Jährlich sterben in der Schweiz 400 bis 500 Kinder im Alter zwischen 0 und 18 Jahren. Etwa die Hälfte von ihnen stirbt im ersten Lebensjahr. Krankheitsbedingte Todesfälle jenseits des ersten Lebensjahres treten aufgrund unheilbarer, häufig sehr seltener Erkrankungen auf. Neurologische Diagnosen stehen im Vordergrund, gefolgt von Krebs und Herzerkrankungen. Ein bedeutender Teil von Todesfällen bei Kindern ab 2 Jahren geht auf Unfälle zurück.
29
der Gruppe herzkranker Kinder bei 58%). Im
Mit tel w ur den in der let z ten Leb enswoche pro
Patient 12 Medikamente und eine hohe Zahl
vielfältiger Symptome (im Durchschnitt 6.4)
dokumentiert. Neben Schmerzen als häufigs-
tem Symptom (bei 78% der Patienten) wurde
eine Vielzahl anderer Symptome wie z. B.
Dyspnoe, Unruhe oder Reizbarkeit in den Pa –
tientenakten beschrieben. Bei den auf einer
Intensivabteilung verstorbenen Kindern ge –
schah dies meist nach der aktiven Entschei –
dung, lebenserhaltende Massnahmen abzu –
brechen (84%). Das bedeutet auch, dass ein
erhofftes Ziel mit diesen Massnahmen nicht
zu erreichen war.
Auch in der Befragung von Fachpersonen
wurde diese Komplexität der Betreuung deut –
lich, wie das folgende Zitat aus einem Fokus –
gruppeninterview zeigt:
«Für mich ist die schwierigste Zeit die, wenn
die Behandlungsziele neu definiert werden
müssen. Es ist dieser Moment, in dem wir als
Pflegende oder Ärzte uns sagen, es gibt ein
Leiden. … Wenn die Entscheidung im Team
getroffen wurde, ist es wieder viel leichter.»
Bedürfnisse von Eltern
Aus den Studienergebnissen lassen sich Be –
dürfnisse von Eltern unter dem Begriff der
familienorientierten Betreuung zusammenfas –
sen
2). Dazu gehören insbesondere:
•
Au
fbau einer Beziehung zwischen Behand-
lungsteam und Kind/Familie
Di
eser B eziehungsasp ek t ist nicht nur b ei
den Eltern, sondern auch bei den befrag –
ten Fachpersonen herausgestochen.
•
Of
fene und ehrliche Kommunikation
El
tern wollen nicht geschont werden, sie
wollen wissen, wie es um ihr Kind steht
und womit sie rechnen müssen.
•
Gem
einsame Entscheidungsfindung
Ein
wichtiger Teilaspekt der Kommunika –
tion ist, als Mutter oder Vater in der Be-
urteilung des Kindes ernst genommen
und in der Entscheidungsfindung aktiv
beteiligt zu werden.
•
Li
nderung von Symptomen und Beschwer –
den
Das
Leiden des Kindes am Lebensende
pr äg t sich b ei Elter n ein. Es b esteht auch
das Bedürfnis zu erfahren, wie das Ster –
ben aussieht und was zu erwarten ist.
Hintergrund
Jährlich sterben in der Schweiz 400 bis 500
Kinder im Alter zwischen 0 und 18 Jahren.
Etwa die Hälfte von ihnen stirbt im ersten
Lebensjahr. Krankheitsbedingte Todesfälle
jenseits des ersten Lebensjahres treten auf –
grund unheilbarer, häufig sehr seltener Er –
krankungen auf. Neurologische Diagnosen
stehen im Vordergrund, gefolgt von Krebs-
und Herzerkrankungen. Ein bedeutender Teil
von Todesfällen bei Kindern ab 2 Jahren geht
auf Unfälle zurück.
Die Entwicklung von Palliative Care in der
Schweiz hat seit Inkrafttreten der Nationalen
Strategie Palliative Care (2010 -2012 und
2013-2015) den Bereich der Pädiatrie und die
spezifischen Bedürfnisse dieser Patienten
noch zu wenig berücksichtigt. Für Kinder gibt
es bisher nur an zwei Universitäts- Kinderspi –
tälern (Lausanne und Zürich) und einer A-
K linik ( St . G allen ) ein klar definier tes A ngeb ot
zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen,
die von einer palliativen Betreuung profitieren
können.
