Das Kindertauchen existiert fast seit der Erfindung des modernen Gerätetauchens. Unter dem sozioökonomischen und kommerziellen Einfluss verzeichnete es aber in den letzten 10 Jahren eine explosionsartige Zunahme der Popularität. Die jüngsten Veröffentlichungen von Serien von Tauchunfällen (z.T. tödliche oder mehrfache Unfälle) bei Kindern beweisen, dass ein Bedürfnis für Informationen zu diesem Thema besteht, und dass das Thema nichts an Aktualität eingebüsst hat.
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Vol. 17 No. 4 2006 E m p f e h l u n g e n / R e c o m m a n d a t i o n s
Einführung
Das Kindertauchen existiert fast seit der
Erfindung des modernen Gerätetauchens 1).
Unter dem sozioökonomischen und kom –
merziellen Einfluss verzeichnete es aber in
den letzten 10 Jahren eine explosionsartige
Zunahme der Popularität.
Die jüngsten Veröffentlichungen von Serien
von Tauchunfällen (z.T. tödliche oder mehr –
fache Unfälle) bei Kindern beweisen, dass
ein Bedürfnis für Informationen zu diesem
Thema besteht, und dass das Thema nichts
an Aktualität eingebüsst hat.
Der Pädiater wird außerdem mehr mit der
Nachfrage nach Tauchtauglichkeitsbeschei –
nigungen konfrontiert. Die vorliegenden
Empfehlungen haben zum Ziel, dem Prak –
tiker bei fehlenden guten, grossen Studien
eine Hilfe zur oft schwierigen Beurteilung
der Tauchtauglichkeit zu geben.
Die Frage des Alters
Pathophysiologie
Zahlreich sind die Einwände, die man anbrin –
gen kann, ein Kind nicht ins Wasser – eine
der feindseligsten Umgebung für Menschen –
wagen zu lassen.
Die meisten angeführten Einwände sind
pathophysiologischer Art ( Tabelle 1 ).
Trotzdem lässt sich die Mehrheit der aufge –
worfenen Bedenken nicht mit guten soliden
Studien beantworten oder entkräften. Die
unterschiedlichen Punkte werden an ande –
ren Orten abgehandelt 2).
Auf der anderen Seite könnte durch eine
Anpassung der Tauchgewohnheiten und
der Ausrüstung von Kindern den oben er –
wähnten Bedenken gut entgegnet werden
(Tabelle 1 ).
Die Frage der psychischen Entwicklung und
nach seiner Motivation, den Sport auszuü –
ben, spielen eine ev. fast noch grössere
Rolle.
Empfehlungen für die Beurteilung
der Tauchtauglichkeit beim Kind
Marc-Alain Panchard, Vevey; Oskar Bänziger, Zürich; Hans Fuchs, Wettingen;
Heinrich Haldi, Wallisellen; Helmut Oswald, Winterthur
Übersetzung: Oskar Bänziger, Zürich
Abkürzungen
● CMAS: Confédération Mondiale des
Activités Subaquatiques
● FSSS: Fédération Suisse des Sports
Subaquatiques
● NAUI: National Association of Un –
derwater Instructors
● PADI: Professional Association of
Diving Instructors
● SUHMS: Swiss Underwater and Hy –
perbaric Medical Society Tabelle 1: Physiologische Besonderheiten des tauchenden Kindes und notwendige Anpassungen.
