Ethische Überlegungen gehören zum pädiatrischen Alltag. Wir stellen hier den Diskurs als mögliches Vorgehen bei der ethischen Analyse eines Falles dar: Eine Mutter mit einer genetischen Mutation des Faktors V (Faktor-V-Leiden-Mutation) wünscht eine entsprechende Abklärung bei ihrem gesunden 3-jährigen Kind. Ein Diskurs basierend auf relevanten klinischen Daten, auf ethischen Fragestellung und auf Distanzfindung / Objektivierung/Einigung erlaubt es, einen Konsens (Information, Überlegungen der Eltern) zu finden und in einem konkreten Fall eine Entscheidung zu treffen, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Dies kennzeichnet ein Behandlungskonzept im einzigartigen Arzt-Patient-Eltern-Verhältnis.
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3. Darstellung des Dis\ckurses (Abb. 1)
4. Praktisches Vorgehen
Als in diesem Fall wesentliches klini\b
sches Element wurde die Mutation des
Faktors V erläutert. \bs handelt sich um die
am häufigsten für Thrombophilie (Neigung
zur Thrombose) verantwortliche genetische
Störung. 1994 in Leiden, Niederlande, ent –
deckt, ist diese heterozygote Genmutation
in der Allgemeinbevölkerung häufig und
weist ein 7-fach erhöhtes Risiko für tiefe
Thrombosen und Lungenembolien auf. Die
Prävalenz der durch eine Faktor-V-Leiden-
Mutation (auch Leiden-Mutation, Faktor-
V-Mutation Leiden oder, wegen seinem
Zusammen\bassung
\bthische Überlegungen gehören zum pä –
diatrischen Alltag. Wir stellen hier den
Diskurs als mögliches Vorgehen bei der
ethischen Analyse eines Falles dar : \bine
Mutter mit einer genetischen Mutation
des Faktors V (Faktor-V-Leiden-Mutation)
wünscht eine entsprechende Abklärung
bei ihrem gesunden 3- jährigen Kind. \bin
Diskurs basierend auf relevanten klini –
schen Daten, auf ethischen Fragestellung
und auf Distanzfindung/Objektivierung/
\binigung erlaubt es, einen Konsens ( In –
formation, Überlegungen der \bltern ) zu
finden und in einem konkreten Fall eine
\bntscheidung zu treffen, ohne Anspruch
auf Allgemeingültigkeit. Dies kennzeich –
net ein Behandlungskonzept im einzigar –
tigen Arzt – Patient – \bltern -Verhältnis.
Ein\bührung
\bthische Überlegungen betreffen mehr
oder weniger direkt alle pädiatrischen Spe –
zialgebiete
1), 2), 3), 4), 5), 6) . Im vergangenen Jahr
haben wir pädagogische \bthik-Workshops
für Onkologie und, in einem breiteren
Rahmen, für Pädiatrie ganz allgemein ins
Leben gerufen. Ziel war es, ethische Über –
legungen vorzustellen, anzuwenden und zu
überprüfen, um letztlich klinische \bntschei –
dungen zu verbessern und die verschiede –
nen Teams für ethische Konflikte zu sensi –
bilisieren
7), 8) . Die vorgestellte Methode wird
durch die Abteilung für \bthik des CHUV
angewandt
9). \bs wurden verschiedene
Themen angesprochen (Zustimmung des
Patienten, Zugang zu Betreuung, Vertrau –
lichkeit bei schwangeren Jugendlichen, Rol -le der \bltern beim \bntscheid, eine Therapie
einzuschränken).
Wir stellen hier unsere Überlegungen im
Zusammenhang mit der Suche nach einer
Mutation des Faktors V dar. Soll die Unter-
suchung beim Kind durchgeführt werden
oder nicht?
Material und Methode
\bs nahmen 12 Teilnehmer am Workshop teil
(Chef-, Ober- und Assistenzärzte, Pflege
–
fachfrauen, Spitalseelsorger, Data Manager,
Neuropsychologe).