Um die Situation sterbender Kinder in der
Schweiz systematisch zu erfassen, wurde die
hier kurz vorgestellte PELICAN-Studie (2012
– 2015) konzipiert
1). Das Ziel der Studie war,
den heutigen Stand der Betreuung zu erfas –
sen und daraus Empfehlungen abzuleiten, wie
Bedürfnissen dieser Kinder, deren Familien
und der beteiligten Fachpersonen in Zukunft
am besten entsprochen werden kann.
Ausgewählte Ergebnisse aus der
PELICAN-Studie
Für die PELICAN-Studie wurden in der gesam –
ten Schweiz alle Familien kontaktiert, die
2011 und 2012 ein K ind an einer der 3 häu figs –
ten krankheitsbedingten Todesursachen oder
während der ersten 4 Lebenswochen verlo -ren. Von 307 eingeladenen Familien nahmen
149 an der Studie teil. Die grösste Gruppe
bildeten mit 38 % (n = 57) die Neugeborenen,
an zweiter Stelle standen Kinder, die infolge
einer Krebserkrankung (25%; n =37) verstarb
–
en, an dritter Stelle Kinder mit neurologischen
(24% ; n =36) und an vierter Stelle Kinder mit
kardialen Erkrankungen (13 % ; n =19).
Wo Kinder in der Schweiz sterben
(Abbildung 1)
•
We
niger als eines von 5 Kindern starb zu
Hause.
•
Vo
n den Kindern, die im Spital betreut wur-
den, starben 4 von 5 auf der Intensivstati –
on.
•
B e
i 4 von 5 K inder n, die au f der Intensi vst a
–
tion starben, wurde die Entscheidung ge –
troffen, lebenserhaltende Massnahmen
einzustellen.
Im Vergleich zu internationalen Daten sterben
in der Schweiz sehr viel mehr Kinder in Spitä –
lern und dort v. a. auf den Intensivstationen.
Diese Zahlen werden durch den hohen Anteil
Neugeborener beeinflusst, aber die Abbildung
1 veranschaulicht, dass auch Kinder mit on –
kologischen und neurologischen Krankheiten
im Spital verstarben. Nur 17% der einge-
schlossenen Kinder starben zu Hause.
Worunter Kinder am Lebensende leiden und
wie sie sterben
Das Lebensende, in der PELICAN-Studie defi –
niert als die letzten 4 Lebenswochen, gestal –
tet sich bei Kindern komplex, was sich aus
den Krankengeschichten über die vielen me –
dizinischen Interventionen, Medikamente und
Symptome ableiten liess. Bei einem Drittel
aller Kinder erfolgten in den letzten 4 Lebens –
wochen in Narkose durchgeführte Eingriffe (in
Paediatric End-of-Life Care Needs in
Switzerland (PELICAN Studie 2012-2015)
Wie Kinder in der Schweiz sterben
Eva Bergsträsser 1, Karin Zimmermann 1,2, Katrin Marfurt 3, Katri Eskola 4, Patricia Luck 1,
Anne-Sylvie Ramelet 5, Patricia Fahrni-Nater 6, Eva Cignacco 2,7
1 Kompetenzzentrum Pädiatrische Palliative Care, Universitäts-Kinderspital Zürich, Steinwiesstr. 75, 8032 Zürich 2 Pflegewissenschaft, Department Public Health, Medizinische Fakultät, Universität Basel, Bernoullistrasse 28, 4056 Basel3 Pflegedienst, Pflegeentwicklung, Ostschweizer Kinderspital, Claudiusstr. 6, 9000 St. Gallen 4 Pflegeentwicklung, Kinderklinik Stadtspital Triemli, Birmensdorferstr. 497, 8063 Zürich5 Institut universitaire de formation et de recherche en soins, Rte de la Corniche 10, 1010 Lausanne6 Equipe pédiatrique cantonale de soins palliatifs et de soutien DMCP- CHUV, Rue du Bugnon 21, 1011 Lausanne7 Berner Fachhochschule, Fachbereich Gesundheit, Bereich Forschung und Entwicklung Disziplin Geburtshilfe, Murtenstr. 10, 3008 Bern
1Prof. ffMBofiff.anc
1Prof. MBia
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einer palliativen Betreuung profitieren kön-
