In dieser Chronik wird die historische Entwicklung des Neugeborenenscreenings in der Schweiz aufgezeichnet, und zwar von der Pilotstudie in Zürich im November 1965 bis zur Etablierung in der ganzen Schweiz 1975 und der Weiterentwicklung in den Jahren bis 2020. Es wird geschildert, in welcher Reihenfolge diverse Untersuchungsparameter eingeführt, teilweise wieder aufgegeben oder durch andere ersetzt worden sind, wie sich die Methoden gewandelt und wie sich die Kosten entwickelt haben, auch im Vergleich zu denjenigen des Gesundheitswesens. Besprochen werden auch die unbürokratischen Entscheidungen über das Screeningangebot durch eine kleine selbst ernannte Fachgruppe während den ersten 30 Jahren, ferner die heute administrativ aufwendigen Gesuche für die Gutheissung neuer Parameter durch das BAG 3 sowie die minutiösen Evaluationsberichte – und last but not least die eindrückliche Zahl der erfassten und rechtzeitig behandelten Kinder bis und mit 2020.
DAS NEUGEBORENEN-SCREENING IN DER SCHWEIZ (1965-2020) RÜCKBLICK UND AUSBLICK
«… DREI BLUTSTROPFEN PER FERSENPIKS»
BEAT STEINMANN & MATTHIAS R. BAUMGARTNER
DAS NEUGEBORENEN-SCREENING IN DER SCHWEIZ (1965-2020) RÜCKBLICK UND AUSBLICK
«… DREI BLUTSTROPFEN PER FERSENPIKS»
BEAT STEINMANN & MATTHIAS R. BAUMGARTNER
2
Prof. em. Dr. med. Beat Steinmann
Abteilung für Stoffwechsel und Molekulare Pädiatrie
Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung
Steinwiesstrasse 75
CH-8032 Zürich
Telefon +41 79 662 76 10
Beat.Steinmann@kispi.uzh.ch
Kispi-Website: www.kispi.uzh.ch
Profil: scholar.google.ch/citations?hl=de&user=aNjT7xUAAAAJProf. Dr. med. Matthias Baumgartner
Ordinarius für Stoffwechselkrankheiten, Universität Zürich
Leiter Abteilung für Stoffwechselkrankheiten
Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung
Steinwiesstrasse 75
CH-8032 Zürich
Telefon +41 44 266 77 22
Telefax +41 44 266 71 67
Matthias.Baumgartner@kispi.uzh.ch
Kispi-Website: www.kispi.uzh.ch
3
RÜCKBLICK UND AUSBLICK 1
Die Unterlagen zu dieser Chronik bestehen aus zehn dicken
Bundesordnern mit einem Gewicht von 24,5 kg und aus
E-Mail-Daten, beruhen auf Erzählungen und Anekdoten von
Kollegen aus der Periode von 1965 bis 1970, auf den persön-
lichen Erfahrungen des Chronisten (*1943)
4, von ihm schrift-
lich festgehalten, und auf seinem Mitwirken an den Ereig-
nissen rund ums Screening ab August 1970 bis zu seiner
Emeritierung Ende August 2008, als sein Nachfolger, Prof. Dr.
med. Matthias Baumgartner (*1966), Leiter der Stoffwechsel-
abteilung und Medizinischer Direktor des Schweizerischen
Screening-Zentrums wurde. Doch der Chronist blieb als in-
teressierter Zaungast weiterhin aktiv. Allerdings muss be-
tont werden, dass diese Chronik ein gewisses Bias hat, sind
dem Chronisten doch die Interna des ehemaligen Berner
Screeningzentrums weniger vertraut.
«… DREI BLUTSTROPFEN PER FERSENPIKS»
DAS NEUGEBORENEN-SCREENING IN DER SCHWEIZ (1965-2020)
In dieser Chronik wird die historische Entwicklung des Neu-
geborenenscreenings (NGS) in der Schweiz aufgezeichnet,
und zwar von der Pilotstudie in Zürich im November 1965 bis
zur Etablierung in der ganzen Schweiz 1975 und der Weiter-
entwicklung in den Jahren bis 2020. Es wird geschildert, in
welcher Reihenfolge diverse Untersuchungsparameter einge-
führt, teilweise wieder aufgegeben oder durch andere ersetzt
worden sind, wie sich die Methoden gewandelt und wie sich
die Kosten entwickelt haben, auch im Vergleich zu denjenigen
des Gesundheitswesens. Besprochen werden auch die un-
bürokratischen Entscheidungen über das Screeningangebot
durch eine kleine selbst ernannte Fachgruppe während den
ersten 30 Jahren, ferner die heute administrativ aufwendigen
Gesuche für die Gutheissung neuer Parameter durch das BAG
3 sowie die minutiösen Evaluationsberichte – und last but not
least die eindrückliche Zahl der erfassten und rechtzeitig be-
handelten Kinder bis und mit 2020.
Nicht diskutiert werden hier Klinik, Genetik und Therapie
der erfassten Erbkrankheiten und Hormonstörungen; es
wird auf andere Quellen verwiesen, für Fachleute auf folgen-
de Referenzen (1–5) und für Eltern auf die Informationsbro-
schüre (www.neoscreening.ch/de/krankheiten/).
1 Zuerst erschienen in: Hansjak ob Müller, Hans-Beat Hadorn (Hg.): Humangenetik und Anthropologie heute.
Ein Zeitdo
kument. Schwabe Verlag Basel 2022, ISBN 978-3-7965-4346-3.
2
Im Text erschein
t der Autor als Chronist.
3
Bundesamt für Gesundhei
t
4
Lebensdaten w
erden bei der ersten Erwähnung eines Namens genannt, falls eruierbar oder erlaubt.
Beat Steinmann 2 & Matthias R. Baumgartner
4
Der Grundgedanke des Screenings besteht darin, dass das neo-
natale Erkennen von Krankheiten dem Kind einen Benefit
verschafft, der in vernünftigem Verhältnis zur Summe aller
Nachteile steht, wie Nebenwirkungen der Diagnostik, negati-
ve Effekte von falsch-positiven Ergebnissen, finanzielle Kosten
u. a. m. Für die WHO wurden durch Wilson und Jungner (6)
1968 erstmals Kriterien für solche Screeningprogramme formu-
liert und seitdem mehrfach modifiziert (7):
1.
Die Krankhei
t muss klinisch relevant und ihr Spontan-
verlauf gut bekannt sein,
2.
muss in der Popula
tion ausreichend häufig vorkommen,
3.
soll
te ein symptomfreies Intervall nach der Geburt auf-
weisen und anhand klinischer Symptome nicht diag-
nostizierbar sein,
4.
muss
einen nachgewiesenen Nutzen einer präsympto-
matischen Therapie punkto Morbidität und Mortalität
haben, und ferner
5.
muss die An
alysemethode für grosse Probenzahlen ein-
fach und kostengünstig sein und eine hohe Sensitivität
und Spezifität aufweisen.
Eine frühe Diagnose erlaubt eine rechtzeitige Behandlung,
ist die beste Prophylaxe und vermeidet eine diagnostische
Odyssee. Sie erlaubt die rechtzeitige Korrektur oder gar Ver-
hütung von zu erwartenden Komplikationen und ist Grund-
lage für eine angemessene Lebensplanung und -gestaltung,
so etwa punkto Schulung und allfällige Platzierung des Kin-
des, Aktivitäten im Alltag und in der Freizeit. Und last but not
least befreit eine frühe Diagnose die Eltern von unberechtig-
ten Schuldgefühlen und erlaubt eine fundierte genetische
Beratung.
Definition und Ziel des Neugeborenenscreenings
Das NGS auf metabolische und hormonelle Krankheiten war
ein Meilenstein und Schrittmacher für das neonatale Erken-
nen von Krankheiten beim Säugling generell. In Bezug auf
die Genauigkeit der Methodik, das rasche Erkennen der zu
screenenden Parameter, die Erfassung der ganzen Population
und den biologischen Nutzen ist das metabolische NGS der
Goldstandard eines jeglichen Screeningprogramms. Ähnliche
Screeningaktivitäten wurden erst später für das Erkennen
von Hüftdysplasie (Ultraschalluntersuchung), Taubheit (Hör-
Screening), angeborene zyanotische Herzvitien (Hypoxie-
Screening) eingeführt – diese sind punkto Sensitivität und
Spezifizität dem NGS deutlich unterlegen, aber immer noch
weit besser als die Treffsicherheit der Mammografie oder das
Screening auf Prostatakarzinom mittels PSA-Bestimmung.
Das ursprüngliche Konzept des NGS in rein therapeutischer
Absicht, z. B. bei Neugeborenen mit Phenylketonurie, Hypo-
thyreose oder Galaktosämie, wird zunehmend durch pro-
phylaktische Vorsichtsmassnahmen erweitert. Zum Beispiel
werden bei Betroffenen mit asymptomatischem Medium-
Chain-Acyl-CoA Dehydrogenase-Mangel (MCAD-Mangel) zur
Vermeidung von lebensbedrohlichen Hypoglykämien kleine,
dafür häufige kohlenhydratreiche Mahlzeiten empfohlen,
und längeres Fasten, besonders bei katabolen Zuständen wie
Fieber und Durchfall, muss vermieden werden. Die Entwick-
lung von rein therapeutischen zu prophylaktischen Zielen ist
jedoch kein Paradigmenwechsel, denn die Grenze zwischen
Prävention und Therapie ist unscharf. Gleiche Überlegun-
gen gelten für die Zystische Fibrose (CF), die Glutarazidurie
Typ 1 (GA-1), die Schweren Kombinierten Immundefekte
(SCID) und die schwere T-Zell Lymphopenie.
5
Die Früherfassung der Phenylketonurie (PKU) ist das Para-
debeispiel für die Entwicklung des NGS schlechthin. Diese
Erfolgsgeschichte basiert auf drei wichtigen Entdeckungen.
Der Startschuss erfolgte mit der Erstbeschreibung der chemi-
schen Ursache der PKU durch Ivar Asbjørn Følling (Chemiker
und Arzt, 1888–1973): Er fand 1934 im Urin der zwei imbezilen
Geschwister Liv und Dag Degeland grosse Mengen von Phe-
nylpyruvat, einem Metaboliten von Phenylalanin, und nannte
die Krankheit «Imbecillitas phenylpyruvica» (8,9
5), die von
Penrose und Quastel (10) zum weniger abwertenden Termi-
nus «Phenylketonurie» umbenannt wurde. Zweiter Baustein
in der Erfolgsgeschichte war 1953 die klinische Besserung ei-
nes bereits schwer retardierten zweijährigen Mädchens mit
PKU mittels einer phenylalaninarmen Diät durch Horst Bi-
ckel (Pädiater, 1918– 2000, wie es dazu kam siehe Legende zu
Abbildung 1, [11]). Und drittens war die Früherkennung von
asymptomatischen Neugeborenen mit PKU schon kurz nach
der Geburt wichtig, und zwar mithilfe des nach ihm benann-
ten «Guthrie-Tests», den der Mikrobiologe Robert Guthrie
(1916 –1995, Abbildung 2) im Jahr 1961 entwickelt hat
6 – die
entsprechende Publikation wurde nach vielen Absagen aber
erst 1963 in Pediatrics veröffentlicht (12, 13
7). Der Test wurde ab
1963 vorerst in einzelnen Staaten der USA eingeführt und ab
1967 in 47 der 50 Staaten gesetzlich vorgeschrieben. Dank der
Bekanntschaft mit Guthrie führte Bickel das NGS bereits 1964
in Marburg als erstes Zentrum in Europa ein.
Das Prinzip des Bakterien-Hemmtests erlaubte eine Auswei-
tung des Tests auf weitere Metabolite wie Leuzin, Galaktose
und Methionin (Abbildung 3).
Meilensteine des Neugeborenenscreenings
Abbildung 1: Horst Bickel im Hörsaal des Kinderspitals Zürich, 1948; zweiter
von rechts, links im Profil Ettore Rossi (1915–1998).
Nach der Einladung zu einem Vortrag des Chronisten über «Erbkrankheiten des
Bindegewebes», Donnerstag, den 19. Juni 1986 in Heidelberg, erzählte ihm Horst
Bickel beim abendlichen Bier, dass er 1948 anlässlich einer Chefvisite ein imbe-
ziles Kind vorstellte, worauf Fanconi fragte: «Haben Sie die Ferrichlorid-Probe
durchgeführt, Herr Kollege?» – «Ferri…, wie bitte, Herr Professor?», fragte Bickel
erstaunt, worauf er dazu verdonnert wurde, künftig bei allen retardierten Kin-
dern diese Probe im Harn durchzuführen. Nach einem Jahr vergeblicher Unter-
suchungen, so erzählte Bickel, sei er nicht frustriert, sondern inspiriert vom Auf-
enthalt in Zürich 1949 nach Birmingham gezogen. Bickel war mittlerweile beim
dritten Bier angekommen, während der Chronist noch immer am ersten nippte,
um ja nichts zu verpassen. Später in Birmingham, erzählte Bickel weiter, habe er
anlässlich der Vorstellung eines retardierten Kindes gefragt: «Did you do the fer-
ric chloride test?» – «Ferric…, what, please?», habe der Kollege erstaunt gefragt.
Daraufhin wurde diese Urinprobe auch in Birmingham bei allen retardierten
Kindern routinemässig durchgeführt – und nach wenigen Tests die 26 Monate
alte Sheila Jones mit PKU entdeckt. Deren Mutter wollte sich aber keineswegs
mit einer Diagnose begnügen und drängte auf eine Therapie, worauf Bickel in
arge Nöte kam. Mit der Hilfe von Chemikern entwickelte er daraufhin das phe-
nylalaninlose Eiweisshydrolysat aus Rinderserum und behandelte mit diesem
Aminosäurengemisch die kleine Sheila, sehr erfolgreich, notabene.
4a55 Amüsiert
schloss Bickel die Schilderung mit der Bemerkung, bestimmt habe der Frühauf-
steher Fanconi zufällig in einer alten Ausgabe der «SchwiWo»
4b56 am besagten
Morgen in der Kispi-Bibliothek, also unmittelbar vor der Visite, zum ersten Mal
über die Ferrichlorid-Probe gelesen.
4a Ref. 11 und Video über den klinischen Er folg bei Sheila Jones: https://www.youtube.com/watch?v=-rs0iZW0Lb0].
4b
«SchwiW
o» ist unter Medizinern die umgangssprachliche Bezeichnung für die Schweizerische Medizinische Wochenschrift, später
Swiss Medical W eekly und jetzt Swiss Medical Forum.
5
Eine menschliche und wissenschaftliche W
ürdigung von Følling ist in dieser Arbeit beschrieben (13).
6
Frühere Versuche,
PKU schon beim Neugeborenen mittels Ferrichlorid-Probe zu entdecken, scheiterten daran, dass in diesem
Alter das Enzym für die Umwandlung von Phenylalanin zu Phenylpyruvat noch nicht ausgereift ist; deshalb funktionierte der
«diaper-test» in Kalifornien nich t.
7
Guthr
ie beschreibt in diesem eindrücklichen Artikel, warum und wie er den Test 1961 entwickelte, auf welche grossen Hindernisse
er stiess, aber un verdrossen weltweit für dessen Verbreitung kämpfte.
6
Im folgenden Abschnitt werden die oben erwähnten Etappen
beleuchtet, die zum heutigen NGS in der Schweiz führten.
