Ein Neugeborenen-Screening auf verschiedene angeborene Stoffwechsel-Krankheiten besteht in der Schweiz bereits seit über 40 Jahren und wird landläufig auch «Guthrie- Test» genannt. Dabei wird am 4. Lebenstag bei jedem Neugeborenen in der Schweiz etwas Blut an der Ferse abgenommen und auf einem Filterpapier getrocknet. Seit Herbst 2005 wird dies zentral im Neugeborenen- Screening-Labor an der Universitätskinderklinik Zürich verarbeitet. Bis anhin wurde auf sechs behandelbare Krankheiten getestet; neu kommt ab 1. Januar 2011 die Cystische Fibrose hinzu.
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38
Vol. 21 No. 5 2\b1\b
europäische Richtlinien, wie solche Pro
gra\b\be aufgebaut, u\bge
setzt
und erfolg
reich geführt werden können
6) 7).
Welche Nutzen bringt ei\.n
CF-
Screening?
Bis vor 10 Jahren gab es keine kontrollierten
Studien, die einen grossen Vorteil einer früh
zeitigen CF
Diagnose
durch ein Screening
zeigten. In den letzten Jahren wurden aber
zahl
reic
he Studien veröffentlicht, die bei
frühzeitiger Diagnosestellung eine verbes
serte Ernäh
rung
und besseres Wachstu\b,
eine bessere Hirnentwicklung (infolge ad
äquat substituierte\b Vita\bin E) sowie we
niger Erkrankungen bzw. Spitalaufenthalte
und teilweise auch eine verbesserte Lungen
funktion zeigten
1) 8). Einige Studien konnten
auch eine erhöhte Überlebens
zeit
nach
weisen. Alle Screening
Progra\b\be
weisen
auf den grossen psycho
logisc
hen Vorteil
hin, die Leidenszeit bis zur Diagnose bzw.
die Ungewissheit der Eltern zu verkürzen.
Ausserde\b er\böglicht die frühzeitige Diag
nose eine bewusstere Fa\bilienplanung \bit
der Möglichkeit einer pränatalen Diagnostik
bei weitere\b Kinder\wwunsch
4).
Gibt es auch Nachteile?
Wie bei jede\b Screening T est gibt es falsch
positive
und falsch
negative
Resultate. Die
falsch
positiven
Resultate werden \bit de\b
bei uns eingeführten zweistufigen Verfahren
(siehe Abb. 1) \bög
lic
hst klein gehalten, wo
bei eine opti\bale Balance angestrebt wurde,
u\b \böglichst viele Kinder \bit CF frühzeitig
zu erfassen (=
gute
Sensitivität), dabei aber
\böglichst nur diejenigen zu erfassen, die
auch wirklich eine CF \bit entsprechen
den Sy\bpto\ben entwickeln (=
gute
Spe
zifität). Der Schweisstest gibt letztendlich
Auf
sc
hluss über das Vorhandensein einer
CF \bit relevanten Sy\bpto\ben (klassische
CF). Die Zeit bis zu diese\b Test wird von
den Eltern unter
s
chiedlich wahrgeno\b\ben.
Die falsch
negativen
Resultate, das heisst
die
jenigen,
die eine CF haben, aber i\b
Screening
T
est nicht erfasst werden, werden
in den USA auf ca. 2–4% geschätzt
4). Dies
hängt hauptsächlich davon ab, nach wie
vielen ver
sc
hiedenen von den heute über
1600 bekannten CF
Gen\butationen
bei\b
CF
N
GS gesucht wird. Das bedeutet aber
auch, dass auch in Zukunft bei entsprechen
der klinischer Sy\bpto
\batik
i\b\ber an eine
CF gedacht wer
den
\buss, denn auch das
Ein Neugeborenen
Screening
auf verschie
dene angeborene Stoffwechsel
K
rankheiten
besteht in der Schweiz bereits seit über 40
Jahren und wird landläufig auch «Guthrie
T
est» genannt. Dabei wird a\b 4. Lebenstag
bei jede\b Neugeborenen in der Schweiz et
was Blut an der Ferse abgeno\b\ben und auf
eine\b Filterpapier getrocknet. Seit Herbst
2005 wird dies zentral i\b Neugeborenen
Screening Labor
an der Universitätskinder\w
klinik Zürich verarbeitet. Bis anhin wurde auf
sechs behandelbare Krankheiten getestet;
neu ko\b\bt ab 1. Januar 2011 die Cystische
Fibrose hinzu (vgl. Tab. 1).
Die Cystische Fibrose (CF) ist die häufigs
te angeborene Stoffwechselerkrankung in
der Schweiz \bit einer Inzidenz von etwa
1
: 2
500, das heisst die CF ko\b\bt häufi
g
er
vor, als alle bisher getesteten Krankheiten.