Besonderheiten des tauchenden Kindes Mögliche Anpassungen
Atmung Spezialausrüstung
● Erhöhter Sauerstoffbedarf/kg Körpergewicht Langsame Aufstiegsgeschwindigkeit
● Grösserer Totraum/kg Körpergewicht
● Kleinerer Durchmesser und erhöhter Widerstand
in den kleinen Luftwegen: «air trapping»
● Die Verschlusskapazität der kleinen Atemwege
liegt nahe bei der Reservekapazität: «air trapping»
● Lungenwachstum
Kreislauf Limitierung der Tauchtiefe
● Offenes Foramen ovale (wahrscheinlich häufiger) Limitierung der Tauchdauer
● Erhöhter Vagotonus Längerer Sicherheitsstopp und
längere Oberflächenpausen
Muskuloskelettales System Spezialausrüstung
● Wachstum Limitierung der Tauchtiefe
● Knorpelschäden durch Mikroblasen Limitierung der Tauchdauer
● Weniger entwickelte Hüften: Gefahr des Verlustes Langsame Aufstiegsgeschwindigkeit
des Bleigurtes Längerer Sicherheitsstopp
● Reduzierte Kraft (absolut und relativ) und längere Oberflächenpausen
Nasenrachenraum Langsame Abstiegsgeschwindigkeit
● Obstruktion der Eustachschen Tuben bei Valsalva
● Druckausgleichsschwierigkeiten
● Gehäufte Otitiden
Thermoregulation Angepasste Anzüge
● Erhöhtes Risiko für Hypothermie Limitierung der Tauchtiefe
● Erhöhtes Risiko für Hyperthermie Limitierung der Tauchdauer
Warten im Schatten
Körperzusammensetzung Genug trinken
● Weniger Fett: erhöhtes Risiko für Hypothermie Vorsichtiges Tarieren
● Verhältnis Körpergewicht/ Limitierung der Tauchtiefe
Gewicht der Ausrüstung: Schwierige Tarierung Limitierung der Tauchdauer
● Risiko für Dehydratation Angepasste Anzüge
● Unterschiedliche Gaskinetik (cf. unten)
Gaskinetik Limitierung der Tauchtiefe
● Wenig bekannt! Limitierung der Tauchdauer
Langsame Aufstiegsgeschwindigkeit
Längerer Sicherheitsstopp
Keine Wiederholungstauchgänge
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Psychologie und Motivation
Es ist hinlänglich bekannt, dass die Ursa –
chen der Mehrheit der Tauchunfälle beim
Erwachsenen im Verhalten und in den Re –
aktionen auf die eingetretene Situation zu
suchen sind.
Die entwicklungsbedingte kindliche Un –
reife seiner Psyche ( Tabelle 2 ) erhöht
das Risiko für inadäquate Reaktionen in
unvorhergesehenen Situationen 3)–5) . Nur
eine spezielle, kindergerechte Betreuung
erlaubt in solchen Situationen das Risiko
eines Unfalls gering zu halten. Dieser Punkt
wurde von den Ausbildungsorganisationen
aufgenommen, welche eine klare Trennung
von erwachsenen und kindlichen Tauch –
schülern machen und keine gemischten
Gruppen ausbilden.
Die Motivation des Kindes, zu tauchen, ist
nicht immer ganz klar. Ist es sein eigens
Bedürfnis oder handelt es sich um den
Wunsch der Eltern, welche mit dem Kind
tauchen möchten oder durch das Kind ihre
eigenen, nicht erreichten Ziele erreichen
möchten. Nebst der Rolle des Pädiaters, der
die Tauchtauglichkeit bescheinigen muss,
spielt hier natürlich auch der Tauchlehrer
eine wichtige Rolle. Nicht selten realisiert
der erfahrene Tauchlehrer, dass einzelne
Kinder eher an einem Kurs teilnehmen, um
den grossen Bruder zu begleiten, als aus
Freude am Sport. Eine Diskussion zwischen
Tauchlehrer und Pädiater kann in solchen
Situationen die taucherische Zukunft des
Kindes besser beurteilen helfen.
Rahmen, in welchem das Tauchen
stattfinden wird
Die grossen Sporttauchverbände (CMAS,
PADI, NAUI) haben ihr eigenes Kindertauch –
programm mit einer spezifischen Ausbildung
der Tauchlehrer (z. B. Schweizer Unterwas –
ser-Sport-Verband SUSV in Tabelle 3 ).
Es wäre aber falsch zu glauben, dass in allen
Tauchdestinationen oder allen Tauchklubs,
wohin die Kinder ihre Eltern hin begleiten,
dieselbe Vorsicht im Umgang mit tauchen –
den Kindern gilt. Es ist darum von äusserster
Wichtigkeit, dass der Pädiater, bevor er die
Tauchtauglichkeit attestiert, über die Bedin –
gungen, unter welchen das Kind tauchen
wird, kennt.
Schlussfolgerung 1:
Ab welchem Alter kann man tauchen?
Aus den vorherigen Ausführungen lässt sich
folgern, dass es leider unmöglich ist eine
klare Altersgrenze zu fixieren, ab der ein
Kind tauchen kann. Der Entscheid ob ein
Kind tauchen kann hängt nicht nur von sei –
ner körperlichen Gesundheit ab, sondern viel
mehr noch von psychologischen Faktoren
(Reife, Gewöhnung ans Wasser, Motivation
und Verhalten) und Umgebungsfaktoren
(kindergerechte Ausrüstung, spezifisches
Kindertauchprogramm der Tauchverbände
und der Ausbildung der Tauchlehrer) ab.