Anlässlich der alljährlich im Frühsommer stattfindenden Sit-
zung der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Ge-
netik in Basel 1965 wurde die Idee des NGS auf PKU lanciert,
möglicherweise von Prof. Gerhard Stalder (1923–2013) aufge-
bracht, dem Ordinarius für Pädiatrie in Basel ab 1968, der an
genetischen Stoffwechselkrankheiten interessiert war. Doch
auch Prof. Andrea Prader (1919–2001), ebenfalls interessiert an
Genetik, hatte die Bedeutung des Screenings vorausschauend
erkannt. Er war in den Startlöchern und verhandelte bereits mit
der kantonalen Gesundheitsdirektion Zürich, ein solches Scree-
ning in seiner Klinik in Zürich einzuführen.
Beginn in Zürich
Das Projekt wurde unterstützt von der kantonalen Gesund-
heitsdirektion Zürich mit einem fixen jährlichen Betrag von Fr.
20
000 (die Unterlagen zum Antrag sind leider nicht mehr vor-
handen). Prader beauftragte gegen Ende 1965 den Assistenzarzt
Dr. med. Rainer Poley (*1931), ein solches Labor einzurichten und
zu betreiben. Am 1. November 1965 schreiben Prof. Dr. med. Prader (Kinder-
spital Zürich) und Dr. F[elix] Fierz (Präsident Gesellschaft der
Aerzte des Kantons Zürich, 1913–1991) an alle Geburtskliniken –
im Kanton Zürich erfolgen 97 % aller Geburten in einer Kli-
nik –, es seien von allen Neugeborenen am fünften bis siebten
Lebenstag per Fersenpiks drei Blutstropfen auf ein spezielles Fil-
terpapier zu bringen, das an das «PKU-Labor» im Kinderspital
zur Auswertung geschickt werden solle. Die Invalidenversiche-
rung übernehme die Diätbehandlung und, wie er betont: «Die
Durchführung des Guthrie-Tests bei jedem Neugeborenen muss
deshalb als moralische Verpflichtung aufgefasst werden.»
In den letzten Monaten im Jahr 1965 untersuchte Poley
4721 Neugeborene aus dem Kanton Zürich auf PKU und 4387
auf die Ahornsirupkrankheit (MSUD
8, Leuzinose). Im Jahr dar-
auf wurden 18
206 Neugeborene aus dem Kanton Zürich und
5899 Neugeborene ausserkantonal auf PKU untersucht (ge-
mäss dem Jahresbericht Januar 1967 von Poley für die beiden
Jahre 1965 und 1966, siehe auch Tabelle 1). Angehängt an den
Jahresbericht war die Instruktion zur Testabnahme: Neugebo-
rene sollen am sechsten, allenfalls schon am fünften Lebenstag
getestet werden, ca. eine bis eineinhalb Stunden nach der zwei-
ten oder dritten Mahlzeit. Für ausserkantonale Kinder wurden
Fr. 3,00 pro Test verrechnet zur Mitfinanzierung des Pilotpro-
jekts der Gesundheitsdirektion Zürich.
Historische Etappen in der Schweiz
8 Die in den Urin a usgeschiedenen verzweigtkettigen Ketosäuren erinnern an den Geruch des kanadischen Ahornsirups, deshalb
auch der englische T erminus «Maple Syrup Urine Disease» (MSUD).
9
Es steht dem Chronisten nich
t zu, die grosse Fluktuation der Laborantinnen ab 1967 zu kommentieren.
10
Später Gastroen
terologe in Norfolk (Virginia) gemäss mündlicher Mitteilung von Prof. em. Dr. med Beat Hadorn (*1933) München.
11
Gitzelm
anns mündliches «Geständnis» gegenüber dem Chronisten, anlässlich seines 65. Geburtstages vom 23. Februar 1995.
12
Dieses Mädchen war diä
tetisch immer bestens eingestellt, gedieh, war intelligent und der Star unter den PKU-Patienten; oft wurde
es den Eltern eines eben geborenen PK U-Kindes vorgestellt, um ihnen zu zeigen, wie dank der Diät ein normales Leben möglich ist.
Doch den späteren T
eenager verloren nicht nur wir Ärzte und Ernährungsberaterinnen, der Chronist eingeschlossen, aus den Augen,
auch den El
tern entglitt die junge Frau, bis es zu einer erst sehr spät erkannten Schwangerschaft kam: Das Neugeborene war
schw erstens geschädigt mit den typischen Zeichen einer PKU-Embryopathie. Das war auch der Anlass, weshalb der Chronist
und sein Team ab dem Jahr 2004 all e Stoffwechsel-erkrankten Patienten ab 18 Jahren für die Weiterbetreuung an die Abteilung
Endokr inologie (Stoffwechsel), Diabetologie und Ernährung des Universitätsspitals (USZ) überwiesen. Vorgängig erfolgte
jew eils durch das Kader der Stoffwechselabteilung die nötige Instruktion über die ihnen unbekannten Krankheitsbilder und deren
Verlä ufe. Der Chronist hat die interessanten, stimulierenden Diskussionen mit den Erwachsenenmedizinern Profs. Marc Donath
(*1963), Chr istoph Schmid (*1953) und Giatgen Spinas (*1951) sowie den Oberärzten des USZ in bester Erinnerung.
Abbildung 2: Robert Guthrie, Zürich 1970 (im Hintergrund die Kreuzkirche).
7
Ausweitung auf die ganze Schweiz
Im Arbeitsbericht zum Jahr 1966 schreibt Prader am 26. Janu-
ar 1967 an den Kanton: «Das Bedürfnis, diese prophylaktischen
Untersuchungen bei allen Neugeborenen der Schweiz
durchzuführen, wird immer mehr eingesehen. Die Sch
weizerische
Kommission für Erbbiologie des Menschen, die Schweizerische Kom –
mission zum Studium und zur Verhütung geistiger Behinderung,
d ie Sch
weizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften
und die Sanitätsdirektorenkonferenz […] haben unsere Initiative be –
grüsst. Wir wurden deshalb von verschiedenen Seiten gedrängt, die –
se Untersuchungen […] auch für andere Kantone zu übernehmen.
[…].
Unterdessen wird ein zweites Laboratorium im Zentrallabor des
Schweizerischen Roten Kreuzes in Bern errichtet […]. Gleichzeitig hat
das Enzymlabor Dr. H. Weber im Kantonsspital St. Gallen […] eine
eigene Untersuchungsstation (nur für Phenylketonurie) errichtet,
die bei den kleinen Zahlen niemals ökonomisch arbeiten kann. […]
Die Einnahmen [im Kanton Zürich] setzen sich aus dem festen Jah –
resbeitrag der kantonalen Gesundheitsdirektion (Fr. 20 000) und
den Ei n
nahmen für ausserkantonale Untersuchungen zusammen
[Fr. 3.– pro Test] […]».
Und von seinem Mentor Dumermuth überzeugt, legte sich Git –
zelmann nun gewaltig ins Zeug. Es folgten Schreiben an alle Ge –
bärkliniken und freischaffenden Hebammen, sämtliche Neuge –
borenen untersuchen zu lassen. Alle Test-Einsender erhielten ein
Separ a
tum des Artikels in der Schweizerischen Ärztezeitung vom
22. April 1970 (15). In diesem flammenden Appell wurde auch
eine erste Kosten-Nutzen-Analyse erwähnt.
13 Gitzelmann warb
auch in der Laienpresse für die gute Sache, und zwar in Journalen
wie Annabelle [16] wie auch in Zeitungen wie Leben und Glauben,
ausgerechnet im Heft vom 8. Mai zum Muttertag (17)!
Aus den beneidenswert einfach gehaltenen Personalakten, in
Handschrift 9 , und dem Schreiben von Prader an Dr. med. P[eter]
Steiner (1907–1980; Vorsteher des Gesundheitsamtes Basel-Stadt)
mit Kopien an Prof. A[dolf] Hottinger (1897–1975, Ordinarius Kin –
derspital Basel) und Prof. T. Koller (Frauenklinik Basel) vom 11. No –
vember 1966 geht hervor, dass der Gastroenterologe Rainer J. Poley
10 eine wissenschaftliche Stellung in Oklahoma City, USA, einneh –
men werde und dass Dr. med. Richard Gitzelmann (Pädiater, 1930–
2013) ab dem 1. Dezember 1966 die Führung des PK
U-Labors im
Nebenamt übernehmen werde (mit einer jährlichen Zulage von
Fr. 4500). Gitzelmann wurde diese Aufgabe deshalb übertragen,
weil er am Galaktose-Stoffwechsel interessiert war – hatte er doch
eben den Galaktokinase-Mangel erstmals beschrieben (14). Er war
aber alles andere als interessiert am Leiten eines Routinelabors im
Nebenamt, vielmehr wollte er weiterhin seiner eingeschlagenen
Forschungstätigkeit ganzzeitig nachgehen. Doch wurde er von Dr.
med. Guido Dumermuth (1930–1992, Leiter der EEG-Abteilung im
Kinderspital) überzeugt, er müsse diese Aufgabe übernehmen,
denn nur die Stellung als Chef eines Screeninglabors garantiere
seine Daseinsberechtigung am Kinderspital.
11
Bereits am 25. März 1966 erscheint in der Morgenausgabe der
NZZ ein Artikel über «Erfolgreiche Verhütung von Schwachsinn –
Untersuchung aller Neugeborenen im Kanton Zürich»: «[…] Der Gu –
thrie-Test wurde letztes Jahr in Zürich versuchsweise von der kanto –
nalen Gesundheitsdirektion und vom Kinderspital eingeführt und
zu Jah resbegi
nn auf alle Spitäler [des Kantons] ausgedehnt. Jährlich
werden so etwa 19 000 Säuglinge erfasst. […] bereits Ende Februar
wurde nach 7002 negativen Tests ein gefährdeter Säugling [mit
PKU] festgestellt, auf den nun nach der frühzeitigen Behandlung
eine normale Entwicklung wartet.»
12
Abbildung 3: Der Guthrie-Inhibition-Test: Aus der Ferse des Neugeborenen
wird Blut auf eine Filterpapierkarte getropft und diese getrocknet ins Neuge-
borenenscreening-Labor geschickt. Dort werden daraus runde Plätzchen von
definierter Grösse ausgestanzt und auf einen Agar-Nährboden aufgetragen, der
mit Bacillus subtilis beimpft ist. Die Wirkung des im Nährboden vorhandenen
Hemmstoffes (Beta-2-Thienylalanin) wird durch die Anwesenheit von Phenyl-
alanin aufgehoben. Die Grösse des Bakterienwachstumshofes um die Blutplätt-
chen herum lässt auf die semiquantitative Konzentration von Phenylalanin im
Trockenblut schliessen. Die Änderung von Hemmstoffen im Agar-Nährboden
erlaubt die Bestimmung von anderen Substanzen wie Galaktose, Leuzin, Me-
thionin. Der Test wird nicht nur für das Neugeborenenscreening, sondern auch
für die Diätkontrollen verwendet.
13 Ein entdeckter PK U-Fall kostet für die Routineuntersuchung Fr. 60 000 [in der damaligen Annahme 1 PKU pro 20 000 Neugeborene
à Fr. 3,00 pro Test], die Kosten für zehn Jahre Diät und medizinische Diagnostik betragen Fr. 50 000 und Fr. 20 000 für die
Betreuung, also ein Total von Fr. 130 000. Ein nicht entdeckter Fall kostet die lebenslängliche Versorgung eines Imbezilen
Fr. 625 000 plus Verlust des Sozialproduktes (Einkommen pro Leben) Fr. 510 000, also ein Total von Fr. 1 135 000. Das heisst,
dass die Erfassung eines PK U-Patienten dem Staat Kosten von Fr. 1 005 000 erspart – das menschliche Unglück dabei ist nicht
eingerechnet. Diese Zahl en gelten für das Jahr 1968 und wurden gemäss U. Scheidt berechnet und in der Diplomarbeit: «Bemühungen
um die berufliche Eingliederung des imbezillen Geistessch wachen im Kanton Bern» publiziert (Diplomarbeit, Schule für Sozialarbeit
Bern, Oktober 196 7). Schon damals hatte der Chronist Mühe mit dem Begriff «Verlust des Sozialproduktes» – ein Begriff, der bei
der Einführung von spä teren Screeningparametern wie CF und SCID in der Kosten-Nutzen-Analyse auch nie in Rechnung gestellt wurde.
8
auch ohne die Eltern damit zu beunruhigen –, sagten die Pfle-
geleute wohl oft: «So, und jetzt müemer no luege, öb alles idr Or –
nig isch», und machten rasch den Fersenpiks. Nota bene: Auch
heu te ist dies noch oft der F
all, wie der Chronist von Müttern
aus seiner Familie und dem Freundeskreis erfahren musste,
und dies trotz der 2005 entstandenen Broschüre in allen vier
Landessprachen, die an alle Gebärenden und Wöchnerinnen
zu verteilen gedacht war (siehe S. 12).
Qualitätskontrolle
Von Anfang an war das «PKU-Labor» einem europäischen «Ring-
versuch» mit Basis Deutschland angeschlossen (PD Dr. med.
Dr. rer. nat. D. Mathias, 21494 Geesthacht), was eine Bei –
trittserklärung zum Grundvertrag zur Qualitätssicherung
und -k on
trolle (VESKA 16) überflüssig machte. 17 (siehe S. 7)
Über die Qualitätskontrolle der Berner ist der Chronist nicht
orientiert.
Die Kosten wurden früher teils von den Spitälern, teils von-
den Eltern selbst berappt. Seit Einführung des KVG am 18. März
1995, gem
äss der Verordnung des EDI vom 29. September 1995,
ist der Test im Pflichtleistungskatalog unter der Bezeichnung
«Guthrie-Test» aufgeführt und wird mit Fr. 30 vergütet.
Reduktion von vier Zentren auf zwei Zentren
Anfänglich gab es vier Laboratorien, neben den Zentren Zürich
(PKU-Labor im Kinderspital, Gitzelmann) und Bern (Zentral –
laboratorium [ZLB] des Roten Kreuzes [SRK], Drs. J. Burckhardt
und R. Scherz) für k
ürzere Zeit auch zwei Privatlabors, nämlich
das Enzymlabor am Kantonsspital St. Gallen (Dr. P.
H. Weber)
und das Labor von Dr. Marc-André Viollier, Basel. Das Labor
St. Gallen zog sich aus Kostengründen bereits 1966 wieder zu –
rück, wie es von Prader vorausgesagt worden war (siehe S. 7).
Es zeigte sich jedoch, dass das v
erbleibende Privatlabor in Basel
(ab 1968) mehrmals zwar richtige pathologische Resultate er –
hoben hatte, dass diese jedoch ohne ärztliches Back-up zu spät
wei
tergeleitet wurden: So kam es zu vermeidbar gewesenen
Todesfällen und mehrmals zu schwer geschädigten Säuglin –
gen, wie der Chronist bei ihrer Einweisung ins Kinderspital
selbst h
autnah miterleben musste. Auf den 1. Juli 1
977 hat auch
dieses Privatlabor den Dienst quittiert. 18
Seit diesem Datum bis 2005 teilten sich die beiden Laboratorien
(Rotes Kreuz Bern und Kinderspital Zürich) ca. hälftig ins Scree –
ning, Bern die südwestliche und Zürich die nordöstliche Hälfte
der Schweiz. Beide Zen tren v
erwendeten weitgehend die gleiche
Methodik.