nen, auf 32/10
00
0 Kinder und Jugendliche
(0–19 J.) geschätzt
4). In der Schweiz ent –
spricht dies bei ca. 8 Mio. Einwohnern und
einem Anteil von 20 % Kindern (0–19 J.) etwa
5000 Kindern und Jugendlichen.
Für den weiteren Aufbau und die Integration
der PP C in der Schweiz sind unter B er ücksich –
tigung begrenzter Ressourcen und des ge –
schätzten Bedarfs innovative Versorgungs –
strukturen anzustreben, die nach dem Modell
eines Netzes mit Kompetenzzentren funktio –
nieren könnten. Kompetenzzentren wären
dabei beispielsweise in den fünf Universitäts-
Kinderspitälern und im Ostschweizer Kinder –
spital St. Gallen anzusiedeln, wobei je nach
Interesse und lokalem Potenzial auch andere
nicht-universitäre Zentren denkbar wären.
Diese Kompetenzzentren wären nach dem
Modell des Universitäts-Kinderspitals Zürich
aufzubauen, die einen spezialisierten, inter –
professionellen Konsultationsservice inner –
halb und ausserhalb des Spitals anbieten und
die Vernetzung in die Peripherie ermöglichen.
Prinzipiell ist für die Betreuung von Kindern
vom Bund eine spezialisierte Palliative Care
vorgesehen
5).
International setzen sich für die PPC konsul –
tative Serviceangebote durch
6). Das bedeutet,
dass v. a. spitalintern der Lead bei den medi –
zinischen Subspezialitäten verbleibt. Spitalex-
tern übernehmen PPC-Teams z. T. eine koor-
dinierende Funktion und optimieren die
•
Ko
ordination und Kontinuität der Betreuung
El
tern haben dafür eine hohe Sensibilität,
v. a. in einer bedrohlichen Situation. Die
Erfahrungswerte lagen in diesem Bereich
in allen Diagnosegruppen am tiefsten,
d.
h.
häufig auch mit negativen Erfahrun-
gen
2).
•
Tr
auerbegleitung
Ange
bote hierfür werden als ungenügend
eingestuft.
Eltern, die ihr Kind am Lebensende vorwie-
gend zu Hause betreuten, berichteten von
ihrer Zufriedenheit darüber, dies ihrem Kind
ermöglicht zu haben. Daneben waren die
Schwierigkeiten und negativen Folgen aus
dieser intensiven Betreuung jedoch beacht –
lich
3). Im Vergleich zur Gesamtpopulation der
Studie beklagten sie mehr gesundheitliche
Probleme (59% versus 41%) und deutliche
Zeichen einer Erschöpfung. Unterstützung
wünschten sie sich v. a. für Alltagsbelange.
Hier muss wahrscheinlich berücksichtigt wer –
den, dass die letzten 4 Lebenswochen im
Vordergrund standen. In der Langzeitbetreu –
ung eines Kindes kommt der pflegerischen
Betreuung des Kindes durch die ambulanten
Kinderkrankenpflegedienste (Kinderspitex)
wahrscheinlich ein grösseres Gewicht zu.
Perspektive von Fachpersonen
In sechs interprofessionell zusammengesetz –
ten Fokusgruppeninterviews wurden 48 Fach –
personen befragt. Diese hatten in der Regel
keine spezifische Weiterbildung für Pädiatri –
sche Palliative Care (PPC) und kamen nicht
aus den oben erwähnten PPC-Teams (Zürich,
Lausanne, St. Gallen). Die befragten Fachper –
sonen sprachen sich klar dafür aus, dass die
Betreuung sterbender Kinder zu ihrem Aufga –
benbereich gehört. Neben dem Wunsch, in
diese Betreuung involviert zu bleiben, wurde
das Fehlen und die Notwendigkeit von spezi-
fischen Betreuungsstrukturen für diese Pati –
enten und deren Familien beschrieben. Mit
Blick auf die eigene (nicht spezialisierte) Tä-
tigkeit am Lebenesende eines Kindes wurden
drei Betreuungsaspekte hervorgehoben:
•
K l
ar heit und Einigkeit in B ezug au f die dur ch –
zuführende Therapie und die Betreuung.
