Es wurde eine neue Kategorie von Impfempfehlungen eingeführt, um für Eltern und die Öffentlichkeit einen gleichberechtigten Zugang zu Informationen zur Verhinderung relativ seltener, aber schwerwiegender Krankheiten zu gewährleisten. Diese Entscheidung wurde durch die Beobachtung mitbestimmt, dass in der Schweiz eine Zweiklassenmedizin bezüglich Impfungen besteht: Dies ist daran erkennbar, dass Kinder von Kinderärzten einen besseren Impfschutz geniessen als andere Kinder. Die Einführung von «empfohlenen ergänzenden Impfungen» soll diese Ungleichheit beseitigen. Ab 2006 können Eltern, die dies wünschen, ihre Kinder gegen Meningitiden und invasive Erkrankungen durch Pneumokokken oder Meningokokken der Gruppe C schützen. Nun besteht die Herausforderung darin, die Eltern über diese Möglichkeit eines ergänzenden Impfschutzes über die Basisimpfungen hinaus zu informieren.
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Zusammenfassung
Es wurde eine neue Kategorie von Impf-
empfehlungen eingeführt, um für Eltern und
die Öffentlichkeit einen gleichberechtigten
Zugang zu Informationen zur Verhinde-
rung relativ seltener, aber schwerwiegender
Krankheiten zu gewährleisten. Diese Ent-
scheidung wurde durch die Beobachtung
mitbestimmt, dass in der Schweiz eine
Zweiklassenmedizin bezüglich Impfungen
besteht: Dies ist daran erkennbar, dass
Kinder von Kinderärzten einen besseren
Impfschutz geniessen als andere Kinder.
Die Einführung von «empfohlenen ergän-
zenden Impfungen» soll diese Ungleichheit
beseitigen. Ab 2006 können Eltern, die dies
wünschen, ihre Kinder gegen Meningitiden
und invasive Erkrankungen durch Pneumo-
kokken oder Meningokokken der Gruppe C
schützen. Nun besteht die Herausforderung
darin, die Eltern über diese Möglichkeit
eines ergänzenden Impfschutzes über die
Basisimpfungen hinaus zu informieren.
Einleitung
Ein Gebiet, das sich so rasch entwickelt
wie die Vakzinologie, bringt jedes Jahr eine
Reihe von Neuerungen. Doch 2005 wurde
in der Schweiz eine grundlegende Änderung
vorgenommen: Eine neue Kategorie von
Impfempfehlungen wurde eingeführt, um
Eltern und der Bevölkerung einen gleichbe-
rechtigten Zugang zu Informationen über
die Verhinderung von relativ seltenen, aber
meist schwerwiegenden bis tödlichen Krank-
heiten zu ermöglichen. Diese Entscheidung
wurde mitbestimmt durch die Beobachtung,
dass es in der Schweiz bei Impfungen eine
Zweiklassenmedizin gibt.
Kinder von Kinderärzten in der Schweiz
geniessen einen besseren Impfschutz
als die restlichen Kinder
Die von manchen Heilpraktikern und/oder
Ärzten angeheizten polemischen Diskus-
sionen rund um den Impfschutz könnten manchmal den Eindruck erwecken, dass
der Impfschutz gerade bei Vertretern von
Heilberufen gerne vernachlässigt wird
(nach dem Motto «Der Schuster hat die
schlechtesten Schuhe»), und dass die Ärz-
teschaft – trotz der Evidenz zugunsten der
Impfung – gespalten ist in Bezug auf den
Sinn von Impfungen für die Gesundheit.
1) Um
hierzu objektive Informationen zu erhalten,
wurde 2004 ein Fragebogen per E-Mail an
alle bei InfoVac eingeschriebenen Ärzte
versandt (dies sind alle Kinderärzte und eine
steigende Anzahl Allgemeinpraktiker und
Internisten). Ingesamt haben 1017 Ärzte,
darunter 458 Kinderärzte, geantwortet.
2)
Ihre Kinder hatten fast alle die Basisimp-
fungen (Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten,
Polio, Masern, Röteln, Mumps) erhalten und
praktisch alle Ärztekinder, die 2004 geboren
wurden, waren gegen Hib und Hepatitis B
geimpft worden.
2) Ausserdem gaben die
Ärzte an, dass sie ihre eigenen Kinder auch
durch zahlreiche ergänzende Impfungen
schützten, die nicht im schweizerischen
Impfplan enthalten sind! Im Jahr 2004
waren die meistgewählten Impfungen jene
gegen Hepatitis A (48%), Meningokokken
C (32.6%), FSME (16.7%), Pneumokokken
(12.3%), Windpocken (11.1%) und Grippe
(9.7%).
