Posteriore Urethralklappen (PUK) sind die häufigste Ursache einer angeborenen, distal der Harnblase liegenden Obstruktion. Die genaue Ätiologie ist nicht bekannt. Die Langzeitprognose hängt von Schwere der Obstruktion und den Auswirkungen auf Nieren- und Blasenfunktion ab, und reicht von intrauteriner Lebensunfähigkeit bis zu persistierender Inkontinenz im Erwachsenenalter und Niereninsuffizienz mehr oder weniger schwer. Um die Nierenfunktion zu erhalten und ein adäquates Sozialleben zu ermöglichen, muss die Betreuung dieser Kinder, insbesondere der Harnblasenprobleme, agressiv sein, verbunden mit einer engmaschigen Überwachung der Nierenfunktion. Dies bedeutet eine langfristige pluridisziplinäre Betreuung.
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Nachbetreuung ist deshalb unbedingt not –
wendig.
Diagnose
Wie bereits erwähnt, erlauben vor der Ge –
burt durchgeführte Sonographien die gros-
se Mehrzahl der Fälle zu diagnostizieren. In
der Folge muss man daran denken, dass die
mit PUK assoziierte Klinik von «leichter»
Beeinträchtigung mit relativ banalen Symp-
tomen (persitierende Harninkontinenz,
dribbling) 9), über rezidivierende Harn –
wegsinfekte bis zur terminalen Harninkon –
tinenz reichen kann 10). Die Diagnose PUK
muss demzufolge bei jeder darauf hinwei –
senden Symptomatik formell ausgeschlos –
sen werden.
Untersuchung der Wahl ist die Miktionszys –
turethrographie (MCUG), unbedingt unter
Einschluss der Miktionsphase ohne Sonde,
die das typische Bild mit Kalibersprung und
halbmondförmigem Kontrastmittelabbruch
zeigt (Abb. 1) . Das MCUG ermöglicht eben –
Zusammenfassung
Posteriore Urethralklappen (PUK) sind die
häufigste Ursache einer angeborenen, distal
der Harnblase liegenden Obstruktion. Die
genaue Ätiologie ist nicht bekannt. Die Lang –
zeitprognose hängt von Schwere der Obst –
ruktion und den Auswirkungen auf Nieren-
und Blasenfunktion ab, und reicht von
intrauteriner Lebensunfähigkeit bis zu per –
sistierender Inkontinenz im Erwachsenenal –
ter und Niereninsuffizienz mehr oder weni –
ger schwer. Um die Nierenfunktion zu
erhalten und ein adäquates Sozialleben zu
ermöglichen, muss die Betreuung dieser
Kinder, insbesondere der Harnblasenprob –
leme, agressiv sein, verbunden mit einer
engmaschigen Überwachung der Nieren –
funktion. Dies bedeutet eine langfristige
pluridisziplinäre Betreuung.