In ihrem Brief vom 1. November 1967 an die Schweizerische
Kommission für Erbbiologie des Menschen bemängelten Prader
und Gitzelmann die niedrigen Testraten (~ 1 %) in den Kanto –
nen Aargau und Basel-Stadt, dies ganz im Gegensatz zu anderen
Kantonen:
Es hiess, der Kanton Aargau wolle die Kosten nicht
übernehmen, und so scheiterten die Bestrebungen zur Testab –
nahme daran, dass von Zürich erwartet wurde, mit den Eltern
einzeln abzurechnen,
was administrativ viel zu aufwendig ge-
wesen wäre. Dabei wäre die Übertragung der Kosten von den
Gebär abteil
ungen an die Wöchnerinnen wie in den übrigen
Kantonen eine einfache Lösung gewesen. Der Kanton Basel-
Stadt wiederum stellte ein Kuriosum dar: Obwohl das Gesund –
heitsamt das Screening propagierte, hatte man in der Frauen –
klinik mit dem Test gar nicht begonnen, weil das Pflegepersonal
anscheinend a
ufgrund einer «Haftpflicht-Scheu» sich nicht
getraute, bei den Neugeborenen Fersenblut-Entnahmen vorzu –
nehmen (Auskunft durch Prof. Berger, Frauenklinik Basel). Die
beiden Hindernisse im Kanton Aarg
au und Kanton Basel-Stadt
konnten durch administrative Anpassung und durch sorgfältige
Instruktion zur Blutentnahme behoben werden.
Gitzelmanns Werbetrommel hatte grossen Erfolg: Die prozen –
tuale Erfassung der untersuchten Neugeborenen in der Schweiz
stieg stetig an: 4% (1965),
26% (1966), 47% (1967), 71% (1968),
87% (1969), 95% (1970), 97% (1971), 98% (1972), 99% (1973),
99% (1974) und 100% ab 1975
14 (siehe auch Tabelle 1).
Trotz wiederholten Schreiben an Geburtskliniken und Heb –
ammen, von denen keine Tests im PKU-Labor eintrafen, blieb
das Spital in Poschia
vo eine der letzten resistenten Bastionen,
ausgerechnet Poschiavo, der Heimatort von Prof. Dr. med.
Guido Fanconi (1892–1979). Gitzelmann musste Fanconi um
Support bitten, und dieser schrieb im Brief vom 13. Februar
1973 an Dott. Hassler, medico, und Suor Veronica, Ospeda –
le San Sisto, 7742 Poschiavo: «Caro Collega Hassler, Cara Suor
Veron
ica // il prof. Gitzelmann mi dice che da un po’ di tempo
no riceve le analisi del sangue dei neonati di Poschiavo […] cor –
dialmente saluta, Prof. Fanconi».
15 Die Intervention war erfolg –
reich, wie man’s vom Altmeister gewohnt war.
Die Einführung des Neugeborenensc reenings gesch
ah ohne
gesetzliche Grundlage, wurde aber in der Pionierzeit durch den
Kanton Zürich unterstützt. Die Information der Eltern zum Test
war bis 2005 nicht geregelt (siehe S. 12) und geschah durch die
(damals noch so genannten) «Krankenschwestern» und Heb –
ammen, allenfalls durch betreuende Frauenärztinnen oder Pä –
diaterinnen. Ohne gross über den Test zu informieren – aber
14 Manchmal überstieg die Zahl der getesteten Neugeborenen die Zahl der offizi\
ell in der Sch weiz registrierten Neugeborenen,
weil Mü tter vom Ausland, speziell vom benachbarten Frankreich oder Italien, zum Gebären in die Schweiz kamen.
15
Man beachte die Gross- und Kl
einschreibung von Prof. bzw. prof., die bei Fanconi gelegentlich anzutreffen war.
16
Vereinigung Sch
weizerischer Krankenhäuser
17
Jedes Mal, w
enn das Couvert aus Deutschland mit den Kontrollproben im «Guthrie-Labor» eintraf, entstand eine gewisse Hektik.
Die Proben wur den von den Laborantinnen mehrmals hintereinander gemessen, allfällige Ausreisser wurden aussortiert und
die restlichen Daten gemi ttelt. Der Chronist konnte die Laborantinnen nicht überzeugen, dass dieses Vorgehen nicht den
Gepflogenhei ten einer echten Qualitätskontrolle entsprach. Und so versuchten sie jeweils, das Eintreffen der neuen Couverts aus
Deutschland geheim zu h alten, ihm nur ihre «Endresultate» vorzuweisen und diese, signiert vom Chronisten, ins Kontrollzentrum
zurückzuschicken. Es darf aber festgestellt werden, dass sie meistens mehr als zufrieden waren, wenn ihre Resultate im oder
nahe beim Zen trum der Zielscheibe landeten.
9
Phenylalanin und Leuzin wurden seit 1965 (mittels Guthrie-
Test), Galaktose (mittels Guthrie-Test) ab Mitte Juli 1966, Trans-
ferase (mittels Beutler-Test [18]) und Methionin (mittels Gu-
thrie-Test) ab 1968, TSH ab 1. Januar 1977, Biotinidase 1987 im
Abtausch von Methionin und 17-HOP ab 1993 detektiert (sie-
he Tabelle 1). Es erwies sich, dass das Angebot nicht etwa fix,
sondern variabel ist. So wurden gewisse Tests zugunsten von
anderen aufgegeben. Methionin, z. B. zur Erkennung der Ho-
mozystinurie, wurde Ende 1980 aufgegeben, weil unter über
einer Million getesteter Neugeborener nie eine Homozystinu-
rie entdeckt wurde. Dies hat zwei Gründe: Erstens ist die klas-
sische Homozystinurie sehr selten und zweitens beruhte ihre
Detektion auf einem indirekten, sekundären Parameter, näm-
lich der Erhöhung des Methionins, welche abhängig ist von der
Proteinzufuhr. Seit den Pionierzeiten des Screenings ist jedoch
die Eiweisszufuhr in der Vor-Still-Ära von damals 3 bis 4 g Prote-
in pro kg Körpergewicht in Form von Kuhmilchpräparaten auf
~ 1,2 bis 2 g pro kg Körpergewicht gesunken, dies dank Stillkam-
pagnen und Einführung von adaptierten Säuglingsmilchen.
Immerhin wurden so, durch die unspezifische Methionin-Er-
höhung, fünf Kinder mit hereditärer Fruktoseintoleranz
19 noch
rechtzeitig, ein Kind mit Tyrosinämie zu spät sowie vier Säug-
linge mit idiopathischen Hypermethioninämien und mehrere
Neugeborene mit diversen Formen von Leberschädigungen
diagnostiziert, auch wenn dies nicht der eigentliche Sinn der
«Übung» war. Fazit: Das Screeningangebot muss dauernd auf
die aktuellen Gegebenheiten überprüft werden. Bei der Homo-
zystinurie sprachen die Seltenheit der Krankheit und die verän-
derten Ernährungsbedingungen – aber auch der damals fragli-
che Behandlungserfolg – dafür, nicht weiter nach der Krankheit
zu suchen. Zudem war die Recall-Rate wegen unspezifischer
Leberschäden unakzeptabel hoch. Heute steht die Krankheit
dank verbesserter Behandlungsstrategien und der Möglichkeit,
Homozystein direkt zu messen, wieder auf der Wunschliste der
ins NGS einzuführenden Krankheiten (siehe S. 23).
Hypothyreose
Auf den 1. Januar 1977 führte PD Dr. med. Ruth Illig (1924–2017)
das Hypothyreose-Screening ein; die Berner in ihrem Fahrwas-
ser auf den 1. April 1977. Vorgängig unternahm Illig eine vom
Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Machbarkeits-
studie und zeigte, dass das Thyroidea-stimulierende-Hormon
(TSH) radioimmunologisch im getrockneten Filterblut nach-
weisbar ist. Anders als viele andere Zentren, vor allem in den
USA, suchte Illig nicht etwa nach vermindertem Thyroxin,
sondern nach sekundär erhöhtem TSH – als empfindlichstem
Indikator einer gestörten Thyroidea-Funktion (19).
20 Die Häu-
figkeit der primären Hypothyreose in der Schweiz, ca. 1 : 3600
Neugeborene, und deren einfache tägliche Behandlung mit
einer Thyroxin-Tablette machen die kongenitale Hypothyreose
zu einem Paradebeispiel einer (weltweit) zu screenenden und
erfolgreich zu behandelnden Krankheit.
Biotinidase-Mangel
Anlässlich der Sitzung der Fachexperten 21 für Neugeborenen-
screening vom 7. März 1986 wurde einhellig beschlossen, die
Suche nach Leuzinose (MSUD) aufzugeben, da die Krankheit
selten ist, in ihrer schweren Ausprägung meistens in den ersten
Lebenstagen symptomatisch wird und alle elf betroffenen Neu-
geborenen klinisch-chemisch bereits vor dem Eintreffen des
positiven Guthrie-Test-Resultates vermutet oder gar diagnosti-
ziert wurden. Zudem erwies sich die Behandlung der tückischen
Krankheit alles andere als befriedigend – etliche der diagnosti-
zierten Kinder starben später anlässlich einer Stoffwechselkrise
trotzdem oder sind schwer retardiert (siehe Wiederaufnahme
von Leuzin mittels TMS ab 2014, S. 15). Anstelle von Leuzinose
wurde auf Initiative von Dr. med. Regula Baumgartner
22 (*1936,
Pädiaterin, Basel) der Nachweis des Biotinidase-Mangels einge-
führt. Ferner wurde die Routine-Testabnahme vom fünften auf
den vierten Tag vorverlegt. Der Brief mit den drei am 7. März
1986 beschlossenen Änderungen ging am 13. März 1986 an die
Ordinarii Professoren P. E. Ferrier (1928–2014, Genf ), E. Gautier
(1923–2006, Lausanne), E. Gugler (1930–2022, Bern), A. Prader
(Zürich), G. Stalder (Basel); diese Änderungen traten ab dem
1. Januar 1987 in Kraft.
Entwicklung des Screeningangebotes
18 Vor ausgegangen waren diverse empörte, vorwurfsvolle und entschuldigende Telefonate.
19
Diese Neugeborenen wurden in den spä
ten 1960er- und frühen 1970er-Jahren manifest krank, da sie schon in den ersten Tagen
damals noch mi t nicht adaptierten, saccharose- und/oder fruktosehaltigen Säuglingsmilchen gefüttert wurden.
20
Nicht en
tdeckt werden mit dem TSH-Screening Kinder mit den viel selteneren Formen von Hypothyreosen, bedingt durch eine
hypoth alamo-hypophysäre Malfunktion, den TBG-Mangel und entsprechende Hormonsynthesestörungen.
21
PD Dr.
C. Bachmann (1942-2022), Bern; Dr. R. Baumgartner, Basel; Prof. R. Bütler, Bern; Prof. J. P. Colombo (*1932), Bern; Prof. R. Gitzelmann,
Zürich; Prof. N. Herschkowitz, Bern; Herr R. Scherz, Bern; PD Dr. B. Steinmann, Zürich; Prof. U. Wiesmann (*1935), Bern; Prof. K. Zuppinger
(1934– 1994), Bern.
22
Mutter v
on Matthias Baumgartner.
10
gen Zeitpunt wenig aussichtsreich, die Gründe sind hinlänglich
bekannt: Drohender Bankrott der Staatsfinanzen – ausser, wenn
eine gesetzliche Grundlage für die Durchführung geschaffen
würde – die Legiferierung hingegen würde Jahre in Anspruch
nehmen.» Per Abstimmung der Expertenkommission vom
8. Juni 1993 wurde endlich das AGS-Screening knapp befür-
wortet, allerdings mit grossem Anteil von Nein-Stimmen
25
und teils grossen Vorbehalten der Ja-Stimmenden betreffend
Logistik und Kosten-Nutzen-Analyse. Die Mitglieder der Vor-
standes SGP samt den Direktoren der Schweizerischen Pädiat-
rischen A-Kliniken hatten anlässlich der Sitzung vom 14. Juni
1993 das AGS-Screening angenommen, bemängelten und
forderten aber ebenfalls eine Kosten-Nutzen-Analyse. Eine
solche hat zwar nie stattgefunden, doch die nötige Preiserhö-
hung von Fr. 19,50 auf Fr. 25,00. erfolgte ab 1. September 1993,
und das AGS-Screening wurde implementiert.
Screening-Authority
Während genau 30 Jahren wurde das Neugeborenenscree-
ning von Ärzten und Wissenschaftlern ohne Gesetze, Verord-
nungen oder koordinierende Massnahmen der Kantone oder
der Eidgenossenschaft eingeführt und in Betrieb genommen.
Bis anhin waren die Fachexperten für Neugeborenenscree-
ning, bestehend aus Metabolikern und Endokrinologen,
26 au –
tonom gewesen und durch Gitzelmann koordiniert worden.
Um Querelen innerhalb der Fachgruppe künftig zu vermei-
den, aber auch um das missbräuchliche Verwenden von Gu-
thrie-Tests für lokale Studien (teils mit abstrusen, meistens
«autistisch-undisziplinierten» Ideen) zu unterbinden, schrieb
Gitzelmann im Namen der Expertengruppe am 6. Juli 1995 an
die fünf Ordinarii in Pädiatrie: André Calame (1939– 2004), An-
dreas Fanconi (1928-2022), Eduard Gugler, Urs Schaad (*1945),
Susanne Suter (*1943), mit Kopie an den Präsidenten der
Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) Luc Paunier
(*1931). In diesem Schreiben schlägt er vor, dass die fünf Or-
dinarii als Screening-Authority frühzeitig über allfällige Pro-
grammänderungen informiert werden sollten und letztlich
zu entscheiden hätten. Der Vorstand des SGP begrüsste den
Kompetenzwechsel von der Konsensus-Konferenz an die fünf
Ordinarii für die Einführung von neuen «Screeningparame-
tern», und Bachmann wurde später zum Verbindungsmann
zwischen Ordinarii und Fachexperten ernannt.
Adrenogenitales-Syndrom (AGS)
Viel zu reden gab es dann bei der Einführung des AGS-Scree-
nings, wie sich der Chronist noch lebhaft erinnern kann.
Schon in der Ad-hoc-Konferenz in Bern vom 7. März 1986 –
gerade anschliessend an die Sitzung der Fachexperten (siehe
S. 9) – kam die grosse Mehrheit der 16 Teilnehmer
23 zum
Schluss, dass das AGS-Screening in der Schweiz zurzeit nicht
infrage komme, dass aber Prof. Dr. Milo Zachmanns Feldstu-
die weitergeführt werden solle und dass die Pädiater und
Hausärzte das AGS in ihre differentialdiagnostischen Erwä-
gungen einbeziehen und anhand der klinischen Symptome
rechtzeitig erkennen sollten.
24 Dieser Beschluss ist im Artikel
in Paediatrica festgehalten (20).