2) Zudem erhalten die Kinder der
Kinderärzte signifikant mehr Impfungen
und werden frühzeitiger geimpft als die
Kinder von Ärzten anderer Disziplinen.
3) Die-
se Zahlen sind dermassen erhöht, dass es
unwahrscheinlich erscheint, das sie durch
die Kinderärzte, die den Fragebogen nicht
zurückgeschickt haben, wesentlich anders
ausgefallen wären (alle Kinderärzte sind bei
InfoVac eingeschrieben).
Wozu eine neue Kategorie
von Impfempfehlungen?
Die hohe Anzahl an Kinderärzten, die bei
ihren eigenen Kindern auch Impfungen
verabreicht, die nicht im schweizerischen
Impfplan enthalten sind, zeigt an, wie sinnvoll diese Impfungen für den persön-
lichen Gesundheitsschutz sind. Diese in der
Schweiz verfügbaren, sicheren und wirk-
samen Impfstoffe sind deshalb nicht in den
Empfehlungen genannt, weil sie gegen sel-
tenere und/oder weniger schwerwiegende
Erkrankungen schützen als es bei den Impf-
stoffen gegen Erkrankungen mit eindeutiger
volksgesundheitlicher Relevanz der Fall ist.
Dennoch bieten diese Impfungen einen
optimalen individuellen Schutz gegen relativ
seltene, aber dennoch schwerwiegende bis
ausgesprochen ernste Risiken. Da es hier
keine offiziellen Empfehlungen gab, waren
die Ärzte mit dem Dilemma einer Zweiklas-
senmedizin konfrontiert: Für ihre eigenen
Kinder treffen sie eine andere Wahl als für
Patienten, die sie ärztlich betreuen. Sollte
man – nach der detaillierten Analyse
4) der
Epidemiologie der invasiven Meningokok-
kenerkrankungen aufgrund des Nachweises
eines deutlich gestiegenen Vorkommens bei
Kleinkindern (Pneumokokken, Meningokok-
ken) und Jugendlichen (Meningokokken)
und nach Überprüfung der Wirksamkeit
und Sicherheit der neuen Impfstoffe – diese
Impfungen in den schweizerischen Impfplan
aufnehmen, damit alle Eltern Kenntnis von
ihrer Existenz erhalten? Wie sollte man
konkret kommunizieren, dass die Impfung
gegen Meningokokken der Gruppe C nicht
den Stellenwert einer Impfung gegen Ma-
sern hat, obwohl die Angst deutlich für eine
Meningokokkenimpfung spricht? Um Eltern
und die Öffentlichkeit offen und ohne Unter-
schiede über Impfungen, die den Impfschutz
optimieren können, aber dennoch für die
Gesundheit der Gesamtbevölkerung nur
eine relative Bedeutung haben, zu informie-
ren, beschloss die Eidgenössische Kom-
mission für Impffragen (EKIF), eine neue
Kategorie von Empfehlungen einzuführen,
um Basisimpfungen von den ergänzenden
Impfungen zu unterscheiden.
Vier Kategorien
von Impfempfehlungen
Seit November 2005 verfügt die Schweiz
somit über vier Kategorien von Impfempfeh-
lungen (Tabelle 1).
1.
Empfohlene Basisimpfungen: Diese
Empfehlungen betreffen ausschliess-
lich wirksame und sichere Impfungen,
die einen nachgewiesenen Vorteil für
die individuelle Gesundheit und die öf-
fentliche Gesundheit bieten (Tabelle 1).
Dazu gehören die Impfungen gegen
Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio
Vakzinologie-Update 2005
Neue Kategorien bei den
Impfempfehlungen
für einen optimalen Impfschutz
1)
Claire-Anne Siegrist, Genf
1) Dieser Artikel wurde publiziert in: Rev Med Suisse 2006; 2: 67–70.
Fortbildung / Formation continue
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influenzae b, Masern, Mumps, Röteln,
Hepatitis B, Varizellen (Jugendliche) und
Grippe (Erwachsene > 65 Jahre). Diese
Impfungen werden als unverzichtbar
für die Gesundheit des Einzelnen und
der Öffentlichkeit angesehen und sind
von der Ärzteschaft ihren Patienten zu
empfehlen.
2.
