Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat im Juni 2013 vor dem Auftreten potentiell tödlicher anaphylaktischer Reaktionen nach intravenöser Verabreichung von Eisenprodukten, insbesondere bei schwangeren Frauen, gewarnt. Diese Empfehlungen wurden anschliessend durch die Agence nationale pour la sécurité du médicament (ANSM) in Frankreich, Swissmedic in der Schweiz und schliesslich durch die pharmazeutischen Firmen, die entsprechende Produkte herstellen, übernommen. Diese Empfehlungen haben insbesondere zur Folge, dass von der iv-Verabreichung von Eisenprodukten in nicht medizinischem Umfeld, d. h. ohne Reanimationsmöglichkeiten, abgeraten wird. Ebenso soll intravenöses Eisen bei Patienten mit allergischer Vorgeschichte, Asthma oder chronisch entzündlichen Erkrankungen nur mit grösster Vorsicht verabreicht werden; schliesslich ist diese Therapieform während dem ersten Schwangerschaftstrimenon ausdrücklich kontraindiziert. Der Patient muss Anaphylaxiesymptome erkennen und diese dem Pflegepersonal mitteilen können.
1 F
Einführung
Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat im
Juni 2013 vor dem Auftreten potentiell tödli-
cher anaphylaktischer Reaktionen nach intra –
venöser Verabreichung von Eisenprodukten,
insbesondere bei schwangeren Frauen
1), ge-
warnt. Diese Empfehlungen wurden anschlies
–
se
nd durch die Agence nationale pour la sé-
curité du médicament (ANSM) in Frankreich,
Swissmedic in der Schweiz und schliesslich
durch die pharmazeutischen Firmen, die ent –
sprechende Produkte herstellen, übernom –
men. Diese Empfehlungen haben insbesonde –
re zur Folge, dass von der iv-Verabreichung
von Eisenprodukten in nicht medizinischem
Umfeld, d.
h.
ohne Reanimationsmöglichkei –
ten, abgeraten wird. Ebenso soll intravenöses
Eisen bei Patienten mit allergischer Vorge –
schichte, Asthma oder chronisch entzündli –
chen Erkrankungen nur mit grösster Vorsicht
verabreicht werden; schliesslich ist diese
Therapieform während dem ersten Schwan –
gerschaftstrimenon ausdrücklich kontraindi –
ziert
1). Der Patient muss Anaphylaxiesympto –
me erkennen und diese dem Pflegepersonal
mitteilen können
2).
Eisenmangel im Kindesalter:
Auswüchse in Indikation
und Verabreichungsmodus
Die genannten Empfehlungen sind nicht ohne
Folgen für die Pädiatrie. Eisenmangel, mit
oder ohne Anämie, ist häufig, insbesondere
beim Jugendlichen und jungen Frauen, teils
bedingt durch die gynäkologischen Verluste.
Müdigkeit, verminderte körperliche oder schulische Leistungsfähigkeit, manchmal Ge
–
mütsschwankungen oder Depression können
mit einem Eisenmangel assoziiert sein
3 ) , 4) .
Obwohl der Zusammenhang zwischen Eisen –
mangel (insbesondere ohne Anämie) und be –
obachteten Symptomen manchmal (sehr)
dünn ist, werden oft die Eisenreserven, insbe –
sondere Ferritin bestimmt und eine Korrektur
der Hypoferritinämie (deren Definition von
einem Praktiker zum anderen ändert) vorge –
schlagen. Solide Daten, auf randomisierten
kontrollierten Studien beruhend, die eindeutig
den Nutzen einer Eisensupplementation bei
Müdigkeit oder verminderter physischer/
schulischer Leistungsfähigkeit assoziiert mit
Eisenmangel (oft ohne Anämie) nachweisen,
sind äusserst selten
4)–6) . Es handelt sich dabei
um einen ersten Auswuchs, den wir Indikati –
onsentgleisung nennen wollen: Trotz fehlen –
der solider Daten wird seit einigen Jahren ein
stark vermehrtes Verschreiben von Eisen bei
gewissen der oben genannten Indikationen,
insbesondere bei jungen Mädchen, beobach –
tet.