Befürworter und Gegner bekämpften sich heftig. Puristische
Einwände der Gegner (Stichwort: «clinical awareness», Lo-
gistik, Kosten-Nutzen-Analyse) und emotional gefärbte Ar-
gumente der Befürworter hielten sich die Waage. Anlässlich
der Consensus-Konferenz vom 11. Februar 1992 wurde der
Antrag von Zachmann/Torresani mit zehn zu zwei Stimmen
zurückgestellt. Am 21. Januar 1993 schickte Zachmann an die
Expertengruppe das Exposé einer zu publizierenden Arbeit. In
der Pilotstudie wurden in Zürich und Bern im Zeitraum von
März 1990 bis März 1992 bei 100 000 Untersuchten insge-
samt neun Fälle von AGS entdeckt, bei einer Recall-Rate von
0,2 %, die so niedrig ist, weil Normalwerte in Abhängigkeit
des Gestationsalters erhoben wurden (21). Diese Studie über-
zeugte auch zwei prominente Skeptiker unter den Endokrino-
logen (Pierre Claude Sizonenko und Eric Girardin, *1949) wie
auch Andrea Prader, der am 29. Januar 1993 schreibt: «Lieber
Milo [Zachmann], […] Wie Du Dich erinnerst, hielt ich ein solches
Screening ursprünglich für überflüssig. Die Erfahrungen und
Eure Fortschritte in den letzten drei Jahren, sowie Diskussionen
[…] haben mich unterdessen von der Zweckmässigkeit dieses
Screenings überzeugt. Ich bin also vom Saulus zum Paulus
geworden […].» Gemäss dem Brief vom 7. Juni 1993 an alle Mit-
glieder des Expertenkomitees mit Zachmanns Unterlagen
würde die Einführung des AGS-Screenings eine längst fällige
Preisanpassung von CHF 19,50 auf CHF 25,00 erfordern und
könnte deshalb negative Reaktionen auslösen. Laut National-
rat Dr. Hugo Wick (Pädiater, Basel, NR CVP 1983 bis 1987 und
1991 bis 1995) wäre «die Übernahme durch den Bund im jetzi-
23 Claude Bachm ann, J. J. Burckhardt, Jean-Paul Colombo, Gabriel Duc (1932–2021), J. Girard (*1935), Norbert Herschkowitz (1929–2019),
Jean-Marie Ma tthieu (*1940), Richard Gitzelmann, R. Scherz, Pierre C. Sizonenko (*1932), Beat Steinmann, Toni Torresani (*1948), Hugo
Wick (*1935), Ulr ich Wiesmann, Milo Zachmann (1936 –2002), Klaus Zuppinger.
24
Die klinische Erkenn
ung des AGS bei Knaben ohne Salzverlustsyndrom ist jedoch kaum möglich.
25
Gemäss einem Sk
eptiker betrage eine Recall-Rate von 0,20 % aus einer geringen Anzahl Proben einen breiten Streubereich mit
einem Konfidenzin tervall (CI 95 %) von 0,17 % bis 0,23 %.
26
Claude Bachm
ann, Kurt Baerlocher (*1935), Regula Baumgartner, J. J. Burckhardt, Jean-Paul Colombo, Gabriel Duc,
Jean-Marie Ma tthieu, Norbert Herschkowitz (1929–2019), Pierre C. Sizonenko, Beat Steinmann, Toni Torresani, Hugo Wick,
Ulrich Wiesm ann, Milo Zachmann.
11
Vom «Guthrie-Test» zur Tandem-Massenspektrometrie –
ein analytischer Paradigmenwechsel
Jede durch das klassische NGS erhobene Verdachtsdiagnose
muss in einem anderen Labor mit einer unabhängigen dia-
gnostischen Methode überprüft werden. Die technologisch
neuesten Analysenverfahren wie die Tandem-Massenspek-
trometrie (TMS) haben zu einer sprunghaften Verbesserung
der postsymptomatischen Diagnostik geführt, mit grosser
Empfindlichkeit, Spezifizität und Kostengünstigkeit. Es hat
sich gezeigt, dass dieses Verfahren auch für die präsympto-
matische Diagnostik im NGS geeignet ist. Der grosse Vorteil
von TMS für das NGS besteht darin, dass mit TMS mehrere
Parameter wie Phenylalanin, Methionin, Leuzin etc. in einem
einzigen Analyse-Run erfasst werden, während früher für
jeden Analyten ein eigens dafür erstellter mikrobiologischer
Hemmtest verwendet werden musste (siehe auch Legende zu
Abbildung 3) – deshalb der Terminus «Paradigmenwechsel».Um die Einführung der TMS als Screeningmethode zu disku-
tieren, organisierten am 8. Februar 2001 PD Dr. med. Andrea
Superti-Furga (*1959) und der Chronist ein Symposium «NG-
Screening Symposium – Möglichkeiten – Strategie – Ethik» im
Kinderspital Zürich (Abbildung 4): Zusammenfassend kann
man sagen, dass die Kriterien von neu zu erfassenden Krank-
heiten die gleichen bleiben (siehe S. 4). Insbesondere muss
der Spontanverlauf der Krankheit gut bekannt sein und die
Behandlung eine nachgewiesene klinische Wirkung haben
(Senkung von Morbidität und Mortalität), besonders wenn
sie in der präklinischen Phase einsetzt. Die Neueinführung
von neu zu erfassenden Krankheiten muss strengen Kriteri-
en unterliegen, mit sorgfältigem Abwägen von Nutzen und
Kosten im weitesten Sinn; ferner darf durch eine Neuein-
führung auf keinen Fall das etablierte Screening gefährdet
werden.
Abbildung 4: Redner am
Symposium «NG-Scree-
ning Symposium – Mög-
lichkeiten – Strategie
– Ethik», im grossen
Hörsaal der Universitäts-
Kinderklinik Zürich, den
8. Februar 2001.
12
Mit der Einführung von TMS und aufgrund neuer gesetzli-
cher Grundlagen (BAG, SAMW 27, ZEK 28) wurde die Einfüh-
rung von neuen Screeningparametern zunehmend aufwen-
dig – dies ganz im Gegensatz zur Pionierzeit von 1965 bis 1995.
So lautete am 3. Juni 2004 die Anfrage von Bachmann und
Brian Fowler (*1946) an Prof. Dr. med. Michel Vallotton (*1933,
Präsident ZEK) sinngemäss folgendermassen: Die Gruppe
der «Swiss Centers for Inborn Errors of Metabolism» und
das Kollegium der Chefärzte der Pädiatrischen A-Kliniken
wären sich einig, dass im jetzigen Zeitpunkt in der Schweiz
das Screening auf PKU und MCAD-Mangel
29 mittels TMS
einzuführen sei, aber aus ethischen Gründen auf die beiden
Parameter beschränkt werden solle. Um zu vermeiden, dass
andere Krankheiten durch TMS zwar diagnostiziert werden,
aber nicht den Screeningkriterien entsprechen, sollen sämt-
liche Rohdaten unter Wahrung strikter Datenschutzbestim-
mungen gespeichert und durch eine Art «Vorhang» verdeckt
werden. Sollte später ein Kind an einer unklaren Erkrankung
leiden oder gar sterben, so können die versteckten Daten auf-
gedeckt werden (siehe auch S. 19).
Am 22. Oktober 2004 wurde ein Ausschuss des ZEK
30 mit
diesem Traktandum betraut. Diese Arbeitsgruppe hat be-
schlossen, dass nach einer Erfolg versprechenden Pilotver-
suchsphase:
1.
die Früherfassung v
on Phenylalanin und MCAD er-
wünscht sei,
2.
die Abdeckung («V
orhang») der Messdaten auf Meta-
boliten, deren Krankheiten die Kriterien zum Screening
nicht erfüllen, gemäss dem ethischen Anspruch auf
Nichtwissen erlaubt sei,
3.
eine Informa
tionsbroschüre für die Eltern zu erstellen
sei, auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoroma-
nisch (Abbildung 5).
31 (Seit 2011 ist eine neue Informa-
tionsbroschüre in 13 Sprachen unter dem Link abrufbar:
https://www.neoscreening.ch/de/downloads/.) Ende 2004 wurde unter Federführung von Matthias Baum-
gartner und Toni Torresani beim BAG ein Gesuch eingereicht
für die Aufnahme des MCAD-Mangels in die Liste der Krank-
heiten, die durch das Neugeborenenscreening erfasst wer-
den (Artikel 12 Buchstabe b KLV, Aufnahme per 1. Januar
2005). Zwei Jahre später wurden die Berechnungsunterla-
gen für alle durchgeführten Analysen mitgeliefert mit dem
Antrag, per 1. Januar 2007 den Preis für das Neugeborenen-
screening, seit 1996 unverändert, von CHF 30 auf CHF 40 zu
erhöhen (gemäss Analysenliste, siehe auch Tabelle 1).
27 Schw
eizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften.
28
Zentr
ale Ethikkommission der SAMW.
29
Ausser Pheny
lalanin wurde Tyrosin für den Phe/Tyr-Quotienten als zusätzlicher Indikator zur besseren Diagnostik von PKU
bestimmt, ohne dass Tyrosin selbst sichtbar wird.
30
Bestehend aus Prof.
Christian Kind (*1949, Vorsitz), Dr. Nicole Bürki (Gynäkologin), Dr. Margrit Leuthold (Generalsekretärin SAMW)
und lic. i ur. Michelle Salathé (wissenschaftliche Mitarbeiterin Generalsekretariat SAMW, Basel).
31
Dr.
W. Pletscher (*1945) von der kantonalen Ethikkommission schreibt dem Chronisten am 23. November 2006: «Mein Kompliment
für die gelungenen Aufklärungsbrosch üren! Sie sind verbal und optisch so hervorragend gemacht, dass man sie mit Vergnügen liest.»
13
Nach langwierigen, wiederum emotional gefärbten Verhand-
lungen wurde auf den 1. Dezember 2005 das Screening der gan-
zen Schweiz in Zürich zentralisiert. Im Vorfeld befürworteten
die Präsidenten diverser Fachgruppen im Brief vom Januar 2005
an alle Einsenderinnen und Einsender von Guthrie-Test-Karten
in der Schweiz die Zentralisierung in Zürich.
33 Dieser Brief wur-
de zusammen mit einem sekundierenden Brief vom 15. März
2005, unterzeichnet von T. Torresani (Technischer Leiter des
Screeninglabors) und dem Chronisten (Medizinischer Leiter des
Screeninglabors), in Paediatrica (22, 23) nochmals publiziert und
wirbelte in Bern viel Staub auf. Es folgte eine emotionale Replik
des Blutspendedienstes SRK im August 2005, unterzeichnet
von Fritz Stettler (Verwaltungsratspräsident), Peter Pfäffli (Vor-
sitzender der Geschäftsleitung) und Dr. Christoph Niederhau-
ser (Bereichsleiter Labordiagnostik, Mitglied der Geschäftslei-
tung) (24). Auf eine Duplik von «Zürich» wurde verzichtet.
Bereits im Sommer 2004 erfolgte in Zürich, auf den 1. Janu-
ar 2005 auch im Labor Bern, die Erweiterung des Screenings
auf die Fettsäureoxidationsstörung MCAD-Mangel (Medium
Chain Acyl-CoA Dehydrogenase-Mangel) mittels TMS und die
Erfassung von Phe anstelle des altehrwürdigen Guthrie-Tests.
In dieser Phase gab es im Kinderspital Zürich gleichzeitig das
Hightech-Labor von Torresani für Aminosäuren, Acylcarnitine,
TSH und 17-OHP und im angestammten «PKU-Labor» des alten
Backsteingebäudes (Abbildung 6) der Stoffwechselabteilung
den traditionellen, eher gemütlich anmutenden Betrieb für den
Nachweis von Galaktose und den beiden Enzymen Transferase
und Biotinidase.
32
Das Neugeborenen-Screening Schweiz
Abbildung 5: Titelblatt der Broschüre für die Eltern in den vier Landesspra-
chen für die Jahre 2006 bis 2011. 57 31a Die neue Broschüre ist unter https://www.
neoscreening.ch/de/downloads/ abrufbar.
31a Foto von Chr istoph Steinmann (*1975, lic. phil., jüngster Sohn des Chronisten): Zoé (*1998) und seine Kinder Lou (*2003) und Gioia
(*2005, ger ade 16 Tage alt), aufgenommen am 25. März 2005; mit Genehmigung der drei Kinder und der Eltern.
32
Im Mai 2007 wurden die beiden Laborbereiche des Neugeborenensc
reenings räumlich im Proteinhormon-Labor von Torresani
zusammengefasst.
33
Die Unterzeichnenden w
aren Prof. Dr. Wolfgang Holzgreve (*1955, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und
Gebur tshilfe), Prof. Dr. Hans-Ulrich Bucher (*1948, Präsident Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie), Dr. Pierre Klauser
(*1952, Pr äsident Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie), Prof. Dr. Eugen Schönle (*1950, Präsident Schweizerische Gesellschaft
für Pädiatr ische Endokrinologie und Diabetologie) und Prof. Dr. B. Fowler (Vorsitzender Swiss Group for Inborn Errors of Metabolism).
14
Die Konzentration beider Laboratorien geschah etappenwei-
se ab dem 1. April 2005 und konnte betrieblich ohne Zwi-
schenfälle vollzogen werden. Die meisten analytischen Gerä-
te wurden aus dem Labor Bern übernommen, da es sich um
die gleichen Apparaturen handelte, wie sie in Zürich schon
im Einsatz waren. Für die Zentralisierung war ausschlagge-
bend, dass …
1.
das Zentrum in Zür
ich mit zwei TMS (ein Routine- und
ein Back-up-Gerät zur Wartung) ausgestattet war,
2.
die Spezialisten mit klinischer Er
fahrung im gleichen
Haus nach Bedarf rasch intervenieren konnten
34 und
dass
3.
eine Probemenge von über 50 000 pro Jahr internatio-
nal als optimal galt. Bachmanns fachkundiges und diplomatisch geschicktes
Taktieren konnte die SGP von dieser Lösung überzeugen. Die
Variante mit einem Zentrum in Bern scheiterte an der feh-
lenden Anbindung an die Klinik, und das Konzept von zwei
Zentren war finanziell schlicht nicht vertretbar. So entstand
das «Schweizerische Neugeborenen-Screening-Zentrum» mit
Toni Torresani als Technischem
35 und dem Chronisten 36 als
Medizinischem Leiter des Neugeborenen-Screening Schweiz.
Abbildung 6: Richard Gitzelmann, Victor A. McKusick 33a (1921–2008) und der
Chronist vor dem Backsteingebäude (ehemals Lingerie) mit dem «PKU-Labor»
und der Stoffwechselabteilung, 27. April 1990, am Vorabend zu McKusicks Eh-
rendoktorat der Universität Zürich.
33a Prof. Dr . med., Genetiker am Johns Hopkins Hospital, Baltimore, USA, und Begründer des genetischen Katalogs «Mendelian Inheritance
in Man» (3). Als Clinical Fellow in Medical Genetics verbrachte der Chronist zwei stimulierende Jahre in der Moore Clinic bei VAM, so
unser Spitzn ame für McKusick.
34
Fairerw
eise muss man ergänzen, dass Jean-Marc Nuoffer von 2002 bis 2005 als medizinischer Berater vom Inselspital aus das
Neugeborenenscreening-Labor des SRK bis zu seiner Aufl ösung betreute.
35
Bis 2013, gefo
lgt von Dr. sc. nat. Ralph Fingerhut bis 2020 und seither Dr. sc. nat. Susanna Sluka (*1984).
36
Prof. Dr
. med. Matthias Baumgartner als Nachfolger ab 1. September 2008.
15
chungen beim Menschen (GUMG; https://www.fedlex.admin.
ch/eli/fga/2018/1351/de) mit einbezogen werden. So regelt das
GUMG auch die Reihenuntersuchungen (GUMG, Artikel 12),
deren prominentester Vertreter das NGS ist. Das GUMG sieht
zudem vor, dass das BAG vor einer Bewilligung die GUMEK
38 so-
wie die NEK
39 konsultieren muss (GUMG Artikel 12, Paragraf 3).