In der Praxis bedeutet das, dass bei einem
Kind ohne psychologische Bedenken und
ohne medizinische Kontraindikationen
folgende Haltung eingenommen werden
kann:
In einem Tauchbetrieb, der für
Kindertauchen spezialisiert ist:
> 14 Jahre: keine altersbedingten Einschrän –
kungen
8–14 Jahre: Entscheidung von Fall zu Fall;
Tauchtauglichkeitszeugnis mit Einschrän –
kung entsprechend den Limiten der grossen
Ausbildungsverbände und einer maximalen
Tauchtiefe ( siehe Tabelle 3 ); Regelmässige
Kontrolle
< 8 Jahre: Abraten vom Tauchen
In einem unbekannten Tauchbetrieb:
> 14 Jahre: keine altersbedingten Einschrän –
kungen
12–14 Jahre: Tauchtauglichkeit mit Ein –
schränkungen
< 12 Jahre: Abraten vom Tauchen
Im Weiteren stellt sich noch das Problem der
Einführungs- oder Schnuppertauchgänge,
bei welchen in kleineren oder grösseren
Gruppen in einem Schwimmbad bei nur
geringen Tiefen den Kindern das Tauchen
näher gebracht wird. Auch bei diesen Tauch -
gängen besteht die Gefahr, dass bei pa -
nikartigen Aufstiegen mit verschlossener
Glottis ein Pneumothorax oder neurolo -
gische Störungen auftreten können. Es ist
aber unmöglich, für jeden dieser Tauchgän -
ge ein Tauchtauglichkeitszeugnis zu verlan -
gen; trotzdem sollten die Eltern, wenn sie
den Pädiater anfragen, über die möglichen
Risken und Gefahren solcher Tauchgänge
informiert werden und die psychologischen
Faktoren, die Motivation und Umgebungs -
faktoren erfragt werden.
Medizinische Kontraindikationen
(Tabelle 4 )
Anamnese
Die Anamnese sollte wie immer genau er -
fragt werden und möglichst komplett sein.
Interessieren sollten besonders die Folgen
von vorhergehenden Erkrankungen (Frühge -
burtlichkeit, Operationen, Tumoren und ihre
Behandlung…), aktuelle oder gelegentliche
Medikamenteneinnahmen, Familienanam-
nese (kardiale Probleme, Asthma…) und
persönliche Anamnese (Asthma, rezidivie -
rende Otitis oder Tubenmittelohrkatarrh…),
Tabelle 2: Besonderheiten der Entwicklung des tauchenden Kindes
Kompetenz Alter
Berücksichtigung der Länge 7 Jahre
Berücksichtigung des Gewichts 9 Jahre
Berücksichtigung der Geschwindigkeit 12 Jahre
Operative und formale Vorstellungskraft 12 Jahre
Gegenseitiger Respekt 7 bis 12 Jahre
Der Tod ist total und endgültig 10 bis 12 Jahre
Tabelle 3: Programm Kindertauchen des Schweizer Unterwasser-Sport-Verband SUSV - CMAS
Programm Beginn Delfin1 und 2 Delfin 3
Alter
8 und 9 Jahre 2 Meter 5 Meter
9 und 10 Jahre 2 Meter 5 Meter
10 bis 12 Jahre 3 Meter 5 Meter 5 Meter
12 bis 14 Jahre 3 Meter 5 Meter 10 Meter
Keine Nachttauchgänge, nur bei Wassertemperatur > 12°. Spezialausrüstung. Getränke
und Nahrung vorhanden. Einstieg ins Wasser für Kinder adaptiert.
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aber ebenso sollte die sportliche Leistungs –
fähigkeit und das Verhalten im Wasser (Alter
beim Erlernen des Schwimmens, Häufig –
keit,…) erfragt werden. In der Anamnese
darf das Verhalten des Kindes nicht fehlen,
insbesondere sollte die Aufmerksamkeits-
und Konzentrationsfähigkeit des Kindes
erfragt werden, hier sind oft das Schulver –
halten, die Integration und das Verhalten in
Gruppen (Pfadfinder, Sportclub) hilfreich.