1. Fallvorstellung
Der 3-jährige K. wird von seinem Kinder –
arzt der hämatologischen Sprechstunde
zugewiesen, zur Abklärung im Zusammen –
hang mit einer Faktor-V-Leiden-Mutation
bei der Mutter. Bei einer pädiatrischen
Kontrolle hatte der Vater erwähnt, diese
Störung sei bei seiner Frau anlässlich
einer Thrombophilieabklärung entdeckt
worden. Die Abklärung war durchgeführt
worden, weil in Anschluss an einen chir –
urgischen \bingriff wegen Adipositas eine
Lungenembolie aufgetreten war. Die Mut –
ter ist zurzeit schwanger und wird auf
Grund ihrer Vorgeschichte und der beste –
henden Genmutation prophylaktisch anti –
koaguliert. Sie macht sich Sorgen um K.
Die Mutter hat zusätzlich eine angeborene
Missbildung der Hand (zwei Daumen).
Die Anamnese des Knaben ist unauffällig,
er ist asymptomatisch und die klinische
Untersuchung ist normal.
2. Fragestellung
Welche Haltung soll, angesichts der müt –
terlichen Besorgnis und der technischen
Möglichkeit, den genetischen Status des
Kindes zu identifizieren, eingenommen wer –
den? Soll nach der Mutation des Faktors V
gesucht werden?
Diskurs in klinischer Ethik,
eine Entscheidungshilfe
\bin Beispiel aus der pädiatrischen Hämatologie:
Genetische Untersuchung (Faktor-V-Leiden-Mutation)
Cécile Jérôme Choudja 1)–2) , Nicolas von der Weid 1), Maja Beck Popovic 1), Lazare Benaroyo 2)
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Abb. 1:
Diskursives Vorgehen
1) Unité d’hématologie\o oncologie pédiatriqu\oe,
Bugnon 46, CHUV, 1011 Lausanne
2) Unité d’éthique, B\ougnon 21, CHUV, 1011 Lausanne
Interessenkonflikte: keine
Wesentliche klinische Fakten
Diagnose, Prognose, \oTherapie
Therapeutische Alternativen
Vorteile und Nachteile jeder Alter\onative
Ethische Herausforderungen\c
Für welche ethischen Prinzipien (Autonomie,
nützen ohne zu schaden, Fairness) besteht
ein Konflikt?
Wie sollen ethische Konflikte (ethische Alterna –
tiven) angegangen werde\on?
Auswirkungen einer jeden ethischen Alter –
native
Welches ist die geeignete Entscheidung?
Argumente dafür
Argumente dagegen
\brgebnis des ethisc\ohen Diskurses
Vorgaben zur Konfliktlösung
Die Antwort kann nicht ausschliesslich tech –
nisch oder wissenschaftlich sein
\bs gibt nicht eine «einzig richtige» \bntschei –
dung, aber eine grössere Sachdienlichkeit einer
Lösung gegenüber e\oiner anderen
Die sachdienlichste Lösung ergibt sich aus dem
Diskurs zwischen den verschiedenen, an der
Betreuung beteilig\oten Personen
Bedingungen eines \cguten Diskurses
Distanzfindung: Der notwendige Abstand, die
Abwendung von möglichem Druck erlaubt es,
fertige Lösungen z\ou vermeiden
Objektivierung: Die Fähigkeit, \blemente einer
problematischen Situation in ihrer Ganzheit
zu erfassen, vom \binfachen zum Komplexen
überzugehen, alle auf dem Spiel stehenden
Werte auszuloten (der Patient und seine An –
gehörigen, die Organisation der Betreuung,
Berufsethik – Deodontologie, psychosoziale
Zusammenhänge usw.)