Als Mitglied der GUMEK seit 2007 konnte Matthias Baumgart –
ner bei der Erarbeitung von Kriterien zur Begutachtung von
An w
endungskonzepten für Reihenuntersuchungen mitwirken,
die dann erstmals beim Gesuch für die CF angewandt wurden
40
(siehe Evaluationsbericht: « 5 Jahre Neugeborenenscreening
Zystische Fibrose – Bericht 2017» [25]).
Glutarazidurie Typ-1
Das NGS auf die Glutarazidurie Typ 1 (GA-1) stellt ein geeignetes
Instrument dar, um einer sehr kleinen Zahl an Patienten eine
deutliche Besserung der neurologischen Prognose zu ermögli
–
chen, ohne dass dabei relevante negative Begleiterscheinungen
in Kauf genommen w
erden müssen. Bei präsymptomatisch
oder früh diagnostizierten Patienten verhindert oder reduziert
die Behandlungsstrategie das Auftreten von Schädigungen in
den Basalganglien mit dystonen Bewegungsstörungen und
senkt die Morbidität und Mortalität (https://www.neoscree –
ning.ch/de/downloads/). Der für die Glutarazidurie Typ 1 er –
forderliche diagnostische Test ist der Nachweis einer erhöhten
K onzen
tration von Glutarylcarnitin. Glutarylcarnitin wird im
gleichen Analyse-Run mittels TMS wie der MCAD-Mangel fest –
gestellt, dies ohne zusätzlichen Aufwand. Seit dem 1. November
2014 lief
der zweijährige Pilotversuch und ist jetzt Bestandteil
des Routine-Screeningprogramms
41 (siehe Evaluationsbericht
2020: «5 Jahre Neugeborenen Screening auf die Glutarazidurie
Typ 1 und die Ahornsirupkrankheit (MSUD) – Bericht 2020» \
[25]).
Ahornsirup-Krankheit (MSUD)
Die Suche nach Säuglingen mit MSUD mittels Guthrie-Test er –
folgte bereits in den Jahren 1965 bis 1986. In dieser Zeitspanne
wur den v
on 1 569 456 Tests lediglich elf Säuglinge mit MSUD
detektiert, alle klinisch vermutet und oder sogar bereits bewie –
sen, noch vor dem Eintreffen des Guthrie-Tests, der damals noch
am sechsten bis siebten Tag en
tnommen wurde (siehe S. 9).
Dies entsprach einer Häufigkeit von 1 : 143 000 in der betreffen –
den Schweizer Kohorte.
Die Mitglieder der SGIEM (Swiss Group for Inborn Errors of Meta-
bolism) als inoffizielle nationale Screeningkommission für Stoff –
wechselkrankheiten
37 gingen davon aus, dass die Erweiterung des
Screeningprogramms prinzipiell möglich sei. Logistisch kommen
folgende Möglichkeiten infrage: etappenweiser Einschluss von
zu screenenden Metaboliten, Ausschluss oder Wiedereinführung
von Metaboliten, und dies je nach neuester Methodik. Die zu er –
wartende Zahl von Neugeborenen mit weiteren Stoffwechsel –
krankheiten würde sich nach Erfahrungen mit ausländischen
Zen tren v
erdoppeln, diejenige von Neugeborenen mit endokrino-
logischen Krankheiten bliebe konstant (siehe auch Tabelle 1). Vo –
raussetzung all
erdings ist, dass die Erweiterung des Screenings
das traditionelle NG-Screening nicht gefährden darf.
Zystische Fibrose (CF)
Obwohl die CF immer wieder ein Thema für das Screeningpro –
gramm war, gab es bis vor 15 Jahren keine kontrollierten Stu –
dien, die hinsichtlich Krankheitsverlauf einen Vorteil aufwiesen
v on frühzei
tig durch NGS erfassten CF-Patienten gegenüber den
aufgrund von Symptomen diagnostizierten CF-Patienten. Dies
änderte sich in den letzten Jahren: Etliche Studien zeigten, dass
sich bei frühzeitiger Diagnosestellung Ernährung, Wachstum
und Hirnentwicklung verbesserten und Erkrankungen bzw.
Spitalaufenthalte seltener wurden, dass die Leidenszeit bis zur
Diagnose verkürzt wurde, was auch eine zeitgerechte Familien –
planung erlaubte. Zusätzlich wurden die ökonomischen Vorteile
erkann t.
In Anbetracht der höheren Lebenserwartung und bes –
seren Lebensqualität der im NGS erfassten Säuglinge sowie der
Hä ufigk
eit der CF (~ 1 : 3000) ist der Einschluss aller Neugebo –
renen im Screeningprogramm wünschenswert. (Link zur Infor –
mation: h ttps://www.neoscreening.ch/de/downloads/)
Nach einer vierjähr
igen Planungsphase wurde das zweijährige
Pilotprojekt «Neugeborenen-Screening für Zystische Fibrose
in der Schweiz» am 1. November 2010 vom BAG bewilligt, am
1. Januar 2011 gestartet, ab dem 1. Januar 2013 auch über das
KVG finanziert (Erhöhung von CHF 40 auf CHF 45) und bis zum
31. Dezember 2018 befristet «geduldet». Per 1. Januar 2019 wurde
die Befristung aufgehoben, und seither ist CF fester Bestandteil
des Routine-Screeningprogramms. Erstmals musste bei diesem
Gesuch das 2007 verabschiedete Gesetz für genetische Untersu –
Erweiterung des Screeningangebots
37 Gemäss Proto koll vom 5. Januar 2007: K. Baerlocher, M. Baumgartner (Protokoll), B. Fiege (*1973), N. Blau, L. Bonafé, O. Boulat, B. Fowler
(Vorsi tz), L. Kern, J.M. Nuoffer (*1964), P. Paesold (*1968), B. Steinmann, B. Thöny (*1958), B. Wermuth (*1945), L. Kasyan (*1975, Gastärztin
aus Armenien).
38
Ausserparlamentar
ische Kommission des Bundesrates für genetische Untersuchungen beim Menschen.
39
Nati
onale Ethikkommission.
40
Federführend w
aren PD Dr. med. Jürg Barben (*1960, Präsident Swiss Working Group for Cystic Fibrosis, St. Gallen), Dr. phil. Toni
Torresani, Prof. Dr. med. Martin H. Schöni (1949–2019), Prof. Dr. phil. Sabina Gallati (*1952) und Prof. Dr. med. Matthias Baumgartner
sowie die T askforce neonatales CF-Screening in der Schweiz.
41
Ver
antwortlich für die Gesuche und Formalitäten waren Matthias R. Baumgartner, Johannes Häberle, Toni Torresani, Ralph Fingerhut
und für die Swiss Group of Inborn Errors of Metabolism PD Dr. med. Luisa Bonafé (*1970) und PD Dr. med. Diana Ballhausen (*1972),
CHUV, Lausanne, Dr. Ilse Kern, HUG, Genf, Dr. Jean-Marc Nuoffer und Dr. Matthias Gautschi (*1970), Inselspital Bern, PD Dr. Martina
Huemer (*1963) und Prof. Br ian Fowler (Präsident), UKBB, Basel.
16
fen getränkt werden. Jodhaltiges Desinfektionsmittel (cave:
Hypothyreose-Screening) und vorgängiges EMLA-Pflaster
(erzeugt Artefakt in der TMS) muss vermieden werden. Fer-
ner ist zu beachten, dass die Karte nicht mit Milch oder lakto-
sehaltigem Puder für die Nabelpflege kontaminiert wird. Da
die Enzyme Gal-1-P-Uridyltransferase und Biotinidase leicht
durch Wärme inaktiviert werden, besonders im Sommer bei
hoher Luftfeuchtigkeit, sollen die Karten bei Raumtempera-
tur getrocknet werden und nicht etwa auf dem Heizkörper
oder mit heissem Föhn – Fehlalarm ist sonst angesagt. Fer-
ner dürfen nie Antikoagulantien wie EDTA, Heparin etc. ver-
wendet werden (siehe Link: https://www.neoscreening.ch/
de/screening-information/).
Nur intakte Karten, also die Karten mit den Personalien des
Neugeborenen samt weiteren demografischen Angaben
und seinem Trockenblut, die nicht getrennt und nachträg-
lich mit Klebband wieder zusammengefügt wurden, werden
verarbeitet.
45
Versand und An
alyse der Guthrie-Tests
Die Einsender der Guthrie-Tests sind angehalten, die Test-
karten möglichst rasch einzusenden. Das Screeningzentrum
arbeitet an allen Wochentagen, an denen der Posteingang er-
folgt. Von den 16 Laborantinnen (BMAs) mit insgesamt 1090
Stellenprozent sind in der Regel sechs bis sieben für das NGS
(600-700%) sowie eine bis zwei für das das Proteinhormon-
labor zuständig und lösen sich in ihren Aufgaben gegensei-
tig ab. An normalen Samstagen arbeiten sie üblicherweise
zu zweit (200%), an Feiertagssamstagen, z. B. nach Karfrei-
tag, sind es drei (300%).
Aktuelle Screeningmethodik und Bestätigungs-
diagnostik
Alle Immuno-Assays für TSH, 17-OHP und IRT sowie die Enzy-
me-Assays für Biotinidase, Galaktose, GALT werden aktuell
gemäss Diagnostics (Trivitron‘s Labsystems Diagnostics Oy)
( https://www.labsystemsdx.com/products/newborn-scree-
ning) auf den Geräten Newborn Screening Automate NS2400
( https://www.labsystemsdx.com/products/newborn-scree-
ning/instrument/newborn-screening-automate-ns2400)
durchgeführt, die Aminosäuren und Acylcarnitine mit den
beiden TMS-Geräten Shimadzu 8050 (https://www.shimad-
zu.de/lcms-8050-triple-quadrupole-ms) und Shimadzu 8060
( https://www.shimadzu.de/lcms-8060-triple-quadrupo-
le-ms) bestimmt, TRECS und KREKS für das SCID-Screening
werden molekulargenetisch auf dem QuantStudio-Realtime-
PCR-Gerät gemessen, und die Bestätigungsdiagnostik erfolgt
Der für die MSUD erforderliche diagnostische Test ist der
Nachweis einer erhöhten Konzentration von Leuzin und
von
allo-Isoleuzin, das normalerweise nicht vorhanden ist,
und der ohne zusätzlichen Aufwand mittels TMS im glei-
chen Analyse-Run wie Phenylalanin detektiert wird. Seit
dem 1. November 2014 lief der zweijährige Pilotversuch,
der jetzt Bestandteil des Routine-Screeningprogramms ist.
42
(https://www.neoscreening.ch/de/downloads/) (siehe Eva-
luationsbericht: «5 Jahre Neugeborenen Screening auf die
Glutarazidurie Typ 1 und die Ahornsirupkrankheit (MSUD) –
Bericht 2020» [25]).
SCID (schwere kombinierte Immundefekte) und
Agammaglubulinämie (schwere B-Zell-Lympho-
penie)
Die Experten 43 gaben das Gesuch für das NGS dieser Krank-
heitsgruppen am 11. Dezember 2015 ein, nach diversen Revi-
sionen wurde es drei Jahre später bewilligt.
Seit 1. Januar 2019 werden die beiden genetisch heteroge-
nen Krankheitsgruppen ins Screeningprogramm aufgenom-
men und über das KVG vergütet (Erhöhung von CHF 45 auf
CHF 54), mit dem Ziel, potenziell tödlich verlaufende ange-
borene (primäre) Krankheiten des Immunsystems mittels
eines einfachen und schnell durchzuführenden Tests zu er-
fassen und einer kurativen Behandlung mittels Stammzell-
transplantation zuzuführen. Gemäss dem Schreiben vom
BAG vom 7. Januar 2019 ist das NGS auf SCID auf fünf Jahre
befristet und muss nach diesem Zeitraum neu evaluiert wer-
den (Link zur Information: https://www.neoscreening.ch/
de/downloads/).
Abnahme des Guthrie-Tests
Der Guthrie-Test wurde in den Jahren 1965 bis 1986 am
sechsten Lebenstag abgenommen, allenfalls schon am fünf-
ten Lebenstag, ca. eine bis eineinhalb Stunden nach der
zweiten oder dritten Mahlzeit. Ab 1986 wurde die Abnahme
vom fünften auf den vierten Tag verschoben, ab 2006 auf
den dritten Lebenstag, das heisst älter als 72 Stunden und
jünger als 96 Stunden. Durch die DRG
44-bedingten Frühent-
lassungen müssen ab 2014 zusätzlich Geburtsstunde und
Uhrzeit der Testabnahme angegeben werden (https://www.
neoscreening.ch/de/screening-information/).
Anleitung zur Abnahme des Guthrie-Tests
Nach Desinfektion mit reinem Alkohol sollen der erste Bluts-
tropfen mit einem trockenen Tupfer ohne Desinfektion abge-
wischt und die Kreise der Karte mit den weiteren Blutstrop-
42 Ver antwortlich für die Gesuche und Formalitäten waren Johannes Häberle, Matthias R. Baumgartner, Toni Torresani, Ralph Fingerhut
und die Swiss Grou p of Inborn Errors of Metabolism (PD Dr. med. Luisa Bonafé und PD Dr. med. Diana Ballhausen, CHUV, Lausanne,
Dr. Ilse Kern, HUG, Genf, Dr. Jean-Marc Nuoffer und Dr. Matthias Gautschi, Inselspital Bern, PD Dr. Martina Huemer und Prof. Brian
Fow ler (Präsident), UKBB, Basel.
43
Janine Reichenbach (*1971),
Matthias R. Baumgartner, Hulya Ozsahin (*1961), Susanna Sluka, Ralph Fingerhut.
44
«Diagnosis Related Grou
ps» ist das System zur Pauschalabrechnung von Spitalaufenthalten.
45
Bei zwei so
lch «reparierten» Guthrie-Karten wurde in der einen Probe eine Hypothyreose diagnostiziert; die Wiederholung des Tests
mit zw ei neuen (intakten) Karten zeigte, dass die endokrine Störung dem anderen Säugling zugeordnet werden musste.
17
Beim UDP-Gal-4-Epimerase-Mangel ist die Galaktose mässig
erhöht, Beutler-Test und Clinitest negativ. Der Nachweis erfolgt
durch die verminderte/fehlende Enzymaktivität und erhöhtes
Gal-1-P in den Erythrozyten. Der enzymatischen Diagnostik
folgt zur definitiven Bestätigung eine molekulargenetische
Untersuchung des GALE-Gens.
Homozystinurie
Die (unspezifische) erhöhte Menge Methionin im Guthrie-
Test kann indikativ für die Homozystinurie sein; der Test
wurde 1986 aufgegeben (siehe S. 9), steht aber wieder auf
der Wunschliste (siehe S. 23).
Hypothyreose
Bei erhöhtem TSH wird die Hypothyreose durch erhöhtes TSH
und vermindertes freies Thyroxin 4 (fT4) und Trijodthyronin 3
(T3) im Plasma bestätigt.
Biotinidase
Nach positivem enzymatischem Screeningtest muss die Diag-
nose durch die quantitative enzymatische Bestimmung der Bio-
tinidase im Serum oder durch Mutationsanalyse des BTD-Gens
bestätigt werden.
Medium-Chain-Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel
MCAD-Mangel wird durch die Erhöhung von C8-Carnitin in der
TMS vermutet und unterstützt durch eine geringere Erhöhung
von C6-Carnitin, C10-Carnitin und C10:1-Carnitin. Die Konfirma-
tionsdiagnostik erfolgt durch den Nachweis erhöhter Konzen-
trationen mittelkettiger Acylcarnitine und deren Metaboliten
(organische Säuren) und wird mittels Mutationsanalyse des
ACADM -Gens bewiesen.