Empfohlene ergänzende Impfungen:
Diese Empfehlungen betreffen wirksame
und sichere Impfungen, die einen we-
niger ausgeprägten Nutzen für die öf-
fentliche Gesundheit bringen, aber von
beachtlichem Nutzen für die individuelle
Gesundheit sein können (Tabelle 1). Dazu
gehört seit November 2005 die Impfung
von Kindern unter 2 Jahren gegen Pneu-
mokokken und die Impfung von Kindern
und Jugendlichen gegen Meningokokken. Die entsprechenden Impfungen bewir-
ken einen optimalen individuellen Schutz
gegen genau definierte Risiken. Die Ärz-
teschaft hat Ihre Patienten über die Exis-
tenz dieser Impfungen zu informieren.
3.
Empfohlene Impfungen für Risikogrup-
pen: Diese Empfehlungen betreffen wirk-
same und sichere Impfungen, die einen
begrenzten Nutzen für die öffentliche
Gesundheit bringen, aber von wesent-
lichem Nutzen für gewisse Gruppen mit
erhöhtem Expositions- oder Komplika-
tionsrisiko sind. Die entsprechenden
Impfstoffe werden für Risikogruppen
als unerlässlich eingestuft und alle not-
wendigen Anstrengungen von Seiten
des Arztes sind gerechtfertigt, um die
Risikopersonen zu erreichen und Ihnen
diese Impfungen zu empfehlen.4. Impfungen ohne Empfehlungen: Ande-
re Impfungen werden nicht empfohlen,
sei es, dass sie dazu noch nicht ausrei-
chend evaluiert wurden (erst kürzlich
erfolgte Zulassung, Verwendung als sehr
beschränkt eingeschätzt, Evaluation vor-
gesehen oder im Gange), oder weil der
in der Evaluation nachgewiesene Nut-
zen für die öffentliche oder individuelle
Gesundheit aufgrund der verfügbaren
Daten nicht gross genug ist. Die Verwen-
dung dieser Impfstoffe wird nicht durch
eine Empfehlung gestützt. Solange keine
konkrete Anfrage vorliegt, braucht die
Ärzteschaft Patienten nicht über diese
Impfungen zu informieren.
Für die Empfehlungen der Kategorien 1, 2
und 3 erfolgt mit Ausnahme der Reiseimp-
fungen ein Antrag für die Aufnahme in die
Verordnung über Leistungen in der obliga-
torischen Krankenpflegeversicherung, um
gleichberechtigte Informationen und einen
Zugang zu diesen wirksamen und sicheren
ergänzenden Impfungen – als wirksame
und sichere Vorbeugung gegen Erkran-
kungen – zu gewährleisten.
Schutz von Kleinkindern
unter 2 Jahren gegen invasive
Pneumokokkenerkrankungen
Die Epidemiologie der Pneumokokkenin-
fektionen wurde im Detail untersucht, um
den potentiellen Nutzen des Impfschutzes
zu bestimmen.
5) In der Schweiz sind Pneu-
mokokken die Erreger, die am häufigsten
für schwerwiegende bakterielle Infektionen
verantwortlich sind. Sie sind die wichtigste
Ursache für die bakterielle Meningitis bei
Kindern. Das höchste Risiko betrifft Kinder
unter 2 Jahren: Hier ist das Risiko doppelt so
hoch wie bei Kindern zwischen 2 und 4 Jah-
ren. Zwischen 2001 bis 2004 wurden in der
Schweiz pro Jahr durchschnittlich 73 Fälle
von invasiven Pneumokokkenerkrankungen
bei Kindern unter 5 Jahren gemeldet, wovon
39 (53%) Kinder unter 2 Jahren betroffen
waren. Die höchste Letalität (9%) wurde im
ersten Lebensjahr beobachtet.
5) Die Inzidenz
von 26 Fällen auf 100 000 Einwohner unter
5 Jahren ist deutlich höher als bei Kindern
von 5–16 Jahren (4 Fälle auf 100 000).
