\b der Orientierung der zent -
ralen Tubuli erkannt werden. Die Analyse
mittels TEM ist zeitaufwändig und kostenin -
tensi v. Zudem er for der t sie v iel Er f a\br ung und
die entsprec\bende Ausrüstung und kann nur
an spezialisierten Zentren von gesc\bultem
Fac\bpersonal durc\bgefü\brt werden.
Immunfluoreszenz (IF)
In den letzten Ja\bren wurde die Immunfluores -
zenz zum Portfolio der PCD-Diagnostik- \bin -
zugefügt. Die IF mac\bt spezifisc\be Proteine
der Zilien sic\btbar und zeigt gegebenenfalls
deren Abwesen\beit. Diese Met\bode ist
sc\bneller und kostengünstiger als TEM
10 ),
benötigt weniger teure Geräte und kann eini -
ge D efek te, die in der TEM nic\bt sic\btbar sind ,
detektieren. Aufgrund dieser verbesserten
Sensitivität ersetzt die IF in einigen Zenten
mittlerweile die TEM als diagnostisc\bes Tool
zur Bestätigung der Erkrankung. Die Grenzen
für diese Met\bode beste\ben vor allem in der
Verfügbarkeit der Antikörper für die spezifi -
sc\ben Proteine.
Zellkultur
Die Kultivierung der nasalen Epit\belzellen an
der Luft-Flüssigkeits- Grenze (air-liquid-inter -
face) ist eine Möglic\bkeit, Sc\bwäc\ben des
frisc\ben nasalen Brus\bings zu umge\ben. Sie
ermöglic\bt es, potentielle sekundäre Pat\bolo -
gien durc\b Infektionen zu eliminieren und die
Anza\bl verwertbarer Zellen und Zellgruppen
sowo\bl für die HSVM, als auc\b für TEM und IF
zu er\bö\ben. Die Sc\bwierigkeit beste\bt darin,
die Zellen zur sogenannten «Re-Differenzie -
rung», resp. zur in-vitro -Ziliogenese zu brin -
gen. Dies kann durc\b spezialisierte Protokolle
unter der Verwendung spezifisc\ber Zellkultur -
medien erreic\bt werden. Dieses Prozedere
brauc\bt eine entsprec\bende Ausrüstung und
Expertise und dauert me\brere Woc\ben. Zwar
sind die Erfolgsc\bancen auf eine erneute Zi -
liogenese mit den neusten Medien mittlerwei -
le r e c\bt \bo c\b ( ca. 80 - 90 % ) , es kann ab er no c\b
immer vor kommen, das s eine P r ob e kont ami -
Abbildung 2\b HSVA Aufna\bme eines nasalen Brus\bings. 2-jä\briger Junge mit c\bronisc\ber Bron -
c\bitis, keine Hinweise für eine PCD. Geric\bteter Partikeltransport sic\btbar (Pfeil), normales
Sc\blagmuster. Sequenz eines kompletten Ziliensc\blagzyklus, ca. 80 ms umfassend (Frequenz
12Hz). Balken 10µm
27Primäiie riciimlDy
27Primäe cl
31
niert ist oder sic\b keine Zilien bilden. In diesen
Fällen muss das Brus\bing wieder\bolt werden.
Zellkultur alleine versc\bafft noc\b keine PCD-
Diagnose, es verbessert jedoc\b die Ergebnis-
se der HSVM, TEM und IF, insbesondere in
Fällen, in denen sic\b die primäre Diagnostik
aufgrund von sekundären Veränderungen
und/oder Sekret als sc\bwierig erweist. Des -
\balb empfie\blt die ERS explizit die Verwen -
dung von Zellkulturen
2).
Genetik
Die untersc\biedlic\be Ausprägung der Funkti -
onsstörungen und die daraus resultierende
Abbildung 5\b Ablauf der PCD Diagnostik am Beispiel der Kinderklinik Inselspital Bern \beterogene klinisc\be Manifestation werden
durc\b die versc\biedenen zugrundeliegenden
genetisc\ben Defekte verursac\bt. Mittlerweile
kann die PCD-verursac\bende Genmutation in
50-75% der Fälle identifiziert werden. Welt
-
weit wurden bis \beute knapp 40 Gene ent -
deckt, deren Mutationen PCD verursac\ben
2).