Adrenogenitales-Syndrom
Ist 17-OHP erhöht, wird die Diagnose durch die relevanten Ste-
roide im Plasma mittels TMS bestätigt. In über 90 % der Fälle
handelt es sich um den 21-Hydroxylase-Mangel. Dieser wird
mittels molekulargenetischer Analyse der zehn häufigsten
Mutationen im CYP
21A2-Gen bestätigt.
Zystische Fibrose
Diese Krankheit wird bei erhöhtem immunoreaktivem Trypsi-
nogen (IRT) vermutet, gefolgt vom Nachweis von Mutationen
in den 18 häufigsten Genen aller in der Schweiz Geborenen und
dann durch den aufwendigen Schweisstest im Alter von drei
Monaten bewiesen, dem diesbezüglichen Goldstandard. Bei
negativem Schweisstest werden die Eltern
über eine allfällige
Trägerschaft informiert
47 (für Recall-Rate, Sensitivität, Spezifi-
tät, negative und positive prädiktive Werte siehe [25]).
per Mutationsanalyse der betreffenden Gene mit der
custom-
made Stoffwechsel-Panel MiSec Sequencer (Illumina, https://
www.kispi.uzh.ch/de/zuweiser/labormedizin-zpl/stoffwech-
sel/Documents/Stoffwechsel_Genetik.pdf ) und anschliessen-
der Sanger-Sequenzierung (26).
Bei positiven Tests werden die entsprechenden metabolischen,
endokrinologischen, CF- und immunologischen Zentren infor-
miert und gelegentlich die genetischen Beratungsstellen kon-
taktiert (Anhang).
Phenylketonurie
Die Erhöhung von Phenylalanin, damals mittels Guthrie-Test
und heute mittels TMS detektiert, ist indikativ für PKU. Die Be-
stätigung erfolgt mittels Aminosäuren-Analyzer im Plasma.
Zur Differenzierung gegenüber atypischen Hyperphenylalani-
nämien werden seit 1980 die Kofaktoren (Biopterine, BH4) der
Phenylalanin Hydroxylase (PAH) und seit 2000 zusätzlich die
Mutationsanalyse des PAH Gens bestimmt, dies auch zur Ab-
grenzung der seltenen Variante DNAJC12-HPA (3)
.
Ahornsirup-Krankheit (MSUD, Leuzinose)
Bei der Erhöhung der verzweigtkettigen Aminosäuren Leuzin/
Isoleuzin, Valin und als Second-Tier-Test allo-Isoleuzin durch
TMS wird die Verdachtsdiagnose mittels Aminosäuren-Ana-
lyzer (auf Leuzin, Valin, Isoleuzin und den spezifischen Marker
allo-Isoleuzin) im Plasma und mittels Nachweises spezifischer
organischer Säuren im Urin validiert und durch die Mutations-
analyse der Gene BCKDHA, BCKDHB oder DBT definitiv bestätigt
(für Recall-Rate, Sensitivität, Spezifität, negative und positive
prädiktive Werte siehe [25]).
Galaktosämie
Die fehlende Reaktion im enzymatischen Beutler-Baluda-Test
zusammen mit erhöhter Galaktose ist indikativ für Galaktos-
ämie. Ist der Test fälschlicherweise negativ, z. B. beim unsach-
gemässen Verpacken, besonders in der warm-feuchten Som-
merzeit, so ist der Nachweis der Abwesenheit von Galaktose in
einer Urinportion mit negativem Clinitest wertvoll.
46 Die Diag-
nose muss durch den enzymatischen Nachweis der fehlenden
Galaktose-1-Phosphat-Uridyltransferase und der Erhöhung von
Galaktose-1-Phosphat in den Erythrozyten gesichert werden.
Bei Säuglingen mit einer Kombination der Duarte-Variante mit
der klassischen Mutation (D/G) beträgt die Aktivität um die
25 %. Routinemässig werden auch die Eltern als Überträger en-
zymatisch und seit Kurzem auch mittels Mutationsanalyse des
GALT-Gens untersucht.
Beim Galaktose-Kinase-Mangel ist die Galaktose (nahrungs-
abhängig) deutlich erhöht, der Beutler-Test normal und das
Gal-1-Phosphat in den Erythrozyten kaum nachweisbar; die Be-
stätigung erfolgt durch die fehlende Galaktokinase-Aktivität in
den Erythrozyten und den Mutationsnachweis des GALK-Gens.
46 Seit Diabetik er ihre Insulin-Einstellung nicht mehr mit der Reduktionsprobe Clinitest (Ames) im Urin überprüfen, ist dieser Test in
den Apotheken nich t mehr erhältlich. Doch er wird von Obsthändlern und Weinbauern gebraucht und ist im Internet erhältlich.
47
Gelegen
tlich stösst dies auf Widerstand wegen Persönlichkeitsschutz, Schuldzuweisungen und Recht auf Nichtwissen.
18
Rückmeldungen
Unauffälliges Resultat: Bei unauffälligem Resultat erfolgt
keine Rückmeldung.
Auffälliges Resultat: Handelt es sich um eine milde, nur
kontrollbedürftige Abweichung und ist das Neugeborene
klinisch unauffällig und noch im Spital, so wird durch die La-
borantinnen des Screeningzentrums von den Pflegenden ein
zweiter Test erbeten. Falls das Kind bereits zu Hause ist, wird
die Kontrolluntersuchung ohne Verzug durch einen Arzt des
Screeningzentrums von der zukünftigen Kinderärztin oder
dem Allgemeinpraktiker telefonisch erbeten, falls nötig mit
den entsprechenden fachlichen Erklärungen zuhanden der
Eltern.
Pathologisches Resultat: Der Arzt des Screeningzentrums
(24 Stunden Pikettdienst) informiert ohne Verzug telefo-
nisch den verantwortlichen Arzt (Neonatologe im Spital)
oder die Kinderärztin in der Praxis, erteilt Instruktionen zur
Sicherung der Diagnose oder empfiehlt dringend die Hospi-
talisation in ein pädiatrisches Zentrum zwecks Spezialab-
klärungen und therapeutischer Massnahmen. In gewissen
Fällen, wenn das Neugeborene zu Hause ist und noch keinen
Arzt hat oder dieser nicht erreichbar ist, erfolgt die Informa-
tion der Eltern direkt durch den Arzt des Screeningzentrums,
der nicht nur fachlich kompetent sein muss, sondern auch
mit der psychologisch heiklen Situation Erfahrung hat.
Die Betreuung der Eltern zwischen Rückruf und definitiver
Diagnose bzw. Ausschluss einer angeborenen Krankheit
kann je nach Störung ausserordentlich schwierig sein. Auch
bei optimalem Informationsfluss zwischen Screeningzent-
rum, Personal der Geburtsklinik, nachbetreuendem Kinder-
arzt und Kinderklinik bzw. pädiatrischem Tertiärzentrum
muss angestrebt werden, dass die ersten Gespräche gemein-
sam mit einer Kollegin geführt werden, die alle notwendigen
Informationen zur Verfügung hat, sowie bereits in einer ver-
trauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung zu den Eltern steht.
Deshalb ruft der diensttuende Arzt des Screeningzentrums
(24 Stunden Pikettdienst) die Eltern direkt an oder überweist
Eltern und Kind an den lokalen Ansprechpartner des Meta-
bolischen Netzwerkes, der die neu auftauchenden Fragen be-
antworten und so die Ängste auf ein Minimum reduzieren
kann.
Qualitätskontrolle
Eine interne Qualitätskontrolle erfolgt täglich bei jedem Ana-
lysenlauf. Zusätzlich nimmt das Labor an regelmässigen ex-
ternen Qualitätskontrollen (US-Gesundheitsbehörde CDC
48; viermal jährlich) teil (27). Darin enthalten sind sämtliche
Screeningparameter.
Die Inspektion durch die Swissmedic vom 25. Mai 2018 (Refe-
renz-Nr. 2018-124) fand nur geringe Mängel, die sie am 19. Juni
2018 an die Leitung des Screeninglabors formulierte und die
am 31. Juli 2018 behoben wurden.
Glutarazidurie Typ 1
Sie wird durch den Nachweis von Glutarylcarnitin (C5DC,
oder C5DC/Cx) per TMS entdeckt, durch die erhöhte Konzent-
ration von 3-HO-Glutarsäure (und Glutarsäure) im Urin (GC/
MS) bestätigt und durch molekulargenetische Analyse des
GCDH-Gens bewiesen (für Recall-Rate, Sensitivität, Spezifität,
negative und positive prädiktive Werte siehe [25]).
SCID (schwere kombinierte Immundefekte) und Agamma-
globulinämie (schwere B-Zell-Lymphozyopenie)
Säuglinge werden aufgrund verminderter Menge von TREC
(T-cell Receptor Excision Circles) und KREC (Kappa-deleting
Recombination Excision Circles) durch den kombinierten
quantitativen TREC/KREC PCR Assay erkannt, der sich als
sensitiver (> 95 %) und spezifischer (> 99 %) Nachweis er-
wiesen hat mit einer Recall-Rate von 0,14 %. Die Bestäti-
gung erfolgt mittels diverser immunologischer Marker. Bei
einem positiven Resultat wird das Zentrum der pädiatri-
schen Immunologie am Universitäts-Kinderspital Zürich
informiert, und das betreffende Kind bzw. die Eltern werden
sofort zur klinischen Untersuchung und Durchführung der
Konfirmationsdiagnostik aufgeboten.
«Klinisch wachsam bleiben!»
Ist die Klinik bei Säuglingen und Kleinkindern trotz negati-
vem Screeningergebnis suggestiv für eine der gescreenten
Krankheiten, muss die Bestimmung wiederholt werden.
Das war 1982 exemplarisch der Fall bei einem achtmonati-
gen Kind, das zur Tonsillektomie ins Triemli-Spital einge-
wiesen wurde. Prof. Sergio Rampini (1925–2005), Chefarzt
der Kinderabteilung, fiel auf, dass der Knabe etwas retardiert
war. Der erneut durchgeführte Guthrie-Test war positiv für
PKU. Die Nachforschungen, wie es zu diesem verpassten Test
kommen konnte, führten zu keinem Ergebnis: Der archivier-
te, ursprünglich eingesandte, am fünften Tag abgenommene
Test zeigte bei mehreren Wiederholungen einen normalen
Phenylalaninspiegel im Trockenblut. Eine biologische Er-
klärung, dass beim Neugeborenen das Phenylalanin im Blut
normal war und erst später angestiegen wäre, ist unwahr-
scheinlich, und die Möglichkeit, dass das Kapillarblut von
einem gesunden Kind auf zwei verschieden angeschriebene
Guthrie-Karten getupft wurde, lässt sich nicht eruieren.
Ein zweiter angeblich «verpasster» Fall war ein Säugling mit
Glutarazidurie Typ 1, der sich nach bis anhin unauffälliger
Entwicklung im Alter von neun Monaten, ausgelöst durch
eine Rotavirus-Gastroenteritis, mit schwerer enzephalo-
pathischer Krise präsentierte. Die Erklärung dafür ist aber
biologisch: Bei diesem Low-Excreter – die Zellen mit diesen
speziellen Mutationen sezernieren nur sehr wenig Glutar-
säure-Metabolite und können somit nicht per TMS nicht er-
fasst werden – hätte das Kind als Neugeborenes mittels WES
als Second-Tier erfasst werden können. Weitere verpasste
Fälle sind uns nicht bekannt. Trotz dieser Seltenheit entbin-
det ein negatives Screeningresultat nicht davon, weiterhin
nach den gescreenten Krankheiten zu suchen, wenn klini-
sche Symptome dafür sprechen könnten.
19
Hälfte der «Verweigerer» umgestimmt werden kann; der Chro-
nist wies die oft homöopathisch orientierten Eltern jeweils an
eine in klassischer Medizin wie a uch in Homöopa
thie ausgebil-
dete Pädiaterin weiter – fast immer mit Erfolg!
V er
dacht auf angeborene Krankheiten nach dem Screening
Ist die Klinik bei Säuglingen und Kleinkindern trotz negativem
Screeningergebnis suggestiv für eine der gescreenten Krankhei –
ten, muss die Bestimmung wiederholt werden. Kommt bei der
Pädia ter
in oder dem Hausarzt der Verdacht auf, es könnte sich
bei einer später auftretenden unklaren Erkrankung oder plötz –
lichem Tod eines Kindes um eine Stoffwechselstörung handeln,
so können n
ach Rücksprache beim diensttuenden Stoffwechsel –
experten des Screeningzentrums der erwähnte «Vorhang» ge –
hoben
49 und die bereits bestehenden, aber im Screeningprozess
versteckten Rohdaten genutzt werden; diese mutieren somit zu
einer bereits stattgefundenen diagnostischen Intervention (sie –
he auch S. 12), die äusserst rasch und unbürokratisch via E-Mail
ver
fügbar ist und als TMS-Analyse 50 verrechnet wird. Seit 2007
werden schätzungsweise jährlich ca. 200 bis 400 Entblindungen
durchgeführt und jeweils ein bis drei positive stoffwechselkran –
ke Kinder pro Jahr identifiziert; bis dato vier Kinder mit Cobala –
min-C-Mangel, eines mit Isovaleriansäure-Krankheit, eines mit
VL C
AD-Mangel und eines mit LCHAD-Mangel oder mehr. 51
Lagerung der Testkarten
Nach der Emeritierung von Gitzelmann hat der Chronist verfügt,
dass ab dem 1. April 1997 sämtliche Proben dauerhaft aufbewahrt
werden sollen. Die Filterkarten für das Neugeborenenscreening
bestehen aus zwei Teilen, einem mit Blut getränkten Filterpapier
und einem demografischen Teil mit allen notwendigen Angaben
zum Neugeborenen. Die beiden Teile sind zusammenhängend,
mit einer Perforation in der Mitte, und werden je mit einer Labor –
nummer v
ersehen. Anschließend werden die beiden Teile vonei –
n
ander getrennt. Nach Abschluss des Sc
reeningprozesses werden
sie separat aufbewahrt: Der biologische Teil mit dem Trockenblut
wird in einem speziell gesicherten, trockenen und kühlen Raum
für mindestens zehn Jahre ausserhalb des Kinderspitals aufbe –
wahrt, der demogr afische T
eil nach fünf Jahren vernichtet.
Weiterverwendung des biologischen Materials
Durch die behandelnde Kinderärztin oder den Allgemeinarzt
können jederzeit weitergehende Untersuchungen aus dem
Restblut angefordert werden, z. B. zur Bestätigung einer kon –
natalen CMV- oder HIV-Infektion. Vor
aussetzung ist die Ein-
verständniserklärung der Eltern, die beim anfordernden Arzt
v erbl
eibt oder im Zweifelsfall durch das Screeninglabor ver-
langt werden kann.
Das Restblut darf uneingeschränkt verwendet werden zur
Validierung einer neuen Messmethode eines Parameters, der im
Routinescreening bereits bestimmt wurde; dies allerdings unter
Voraussetzung, dass das Resultat der Messungen auf keinen Fall
mehr einem Neugeborenen zugeordnet werden kann (28).
Ethische Probleme
Informed Consent
Der Entscheid über die Durchführung des Neugeborenenscree –
nings beim einzelnen Kind liegt bei der Mutter oder den Eltern.
Sie en tscheiden über die Durchführung des Sc
reenings mit allen
Parametern, quasi als Gesamtpaket, also ohne die Möglichkeit,
einzelne Parameter ausschliessen zu können. Eine solche Wahl
«à la carte» würde einen grossen logistischen Aufwand und auch
unzumutbare Kosten verursachen.