Mit Ausnah\be des Mekoniu\bileus hat
auch die CF ein sy\bpto\bfreies Intervall
un\bittelbar nach der Geburt. Die Diagnose
wurde bisher klinisch auf
g
rund der später
auftretenden Sy\bpto\be (rezidivierender
Husten bzw. obstruktive Bronchitis, Ge
deihstörung, Fettstühle, chronische Bauch
sch\berzen, chronische Rhinosinusitis bzw.
Nasen
p
olypen usw.) \bit einer Verzöge
r
ung von \behreren Monaten, teilweise auch
Jahren gestellt. In den letzten Jahren haben
sich die Therapie
\b
öglich
k
eiten deutlich
ver
b
essert und die Lebenserwartung hat
in den letzten Jahrzehnten dra\batisch zu
geno\b\ben. Ge\bäss de\b a\berikanischen
CF
P
atienten
R
egister beträgt heute das
\bediane Durch
s
chnitts
a
lter bereits knapp
40 Jahre und in England schätzt \ban das
\bittlere Überlebensalter auf 50 Jahre für
diejenigen Patienten, die i\b 21. Jahrhun
dert geboren sind
1).
Seit 1979 gibt es \bit de\b i\b\bunreakti
ven Trypsin (IRT) eine einfache und recht
zuverlässige Analyse\bethode für das CF
Screening
i\b Blut, die bei Neugeborenen
gut angewandt werden kann
2). Die ersten
grossen CF
Screening
Progra\b\be wurden
bereits 1981 in Neuseeland und Australien
begonnen
3). Heute gibt es ein CF Neugebo
renen
Screening
(CF
N
GS) in allen Staaten
der USA sowie in zahlreichen europäischen
Ländern wie England, Irland, Schottland,
Frankreich, Österreich und Polen sowie in
vielen Regionen in Italien und Spanien
4) 5).
Inzwischen gibt es auch a\berikanische und
Neugeborenen-Screening auf Cysti\tsche
Fibrose – ab 1\b Januar 2011 auch in der
Schweiz
Mitteilung der Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrische
P
neu\bologie (SGPP)
Jürg Barben 1), Toni Torresani 2), Martin H. Schöni 3), Sabina Gallati 4), Matthias Bau\bgartner 5) und
task force CF
N
eugeborenen
S
creening*
1) P räsident Swiss Working Group for Cystic Fibrosis (SWG CF), Sekretär Schweizerische Gesellschaft für Pädiatri
sche Pneu\bologie (SGPP), Leitender Arzt Pneu\bologie/
Allergologie, Ostschweizer Kinderspital St. Gallen
2)
L
eiter Neugeborenen Screening Schweiz und Protein
hor\bonlabor Endokrinologie, Universitäts
K
inderklini
ken Zürich
3)
C
hefarzt a\bbulante Pädiatrie, Universitäts
K
inderkli
nik Bern
4)
L
eiterin Abteilung Hu\bangenetik, Medizinische
U
niversitäts
K
inderklinik Bern
5)
L
eiter Abteilung Stoffwechsel und Molekulare Pädiat
rie, Universitäts
K
inderkliniken Zürich
*
W
eitere Mitglieder: Car\ben Casaulta (Bern), Anne
Mornand (Genf), Ralph Fingerhut (Zürich), Gaudenz
Hafen (Lausanne), Alexander Möller (Zürich), Nicolas
Rega\bey (Bern)
• Phenylketonurie (PKU)
•
G
alactosä\bie (Transferase
,
Kinase
,
E
pi\berase
M
angel)
•
B
iotinidase
M
angel
•
M
CADD (Mediu\b Chain Acyl
C
oA
De
hydrogenase Mangel)
•
K
ongenitaler Hypothyroidis\bus
•
K
ongenitales Adrenogenitales Syndro\b
•
N
eu: Cystische Fibrose (CF)
Tabelle 1: Aktuell gescreente Krankheiten
i\b Schweizer Neugeborenen
S
creening
Progra\b\b
39
F o r t b i l d u n g / F o r m a t i o n c o n t i n u e Vol. 21 No. 5 2\b1\b
Trägertu\bs bzw. des Vorliegens einer \bilden
atypischen CF
V
ariante aufgeklärt. Allen
Eltern wird eine ausführliche genetische
Beratung betreffend CF
T
rägertu\b an einer
der offiziellen genetischen Beratungsstellen
in der Schweiz angeboten und erhalten ein
Merkblatt dazu. Der betreuende Kinderarzt
oder Hausarzt wird – i\b Einverständnis
der Eltern – de\bentsprechend infor\biert
werden, da\bit er bei allfällig später auftre
tenden Sy\bpto\ben auch adäquate Abklä
rungen \bachen kann.
Das jetzige Pilotprojekt ist vo\b Bundesa\bt
für Gesundheit (BAG) für 2 Jahre bewilligt.
Bei erfolgreicher Durchführung werden wir
bei\b BAG frühzeitig eine reguläre Aufnah\be
der CF ins NGS beantragen, u\b eine kon
tinuierliche Fortsetzung zu gewähr\wleisten.
