Die meisten pädiatrischen AssistenzärztInnen fühlen sich auch kurz vor Ende ihrer Weiterbildungszeit unwohl und inadäquat vorbereitet auf eine korrekte Durchführung und Interpretation der kinder- und jugendgynäkologischen Untersuchung, obwohl dies zum Curriculum gehört. Dieser Artikel soll helfen, die praktischen Fähigkeiten des Pädiaters in Kindergynäkologie zu verbessern. In einem ersten Teil wird der Ablauf einer solchen Untersuchung beschrieben, im zweiten Teil folgen die häufigsten altersentsprechenden Befunde und deren Management anhand von einigen Fallbeispielen.
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Einführung
Die meisten pädiatrischen AssistenzärztInnen
fühlen sich auch kurz vor Ende ihrer Weiterbil
–
dungs zeit unwohl und inadäquat vor b er eitet au f
eine korrekte Durchführung und Interpretation
der kinder- und jugendgynäkologischen Unter
–
suchung, obwohl dies zum Curriculum gehört.
Dieser A r tikel soll helfen, die pr ak tischen Fähig
–
keiten des Pädiaters in Kindergynäkologie zu
ver b es ser n. In einem er s ten Teil w ir d der A blau f
einer solchen Untersuchung beschrieben, im
z weiten Teil folgen die häu figsten alter sent spr e
–
chenden Befunde und deren Management an –
hand von einigen Fallbeispielen.
I. Untersuchungstechnik
Allgemeines
Das weibliche G enit ale und die damit ver bun-
denen Pathologien sind auch in der heutigen
«sexualisierten» Zeit meist schambehaftet
und eine erfolgreiche kindergynäkologische
Untersuchung setzt deshalb ein hohes Mass
an Situationsbewusstsein von Seiten des
Arztes voraus
1). Der Arzt muss der Patientin
Die Kindergynäkologische Untersuchung:
Wann, wie und warum?
S. Fontana, R. Hürlimann, Zürich
und ihren Angehörigen mit Sachkenntnis und
altersgerechter Empathie begegnen und
braucht genügend Zeit, Ruhe und Geduld
2).
Ablauf
Einer Genitaluntersuchung sollte immer ein
Anamnesegespräch und eine pädiatrische All
–
gemeinuntersuchung inklusive Tanner-Stadien
vorangehen. Durch eine einfühlsame Ge
–
sprächsführung gelingt es fast immer, Ver –
trauen aufzubauen, um die danach folgenden
erforderlichen Untersuchungen durchzuführen.
Zudem bietet das Gespräch eine hervorragende
Gelegenheit für die Gesund heitsvorsorge,
wie z. B.:
• Fragen zur Pubertätsentwicklung
• Fragen zur Hygiene
• Erfassen von Risikosituationen (z. B. Ge –
walt gegen sexuelle Integrität)
• Früherkennung von Normvarianten und
Pathologien
Es ist zwingend erforderlich, die korrekten
Bezeichnungen der anatomischen Strukturen
im Genitalbereich zu kennen und zu erklären
(Abbildung 1) .
Die gynäkologische Untersuchung wird vor –
gängig immer der Patientin und ihrer Begleit –
person erklärt: Es handelt sich nicht um eine
instrumentelle Untersuchung wie bei der er
–
wachsenen Frau. Nur schon diese Erklärung
führt zu einem Angstabbau. Wichtig ist zu er
–
wähnen, dass mit der Untersuchung das Hy –
men nicht verletzt wird. Ein Foto oder Skizze
ist dabei oft hilfreich, da viele immer noch
glauben, dass das Hymen den «jungfräulichen»
Introitus vollständig bedecke, respektive ver
–
schliesse (Abbildung 2).
Ziel der Untersuchung ist es, möglichst keine
Traumatisierung zu bewirken. Oft braucht es
b ei einem ängs tlichen K ind die Unter suchung
in einer Folgekonsultation. Untersuchungen
in Narkose sind ebenfalls sehr selten notwen –
dig , am ehes ten b ei tr aumatischen Ver let zun –
gen (schwerwiegenden Grätsch- oder Ab –
spreizverletzungen) Fremdkörper- oder
Tumorverdacht, unklarer Blutung. Am Kinder –
spital Zürich haben wir zudem die Möglichkeit
einer Lachgas-Analgosedation, wodurch die
meisten Narkosen vermieden werden können.
Inspektion
Die Inspektion ist der erste Teil der kindergy –
näkologischen Untersuchung. Das kleine
Mädchen liegt dazu auf dem Untersuchungs –
tisch in Rückenlage mit Froschposition, das
ältere Mädchen auf der gynäkologischen
Liege mit Beinstützen. Säuglinge und Kleinkin –
der können auch problemlos auf dem Schoss
der Betreuungsperson untersucht werden
(Abbildung 3) .
In der Adoleszenz empfehlen wir die Untersu –
chung ohne Anwesenheit einer Bezugsperson,
weil dies die Möglichkeit gibt, mit der Patien –
Abbildung 1: Weibliches Genitale – Skizze mit Bezeichnungen. Quelle: Hürlimann R.