Nach Artikel 5 Absatz 1 GUMG ist eine Zustimmung (informed
consent) für alle genetischen Untersuchungen, einschliesslich
Reihenuntersuchungen, notwendig, wobei gemäss Artikel 18
Absatz 3 die Zustimmung im Falle von Letzteren nicht schriftlich
erfolgen muss. Um die hohe Akzeptanz der bisherigen Reihenun –
tersuchungen (d. h. des NGS) und die 100-%ige Erfassung der Ge –
burten in der Schweiz nicht zu gefährden, erfolgt die Information
über die Reihen un
tersuchungen via Broschüre «Neugeborenen-
Screening Schweiz» des Universitäts-Kinderspitals Zürich, die
an alle Geburtskliniken und Hebammen verschickt und an alle
Gebärenden/Wöchnerinnen verteilt wird. Diese Broschüre kann
in 13 verschiedenen Sprachen heruntergeladen werden (www.
neoscreening.ch).
Einwilligung und Verweigerung des Tests
Der Test ist freiwillig, niemand kann dazu gezwungen werden –
Recht auf Nichtwissen. In der langjährigen Erfahrung des Chro –
nisten und seines Nachfolgers Matthias Baumgartner wird der
T est
in der Schweiz pro Jahr ca. fünf- bis zehnmal verweigert. Die
Hebammen schicken den leeren, von den Eltern unterschriebe –
nen und mit Adresse und Telefonnummer versehenen Guthrie-
Test ins Sc
reeningzentrum. Die Antworten auf die telefonischen
Rückfragen durch den Medizinischen Direktor des Schweizer
Neugeborenen-Screenings nach den Gründen zur «Verweige –
rung» sind immer die gleichen: «Diese Krankheiten
sind so selten!»
Daraufhin fragte der Chronist jeweils, ob sie auch Lotto spiel –
ten – die Chance zu gewinnen sei nämlich kleiner als das Risiko,
e i
n gefährdetes Kind zu bekommen. Ein weiterer Einwand: «Nie –
mand in der Familie hat eine Erbkrankheit!» Die Antwort darauf:
Jede a u
tosomal rezessive Krankheit beruhe auf einem genetisch
versteckten Erbgang. Oder: «Wir wollen dem Kind nicht wehtun!» –
Besser nur einmal stechen! Sehr häufig auch der Einwand: «Wir
übernehmen die Verantwortung!» Dazu wäre anzufügen, dass das
retardierte Kind den Eltern später vielleicht Vorwürfe machen
würde – falls es dazu überhaupt in der Lage wäre. Zu einer solch
drastischen Antwort liess sich der Chronist jedoch nie hinreissen.
Ein Vater weigerte sich einmal, die Guthrie-Karte zu unterschrei –
ben, mit der Begründung, es gebe kein Gesetz dafür – da hatte der
Jurist n
atürlich recht. Immerhin gibt es Ethiker, die ein Nichttesten
des Säuglings als Vernachlässigung, wenn nicht gar als Misshand –
lung betrachten und der Meinung sind, dass diese Verweigerung
gemeldet wer
den müsste. Man darf aber erwähnen, dass etwa die
48 Centers for Disease Con trol and Prevention; https://www.cdc.gov
49
Dieser Vorg
ang wird im Kispi-Slang als «Entblindung» bezeichnet.
50
Gemäss T
arif CHF 200.
51
Der zurückgetretene T
echnische Leiter Ralph Fingerhut hat zu unserem Bedauern die vollständige Liste der Entblindungen dem
Screeningzen trum trotz mehrfachem Nachfragen nicht überlassen.
20
Kostenentwicklung
Die gesetzlichen Grundlagen zur Vergütung des NGS sind im
KVG Artikel 26 (Pflichtleistung im Rahmen der allgemein emp-
fohlenen präventiven Leistungen, vergleichbar den Routineimp –
fungen im Kindesalter) und den entsprechenden Verordnungen
KVV Ar tik
el 33, Littera d und Artikel 53 und 54; KLV Artikel 12
Littera e geregelt.
Die Tabelle 1 zeigt, in welchen Jahren (Spalte 1) welche Scree –
ningparameter eingeführt (+) oder aufgegeben (–) wurden (Spal-
te 2), sowie die nominalen Kosten (Spalte 3) und die indexier –
ten Kosten pro Test (Spalte 4): Trotz deutlicher Erweiterung des
Sc reening
angebots sind die Kosten eines Tests von 1965 bis 2020
verfünffacht, aber nur verdoppelt seit 1989. Spalte 5 zeigt die Ent –
wicklung der gesamten Gesundheitsausgaben pro Kopf und Jahr
und Spalte
6 den Quotienten der Screeningkosten pro Test im
Verhältnis zu den gesamten Gesundheitsausgaben pro Kopf und
Jahr: Der Anteil der Screeningkosten an den gesamten Gesund –
heitsausgaben schwankt in den entsprechenden Jahren wenig
und betr ägt c
irca 0,5 %. Die Screeningkosten in % der Kosten
des gesamten Gesundheitswesens (Spalte 9) bewegen sich zwi –
schen 0,0050 % und 0,0065 %. Die Screeningkosten sind somit
alles andere als ein K
ostentreiber! 52
Langzeit-Asservierung
Pilotprojekte, bei denen das Studiendesign eine vollständige
Anonymisierung der Proben aus irgendeinem Grund nicht zu
–
lässt oder nicht garantiert werden kann, müssen vorab der zu-
ständigen Ethikkommission zur Beurteilung vorgelegt werden.
Anfr agen zur V
erwendung von Restblutproben von ausserhalb
müssen zwingend mit einem ausführlichen Studiendesign
schriftlich an den Medizinischen Leiter des Neugeborenen-
Screenings Schweiz gestellt werden. Diese Anfrage wird dann
der zuständigen Ethikkommission vorgelegt. Eine Entscheidung
wird anschliessend anhand dieser Bewertung getroffen (28).
Jahresberichte Neugeborenen-Screening Schweiz
Die Jahresberichte in Deutsch, Französisch und Italienisch wer –
den an alle Geburtskliniken und Hebammen geschickt und
publizier t in
Paediatrica, Krankenpflege und Schweizer Hebam –
me. Die Jahresberichte ab 2011 sind ebenfalls unter dem Link
https://www.neoscreening.ch/de/downloads/ einsehbar.
Tabelle 1: Entwicklung des Neugeborenenscreening-Angebots und Vergleich mit den Gesundheits-
kosten: 1965 bis 2020
§ Teuerung gemäss Konsumentenpreis fürs Jahr 2020: https://lik-app.bfs.admin.ch/de/lik/rechner?periodType=Jahresdurchschnitt&start=01.1965&en-
de=01.2020&basis=AUTO&betrag=3
§§ Neuberechnung ab 2010. Retropolation auf Basis bisheriger Wachstumsraten für die Jahre 1960-2009 gemäss: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statisti-
ken/querschnittsthemen/wohlfahrtsmessung/alle-indikatoren/gesellschaft/gesundheitsausgaben.assetdetail.14840802.html
Stand der Daten: 31.3.2021; Daten der Vorjahre werden teilweise geändert, aus Gründen der verzögerten Datenverfügbarkeit oder durch verbesserte Retropolatio-
nen. Quelle: BFS – Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens © BFS 2020. Auskunft: Bundesamt für Statistik (BFS), Sektion Gesundheitsversorgung, gesund-
heit@bfs.admin.ch, Tel. 058 46 3 67 00
Jahr Art des Screening- Angebots
[ + Einführung – Aufgabe ] Nominale
Kosten
pro Test in CHF Indexierte
Kosten
pro Test
in CHF (§) Gesundheits-
ausgaben pro Kopf
und Jahr
in CHF (§§) Screening-
Kosten
pro Test in %
zu Gesundheitsaus- gaben
pro Kopf
und Jahr (§§) Anzahl
Getesteter
Neugeborenen ab 1975:
100 % erfasst Nominale
Screening- kosten in CHF Screening-
kosten in %
der Kosten des gesamten
Gesundheits- wesens
1965 + Phe + Leu 3.00 11.00 516 0.58(4721) (14‘163)
1966 + Gal 3.00 10.00 588 0.51(28’704) (86‘112)
1968 + Met + Transferase 3.00 9.00 720
0.42(72‘368) (217‘104)
1972 5.00 13.00 1140 0.44(89‘356) (446‘780)
1975 6.00 12.00 1680 0.3678’724 472’344 0.0044
1977 + Hypothyreose 11.00 22.00 1824 0.6073’691 810’601 0.0070
1981 – Met 11.00 18.00 2484 0.4476’594 842’534 0.0052
1987 + Biotinidase – Leu 16.50 24.80 2916
0.5777’910 1‘285’515 0.0068
1989 19.50 26.80 3720 0.5282’498 1‘608’711 0.0064
1993 + AGS 25.00 29.00 4788 0.5285’439 2‘135’975 0.0064
1996 30.00 33.00 5316 0.5683’957 2‘518’710 0.0067
2005 + MCAD 30.00 31.00 6984 0.4276’129 2‘283’870 0.0043
2007 40.00 41.00 7284 0.5577’259 3‘090’360 0.0056
2011 + CF 40.00 39.00 8124 0.4983’198 3‘327’920 0.0052
2013 45.00 45.00 8544 0.5285’527 3‘848’715 0.0056
2015 + GA-1 + Leu 45.00 45.00 8976 0.5088’333 3‘974’985 0.0053
2018 45.50 45.50 9420 0.4888’549 4‘028’980 0.0050
2019 + SCID 54.00 54.00 9576 0.56 88’774 4‘793’796 0.0058
2020 54.00 54.00 N/A N/A88’717 4‘790’718 N/A
21
Biotinidase-Mangel (komplett und partiell): Ist die Rest-
aktivität unter 10 %, so spricht man von einem kompletten
Mangel, liegt sie zwischen 10 und 30 %, so wird sie als partiel-
ler Mangel aufgelistet. Das Verhältnis vom kompletten zum
partiellen Mangel beträgt circa 1 : 2. Säuglinge mit komplet-
tem Mangel benötigen tägliche Gaben von 10-mg-Biotin-Ta-
bletten, während Säuglingen mit inkomplettem Mangel aus
Sicherheitsgründen die Hälfte der Dosis verschrieben wird.
Adrenogenitales Syndrom (AGS): Bei der häufigsten Form
des AGS liegt eine verminderte Aktivität der 21-Hydroxylase
vor. Nur diese Form des AGS wird im Neugeborenenscree-
ning erfasst. Bei der klassischen Form ist die Restaktivität
unter 10 %, bei der nicht klassischen Form liegt sie je nach
Variante zwischen 20 % und 50 %. Letztere wird nur zum Teil
im Neugeborenenscreening erfasst. Kinder mit einer klassi-
schen Form benötigen eine tägliche Gabe von Hydrocortison
(Cortisol-Substitution 12 bis 15 mg/m
2 pro Tag in drei Do-
sen) sowie Fludrocortison (Aldosteron-Substitution; 0,1 bis
0,2 mg pro Tag), Kinder mit einer nicht klassischen Form nur
eine Hydrocortison-Substitution (in der Regel 10 bis 12 mg/
m
2 pro Tag in drei Dosen).
MCAD-Mangel: Der MCAD-Mangel ist relativ häufig und
wird in aller Regel präsymptomatisch diagnostiziert, selten
gibt es aber neonatale Todesfälle noch vor dem Erhalt des
Screeningresultats. Die Therapie besteht hauptsächlich in
einer Vermeidung von längeren Fastenperioden im Rahmen
von banalen Infekten wie Gastroenteritis oder viralen Atem-
wegserkrankungen. Hierzu wird ein Notfallausweis abgege-
ben und die Eltern werden aufgefordert, bei interkurrentem
Infekt unverzüglich das nächstgelegene metabolische Netz-
werkspital aufzusuchen. Zusätzlich erhalten die Kinder eine
Substitution mit Carnitin.
Die Zahl der durch das Neugeborenenscreening gefundenen
kranken Kinder seit 1965 bis und mit 2020 ist aus der Tabelle 2
ersichtlich.
Einige Bemerkungen zu den diversen Krankheiten:
Phenylketonurie (PKU) und andere Hyperphenylalani-
nämien (HPA): Die Gruppe der Hyperphenylalaninämien
ist heterogen und umfasst Kinder mit klassischer PKU, also
mit einem sehr hohen Phenylalaninspiegel, die eine strikte
Reduktion von natürlichem Eiweiss plus eine Substitution
mit einem Phenylalanin-freien Aminosäurengemisch als Ei-
weissersatz erfordert. Ferner sind in dieser Gruppe mildere
Formen aufgeführt (HPA), bei denen lediglich eine mässige
Einschränkung von natürlichem Eiweiss zu einem erstreb-
ten Phenylalaninspiegel im Blut führt. Kinder mit leichter Er-
höhung des noch im therapeutischen Bereich liegenden Phe
im Blut werden heutzutage in die Statistik aufgenommen;
unklar bleibt aber, ob das früher auch immer konsequent so
gehandhabt wurde in Zürich und Bern. Zu den HPA zählen
auch seltene Störungen im Biopterinstoffwechsel, die eine
komplexere Behandlung erfordern.
Galaktosämie, Galaktokinase-Mangel und UDP-Gal-4-Epi-
merase-Mangel:
Die Galaktosämie ist selten und erfordert
einen strikten Ausschluss aller galaktosehaltigen Speisen;
die gemischte Duarte-Variante der Transferase und auch
der UDP-Gal-4-Epimerase-Mangel erfordern je nach Restak-
tivitäten oder Erhöhung des Galaktose-1-Phosphates in den
Erythrozyten eine mässige oder gar keine Restriktion von
Milchprodukten. Der Galaktokinase-Mangel ist eine exzessi-
ve Rarität (siehe Fussnote 1 in Tabelle 2).
Primäre Hypothyreose: Bei Kindern mit primärer Hypo-
thyreose wird im Alter von zwei Jahren ein Auslassversuch
durchgeführt, das heisst, während vier Wochen wird die
Thyroxinsubstitution sistiert. Bleibt dann das TSH in der
Norm, so handelt es sich um eine passagere Form von Hypo-
thyreose, deren Häufigkeit bei ca. 20 % liegt.
53
Ergebnisse in der Schweiz – 1965 bis 2020
52 Diese Daten v erdankt der Chronist seinem mittleren Sohn Dr. oec. publ. Lukas Steinmann (*1971).
53
Der hohe An
teil von transitorischer Hypothyreose im Kanton Zürich hat mehrere Gründe und hängt vom niedrigen Cut-off-Wert von
TSH (> 15 mU/L) und dem niedrigen Geburtsgewicht ab (29).
22
Tabelle 2:
Zahl der durch das Neugeborenenscreening gefundenen kranken Kinder 1965 bis 2020
Zystische Fibrose (CF): In der Schweiz gibt es acht
pädiatrische CF-Zentren (siehe Anhang) sowie eine regionale
CF-Betreuungsstelle im Tessin. Deren Leiter werden persön-
lich über positive Screeningresultate im Einzugsgebiet der
Klinik informiert. Sie telefonieren daraufhin mit den Eltern
und bieten sie umgehend zur diagnostischen Abklärung auf.
Bei positivem Schweisstest wird das CFTR-Gen molekularge-
netisch untersucht, die Familie über CF informiert und das
Kind gemäss Guidelines weiterbetreut.