Der zweite Auswuchs, den wir Verabrei –
chungsentgleisung nennen, ist die logische
Folge der oben erwähnten Tatsachen. Die
Ausweitung der Indikationen der Eisenthera –
pie, das Er scheinen auf dem Mar k t von Eisen –
präparaten zur iv-Injektion und die zunehmen –
de Forderung der Patienten nach einer wenig
zeit au f wändigen und r asch w ir ksamen T her a –
pie, sind die drei Faktoren, die in den letzten
Jahren in der Schweiz zu einer starken Zunah –
me der Verschreibung von iv-Eisenpräparaten
geführt haben; schwierig ist es hingegen,
genaue Zahlen anzugeben, da diese in den
Händen der pharmazeutischen Firmen sind.
Nebenwirkungen
Obwohl die neueren parenteralen Eisenpräpa –
rate, insbesondere Eisencarboxymaltose, we –
niger Nebenwirkungen verursachen, nament –
lich im Vergleich mit Eisendextran 8) 9) , treten
unerwünschte, manchmal neuartige, Wirkun –
gen dennoch auf. Schwere anaphylaktische/
anaphylaxieartige Reaktionen wurden im Zu –
sammenhang mit den neueren Präparaten in
0.1
%
der Fälle gemeldet
10 ) (Schätzung auf
Grund spontaner Meldungen); deren Häufig –
keit wird mit der vermehrten Verschreibung
wahrscheinlich noch zunehmen. Im Bulletin
von Dezember 2013
7) berichtet Swissmedic
über 239 schwere Reaktionen nach Injektion
von Eisencarboxymaltose, gleichmässig über
die Jahre 2010–2013 verteilt. Es kam zu 185
anaphylaktischen Reaktionen, wovon 21
Schockreaktionen, und zu einem Todesfall.
Diese Nebenwirkungen betrafen vor allem
junge Frauen (die auch die am häufigsten mit
Eisen behandelte Population darstellen). Von
den 24 bei Swissmedic gemeldeten Zwischen-
fällen, die Mädchen unter 18 Jahren betrafen,
waren 17 anaphylaktische Reaktionen
11 ). Bei
den übrigen Eisenpräparaten (Eisensucrose),
inbegriffen Präparate der letzten Generation,
fehlt es ebenfalls nicht an Nebenwirkungen,
wurden doch für Ferumoxytol 4 schwere Re –
aktionen gemeldet, wovon ein Todesfall, was
den vorläufigen Rückzug des Präparates ver –
anlasste
7).
Im Zusammenhang mit Eisencarboxymaltose
wurden auch neuartige Nebenwirkungen ge –
meldet, wie z.
B.
eine schwere Hypophos –
phatämie
12 ).
Notwendige Vorsichtsmassnahmen
Wie einleitend erwähnt, ist es demnach vor
allem das Risiko einer anaphylaktischen Re –
aktion, das die ANSM zu einer Stellungnahme
veranlasste (www.ansm.sante.fr ). Alle Ge-
braucher von iv-Eisenpräparaten erhielten ein
Schreiben mit einer Warnung vor diesen
schweren Hypersensibilitätsreaktionen, einer
Änderung der Verwendungsbedingungen und
einer Beschränkung auf den Spitalgebrauch
13 ).
Ebenso mussten die Produktangaben und die
Angaben in der Spezialitätenliste entspre –
chend angepasst werden
13 ).
Die Kinderärzte, im Speziellen die Spitalpädi –
ater, müssen diese Änderungen kennen,
selbst wenn sie bisher nur in Frankreich Gül –
tigkeit haben. Bei jeder Verabreichung von
Eisen soll man:
•
Sich
vergewissern, dass medizinisches
Personal mit einer Ausbildung in Reanima –
tion anwesend ist
Intravenöse Eisenverabreichung:
Wird die erneute Warnung der pharma
–
ze
utischen Industrie Auswüchse beim
Verschreiben verhindern?