•
Kl
are Zuständigkeiten (in Bezug auf Fach-
personen und Disziplinen)
Är
ztliche Ansprechperson mit PPC Kom –
petenzen.
Gu
te Koordination v. a. bei Transition ins
häusliche Betreuungssetting.
•
Ad
vance Care Planning. Um diesen Betreuungsaspekten in Zukunft –
auch neben spezialisierten PPC-Angeboten –
besser gerecht zu werden, wünschten sich die
befragten Fachpersonen:
•
Me
hr Aus-, Weiter- und Fortbildungsmög-
lichkeiten
In
sbesondere für Gesprächsführung,
Übermittlung schlechter Nachrichten.
•
Un
terstützung durch spezialisierte PPC-
Team s .
•
Hil
festellung für Teamkonflikte und geregel
–
te Unterstützung der Betreuungsteams.
•
Ko
nzepte und Richtlinien für PPC.
Empfehlungen für die Weiterent-
wicklung der Pädiatrischen Palliati-
ve Care in der Schweiz
Im Kontext der Empfehlungen ist zu betonen,
dass die Anzahl der Todesfälle keinen Rück-
schluss auf die Anzahl der Kinder zulässt, die
von einer palliativen Begleitung profitieren
können. Viele Krankheiten verlaufen über
Jahre und diese z. T. schwerst betroffenen
Kinder haben einen hohen Pflege- und Betreu-
ungsbedarf mit häufigen krisenhaften Situati
–
onen und wiederholten Hospitalisationen.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass neben
dem erkrankten Kind Familienangehörige,
insbesondere Eltern und Geschwister, in ho –
hem Mas s von der K r ankheit und den B egleit –
umständen betroffen sind. International wird
die Prävalenz für Kinder und Jugendliche mit
lebenslimitierenden Erkrankungen, die von
Ort des Versterbens*PICU, Paediatric Intensive Care Unit; NICU, Neonatal Intensive Care Unit
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1Prof. MBia
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Übergänge zwischen Spital, zu Hause und/
oder Langzeitinstitutionen. Selten werden
stationäre Einheiten angeboten, da die Hete-
rogenität des Patientenkollektivs zu gross ist.
Die Kompetenzzentren würden eng mit den
ambulant bereits zur Verfügung stehenden
Strukturen (Grundversorgung mit Kinder- und
Hausärzten) und Angeboten, insbesondere
ambulante Kinderkrankenpflege (Kinderspi –
tex), zusammenarbeiten. Auf dieser Grundla –
ge könnten mobile Teams aus den jeweiligen
Kompetenzzentren und den bestehenden,
v.
a.
ambulanten Strukturen aufgebaut und
mit hoher Flexibilität dem Versorgungsan –
spruch gerecht werden.
Neben den medizinischen und pflegerischen
Versorgungsstrukturen sollten Entlastungsan-
gebote für Familien mit schwerkranken Kin-
dern angedacht, in Pilotprojekten evaluiert
und mit klaren Indikationskriterien und hoher
Flexibilität implementiert werden.
Somit sollten langfristig in sämtlichen Regio –
nen der Schweiz PPC-Angebote für alle Kinder
und Familien, die diese benötigen, zur Verfü –
gung stehen.
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Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Eva Bergsträsser
Kompetenzzentrum Pädiatrische
Palliative Care
Universitäts-Kinderspital Zürich
Eleonorenstiftung
Steinwiesstr. 75
8032 Zürich
eva.bergstraesser@ kispi.uzh.ch
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Weitere Informationen
Korrespondenz:
Autoren/Autorinnen
E. Bergsträsser K. Zimmermann K. Marfurt K. Eskola P. Luck A-S Ramelet P. Fahrni-Nater E. Cignac