Gleichzeitig wird geschätzt, dass die in-
vasiven und nichtinvasiven Pneumokok-
kenerkrankungen jedes Jahr in der Schweiz
für 40% der geschätzten 68 000 Mittelohr-
entzündungsepisoden bei Kindern unter
2 Jahren und der 4000 Pneumonien bei
1. Empfohlene Basisimpfungen
a) Impfungen, mit denen sich in der Schweiz jedes Jahr zahlreiche Fälle von schwerwie
–
genden übertragbaren Krankheiten, die bleibende Schäden oder den Tod zur Folge
haben können, vermeiden lassen;
b) Impfungen, dank derer die Häufigkeit von schwerwiegenden übertragbaren Krank
–
heiten, die früher in der Schweiz häufig waren und bei ungenügender Durchimpfung
wieder auftreten können, sehr niedrig ist oder sogar bei Null liegt;
c) Impfungen zum Schutz vor potentiell schwerwiegenden übertragbaren Krankheiten,
bei denen eine hohe Durchimpfung erforderlich ist, um eine Gruppenimmunität zu
erreichen und um Erkrankungen zu vermeiden, wenn eine Impfung aus Alters- (Fö-
tus, Neugeborene) oder Gesundheitsgründen (Schwangere, immunsupprimierte
Personen) nicht möglich ist;
d) Impfungen gegen seltene aber schwerwiegende Krankheiten, für die keine alterna
–
tiven Präventions- und/oder Behandlungsarten mit nachgewiesener Wirksamkeit
existieren.
2. Empfohlene ergänzende Impfungen
a) Impfungen, mit denen sich in der Schweiz jedes Jahr eine beschränkte Anzahl
schwerwiegender Fälle von übertragbaren Krankheiten vermeiden lassen;
b) Impfungen, mit denen sich in der Schweiz jedes Jahr eine grosse Anzahl von Krank
–
heitsfällen vermeiden lassen, die für Personen ohne identifizierbare Risikofaktoren
keine Gefahr hinsichtlich schwerer Komplikationen oder bleibender Schäden dar-
stellen;
c) Impfungen gegen Krankheiten, die manchmal schwerwiegend verlaufen, für die es
aber alternative Präventions- und/oder Behandlungsarten mit mindestens teilweise
nachgewiesener Wirksamkeit gibt;
d) Impfungen gegen Krankheiten, für die unabhängig vom Schadens- oder Komplikati
–
onsrisiko keine alternativen Präventions- und/oder Behandlungsarten existieren.
3. Empfohlene Impfungen für Risikogruppen
Dazu gehören Personen mit:
a) einem erhöhten Expositionsrisiko (z. B. Reisende, durch Beruf oder Freizeitbeschäf-
tigung exponierte Personen, Kontaktpersonen von Patientinnen und Patienten usw.);
b) einem erhöhten Komplikationsrisiko (z. B. kranke, geschwächte oder immunsuppri
–
mierte Personen, Frühgeborene, schwangere Frauen usw.).
Tabelle 1: Kategorien von Impfempfehlungen.
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Kindern unter 5 Jahren verantwortlich sind.
5 Vergleiche mit anderen Ländern deuten
darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der
Pneumokokkeninfektionen in der Schweiz
deutlich höher liegt als die Schätzwerte
(Vergleiche auch BAG-Impfempfehlungen).
Der einzige derzeit in der Schweiz zuge-
lassene konjugierte Impfstoff gegen Pneu-
mokokken ist unter dem Namen Prevenar
®
erhältlich. Dieser heptavalente Impfstoff
enthält Kapselpolysaccharide von sieben
Pneumokokkenserotypen (4, 6B, 9V, 14,
18C, 19F und 23F), gebunden an ein Trä-
gerprotein.
6) In der Schweiz sind 75% der
Stämme, die zwischen 2001 und 2004 bei
Kindern unter 2 Jahren isoliert wurden, sol-
che Serotypen, die durch den heptavalenten
Konjugatimpfstoff abgedeckt werden.
5) Bei
Kindern unter 2 Jahren beträgt die Wirk-
samkeit hinsichtlich der im Impfstoff enthal-
tenen Serotypen bei invasiven Erkrankungen
etwa 95% und bei der Otitis etwa 50%.
7), 8), 9)
Der Impfschutz beträgt ca. 70% bei Lobär-
pneumonien und 20–25% bei radiologisch
bestätigten Pneumonien beliebiger Ursache
(die verantwortlichen Erreger werden nur
selten bestimmt).
7), 8), 9) Die ausgezeichnete
Verträglichkeit des Pneumokokkenimpf-
stoffes, dessen unerwünschte Wirkungen
hauptsächlich lokal begrenzt bleiben, zeigt
sich deutlich in der systematischen Verwen-
dung in den USA.