Die Anamnese ist nie vollständig, wenn nicht
auch die geplanten Tauchaktivitäten der
Familie und der Tauchschule erfragt werden.
Im Speziellen sollte man sich vergewis –
sern, dass eine kindergerechte Ausbildung
der grossen Tauchverbände (CMAS, NAUI,
CMAS) mit entsprechend ausgebildeten
Tauchlehrern in Anspruch genommen wird.
Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung muss ausge –
dehnt sein und insbesondere dürfen keine
kardialen, pulmonalen, orthopädischen,
zahnärztlichen und ORL-Befunde verpasst
werden. Zur Untersuchung der Ohren gehört
neben der Otoskopie ein Valsavaemanöver
unter otoskopischer Sicht als Minimum
dazu.
Zusatzuntersuchungen
Beim Kind mit blander Anamnese und un –
auffälligem Status sind keine Zusatzunter –
suchungen notwendig.
Für den Pädiater, welcher nach TarMed
eine Tympanometrie abrechnen darf und
die pneumatische Otoskopie nicht be –
herrscht, ist die Tympanometrie von gros –
sem Wert. Sollte ein Verdacht auf eine
kardiale Pathologie (Geräusch, operierter
Herzfehler) bestehen, ist eine spezialärzt –
liche Untersuchung angezeigt, um die
myokardiale Funktion und das Vorligen
auch der kleinsten Shunts zu evaluieren.
Dasselbe gilt natürlich auch für die wei –
terführende pulmonale Diagnostik mittels
Lungenfunktionsmessung zum Ausschluss
einer obstruktiven Lungenaffektion. Andere
radiologische oder Laboruntersuchungen
sind natürlich entsprechend der klinischen
Befunde indiziert.
Beurteilung
Bevor eine eventuelle Kontraindikation zum
Sporttauchen beim Kind gestellt werden
kann, muss der Beurteilende die Grundlagen
und die Praxis dieses Sports verstehen.
Zusammenfassend möchten wir an vier
grundlegende pathophysiologische, phy –
sikalische und psychologische Prinzipien
erinnern:
● Bei Veränderungen des Umgebungs –
druckes müssen sich die Druckverhält –
nisse in den gashaltigen Räumen des
Körpers (Mittelohr, Nasennebenhöhlen,
Lungen, Magen-Darmtrakt…) dem ver –
änderten Umgebungsdruck anpassen
können; es muss ein Druckausgleich
möglich sein. Die Tatsache, dass der
Tauchgang ev. nur in geringer Tauchtiefe
stattfindet macht dieses Prinzip nicht we –
niger wichtig. Im Gegenteil: zum Beispiel
führt der Aufstieg aus 10 m Tauchtiefe
zu einer Verdoppelung des gefangenen
Gasvolumens. Man stelle sich nun vor,
ein kindlicher Taucher steigt in Panik mit
angehaltener Atmung (verschlossener
Glottis) aus 10 Metern auf. Sein gefange –
nes Lungenvolumen würde sich während
des Aufstiegs verdoppeln und als Folge
davon könnte ein Pneumothorax mit
arterieller Gasembolie entstehen.
● Selbst bei «kleinen» Tauchgängen
kann es zu einer Bildung von venösen
Gasblasen («Mikrobubbels») kommen,
welche bei geringer Quantität harmlos
sind, aber beim Vorliegen eines rechts-
links-Shuntes zu fatalen Konsequenzen
führen können. Beim Erwachsenen ist
bekannt, dass mit zunehmendem Alter
die Bildung von Blasen abnimmt, wie
sich diese Kinetik beim Kind verhält ist
aber unbekannt.
● Der psychische Entwicklungszustand
des Kindes spielt bei einem harmo –
nischen problemlosen Tauchgang wahr –
scheinlich eine untergeordnete Rolle.
Er wird aber bei einer unvorgesehenen
Situation oder einem Notfall seine Reak –
tionsfähigkeit beeinträchtigen.
● Das Fehlen von tauchmedizinischen
Grundlagen für Kinder führt dazu, dass
die Kontraindikationen aus Erwach –
senenstudien auf Kinder extrapoliert
werden und dementsprechend auch
konsequenter angewandt werden müs –
sen.
