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Editorial

«Neuropädiatrie ist spannend – aber mir wäre das Fach einfach zu frustrierend» war ein häufiger Kommentar von Kollegen, mit denen ich über die Wahl eines attraktiven Schwerpunktes in der zweiten Hälfte der Pädiatrie-Ausbildung diskutiert habe.

Die von der Kinderneurologie ausgehende Faszination ist leicht nachzuvollziehen. Sie ist bedingt durch ihre inhaltliche Vielfalt und die Möglichkeit mit logischem Kombinieren aus mitunter diffus erscheinenden Symptomen zu einer topographischen Einordnung zu gelangen, immer unter Berücksichtigung der faszinierenden kindlichen Entwicklung. Zudem sind (Grund-) Kenntnisse einiger anderer Fächer wie der Neuroradiologie und der Genetik sowie ein guter Austausch mit den anderen Fachspezialisten elementar. Ein weiterer Aspekt, der häufig erst später in das Bewusstsein tritt, ist die Erweiterung eigener Sichtweisen auf viele Lebensaspekte in Anbetracht der vielschichtigen Probleme, mit denen viele unserer Patienten und ihre Familien konfrontiert sind.

Kausale oder zumindest effektive Therapien hingegen waren häufig nicht verfügbar. Auch heute gibt es nicht wenige Patienten, bei denen eine Diagnosestellung erst verzögert gelingt und die therapeutischen Möglichkeiten sehr begrenzt sind. Die Anzahl der therapierbaren Erkrankungen hat aber deutlich zugenommen – mit stetig steigender Tendenz.

Schwerpunkt dieses Heftes sollen daher neue Therapien sein, die in der Regel durch ein besseres Verständnis der genetischen und pathophysiologischen Grundlagen ermöglicht wurden.

Die meisten neuromuskulären Erkrankungen zeigen einen progredienten Verlauf. Ziel der Therapien war bis vor wenigen Jahren eine Verlangsamung der Progression. Am Beispiel der spinalen Muskelatrophie beschreiben Aliki Perdikari et al. den Wirkmechanismus und die Effekte von Antisense-Oligonukleotiden und der Gentherapie. Bei den betroffenen Patienten konnte erstmals eine Verbesserung motorischer Funktionen durch die neuen Therapien erreicht werden, besonders vielversprechend erscheint ein präsymptomatischer Einsatz.

Die einzelnen neurokutanen Erkrankungen sind selten, in der Summe spielen sie eine relevante Rolle in den neuropädiatrischen Ambulanzen, auch in den meisten kinderärztlichen Praxen wird es mindestens einen Patienten geben. Sandra Tölle berichtet in ihrem Artikel über neue Erkenntnisse und Therapiemöglichkeiten bei den wichtigsten Erkrankungen und stellt Erkrankungen durch genetische Mosaike vor. Die eindrucksvollen Bilder sollen helfen, frühzeitig an die entsprechenden Diagnosen zu denken.

Auch die Epilepsie-Therapie ist im Wandel, die Anzahl der zugelassenen Antikonvulsiva nimmt stetig zu, bei allerdings nicht wesentlich veränderter Anzahl von Patienten mit pharmakorefraktären Epilepsien. Häufig gelingt es aber, durch ein alternatives Präparat eine bessere Verträglichkeit bei gleicher Wirksamkeit zu erreichen. Judith Kröll und Alexandre Datta stellen aktuelle Therapieprinzipien inklusive individualisierter molekularer und genspezifischer Therapien und neue Präparate vor, wobei sie auch auf Einsatz und Wirksamkeit von Cannabidiol eingehen, das in Medien und Elternforen eine grosse Rolle spielt.

Erst in den letzten Jahren wurden die Besonderheiten des Verlaufes der Multiplen Sklerose im Kindes- und Jugendalter beschrieben. Daraus abgeleitet haben sich Therapieempfehlungen, die sich zunächst an den Empfehlungen erwachsener Patienten orientiert haben. Wichtig und therapeutisch relevant ist die Einordnung der MS innerhalb des Spektrums der autoimmunen ZNS-Erkrankungen, wobei die MOG-Antikörper assoziierte Erkrankung auch bei Kindern charakterisiert werden konnte. Ziel des frühen Einsatzes der Immuntherapien ist es, einen Übergang in einen sekundär progredienten Verlauf zu verhindern oder zumindest erheblich zu verzögern.

Chronische Kopfschmerzen sind häufig und spielen sowohl in der pädiatrischen Praxis als auch in den Spezialambulanzen eine zunehmend grosse Rolle. Katrin Lengnick und Andrea Koller stellen die in ihrem Zentrum etablierte interdisziplinäre Therapie bei primären Kopfschmerzen vor. Bei häufig unzureichender Wirksamkeit einer reinen Pharmakotherapie ist der multimodale Ansatz bei diesen Patienten eine wichtige und überlegene Alternative.

Den Autoren danke ich herzlich für Ihre Beiträge, Ihnen für Ihr Interesse und wünsche eine interessante und stimulierende Lektüre.

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Korrespondenz:
Interessenkonflikt:
Die Autorin hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Annette Hackenberg,  Abteilung Neuropädiatrie, Universitäts-Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung, Zürich