Einführung
Die Inzidenz der PUK wird auf 1 : 4000 bis
1 : 8000 männliche Geburten geschätzt,
und ist mit Sicherheit noch höher, zählt
man nicht lebensfähige Föten und Fehlge –
burten sowie Erwachsene mit ein, die sich
erst spät über Miktionsbeschwerden be –
schweren. Sie stellen 63% der angeborenen
infravesikalen Abflusshindernisse dar 1). Ihre
Ätiologie ist weiterhin unbekannt, wahr –
scheinlich durch eine ungünstig gelegene
Mündung der Wolff ’schen Kanäle in die
Urethra 2) bedingt. Das bessere Verständnis
ihrer Pathophysiologie führte zu einer Än –
derung der Klassifizierung der PUK. Von der
klassischen Beschreibung von Young auf
die klinisch tauglichere Benennung Conge –
nital Obstructing Posterior Urethral Memb –
rane (COPUM) 3). Sie werden im Allgemeinen
in utero entdeckt: 50% bei der Routineso –
nographie im zweiten Trimenon und 80%
sind nach der 28. Woche Amenorrhoe be –
kannt 4). Die vorgebur tliche Erkennung
hängt jedoch von Anzahl und Qualität der
durchgeführ ten Sonographien ab. Eine
nicht unbedeutende Anzahl Patienten wer –
den erst später diagnostiziert, meist auf
Grund von rezidivierenden Harnwegsinfek –
ten oder Inkontinenz 5). Dank der Fortschrit –
te der antenatalen Diagnostik und der
besseren Betreuung der Kinder sank die
Sterblichkeit in den 1960er Jahren um 50% 6)
und auf heute unter 5% 7). Diese günstige
Entwicklung hat leider zur Folge, dass eine
zunehmende Zahl Knaben den Spätfolgen
der mit dieser Diagnose eng verbundenen
Blasendysfunktion ausgesetzt sind 8). Diese
führt einerseits zu Nierenfunktionsstörun –
gen und andererseits zu Harninkontinenz,
mit all ihren schweren sozialen Auswirkun –
gen. Eine engmaschige pluridisziplinäre
Posteriore Urethralklappen
Jacques Birraux*, Christophe Gapany*, Paloma Parvex**, GenfÜbersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux -de-Fonds
* Ser vice de chirurgie pédiatrique. ** Unité romande de néphrologie pédiatrique, Hôpital des Enfants, Hôpitaux Universitaires de Genève, Rue Willy -Donzé 6, 1211 Genève 14.
Abb. 1: Miktionszystourethrographie: Pseudodivertikel der Harnblase, Hypertrophie des
Blasenhalses (hohler Pfeil), Ausweitung der posterioren Urethra und charakteristisches
Bild der PUK (voller Pfeil). Der oft assoziierte vesikoureterale Reflux fehlt hier.
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werden; die bei diesen Patienten häufige
tubuläre Insuffizienz führt zu einer vermin –
derten Konzentrationsfähigkeit des Urins,
die durch vermehrte Flüssigkeitsaufnahme
kompensiert wird, was wiederum zur Bla –
sendysfunktion beiträgt.
Medizinisch-chirurgische
Betreuung
Die vorgeburtliche Behandlung wird durch
verschiedene Faktoren eingeschränkt: 20%
der Fälle werden nicht diagnostiziert; es
gibt keine zuverlässige fötale Urinwerte, die
zur Indikationsstellung für einen chirurgi –
schen Eingriff beitragen könnten; und vor
allem wurde nachgewiesen, dass die an –
tenatale Blasendrainage wohl die perinata –
len Überlebenschancen, aber nicht die
Langzeitprognose verbessert 4).
Im Prinzip kommt der Knabe gleich nach
der Geburt in ärztliche Behandlung. Die
Diagnose wird möglichst bald durch ein
MCUG bestätigt, wobei eine transurethrale
(oder suprapubische) Sonde gelegt wird. Es
muss auf Kompensation der mehrere Tage
dauernden sturmartigen Diurese, bedingt
durch das Aufheben der Obstruktion, ge –
achtet werden. Anschliessend kann die
endoskopische Klappenresektion durchge –
führt werden. In einigen speziellen Fällen
(Frühgeborene, Urosepsis) muss diese auf –
geschoben werden. Die oberen Harnwege
müssen in diesem Fall durch eine Harnab –
leitung entlastet werden. Da die Blase das
hauptsächlichste funktionelle Hindernis für
falls, die Form von Blase und Blasenhals
sowie den sekundären vesikoureteralen
Reflux zu erfassen. Es ist illusorisch, diesen
korrigieren zu wollen, solange das infrave –
sikale Hindernis nicht behoben wurde. Die
radiologische Abklärung wird ergänzt durch
eine Nierensonographie zur Darstellung der
Nierenmorphologie und Abschätzung einer
möglichen Dilatation der oberen Harnwege,
und durch eine Nierenszintigraphie zur Er –
fassung eventueller Narben. Der venöse
Zugang für die Szintigraphie wird dazu be –
nutzt, die Nierenfunktion labormässig zu
überprüfen.