* bedingt durch Mu tationen im PHA-Gen und diversen Defekte im Biopterin-Stoffwechsel
1
In den Jahresberich
ten 1965 bis 2008 wurden diese drei Krankheiten separat aufgeführt. Von den 3 062 349 auf Galaktose unter-
suchten Neugeborenen wurden 55 mit Galaktosämien (Häufigkeit: 1 : 55 679), 21 mit UDP-Gal-4-Epimerase-Mangel (1 : 145 826) und 3 mit
Galaktokinase-Mangel (1 : 1 020 783) entdeckt.
Krankheiten Anzahl Analysen Anzahl identifizierter Kinder Inzidenz:
Mittelwert und (CI 95 %)
Phenylketonurie (PKU) &
andere Hyperphenylalaninämien (HPA)* 4 408 126
559 ~ 1 : 7900
(1 : 7260–8570)
Galaktosämie/Galaktokinase-Mangel/
UDP-Gal-4-Epimerase-Mangel
1 4 239 493 100~ 1 : 42 400
(1 : 34 860–51 660)
Primäre Hypothyreose 3 554 821
1001 ~ 1 : 3600
(1 : 3340–3780)
Biotinidase-Mangel (total & partiell) 2 819 457
146~ 1 : 19 300
(1 : 16 420–22 710)
Adrenogenitales Syndrom (AGS) 2 395 794
227~ 1 : 10 600
(1 : 9270–12 020)
MCAD-Mangel 1 337 881
111~ 1 : 12 100
(1 : 10 010–14 530)
Zystische Fibrose (CF) 873 273
284 ~ 1 : 3100
(1 : 2740–3450)
Ahornsirup-Krankheit (MSUD) 2 115 499
12~ 1 : 176 300
(1 : 100 850–308 170)
Glutarazidurie Typ 1 (GA-1) 546 019
4~ 1 : 136 500
(1 : 53 080–351 030)
SCID (schwere B-Zell-Lymphozytopenie) &
Agammaglobulinämie 177 491
9~ 1 : 19 700
(1 : 10 380–37 480)
Krankheiten gesamt 2 453~ 1 : 960
(1 : 170–5440)
Ahornsirup-Krankheit (MSUD): Bei Nachweis eines erhöh-
ten Wertes von Leuzin und dem Nachweis von allo-Isoleuzin
müssen die betreuende Institution und die Eltern unmittel-
bar kontaktiert werden mit dem Ziel, das Kind so rasch als
möglich in eines der drei Stoffwechselzentren der Schweiz
(Bern, Lausanne, Zürich) zu verlegen. Hier wird direkt mit der
spezifischen Therapie begonnen und parallel die Verdachts-
diagnose bestätigt oder ausgeschlossen. Als Therapie wird
die Kombination von eiweissreduzierter, vorstufenarmer
Diät (also arm an Leuzin, Isoleuzin und Valin), Supplementie-
rung von essenziellen Aminosäuren und Notfallbehandlung
(insbesondere bei katabolen Zuständen) durchgeführt. Zu-
sätzlich wird ein Notfallausweis abgegeben, und die Eltern
werden aufgefordert, schon bei mildem interkurrentem In-
fekt das nächstgelegene metabolische Netzwerkspital auf-
zusuchen. Patienten, die sowohl eine adäquate Notfall- als
auch Dauertherapie erhalten, können sich heute normal ent-
wickeln.
23
Umliegende Länder screenen je nach Land zusätzlich auf Car-
nitinstoffwechseldefekte (CPT-I, CPT-II, CACT), Citrullinämie
Typ 1, Arginin-Bernsteinsäure-Krankheit, diverse Formen
der Homozystinurie, Isovaleriansäure-Krankheit, Methylma-
lon- und Propionazidurie, LCHAD- und VLCAD-Mangel. Über
das Screeningangebot in Deutschland, Österreich, Italien,
Frankreich, Spanien, UK, Brasilien gibt der Link https://www.
neoscreening.ch/de/links/ Auskunft.
In den USA wird das Neugeborenenscreening aktuell für
34 Erbkrankheiten («core disorders») empfohlen, obwohl die
Anzahl innerhalb der Staaten stark variiert, bis zu 61 ver-
schiedene Krankheiten mit 26 als «secondary disorders»
(siehe Link: https://www.hrsa.gov/advisory-committees/
heritable-disorders/index.html) (32, 33).
Glutarazidurie Typ 1: Als Therapie wird eine Kombination
aus lysinarmer Diät, Carnitin-Supplementation und Not-
fallbehandlung (insbesondere bei Infektionskrankheiten)
durchgeführt. Hierzu wird ein Notfallausweis abgegeben,
und die Eltern werden aufgefordert, schon bei mildem inter-
kurrentem Infekt das nächstgelegene metabolische Netz-
werkspital aufzusuchen. Patienten, die sowohl eine adäqua-
te Basis- als auch Notfalltherapie erhalten, entwickeln am
seltensten (5 %) eine Dystonie. Abweichungen von der Basis-
therapie führen hingegen bei 44 % und Abweichungen von
der Notfalltherapie bei 100 % der betroffenen Patienten zu
einer Dystonie (30).
SCID (schwere kombinierte Immundefekte) und Agamma-
globulinämie (schwere B-Zell-Lymphozytopenie):
Bei allen TREC-Resultaten unterhalb des Cut-offs (TREC < 10)
wird eine protektive Isolation durchgeführt. Der Zytomega-
lie-Virus (CMV)- und der HIV-Status der Mutter (IgG und IgM
im letzten Schwangerschafts-Trimenon) werden erfragt bzw.
eine dringliche serologische Untersuchung durchgeführt. Bis
zum Erhalt der definitiven Ergebnisse der Immundefekt-
Spezialanalysen im Diagnostiklabor Immunologie und dem
Erhalt der serologischen Untersuchungsresultate darf nicht
mehr gestillt werden, um eine CMV-Übertragung zu verhin-
dern. Bei Kindern mit bestätigtem SCID darf nicht mehr ge-
stillt werden.
Im Falle fehlender oder erniedrigter T-Zell-Zahl erfolgt über
die Medizinische Genetik ein Whole Exome Sequencing
(WES), um die zugrunde liegende Mutation zu identifizieren.
Für die initiale Analyse wird ein Panel mit aus der aktuel-
len Literatur bekannten Mutationen für SCID und schwere
T-Zell- und auch B-Zell-Lymphopenien herangezogen. Resul-
tate liegen innert zwei bis drei Wochen vor. Bei bestätigtem
SCID wird baldmöglichst eine Stammzelltransplantation am
Kinderspital Zürich durchgeführt.
Vergleich mit anderen Ländern
Generell kann man sagen, dass es so viele verschiedene
Screeningprogramme wie Länder gibt
– teilweise sogar mit
Unterschieden innerhalb eines Landes. Das Screeningan-
gebot in der Schweiz ist im Moment auf die aufgelisteten
Störungen beschränkt. Mit besseren Therapiemöglichkeiten
steigt auch die Nachfrage nach früheren Diagnosemöglich-
keiten auf Tyrosinämie, Homozystinurie, Spinale Muskel-
atrophie (SMA)
54, lysosomale Krankheiten etc. Für einige der
im erweiterten Screening mit TMS schon jetzt erfassbaren
Krankheiten oder für viele lysosomale Speicherkrankheiten
sind jedoch Zuverlässigkeit und Sinn des Screenings noch
nicht ausreichend geklärt. Auch die klare Abgrenzung
milder, nicht therapiebedürftiger Varianten muss noch
besser herausgearbeitet werden (31).
54 Die Antr äge für diese drei Krankheiten sind in Vorbereitung.
24
Seit der Einführung des altehrwürdigen «Guthrie-Tests» in
Zürich (1965) sind 55 Jahre vergangen. 40 Jahre später (2005)
wurde er abgelöst von der Tandem-Massenspektrometrie
(TMS) – ein riesiger Fortschritt! Doch wie wird es weiterge-
hen? Wird die routinemässige Genomanalyse aller Neugebo-
renen als Screeningmethode uns weiterbringen?
Dank verbesserter Qualität der TMS wird eine Sensitivität
von 99,0 % und eine Spezifizität von 99,8 % erreicht (34),
was das psychologische Problem von falsch-positiven Er-
gebnissen stark minimiert. Diese Studie zeigt aber auch,
dass das Neugeborenenscreening mittels WES (whole exo-
me sequencing) oder gar WGS (whole genome sequencing)
eine deutlich geringere Sensitivität und Spezifität aufweist.
Dies ist nicht erstaunlich, da das biochemische Testen nach
erhöhten Metaboliten mittels TMS auf einem funktionellen
Defekt innerhalb einer metabolischen Kaskade beruht, und
dies unabhängig von möglichen involvierten Mutationen in
diversen Genen (35). Als Second-Trier hingegen vermag WES
die Sensitivität und Spezifität deutlich zu erhöhen. Auch
chromatografische Methoden zur Trennung von Metaboli-
ten und kontaminierenden Substanzen, die mit TMS nicht
getrennt werden können, sind in Entwicklung, wie das z. B.
bei pivalinsäurehaltigen Antibiotika und Isovalerylcarnitin
der Fall war (36).
Doch so erfreulich diese Fortschritte auch sind: Der Erfolg ei-
nes Neugeborenenscreeningprogramms ist nur dann belegt,
wenn unter Berücksichtigung von sozialen, gesellschaftlichen
und ethischen Gegebenheiten sorgfältige pädiatrische Nach-
verfolgungsstudien eine wirklich verbesserte Lebensqualität
der identifizierten Patienten zeigen. Eine wissenschaftliche
Begleitung der Programme und die Anpassung der Proze-
duren an die beobachteten Ergebnisse sind daher unerläss-
lich (31). Dies erfordert ein reibungsloses Teamwork von der
Diagnostik bis zur Entwicklungsbegleitung. Zentral ist eine
gut funktionierende Kommunikation und die Bereitschaft
zum Wissens- und Erfahrungsaustausch von Forschenden,
Laborpersonal, Hebammen, Kinder- und Hausärztinnen an
der Front sowie den klinischen Verantwortungsträgern und
Gesundheitspolitikerinnen im Hintergrund. Auch die an die Diagnostik anschliessende Patientenbetreu-
ung gelingt nur im Teamwork. Ob die Fallführung hingegen
klinik- oder praxisbasiert erfolgen soll, ist von regionalen
Verhältnissen abhängig. Zentral ist das Engagement aller in-
volvierten Fachpersonen und ihre Verfügbarkeit über viele
Lebensjahre des Kindes hinweg, erfolgt doch die Diagnose zu
einem entwicklungspsychologisch problematischen Lebens-
zeitpunkt. Das erfordert neben medizinischem Fachwissen
psychologisches Fingerspitzengefühl, vor allem aber die Be-
reitschaft des interdisziplinären Teams, am Ball zu bleiben –
zum Wohl des Kindes und seiner Familie!
Verdankung
Der Chronist dankt allen aufgeführten Personen für ihren
Beitrag zur Etablierung, zum jetzigen Betrieb und zukünf-
tigen Ausbau des Neugeborenen-Screenings Schweiz, Toni
Torresani für die Durchsicht des Textes auf technische und
logistische Details, seinem Freund und Kinderarztkollegen
Arnold Bächler für die anregenden Diskussionen und natür-
lich seiner Frau Lydia Zeller Steinmann für das umsichtige
Lektorat und last but not least ihr lebhaftes Interesse am Ent-
stehen der Chronik vom Januar bis Mai 2021, im Lockdown
der Sars-CoV-2-Pandemie.
Zukunft des Neugeborenenscreenings
25
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durie Typ-I und Ahornsirupkrankheit – Bericht 2020»
https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesetze-und-
bewilligungen/gesuche-bewilligungen/gesuche-bewil-
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Anhang
Netzwerk Nordost für metabolische Krankheiten
Koordinierendes Zentrum: Universitäts-Kinderspital Zürich
sowie die assoziierten Kinderkliniken:
•
Univ
ersitäts-Kinderklinik beider Basel (UKBB)
•
Ostschw
eizer Kinderspital St. Gallen
•
Kinderklinik Luzern
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Kinderklinik Aara
u
•
Kinderklinik Chur
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Kinderklinik Münsterlingen
•
Kinderklinik Winter
thur
•
EOC, Ospedal
e San Giovanni, Bellinzona
Netzwerk Südwest für metabolische Krankheiten
Koordinierende Zentren: Universitäts-Kinderkliniken
Inselspi
tal Bern und CHUV Lausanne sowie die assoziierte
Kinderkliniken:
•
Univ
ersitäts-Kinderklinik HUG Genf
•
Kinderklinik Sion
•
Hôpital Pour
talès, Neuenburg
•
Kinderklinik Wildermeth, Biel
•
Kinderklinik Fribourg
•
Kinderklinik Morges
Liste der CF-Zentren
•
CF-Zentrum Kan
tonsspital Aarau
•
CF-Zentrum Uni
versitäts-Kinderspital Basel
•
CF-Zentrum Inselspi
tal Bern
•
CF-Zentrum Hôpi
tal Universitaire Genève
•
CF-Zentrum CHUV La
usanne
•
CF-Zentrum Luzerner Kan
tonsspital
•
CF-Zentrum Lug
ano
•
CF-Zentrum KISPI St.
Gallen
•
CF-Zentrum Uni
versitäts-Kinderklinik Zürich
Endokrinologische Zentren
•
Kinderklinik Aara
u
•
Univ
ersitäts-Kinderklinik beider Basel (UKBB)
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Kinderklinik Bellinzon
a
•
Kinderklinik Bern
•
Kinderklinik Chur
•
Kinderklinik Genf
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Kinderklinik Lausanne
•
Kinderklinik Luzern
•
Kinderklinik St. Gall
en
•
Univ
ersitäts-Kinderklinik Zürich
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Impressum
© pädiatrie schweiz
Beat Steinmann & Matthias R. Baumgartner
1. Auflage 2022
Text
Beat Steinm
ann, Matthias R. Baumgartner
Layout, Druck
Mobus A
G, Zumsteg Druck, 5070 Frick
und Bindung
Papier
Profibulk 135 g/m 2
In dieser Chronik wird die historische Entwicklung des Neugeborenen-
Screenings in der Schweiz aufgezeichnet, und zwar von der Pilotstudie
in Zürich im November 1965 bis zur Etablierung in der ganzen Schweiz
1975 und der Weiterentwicklung bis 2020. Es wird geschildert, in wel-
cher Reihenfolge diverse Untersuchungsparameter eingeführt, teilwei-
se wieder aufgegeben oder durch andere ersetzt wurden, wie sich die
Methoden wandelten und die Kosten entwickelten, auch im Vergleich
zu denjenigen des Gesundheitswesens. Besprochen werden zudem die
unbürokratischen Entscheidungen zum Screening-Angebot durch die
selbst ernannte kleine Fachgruppe während der ersten 30 Jahre und
die seit 2005 aufwendigen Gesuche für die Gutheissung neuer Parame-
ter durch das Bundesamt für Gesundheit sowie die minutiösen Evalua-
tionsberichte. Und last but not least die eindrückliche Zahl der von 1965
bis 2000 erfassten und rechtzeitig behandelten Kinder.
Weitere Informationen
Korrespondenz:
Autoren/Autorinnen
Prof. em. Dr. med. Beat Steinmann , Abteilung für Stoffwechsel und Molekulare Pädiatrie, Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Zürich Prof. Dr. med. Matthias R. Baumgartner , Ordinarius für Stoffwechselkrankheiten, Leiter Abteilung für Stoffwechselkrankheiten, Universitäts-Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Zürich