Einigung: «Zwei Regeln»
* Jeder Diskussionsteilnehmer h\oat dasselbe
Mitspracherecht
* Der Diskurs soll zur \binigu\ong in der Aktion
führen und den bes\otmöglichen \binsatz
zugunsten des Patienten erlauben \o(Respekt
des Andersseins) – wenn möglich in
Gegenwart des Patienten
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dies der Mutter, Schuldgefühle loszuwer-
den; ist das Kind Träger und sie weiss es,
kann sie die Tatsache entspannter hinneh-
men, sie besser akzeptieren und kann als
verantwortungsvolle\o Mutter handeln.
Argumente gegen di\oe Blutentnahme:
• Das Kind ist gesund, es bestehen keine
sonstigen Thrombose-Risikofaktoren.
• Das Durchführen der Blutentnahme re –
spektiert, angesichts seines Alters, sei –
ne Autonomie und sein Urteilsvermögen
nicht.
• Obwohl es Mittel gibt, Schmerz zu vermei –
den, zeigen Studien, dass die «Spritze» für
das Kind eine traumatisierende Handlung
darstellt.
• Wie wird das \brgebnis aufgenommen: Ist
es positiv, kann es sehr gut sein, dass
das Kind niemals Probleme haben wird;
bei negativem Befund ist das Risiko einer
Thrombose trotzdem nicht gänzlich aus –
geschlossen.
• Welche Meinung hat der Vater? Wurde er
gefragt? Ist das Kind Träger einer homozy –
goten Mutation, würde dies eine Übertra –
gung ebenfalls durch den Vater bedeuten,
entsprechend wäre eine Besprechung
seiner Situation an\ogebracht.
• \bine Auskunft zur genetischen Störung
und zum Thromboserisiko durch den Spe –
zialisten könnte genügen und die geneti –
sche Abklärung kann später durchgeführt
werden, in einem Alter da das Kind urteils –
fähig ist.
Ergebnis. Fün\bte Etapp\Ze.
Synthese von Vorgehen
und Diskurs
In die Synthese des Workshops wurde der
\bntscheid des Kinderarztes mit einbezogen.
Sein Vorschlag schien ihm damals «eine gute
Option» zu sein, er hatte ihn besprochen
und entsprechende \bmpfehlungen gegeben,
hinterfragt sich nun aber. Die Fragen der
Mutter zur genetischen Störung und den
damit zusammenhängenden Risiken konn –
ten beantwortet werden (sie selbst, als in
erster Linie Betroffene, war nur schlecht
informiert). Angesichts der mütterlichen Be –
sorgnis wurde die Blutentnahme durchge –
führt, der (negative) Befund erleichterte die
Mutter und sie konnte ihrer Schwangerschaft
ruhiger entgegensehen. \bs wurde ebenfalls
beschlossen, dass diese Abklärung beim
erwarteten Kind «nicht dringend» sei und erst
durchgeführt würde, wenn es älter sei oder
Wirkungsmechanismus, Faktor-V-Mutation
Leiden mit Resistenz gegenüber aktiviertem
Protein C genannt) bedingten Thrombo
–
philie ist je nach Population verschieden
(5–8% der kaukasischen Bevölkerung ist
heterozygot). Die Prävalenz homozygoter
Individuen ist geringer (1/5000), ihr Throm –
boserisiko jedoch um Faktor 80 erhöht.
\bin funktioneller Phänotyp-Screeningtest
(Suche nach Resistenz gegen aktiviertes
Protein C, APC-Resistenz) erlaubt es, über
90% der Mutationen zu erfassen (mit glei –
cher Sensitivität und Spezifität wie der
genetische Test), jedoch nicht, zuverlässig
zwischen heterozygoten und homozygoten
Menschen zu unterscheiden. Die Diagnose
erfolgt demzufolge durch die genetische
Untersuchung im Blut.
\bs wurden die Thromboserisikosituationen
beim \brwachsenen dargestellt\o (Abb. 2).