5)
Bei gesunden Kindern, deren Eltern einen
optimalen Schutz gegen Pneumokokken
wünschen, empfehlen die EKIF und das BAG
die Verabreichung je einer Dosis des hepta-
valenten Pneumokokkenkonjugatimpfstoffes
(Prevenar
®) im Alter von 2 und 4 Monaten 15 )
(gleichzeitig mit den empfohlenen Basis-
impfungen) sowie eine Auffrischungsdosis
zwischen 12 und 15 Monaten (insgesamt
3 Dosen). Dieses Impfschema (Tabelle 2)
bietet einen optimalen Schutz selbst gegen
ein sehr frühes Risiko (rasches Verschwin-
den der mütterlichen Antikörper) und deckt
die Hochrisikophase von 0 bis 5 Jahren ab.
Nachholimpfungen (mit 7–11 Monaten: zwei
Dosen in rascherer Folge, 12–23 Monaten:
1 Dosis) können für Säuglinge und Klein-
kinder angeboten werden, die vor Einführung
dieser Empfehlung geboren wurden.
5)
Schutz von Kleinkindern unter 5 Jahren
und Jugendlichen von 11 bis 15 Jahren
gegen Meningokokken der Gruppe C
Meningokokken sind nach den Pneumo-
kokken der wichtigste Erreger von Menin-gitis bei Kindern und Jugendlichen in der
Schweiz. Die Zahl der invasiven Meningo-
kokkenerkrankungen hat im Jahr 2000
stark zugenommen, was hauptsächlich
durch die Erhöhung der Fälle durch Me-
ningokokken der Gruppe C bedingt ist.
10 )
Zwischen 2001 und 2004 wurden in der
Schweiz pro Jahr im Mittel 49 Fälle inva-
siver Erkrankungen durch Meningokokken
der Gruppe C beobachtet, davon 40% bei
den Kinder im Alter von 1–4 Jahren und
bei 15–19-jährigen Jugendlichen.
11) In die-
sen beiden Altersgruppen war die Inzidenz
mit 2,8 Fällen auf 100 000 Einwohner zehn
Mal höher als bei Personen über 24 Jahren
(0,2 Fälle auf 100 000). Bei Säuglingen
im ersten Lebensjahr liegt die Inzidenz
bei 5,2 Fällen auf 100000, was allerdings
nur ungefähr 4 Fällen pro Jahr entspricht.
Bei einer Letalität von 9–11% haben die
invasiven Meningokokkenerkrankungen
eine hohe Bedeutung für die Bevölkerung.
Die Schutzmöglichkeit gegen eine derartig
schwerwiegende Erkrankung muss bekannt gemacht werden, selbst wenn diese Erkran-
kung relativ selten ist.
Konjugierte Impfstoffe gegen Meningo-
kokken (Meningitec
®, Menjugate ® und
NeisVac-C ®) haben ihre Wirksamkeit und
Sicherheit insbesondere in England ausgie-
big bewiesen, wo sie seit Winter 1999 allen
Kindern angeboten werden.
11) Sie erzeugen
ein immunologisches Gedächtnis, verringern
die Kolonisierung des Nasenrachenraums
durch Meningokokken der Gruppe C und
können gleichzeitig mit den anderen im Rah-
men des Impfplans empfohlenen Impfungen
verabreicht werden. Ihr Wirksamkeitsgrad
beträgt 83–98% bei Kindern von 1–4 Jahren
und 93–96% bei Jugendlichen von 11–18
Jahren.
12 ) Da die Wirkung bei einer Impfung
im Säuglingsalter nur vorübergehend ist,
muss in diesem Fall eine Auffrischung im
2. Lebensjahr erfolgen.
13 ) Bei einer Impfung
nach dem ersten Lebensjahr hält die Wir-
kung jedoch mehrere Jahre an.
13) Dennoch
herrscht heute die Meinung, dass eine
Impfung nach dem ersten Lebensjahr keinen
Tabelle 2: Impfkalender für einen optimalen Schutz
* Die Auffrischung der Pneumokokkenimpfung kann ohne weiteres mit 12 Monaten erfolgen, gleichzeitig mit
der Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln und der Impfung gegen Meningokokken (3 Injektionen).