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Korrespondenzadresse
PD Dr. \bed. Jürg Barben
Präsident SWGCF
Leitender Arzt Pneu\w\bologie/Allergologie
Ostschweizer Kinderspita\wl
9006 St. Gallen
beste CF
N
GS kann nicht alle Kinder \bit CF
erfassen. Je \behr Muta
tionen
gesucht wer
den, desto höher ist die Erkennungs
r
ate von
\bild verlaufenden For\ben von CF (atypische
CF), die vielleicht erst \bit 20 oder 30 Jahren
Sy\bpto\be entwickeln würden. Aus diese\b
Grunde werden i\b Schweizer CF
N
GS nur
die sieben häufigsten CF
Gen\butationen
besti\b\bt.
Ein weiterer \böglicher Nachteil
kann sein, dass gescreente Kinder \bit
CF schon früh in eine\b CF
Zentru\b
\bit
Mikroben infiziert werden können, \bit de
nen sie nie in Kontakt geko\b\ben wären,
wenn sie nicht in ein CF
Zentru\b
geko\b
\ben wären. Aus diese\b Grund ko\b\bt den
Hygiene
E
\bpfehlungen in den Spitälern
eine grosse Bedeutung zu. Bei jede\b CF
Screening
werden auch gesunde Träger von
CF
Mutationen
gefunden (solche, die i\b
Screening positiv sind, aber einen nor\balen
Schweisstest haben) und es gibt Menschen,
die einen solchen Trägerstatus gar nicht
wissen \böchten.
Wie funktioniert ein
CF- Screening genau?
Wird i\b Guthrie T est ein erhöhter IRT Wert
gefunden, werden i\b gleichen Blutstrop
fen die sieben in der Schweiz häufigsten
Gen\butationen (DNA
Analyse) gesucht. Ist
auch dieser zweite Test positiv (Nachweis
\bindestens einer CF
Gen\butation
) gilt das
Screening als positiv. Da das NGS eine
Reihenuntersuchung ge\bäss de\b heute geltenden Gesetz für genetische Unter
suchungen bei\b Menschen darstellt, ist
keine schriftliche Erlaubnis der Eltern not
wendig. Wenn ein Verdacht auf eine CF
durch das Screening gestellt wird, wird
eines der acht pädiatrischen CF
Studien
zentren
infor\biert, die die Eltern \bit de\b
Kind zur weiteren Abklärung aufbieten. Bei
negativer DNA
A
nalyse bzw. Borderline
Resultaten
i\b IRT
T
est wird – analog de\b
etablierten Neugeborenen
Screening
– ein
zweiter Guthrietest direkt vo\b NGS
Labor
bei\b
zuständigen Kinderarzt bzw. der zu
ständigen Heba\b\be eingefordert. Sollte bei
diese\b zweiten IRT
T
est der Grenzwert von
50 ng/\bl überschritten sein, wird ebenfalls
ein CF
Z
entru\b zur weiteren Abklärung
infor\biert (vgl. Abb. 1).
I\b CF
Z
entru\b werden die weiteren
diagnos
tisc
hen Abklärungen ge\bäss den
internationalen Richtlinien
9) 10) (Schweiss
test, genetische Untersuchungen i\b Blut
usw.) nur bei Zusti\b\bung der Eltern ge
\bacht und der Verdacht einer CF erhär
tet oder verworfen. Ist der Schweisstest
positiv, ist die Diagnose CF gesichert. Ist
der Schweisstest negativ, werden keine
weiteren Abklärungen ge\bacht. Diese Kin
der können gesund sein und keine weiteren
Erkrankungen haben, oder sie sind gesunde
CF
Genträger,
oder haben eine atypische
CF, die erst i\b Erwachsenen
a
lter Sy\bpto\be
\bacht und \beistens \bild verläuft. Diese
Eltern werden über die Möglichkeit des CF
Abb\b 1: Flow chart CF N eugeborenen S creening
Keine w eiteren
Massnahmen
< 60ng/ml 60–100ng/ml
Messung des \bRT im getrockneten Blut der Guthrie-Karte
Überw eisung ans
CF-Zentrum
2 CF-Mutationen
≥ 100ng/ml
zw eiter
Fersenbluttest
1 CF-Mutation
< 50ng/ml
Keine w eiteren Massnahmen Überw eisung ans CF-Zentrum
≥ 50ng/ml
Keine CF-Mutation
DNA Analyse
(7 Mutationen)
zw eiter
Fersenbluttest 2. \bRT-
Messung
Schw eisstest
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Jürg Barben , Leitender Arzt Pädiatrische Pneumologie/Allergologie Ostschweizer Kinderspital, St Gallen Toni Torresani Martin H. Schöni Sabina Gallati Prof. Dr. med. Matthias R. Baumgartner , Ordinarius für Stoffwechselkrankheiten, Leiter Abteilung für Stoffwechselkrankheiten, Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Zürich