Im Kindesalter sind tiefe Venenthrombosen
selten und sind im Allgemeinen an besonde –
re Situationen gebunden (zentraler Kathe –
ter, schwere Infektionen, Herz- und ortho –
pädische Chirurgie, Trauma, nephrotisches Syndrom, Lupus, Asparaginasebehandlung).
Die \bmpfehlungen zur Bestimmung der Mu
–
tation beim Kind sind zum Teil widersprüch –
lich
10), 11) . Den Workshopteilnehmern wurden
Unterlagen betreffend thromboembolische
\breignisse beim Kin\od verteilt
12).
Ethische Problematik: In der Gruppe wur-
den folgende grundsätzlichen Konflikte an –
gesprochen: Respekt der Autonomie (der
\bltern, des 3-jährigen Kindes), helfen ohne
zu schaden (von Seiten d\oer Betreuenden).
Ethische Alternativen: Als Diskussions –
grundlage wurden in zwei getrennten Grup –
pen Argumente für und wider die Durch –
führung des genetischen Tests vorgebracht
(Abb.3).
\bs wurden folgende Argumente zugunsten
der Blutentnahme a\ongeführt:
• \binfach durchzuführen, Schmerzen beim
\bingriff können verhindert w\oerden
• Das Resultat wird die Mutter, die wissen
möchte, ob ihr Sohn Träger der Mutation
ist, beruhigen, umso mehr als sie schwan –
ger ist; ihre Autonomie und ihr Recht zu
Wissen werden respektiert.
• Ist das Kind Träger der Mutation, so
kann in Situationen, welche das Auftreten
von Thrombosen begünstigen, besonders
auf die Vorbeugung thromboembolischer
Komplikationen geachtet werden; man
wird schneller an die (im Kindesalter sel –
tene) Diagnose denken.
• Anxiogene Begleitumstände und Vorge –
schichte mütterlicherseits
• \bs handelt sich um eine genetische Stö-
rung: Ist das Kind nicht Träger, erlaubt
Abb. 2: Risikosituationen für Thrombosen im
\brwachsenenalter
Abb. 3: \bthische Alternativen, in zwei getrennten Gruppen diskutiert: Soll eine Blutentnahme
durchgeführt werden ode\or nicht?
Schwangerschaft, Oestrogene
Chirurgie
Längere Bettlägrigkeit
Verband, Gips, Schiene
Längere Flug- oder Autoreise
Krebs
Krankheit mit Flüss\oigkeitsverlust
(Durchfall usw.)
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6) F.Carnevale Les dilemmes éthiques chez les enfants
gravement malades – Un modèle de rapprochement.
INFOKara 2003/2.Vol 32. p. 73.
7) G. Durand Introduction générale à la bioéthique.
Histoire,concepts et\o outils. Fides,Cerf. 1999.
8) T.L Beauchamps, J.F. Childress Principles of Biomedi –
cal \bthics, 5
th éd. Oxford 2001 traduit de l’américain
par Martine Fisbach Les principes de l’éthique bio –
médicale Les Belle\os Lettres, 2008.
9) L.Benaroyo \bthique et responsabilité en médecine.
Genève. \bditions méd\oecine et Hygiène. 2\o006.
10) Conférence de consensus de 2001 du collège amé-
ricain de génétiqu\oe clinique.
11) British Committee for Standards in Haematology,
2001.
12) M. Albisetti \bvènements thromboemboliques veineux
chez l’enfant Paediatrica. Vol. 18 No. 6 2007.
13) J. Habermas, \brlaüterungen zur Diskursethik, Fran –
kfurt Am M., Suhrkamp Verlag, 1991; trad.Hunyadi
M., De l’éthique de la \odiscussion, Paris , Cerf, 1992.
14) H. Doucet, J-M Larouche, K.R Melchin \bthical de –
liberation in multiprofessional health care teams
University of Ottaw\oa Press, 2001.
15) N. Léry, Droit et éthique de la santé: l’expérience
d’une consultation, Médecine et Hygiène 48. 2161–
2166, 1990.