Die Mutationsanalyse auf PCD-assoziierte
Gendefekte \bat \beute noc\b den Stellenwert
einer wissensc\baftlic\ben Anwendung, kann
aber in einigen Fällen einen wesentlic\ben
Beitrag zur Diagnosestellung einer PCD leis -
ten. Da die Anza\bl möglic\berweise betroffe -
ner Gene gross ist, ist die Analyse entspre -
c\bend aufwändig. Nebst der Identifikation der Mutation per Next-Generation-Sequencing
brauc\bt es auc\b eine Bestätigung per Sanger
Sequencing und einen Abgleic\b mit den El
-
tern. Mit der Identifikation von weiteren PCD-
Genen und Hig\b-T\broug\bput-Sequencing-
Tec\bnologien wird die Genetik in Zukunft
weiter an Bedeutung gewinnen.
Gesamthafte PCD-Diagnostik
Da sic\b die PCD -Diagnostik in den letzten
Ja\bren rasant entwickelt \bat, gibt es in der
Sc\bweiz im Moment noc\b keine fest etablier -
ten Strukturen, die den neuen Ric\btlinien der
ERS gerec\bt werden. Einzelne diagnostisc\be
Untersuc\bungen werden an versc\biedenen
Zentren durc\bgefü\brt, wie oben erwä\bnt wird
die HSVM z. B. am HUG in Genf, an der Kin -
derklinik des Inselspitals Bern und am Kinder -
spital Züric\b durc\bgefü\brt. Abbildung 5 zeigt
eine Übersic\bt über den neu etablierten Ab -
lauf der PCD-Diagnostik an der Kinderklinik
des Inselspitals Bern.
Therapie
Die T\berapie von Patienten mit PCD basiert
noc\b auf wenigen fokussierten Studien, vor
allem aber aus klinisc\ber Erfa\brung und in
Analogie zur T\berapie bei Patienten mit cysti -
sc\ber Fibrose und Bronc\biektasen und c\bro -
nisc\ber Sinusitis anderer Ätiologie. Die aktu -
ellen T\berapieempfe\blungen, basierend auf
einem Konsens internationaler PCD-Experten,
wurden in me\breren aktuellen Reviews zu -
sammengefasst
11 ) , 1 2 ) . Die Patienten werden –
am besten in s\bared care mit dem praktizie -
renden Pädiater oder Hausarzt – von
multidisziplinären Teams an PCD-Zentren
betreut und in der Regel im 3-monatlic\ben
Abstand klinisc\b kontrolliert. Zu den involvier -
ten Spezialisten ge\bören pädiatrisc\be Pneu -
mologen, HNO -Ärzte, P\bysiot\berapeuten und
Sozialberatungs-Fac\bpersonen. Die Kontrol -
len werden durc\b Lungenfunktions-Tests,
Mikrobiologie von Rac\benabstric\b oder Spu -
tum, und regelmässige Bildgebung ergänzt.
Die täglic\be T\berapie des Patienten orientiert
sic\b an den Symptomen und bein\baltet bron
-
c\biales und nasales Clearing des Sekrets mit
Nass-In\balation und Nasenspülung mit Koc\b
-
salzlösung sowie altersentsprec\bend ange -
passter Atemp\bysiot\berpie (Sekretdraina -
ge) 13 ). Paff et al. publizierten 2017 Resultate
zur In\balation von \bypertoner Koc\bsalzlösung
bei PCD-Patienten
14 ). Obwo\bl die Wirksamkeit
nic\bt eindeutig gezeigt werden konnte, sind
diese Daten wic\btig, da es sic\b um die erste
randomisierte T\berapie-Studie bei Patienten
Anamnese durch Kinderarzt, Facharzt Kinderarztpraxi s
Nasales NO Spezialisiertes Fachpersonal Kinderklinik Bern
Nasales Brushing
Spezialisiertes Fachpersonal
Kinderklinik Bern
Wenn verdächtig
Wenn sehr tief
Zellkultur Geschultes
Fachpersonal
Department for BioMedical
Research,
Universität Bern
Elektronen-Mikroskopie Geschultes
Fachpersonal
Institut für Anatomie,
Universität Bern
Video- Mikroskopie Geschultes
Fachpersonal
Institut für
Anatomie, DBMR, Universität Bern
Immunfluoreszenz Geschultes
Fachpersonal
Department for BioMedical
Research,
Universität Bern
Verarbeitung Labor-Fachpersonal Labor Department for BioMedical Research
(DBMR), Universität Bern
Interdisziplinäres PCD Diagnostik Meeting Besprechung der Fälle und Entscheidungen über weiteres Vorgehen und ggf. weitere Analysen
Alle involvierten Personen (Min. von jeder Methode eine Fachperson)
Kinderklinik Bern
Genetik Je nach Kostengutsprache und Kanton des Patienten
Wenn Original-Sample
nicht gut war
Wenn weiterhin unklare Diagnose
27Primäiie riciimlDy
27Primäe cl
32
mit PCD \bandelt. Regelmässige mikrobiologi -
sc\be Proben aus den unteren Atemwegen –
alternativ via Rac\benabstric\b – sind obligato
-
risc\b; die Me\br\beit der PCD -Patienten ist mit
typisc\ben Erregern wie H. influenzae oder S.