** Mit einem zeitlichen Mindestabstand von 4–6 Monaten zwischen den beiden Arztbesuchen.
adie 3. Dosis der Grundimmunisierung für Säuglinge ohne Gefährdung des Impfschutzes kann weggelassen werden 15 )
Alter Basisimpfungen Ergänzende Impfungen
2 Monate DTPa-IPV/Hib +/- HBV Pneumokokken
4 Monate DTPa-IPV/Hib +/- HBV Pneumokokken
6 Monate DTPa-IPV/Hib +/- HBV Pneumokokken
a
12 Monate MMR Meningokokken
15 Monate Pneumokokken*
18–23 Monate DTPa-IPV/Hib +/- HBV und MMR
4–7 Jahre DTPa-IPV
11–15 Jahre Hepatitis B (1. Dosis) Meningokokken
dT/dTpa und Hepatitis B (2. Dosis)**
Tabelle 3: Optimaler Impfkalender für Jugendliche,
die nicht gegen Varizellen immun sind
* Der Impfstoff gegen Windpocken wird als Subkutaninjektion verabreicht, unter Einhaltung einer Entfernung
von 5 cm zur intramuskulären Injektionsstelle der anderen Impfungen in den M. deltoideus.
Visite Basisimpfungen Ergänzende Impfungen
Schema mit 3 Visiten (mit 0, 1 und 4–6 Monaten)
Visite 1 Hepatitis B (1. Dosis) und Varizellen
Visite 2 dT/dTpa Meningokokken
Visite 3 Hepatitis B (2. Dosis) und Varizellen
Schema mit 2 Visiten (mit 0 und 4–6 Monaten)
Visite 1 Hepatitis B (1. Dosis) und Varizellen* Meningokokken
Visite 2 dT/dTpa, Hepatitis B (2. Dosis)
und Varizellen*
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optimalen Schutz gegen die zweite grosse
Inzidenzhäufung in der späteren Pubertäts-
phase (15–19 Jahre) bietet.
Den Eltern, welche ihre Kinder gegen Me-
ningokokken der Gruppe C schützen möch-
ten, empfehlen EKIF und BAG eine Dosis
konjugierten Impfstoffs mit 12 Monaten
und eine weitere Dosis zwischen 11 und 15
Jahren.
14 ) Kinder von 1–5 Jahren, die noch
nicht geimpft sind, können ihre erste Impf-
dosis (Nachholimpfung) jederzeit erhalten.
Kinder zwischen 5 und 10 Jahren brauchen
keine Impfung. In der Altersgruppe zwischen
11 und 15 Jahren ist die Impfung sinnvoll
bei noch ungeimpften Kindern oder wenn
die erste Impfdosis schon mehr als 5 Jahre
zurückliegt. Ausserdem kann die Impfung
bei Jugendlichen bis zu einem Alter von 20
Jahren nachgeholt werden (Einmaldosis).
Nach 20 sinkt das Risiko und dadurch auch
der potentielle Nutzen einer Impfung, aus-
ser bei Risikopersonen.
Eine optimale Integration dieser Impfungen
in den Impfkalender ist in den Tabellen 2 und
3 gezeigt. Mit ihrer Hilfe kann denen, die es
wünschen, ein optimaler Schutz gegen sel-
tene, aber schwerwiegende Risiken geboten
werden. Nun liegt es an den Ärzten, diese
Informationen weiterzugeben ohne ausser
Acht zu lassen, dass die routinemässigen
Basisimpfungen für den Einzelpatienten und
die Allgemeinheit vorrangig bleiben.
Anmerkung:Aus administrativen Gründen
wurde 2005 noch kein definitiver Entscheid
über die Kassenzulässigkeit dieser ergän-
zenden Impfung gefällt. Er wird für den Som-
mer 2006, zum Zeitpunkt der nächsten Revi-
sion der Krankenpflege-Leistungsverordnung
(KLV), erwartet. Bis zu diesem Termin werden
diese Impfungen weiterhin nur Patienten
mit Risikofaktoren vergütet und müssen von
den Eltern gesunder Kinder selbst berappt
werden.
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für Gesundheit und Eidgenössische Kommission für
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15) Siegrist C.-A., Aebi C., Desgrandchamps D., Diana
A., Heininger U., Vaudaux B.: InfoVac Bulletin Nr.
3/2006, BAG-Bulletn, in Vorbereitung
Korrespondenzadresse:
Prof. Claire-Anne Siegrist
Präsidentin der Eidgenössischen
Kommission für Impffragen
Zentrum für Vakzinologie
und Neonatale Immunologie
Departement Pädiatrie
Universität Genf CMU
1 rue Michel-Servet
1211 Genf 4
claire-anne.siegrist@medecine.unige.ch
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Claire-Anne Siegrist , Präsidentin der Schweizerischen Kommission für Impffragen, Genève