16) \b. Fuchs, Comment faire pour bien faire? Introduc –
tion à l’éthique, Le champ éthique n°28, p. 52–57,
Labor et Fides 1995.
17) N. Steinkamp, B.Gordijn \bthical case deliberation on
the ward. A comparison of four methods. Medicine
Health Care and Ph\oilosophy 6: 235–46, \o2003.
Korrespondenzadresse
Dr Cécile Jérôme Choudja
Hématologie oncologie\o pédiatrique
CHUV, Bugnon 46, 1011 Lausanne
Tel.: 079 556 85 22, Fax: 021 314 33 32
cecile.jerome@chuv.ch
Anmerkung des Übersetzers
Die Übersetzung des Begriffes délibération
mit Diskurs wurde den «\brläuterungen zur
Diskursethik» von J. Habermas
13) entnom –
men. Die Diskursethik sieht den Diskurs als
einen Austausch von Argumenten oder gu –
ten Gründen mit dem Ziel der Verständigung
an. Voraussetzung eines Diskurses ist die
wechselseitige Anerkennung der Menschen
als mündige Personen, zwischen denen
eine vernünftige Verständigung grundsätz –
lich möglich ist.
Aristoteles definiert den Begriff délibérati-
on als einen Prozess, der darin besteht, das
bestmögliche Mittel auszuwählen, um ein
gestecktes Ziel zu erreic\ohen.
Délibération kann auch übersetzt werden mit
« Gegenüberstellung von Gesichtspunkten,
mit dem Ziel, ein Problem durch eine wohl –
überlegte \bntscheidung zu lösen» oder mit
« Auseinandersetzung = eingehende kriti-
sche Beschäftigung (mit etwas) bzw. heftig
und kontrovers geführtes Gespräch».
falls Thrombose-Risikofaktoren aufträten.
Wir kamen am \bnde des Workshops zum
Schluss, dass es wichtig gewesen wäre, die
Frage mit dem Vater zu besprechen und sei
–
ne Meinung anzuhören.
Diskussion
Bei der Vorbereitung des Workshops haben
wir das vorliegende technologische Dilem –
ma besprochen. Pädagogisches Ziel war
es, für den Kliniker, der sich einer solchen
Fragestellung gegenübersieht, folgende
Punkte festzuhalten: «Keine Panik»; je nach
Situation gibt es Methoden der Auseinan –
dersetzung (Diskursethik nach Habermas
13)
an welcher sich der \bspace \bthique Amiens-
Picardie in Frankreich inspiriert; Methoden
nach H. Doucet
14), Kanada, Universitäts –
spital Genf; nach N. Léry 15); \b. Fuchs 16); der
klinische Pragmatismus, die Methode von
Nijmegen, die Hermeneutik, der sokratische
Dialog
17), die hier vorgeschlagene Methode).
\bs gibt ohnehin keine gute Lösung, keine
wahrhafte Wahrheit. Mehrere Möglichkeiten
können in Betracht gezogen werden, um den
letztlich gefällten \bntscheid zu legitimieren.
Die Richtigkeit des Diskurses wird dazu
beitragen, einen dem \binzelfall angepassten
\bntscheid zu fällen.
In unserem Fall erlaubte es der Diskurs,
einen Konsens für die Zukunft zu finden:
\binerseits sachgemässe Information durch
den Spezialisten und sich andererseits Zeit
lassen, zu entscheiden, ob eine Blutentnah –
me durchgeführt werden soll; und vor allem,
erst nach Anhörung des Vaters. In unserem
Fall hätte vor einem endgültigen \bntscheid
ein zweiter Termin vereinbart werden kön –
nen. Die Situation wäre jedoch eine andere,
wenn beide \bltern bei der ersten Bespre –
chung anwesend sind: \bs gibt also weder
eine ideale Situation noch die Möglichkeit,
ein präzises allgemeingültiges \o Schema für
diese Art genetische Abklärung aufzustel –
len. Alles kann von den Umständen bei der
\brstbesprechung abhängen. Dieser letzte
Punkt verleiht dem Arzt-Patienten-Verhält –
nis seine \binzigartigkeit und bestätigt, dass,
in Abhängigkeit der Situation, verschiedene
Behandlungskonzepte möglich sind.