Es wäre langweilig, alle möglichen Kontrain –
dikationen des Gerätetauchens hier Revue
passieren zu lassen. Es ist aber notwendig,
die Kontraindikationen bei bekannten Er –
krankungen mit dem entsprechenden Spe –
zialarzt (Kardiologe, Pneumologe, Neurolo –
ge) zu diskutieren. Als Anhaltspunkt kann
man sich auf das Tauchtauglichkeitsmanual
der SUHMS 7), 8) beziehen und die Empfeh –
Tabelle 4: Zusammenfassung der Kontraindikationen zum Gerätetauchen von Kindern.
Umgebungsbedingte Kontraindikationen
● Kein Ausbildungsprogramm für Kinder
● Unbekanntes oder unspezifisches Ausbildungsprogramm
● Fehlen einer kindergerechten Ausrüstung
● Schulung in Gruppen zusammen mit Erwachsenen
● Extreme Umgebungsfaktoren (Zugang zum Tauchplatz, extreme Temperaturen,
Nacht…)
Psychologische Kontraindikationen
● Fehlende Motivation
● Übermotivierte Eltern
● Falscher Ehrgeiz (Nachahmen des grösseren Bruders)
● Fehlende psychologische Reife
● Angst vor dem Wasser
● Fehlender Respekt vor Gefahren
● Ungenügende Integration in Gruppen
● Deutlicher oder mittelgradiger Entwicklungsrückstand
Altersbedingte Kontraindikationen
● Weniger als 8 Jahre bei Basen mit Kinderprogramm
● Weniger als 12 Jahre bei Basen mit Kinderprogramm
Medizinische Kontraindikationen
● Selten aber wichtig. Alle anamnestischen oder klinischen Auffälligkeiten im
Status verlangen eine spezifische Abklärung
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lungen entsprechend restriktiv handhaben.
Einzelne Gebiete verdienen aber spezielle
Betrachtungen.
Ehemalige Frühgeburtlichkeit
Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Exposi –
tion mit hyperbarem Sauerstoff die Läsionen
einer bronchopulmonalen Dysplasie im Alter
eines tauchenden Kindes verstärken. Trotz –
dem besteht bei dieser Erkrankung die Ge –
fahr einer obstruktiven Lungenerkrankung,
welche wiederum das Risiko für ein «air
trapping» mit den entsprechenden Gefahren
beim Aufstieg mit sich bringt.
Auf der anderen Seite ist das Fenster, in
welchem die Verabreichung von zusätz –
lichem Sauerstoff die Angiogenese der Re –
tina verstärkt und damit das Risiko für eine
Retinopathie des Frühgeborenen erhöht,
längst geschlossen. Trotzdem ist eine Reti –
nopathie des Frühgeborenen mit Retinaab –
lösung ein Grund, den Ophthalmologen zu
konsultieren.
Status nach Radio-Chemotherapie
Die Chemotherapie kann wie die Radiothera –
pie zu toxischen Veränderungen der Lungen
und Atemwege führen. Besondere Erwäh –
nung verdient hier das Bleomycin. Durch
diese Therapie können sowohl obstruktive
als auch restriktive Lungenveränderungen
mit den entsprechenden Konsequenzen
für die Tauchtauglichkeit entstehen. Auch
hier ist eine multidisziplinäre Entscheidung
notwendig.
Kardiovaskuläre Probleme
Sämtliche Erkrankungen des Herzens, ob
mit oder ohne Shunt oder ob operiert oder
nicht, brauchen vor der Bescheinigung der
Tauchtauglichkeit eine kinderkardiologische
Untersuchung mit einer Echokardiographie
mit der Frage nach einem Shunt und der my –
okardialen Funktion. Die Echokardiographie
empfiehlt sich bei allen Kindern mit einem
hörbaren Herzgeräusch, auch wenn man von
einem funktionellen Geräusch aus geht.
Die Entdeckung eines Foramen ovales ist
ein schwierig zu lösendes Problem. Wäh –
renddem beim Erwachsenen mit einem
PFO, der nie eine Decompressionskrank –
heit erlitten hat, ein kleines PFO keine
absolute Kontraindikation darstellt, kein
Verschluss notwendig ist und mit einer
konservativen Tauchtechnik («low bubble
diving» und/oder Nitrox) weiter getaucht
werden kann, ist beim Kind die Situation
komplizierter. Die Tauchprofile müssen
beim Kind schon grundsätzlich angepasst
werden (kurze Tauchzeiten, Tauchtiefen
und Aufstiegsgeschwindigkeit, Anstren –
gungen nach dem Tauchen), die Erfahrung
mit Sauerstoff angereicherten Atemgasge –
mischen ist bei Kindern gering, trotzdem
wäre der Einsatz von Nitrox wahrscheinlich
interessant.