Auswirkungen auf die
Blasenfunktion
Die Auswirkungen der PUK auf die Harnbla –
se machen sich frühzeitig bemerkbar, da
dieses Organ sich schon intrauterin gegen
ein Hindernis entwickeln muss, das Über –
druck erzeugt. Es kommt zur Hypertrophie,
dann Detrusorfibrose und schliesslich voll –
ständiger Blasendysfunktion. Eine Studie
mit einer historischen Serie von Patienten
mit ausgeprägten PUK führte 1986 zum
Begriff «Syndrom der Urethralklappenbla –
se», ein Begriff, der in der Folge ausführlich
übernommen und entwickelt wurde 11 ). Es ist
heute klar bewiesen, dass, welches auch
immer der scheinbare Erfolg der Klappen –
resektion zum Zeitpunkt der Diagnosestel –
lung ist, die Folgen der Obstruktion durch
die antenatal bestehenden PUK über lange
Zeit und bis ins Erwachsenenalter anhal –
ten 12). Diese Blasen müssen also unter Be –
rücksichtigung des urodynamischen und
klinischen Verlaufes (Infekte, Verschlechte –
rung der Nierenfunktion) betreut werden,
um deren Compliance, funktionelle Drucke
und Entleerung zu verbessern, zum Schutze
der Nieren oder, falls die Niereninsuffizienz
irreversibel ist, um die Blase auf eine Nie –
rentransplantation vorzubereiten.
Auswirkungen auf die
Nierenfunktion
PUK sind die häufigste Ursache einer termi –
nalen Niereninsuffizienz im Kindesalter 13).
Die Inzidenz Neugeborener mit PUK hat im
Verlaufe der letzten 20 Jahre deutlich zuge –
nommen, z. T. dank der Fortschritte der
antenatalen Sonographie. Vom Ausmass
der Obstruktion hängt die Langzeitprogno –
se für Blase und Nieren ab. Die Zunahme
des Blasendruckes überträgt sich auf das
Nierenbecken und führt zur Erweiterung
der Tubuli und zu einer Reihe von sekundär –
en zellulären Ereignissen; interstitielle Fib –
rose und glomeruläre Sklerose bedingen
eine Abnahme der Anzahl Nephrone 14). Der
progressive Verlauf bis zur terminalen Nie –
reninsuffizienz beim Knaben variiert, je
nach Statistik, von 13 bis 20% 14), 15). Sie tritt
im Allgemeinen im Alter von 11 bis 15 Jah –
ren auf, was mit dem Eintritt der Pubertät
zusammenfällt 14). Sanna -Cherchi et al. 13)
verfolgten über 20 Jahre 312 Patienten bei
denen im Kindesalter eine kongenitale Nie –
renerkrankung diagnostiziert wurde, wovon
68 Knaben mit PUK (20%). 58 dieser Patien –
ten entwickelten früh eine terminale Nie –
reninsuffizienz, die vor dem Alter von 30
Jahren eine Dialyse notwendig machte. Fast
die Hälfte (45%) litt an PUK. Abb. 2 veran –
schaulicht die Wahrscheinlichkeit, vor dem
Alter von 30 Jahren keine Dialyse zu benö –
tigen, in Abhängigkeit von der Art der kon –
genitalen Nierenkrankheit.
Eine schlechte Prognose bedingen: Die
Schwere der Niereninsuffizienz bei Diagno –
sestellung; hochgradiger vesikoureteraler
Reflux; persistierende Blasendysfunktion;
das Vorhandensein einer Proteinurie 13), 14).