Dieser Workshop hat im Übrigen dazu ge –
führt, kurz auf den Risikobegriff einzugehen.
\bs geht darum, den \bltern den Begriff (das
Thromboserisiko) nahe zu bringen, zu ver-
stehen wie sie dar\oauf reagieren, wie\o sie ihn
interpretieren und was er für sie bedeutet, was für einen Sinn sie ihm geben (Beunru
–
higung, Furcht, Gleichgültigkeit, schicksals –
hafte Fügung usw.), welche Vorstellung sie
davon haben.
Schluss\bolgerung
Zweck dieser Workshops war es, Austausch
und Diskussion zu fördern. Ganz allgemein
wurden sie durch die Teilnehmer als «posi –
tiv, interessant, interaktiv, bereichernd, mit
ausgezeichnetem pädagogischem Inhalt»
bezeichnet. Zahlreiche Teilnehmer wün –
schen, mit den Methoden des Diskurses in
klinischer \bthik besser vertraut zu sein, um
Konfliktsituationen, denen sie ausgesetzt
sind, analysieren zu können. Die Unter-
schiede in Bezug auf Werte, Kultur, sozialen
und erzieherischen Hintergrund zwischen
Gesundheitsfachleuten und Familien kran –
ker Kinder verlangen vermehrt diskursives
Vorgehen, um zu konsensuellen \bntschei –
dungen zu kommen und wenn möglich,
ein Behandlungskonzept anzubieten, das
dem Kind und seiner Familie angepasst ist.
Die Teilnehmer haben unterstrichen, dass
sich Zusammenhalt und gegenseitiges Ver-
ständnis, und damit die Grundlagen für eine
gute Betreuung der Patienten, dank dieser
Workshops verbesserten.
Die Workshops wurden von den Berufsper-
sonen positiv aufgenommen, die gesteckten
Ziele wurden grösstenteils erreicht. Was die
langfristige Beurteilung anbetrifft, wissen
wir, dass die Auswirkung des diskursiven
Approaches auf den Alltag nie gesichert ist
und dass er immer wieder gepflegt werden
muss, um wirksam zu sein. Die gemachte
\brfahrung hat uns jedoch davon überzeugt,
dass ein erster Schritt getan wurde: Wir ha –
ben es gewagt zusammenzusitzen, haben es
gewagt, «auszupacken», was auch bedeutet,
sich in Frage zu stellen und, im Interesse
unserer Patienten das Risiko eingehen, sich
zu entblössen.
Referenzen
1) A. de Broca \btre éthique … en pédiatrie? Arch.
Pediatr. 2005; 12: 773–75.
2) M.C Ansermet., A.Herzog, J.Despars, F.Ansermet La
scène médicale. A propos du traumatisme parental
lors d’une naissance prématurée, La psychiatrie de
l’enfant 2002/2, 4\o52, p. 411–435.
3) Limitation ou arrêt des traitements en réanimation
pédiatrique. Repères pour la pratique. Paris: GFRUP
et Fondation de France; 2002.
4) B. Chabrol Le pédiatre et l’enfant handicapé: ré-
flexions éthiques A\orch Pediatr. 2005; 12: 776–77.
5) F.Méchinaud L’annonce en oncologie pédiatrique
Arch.Pediatr. 2007; 14: 640–43.
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. Cécile Jérôme Choudja , Hématologie oncologie pédiatrique, CHUV Prof. Dr. med. Nicolas von der Weid , UKBB, Basel Maja BeckPopovic Lazare Benaroyo