Respiratorische Probleme
Obwohl das Asthma beim Erwachsenen
nicht mehr eine absolute Kontraindikation
darstellt, ist beim Kind das Asthma nach
wie vor eine absolute Kontraindikation.
Andere Erkrankungen wie die cystische
Fibrose oder Status nach Operationen an
den Lungen brauchen eine fachärztliche
Meinung bevor die Tauchtauglichkeit attes-
tiert werden kann.
Gastrointestinale Probleme
Nur wenige Erkrankungen des Gastrointes-
tinaltraktes haben einen Einfluss auf die
Tauchtauglichkeit, selbst mit einer Stomie
kann getaucht werden. Man muss trotz –
dem beachten, dass die Erkrankungen des
Darmtraktes, welche mit einer vermehrten
Gasbildung und Blähungen einhergehen,
beim Auftauchen zu kolikartigen Schmerzen
führen kann, weil die Ausdehnung des Gases
beim Aufstieg zu einer schmerzhaften Dila –
tation des Magens oder der Därme führt.
Neurologische Probleme
Auch hier ist die multidisziplinäre Betrach –
tung (Neurologie, Pneumologie, Pädiatrie,
Tauchmedizin) des Patienten besonders
wichtig. In den letzten Jahren mit dem Behin –
dertentauchen konnte die Unterwasserwelt
für viele behinderte Menschen zugänglich
gemacht werden. Als Beispiel ist bei den Pa –
tienten mit neuromuskulären Erkrankungen
neben der neurologischen Seite auch auf die
Lungenfunktion zu achten. Bei Patienten mit
einer bekannten Epilepsie ist die Situation
fast noch komplexer und die Bescheinigung
der Tauchtauglichkeit ist sehr restriktiv zu
handhaben.
Hals-Nasen-Ohren Probleme
Nach Tympanozentese mit Einlage einer
Drainage ist es selbstverständlich, dass
die Tauchtauglichkeit nicht gegeben ist.
Aber auch Dysfunktionen der Eustach’schen
Tuben oder ein sezernierendes Ohr (z. B.
sezernierende Otitis externa) sind eine Kon –
traindikation zum Tauchen. Der Zahnstatus
muss beachtet werden, weil in den Zähnen
eingeschlossene Luft beim Auftauchen zu
starken Schmerzen führt. Im Weiteren ist zu
beachten, dass bei fehlenden Frontzähnen
das Mundstück des Lungenautomaten ev.
nicht genügend fixiert werden kann.
Psychiatrie
Währenddem es selbstverständlich ist,
dass Kinder, welche unter Angst leiden
oder sehr ängstliche Persönlichkeiten nicht
zum Tauchen zugelassen werden, sind die
Meinungen über die Tauchtauglichkeit bei
hyperaktiven Kindern mit Aufmerksamkeits –
störungen geteilt. Die Pharmakokinetik von
Ritalin unter hyperbaren Verhältnissen ist
nicht klar. Trotzdem besteht die Meinung,
dass bei seit längerem gut eingestellten Kin –
dern diese Therapie auch während der Zeit
des Tauchens fortgesetzt werden soll.
Endokrinologie
Der Bedeutung des insulinabhängigen Di –
abetes mellitus wird beim Erwachsenen
zurzeit kontrovers diskutiert. Trotzdem ist
auch beim stabilen, gut eingestellten Kind
die Tauchtauglichkeit nach wie vor sehr
restriktiv zu beurteilen.
Schlussfolgerung
Medizinische Kontraindikationen sind sel –
ten. In Zweifelsfällen ist die Meinung des
Spezialisten unverzichtbar, um dem Kind
den Zugang zur Welt des Tauchens zu er –
möglichen. Das Tauchtauglichkeitszeugnis
bescheinigt, dass keine Kontraindikationen
zum Tauchen vorliegen, wenn das Kind in
einer adaptierten, für Kinder spezialisierten
Umgebung taucht.
Zusammenfassung
Obwohl Quelle zahlreicher Freuden, bleibt
das Gerätetauchen für Kinder eine Freizeit –
beschäftigung und ist weder eine unver –
zichtbare noch eine risikolose Sportart.