aureus c\bronisc\b kolonisiert. Eine Eradikation
geling t in der Regel nic\bt und mus s auc\b nic\bt
angestrebt werden; pulmonale Exazerbationen
werden resistenzgerec\bt und frü\bzeitig be\ban
-
delt, um die Ausbildung von Bronc\biektasen
zu ver\bindern. Bei einem Nac\bweis von Prob
-
lemkeimen wie P. aeruginosa erfolgt jedoc\b
eine aggressive in\balative oder systemisc\be
Eradikationst\berapie. Eine multizentrisc\be EU-
geförderte Studie untersuc\bt derzeit die Wirk
-
samkeit einer prop\bylaktisc\ben Dauert\berapie
mit Azit\bromycin auf den Verlauf der Lun
-
generkrankung. In der nä\beren Zukunft wer -
den weitere Studien zur T\berapie der PCD
durc\bgefü\brt, damit ein evidenz-basierter
Be\bandlungsplan für PCD-Betroffene aufge
-
stellt werden kann 12 ). Von allgemeinpädiatri -
sc\ber Seite werden Impfungen (Pneumokok -
ken, jä\brlic\be Influenzaimpfung) und die
Kontrolle des Ernä\brungszustandes empfo\b
-
len, da Untergewic\bt mit sc\blec\bter Lungen -
funktion korreliert. Vitamin D ist oft tief und
sollte überwac\bt und allenfalls ergänzt wer
-
den. Im HNO-Bereic\b sind regelmässige Hör -
tests empfo\blen und bei c\bronisc\bem Pau -
kenerguss mit Mittelo\brsc\bwer\börigkeit
allenfalls temporär das Anpassen von Hörge
-
räten. Mit dem Einlegen von Paukenrö\brc\ben
sollte man se\br zurück\baltend sein, da man in
30 % im Ansc\bluss eine c\bronisc\be purulente
Otorr\boe beobac\btet.
Verlauf und Ausblick
Aktuelle Daten aus grossen Registerstudien
zeigen, dass Patienten mit PCD oft sc\bon in
der Kind\beit ein reduziertes Wac\bstum \baben,
welc\bes sic\b negativ auf die Lungenfunktion
auswirkt
15 ). Eine frü\be Diagnose und Betreu-
ung in spezialisierten Zentren trägt da\ber
wesentlic\b zu einer besseren Lungenfunktion
und einem längeren Überleben bei
15 ). Me\bre -
re laufende Studien zu versc\biedenen T\bera -
pien und die Identifizierung von zugrundelie -
genden Mutationen werden in na\ber Zukunft
weiter\bin zu einem besseren Verständnis und
zu neuen t\berapeutisc\ben Möglic\bkeiten bei -
tragen.
Referenzen
1) Nüßlein T, Brinkmann F, Ahrens P, Ebsen M, Jung A,
Kirchberger W, et al. Diagnostik der primären ziliä -
ren Dyskinesie. 2013.
2) Lucas JS, Barbato A, Collins SA, Goutaki M, Behan
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Korrespondenzadresse
p\bilipp.latzin @ insel.c\b
27Primäiie riciimlDy
27Primäe cl
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Loretta Müller , Pädiatrische Pneumologie, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital Bern, / Universität Bern Prof. Dr. med. Claudia Kuehni , Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern / Universitäts-Kinderklinik, Inselspital, Bern Stefan A. Tschanz , Institut für Anatomie, Universität Bern Andreas Jung , Pneumologie, Universitäts-Kinderspital Zürich Philipp Latzin , Pädiatrische Pneumologie, Universitätsklinik für Kinderheilkunde, Inselspital Bern, Universität Bern Dr. med. Carmen Casaulta , Inselspital Bern