Um das Fortschreiten der Niereninsuffizi –
enz zu bremsen, muss durch optimale Be –
handlung der Blasendysfunktion unbedingt
der intrarenale Druck vermindert und bei
Patienten mit schwerem Reflux das Auftre –
ten von Parenchymnarben vermieden wer –
den. Die glomeruläre und tubuläre Nieren –
funktion muss engmaschig über wacht
Abb. 2 13): Wahrscheinlichkeit dialysefrei zu überleben, eingeteilt nach angeborener Nieren –
missbildung, berichtigt nach dem Bestehen eines vesikoureteralen Refluxes, dem zeitli –
chem Verlauf des Serumkreatinins und dem Vorhandensein oder nicht einer Proteinurie
(≥ 1G/Tag).
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den Harnabfluss darstellt, wird man im
Allgemeinen die chirurgische nicht konti –
nente Vesikostomie vorziehen.
Das Kind wird anschliessend klinisch und
labormässig überwacht, urodynamische Un –
tersuchungen werden das weitere urologi –
sche Vorgehen lenken. Um den Blasendruck
unter der nierenschädigenden Schwelle zu
halten, wird die Compliance zuerst durch
Anticholinergika wie Oxybutinin (Ditropan ®)
und, je nach Bedarf, durch regelmässige In –
jektionen von Botulinustoxin (Botox ®) in den
Detrusor oder chirurgische Blasenvergrös-
serung (Enterozystoplastie) erhalten. Diese
Massnahmen wirken sich auch günstig auf
die Reservoirfunktion der Blase und damit
die Dauer des Trockenseins aus, was für eine
zufriedenstellende soziale Eingliederung von
Bedeutung ist. Schliesslich ist eine optimale
Entleerung der Blase wichtig, um restharn –
bedingte Harnwegsinfekte zu vermeiden.
Dazu dienen folgende Massnahmen, in Rei –
henfolge zunehmender Komplexität: Strenge
Miktionsdisziplin, Verdoppelung der Blasen –
entleerungen, !-Blocker und schliesslich
aseptischer intermittierender Katheteris –
mus. Da die Urethra dieser Knaben sehr
sensibel ist, wird dies im Allgemeinen mit –
tels einer kontinenten Mitrofanoff -Vesikos –
tomie durchgeführt.
Dieser Behandlungsmodus mag belastend
erscheinen, doch die immer noch düstere
Prognose dieser Kinder macht dies erfor –
derlich. In einer kürzlichen Multivariatestu –
die zur Bestimmung von prognostischen
Langzeitfaktoren erwies sich der Tiefstwert
des Serumkreatinins als einziges unabhän –
giges prädiktives Element 14). Doch selbst in
der Gruppe der «günstigen Prognosen»
entwickelten 22% der Kinder eine Nierenin –
suffizienz, was die Bedeutung der langfris –
tigen Überwachung unterstreicht.
Schlussfolgerungen
Bei den posterioren Urethralklappen han –
delt es sich um eine komplexe Diagnose mit
lebenslänglichen Auswirkungen. Die Be –
treuung dieser Kinder soll deshalb durch
er fahrene pluridisziplinäre pädiatrische
Teams (Kinderärzte, Kinderchirurgen, -ne-
phrologen und -psychiater, Physiotherapeu –
ten) durchgeführt werden. Der Mangel an
wissenschaftlichen Daten und der Wunsch,
die Prognose dieser Kinder zu verbessern,
hat die Schweizerische Gesellschaft für
pädiatrische Urologie (SwissPU) dazu be –
wogen, ein longitudinales schweizerisches
Register zur Erfassung der neuen Fälle zu
schaffen.
Es bestehen keine Interessenkonflikte der
Autoren im Zusammenhang mit diesem Text.
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Korrespondenzadresse
Dr Jacques Birraux
Service de chirurgie pédiatrique
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1211 Genève 14
Tél. +41 22 382 45 08
Fax +41 22 382 54 97
Jacques.birraux@hcuge.ch
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. Jacques Birraux , Responsable de l’urologie pédiatrique Service de chirurgie pédiatrique Hôpital des Enfants Christophe Gapany Paloma Parvex , Unité romande de néphrologie pédiatrique, Hôpitaux universitaires de Genève Andreas Nydegger