Die mehr und mehr verbreitete Praxis des
sicheren Tauchens mit den eingeplanten
Limiten hat die Sicherheit deutlich erhöht,
doch eine absolute Sicherheit existiert
nicht. Im Gegensatz zu dem was Cousteau
gedacht hat 9), dass Unfälle eine Bestrafung
für eine so schöne Sünde sein könnten,
ist die Rolle des Pädiaters jedoch, das
Risiko für eine solche Bestrafung, um den
Begriff von Cousteau wieder aufzuneh –
men, zu reduzieren, indem er die abso –
luten Kontraindikationen des Tauchens
ausschliesst und diese Patienten dem
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Spezialisten zuweist. Gleichzeitig muss er
sich vergewissern, dass die Umgebung, in
der das Kind taucht, seiner Entwicklung
angepasst ist ( Tabelle 5 ) und das Kind sich
darin weiterentwickeln kann.
Bemerkungen
Die Schweizerische Gesellschaft für Un –
terwasser- und Hyperbarmedizin (SUHMS)
organisiert regelmässig tauchmedizinische
Kurse mit dem Ziel, «Medical examiner of di –
vers» auszubilden. Obwohl diese Kurse nicht
spezifisch pädiatrisch ausgerichtet sind,
beinhalten sie doch wichtige Aspekte des
Kindertauchens und jene der pädiatrischen
Probleme. Siehe auch die Internetseite der
SUHMS; www.suhms.org .
Auf derselben Seite publiziert die SUHMS
auch die neuesten Empfehlungen zum Ver –
halten bei Tauchunfällen und die neuesten
Erkenntnisse zum Tauchen mit persistie –
rendem Foramen ovale (PFO).
Man kann es nicht genug betonen, dass
die Kenntnisse über das tauchende Kind
und seine medizinischen Auswirkungen nur
fragmentarisch sind, und diese Kinder im
Rahmen einer Studie zu verfolgen wäre
ein probates Mittel, unsere Kenntnisse
darüber zu verbessern. In diesem Sinn ist
die Rolle des Kinderarztes als Beurteiler
der Tauchtauglichkeit wertvoll. Siehe www.
diving-kids.ch .
Der Text dieses Artikels ist zusammen
mit anderen Dokumenten (Artikel, Check –
listen…) auch auf der Internetseite www.
diving-kids.ch publiziert.
Referenzen1) Cousteau JY et Dumas D. IN: Le monde du silence. 1 ère édition Le livre de poche, Paris, 1962: 224–226.
2) Panchard MA. L’enfant et la plongée sous-marine.
Quand commencer? Rev Med Suisse Romande 2002; 22: 589–93.
3) Piaget J. IN: Psychologie de l’intelligence. A. Colin,
Paris, 1967: 197–201.
4) Piaget J. IN: Le développement mental de l’enfant.
Denoël, Paris, 1964: 87–101.
5) Dana Castro IN: La mort pour de faux et la mort pour
de vrai. Albin Michel, Paris, 2000: 42.
6) Avanzi P, Galley P et Héritier F. IN: Plonger en sécu – rité. 1 ère édition, Gründ, Paris, 2000.
7) Wendling J et col. Aptitude à la plongée, Manuel. 2 ème édition SSMSH éditions, Crissier, 1996.
8) Wendling J et col. Tauglichkeit, Manuel. 2 ème édition SSMSH éditions, Crissier, 2001.
9) Cousteau JY et Dumas D. IN: Le monde du silence.
1ère édition Le livre de poche, Paris, 1962: 13–14.
Korrespondenzadresse:
Marc-Alain Panchard
Médecin chef, Service de Pédiatrie
Hôpital Riviera, Site du Samaritain,
Bd Paderewski 3
1800 Vevey
map@swissonline.ch
Tabelle 5: Maximale empfohlenen Tiefe als Funktion des Alters (Voraussetzung ist eine kindergerechte Umgebung).
Alter Schnuppertauchen Tauchausbildung
8–9 Jahre 2 Meter 5 Meter
9–10 Jahre 2 Meter 5 Meter
10–12 Jahre 3 Meter 5 Meter
12–14 Jahre 3 Meter 10–12 Meter
Weitere Informationen
Übersetzer:
Oskar Bänziger
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Marc-Alain Panchard , Service de Pédiatrie Hôpital Riviera, Vevey