François Cachat 1), Manuel Diezi 2) , 3 ) , Lausanne Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Département médico-chirurgical de pédiatrie
1)
Div
ision de néphrologie pédiatrique
2)
Div
ision d’hémato-oncologie pédiatrique
3)
Dé
partement des laboratoires,
division de pharmacologie clinique
Ce
ntre Hospitalier Universitaire Vaudois
1011 Lausanne, Suisse
1Prof. ffRTof.ff.abi
1Prof. RTab
1 G
• Vor- und Nachteile der iv-Verabreichung
eines Eisenproduktes abwägen
•
De
n Patienten über die Risiken einer ana –
phylaktischen Reaktion informieren, sowie
über die entsprechenden Symptome und
die Notwendigkeit, diese dem medizini –
schen Personal zu melden
•
De
n Patienten während 30 Minuten nach
Ende der Infusion sorgfältig überwachen
Im Grunde unterscheiden sich diese Empfeh –
lungen nicht grundlegend von den heutzutage
in der Schweiz, in Europa und weltweit ange –
wandten Vorsichtsmassnahmen. Sie haben
den Vorteil, uns daran zu erinnern, dass jede
Verschreibung eines Medikamentes mit Risi –
ken verbunden ist. Im Falle des Eisens ist die
orale Verabreichung mit deutlich weniger Ri –
siken verbunden und sollte deshalb immer
bevorzugt werden.
Schlussfolgerungen
Falls eine Eisenbehandlung in Frage kommt,
kann als Folge dieser Warnung die Situation
für die Praxis folgendermassen zusammenge –
fasst werden:
1)
Si
ch so gut als möglich vergewissern, dass
zwischen angegebenen Symptomen (Mü –
digkeit, Konzentrationsstörungen, Depres –
sion) und Laborwerten (Ferritin, Hämoglo –
bin, mittleres Zellvolumen) ein kausaler
Zusammenhang besteht. Dies ist umso
wichtiger, wenn keine Anämie vorliegt.
2)
Imm
er mit einer peroralen Behandlung be –
ginnen, ausser es besteht eine Kontraindi-
kation.
3)
Fal
ls eine iv-Eisentherapie geplant wird,
den Patienten informieren, eine anaphylak –
tische Reaktion vorwegnehmen, möglichst
nicht allergisierende Eisenpräparate wäh –
len, insbesondere Dextran enthaltende
vermeiden
14 ) , 15 ) .
Es sei schliesslich daran erinnert, dass es
wichtig ist, alle beobachteten oder vermute –
ten Nebenwirkungen dem regionalen Pharma –
covigilance Zentrum durch Ausfüllen des
Meldeformulars von Swissmedic ( www.swiss
medic.ch ) zu melden.
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Korrespondenzadresse
François Cachat ou Manuel Diezi
Département médico-chirurgical de pédiatrie
Hôpital Universitaire
1011 Lausanne
Tél. 0041 21 314 3626
Fax 0041 21 314 3570
francois.cachat@ chuv.ch
manuel.diezi @chuv.ch
Beitrag
FC und MD haben gleichermassen zu diesem Artikel
beigetragen. FC und MD haben Literatur gesucht und
gelesen, den Artikel geschrieben und durchgelesen. FC
und MD übernehmen gemeinsam die volle Verantwor –
tung für diesen Artikel. Guy Levy hat zur Beschreibung
der bei Swissmedic gemeldeten Fälle beigetragen und
hat den Artikel durchgelesen und korrigiert.
Die Autoren erklären, keinerlei finanzielle
Unterstützung erhalten und keine anderwei –
tigen Interessenkonflikte im Zusammenhang
mit dem vorliegenden Artikel zu haben. Wir danken Guy Levy herzlich für die Informationen aus
der Pharmacovigilance-Datenbank von Swissmedic so –
wie für seine nützlichen Kommentare und das kritische
Durchlesen dieses Artikels.
1Prof. ffRTof.ff.abi
1Prof. RTab
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Francois Cachat , Département médico-chirurgical de pédiatrie Hôpital Universitaire Manuel Diezi , Département médico-chirurgical de pédiatrie Hôpital Universitaire Andreas Nydegger