Abbildung 2: Variationen der hymenalen
Anatomie. Quelle: Fontana S.
Zusammenfassung
Eine Genitaluntersuchung ist unverzichtbarer
Bestandteil der weiblichen Neugeborenen-
untersuchung und sollte auch einmalig im
Rahmen der pädiatrischen Vorsorgeuntersu
–
chungen und ansonsten bei spezifischen
Fragestellungen vorgenommen werden. Sie
beinhaltet typischerweise eine Genitalins
–
pektion mittels Traktion und Separation, eine
ins trumentelle Untersuchung der Vagina ist
sehr selten notwendig.
Voraussetzung für die kindergynäkologische
Untersuchung ist die Kenntnis der anatomi
–
schen und endokrinologisch bedingten Beson –
derheiten in den verschiedenen Entwicklungs –
phasen der Mädchen. Nur so können die
Befunde richtig interpretiert und zwischen
Normvariante und Pathologie unterschieden
werden. Eine fachliche Ausbildung mit Kennt
–
nis der weiblichen Anatomie und häufigen
Pathologien vermeidet unnötige Diagnostik,
Therapie und Verunsicherung der Eltern.
Anuläres Hymen Semilunäres Hymen Hymen altus
H y m e n a l a t r e s i e H y m e n b i f e n e s t r a t u s H y m e n c r i b r i f o r m i s
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tin alleine zu sprechen (Sexualität, Verhütung,
sexuell übertragbare Infektionen). Erfolgt
dann eine gynäkologische Untersuchung und
insbesondere, wenn der Untersucher männ-
lich ist, empfehlen wir die Anwesenheit einer
zweiten Fachperson (Pflegefachfrau) aus me –
dicolegalen Gründen.
Eine gute Lichtquelle ist unentbehrlich. Das
Kolposkop oder eine Lupe vereinfacht die In –
terpretation der Befunde.
Die Knie-Ellbogen-Lage ist hilfreich, da sie
einen guten Einblick in die distale Vagina gibt
(z. B. bei Fremdkörperverdacht). In der Knie-
Ellb ogen – L age ent f altet sich das Hy men dur ch
die Schwerkraft, die Konturen des Hymens
lassen sich dadurch besser beurteilen.
Tipp: W ir bieten dem K ind immer einen Hand –
spiegel an, womit es die Untersuchung mit –
verfolgen kann. Dies hilft der Patientin, ein
aktiver Teil der Untersuchung zu sein und
dient sowohl zur Ablenkung, als auch zur Er –
klärungshilfe.
Traktion und Separation
Die Separationsmethode (seitliches Spreizen
am Übergang der äusseren Labien zum Peri -neum) und vor allem die Traktionsmethode
(Fassen der beiden äusseren Labien beidhän
–
dig mit Daumen und Zeigefinger und Zug ge –
gen den Untersucher und leicht nach kaudal)
erlauben eine optimale Beurteilung des Vesti –
bulums mit Klitoris, Meatus urethrae, Hymen,
vorderem Anteil der Vagina, Fossa navicularis
und hinterer Kommissur (Abbildung 1 und 4).
Der Arzt achtet bei der Inspektion auf das
Vorhandensein einer Pubesbehaarung, auf die
Beschaffenheit der Vulvahaut, die Grösse und
Form der Klitoris bzw. Klitorisvorhaut, interla –
biales Smegma, auf Zeichen einer Östrogeni –
sierung der Vagina und des Hymens, die
Konfiguration des Hymens, das Perineum, und
die Anal- und Perianalgegend.
Tipp: Falls die Hymenalränder aneinander kle –
ben : Die Patientin husten lassen, durch die int –
raabdominale Druckerhöhung öffnet sich der
Introitus und die Vagina ist besser einsehbar.
Abbildung 4: Traktionsmethode: gegen den
Untersucher und leicht nach kaudal ziehen.
Quelle: Hürlimann R.
Vaginalsekretentnahme
Bei vaginalem Ausfluss ist meist eine mikrobi –
ologische Analyse indiziert (Nativpräparat und
Kultur). Die Entnahme wird beim Kind in Rü
–
ckenlage vorgenommen. Wir verwenden mit
gutem Erfolg einen Neugeborenen-Doppel
–
kammer-Absaugkatheter (Abbildung 5). Dieser
w ir d unter A blenkung ( z . B . Hus ten ) sor g f ältig ,
ohne das Hy men o der sons tige Str uk tur en der
Vulva zu berühren, in die Vagina eingeführt.
Eine Abstrichentnahme mit NaCl-befeuchte
–
tem Wattestäbchen darf erst ab erfolgter Ös –
trogenisierung durchgeführt werden, da es
vorher schmerzhaft ist. Abstriche der Vulva
weisen eine hohe Kontaminationsrate auf und
sind nur bei speziellen Fragestellungen hilf
–
reich (Herpes genitalis, Lipschütz Ulkus).
Vaginoskopie
Die Vaginoskopie (Beurteilung der proximalen
Vagina und Cervix) ist indiziert bei unklarem persistierendem vaginalen Ausfluss, wie er
beim Fremdkörper vorkommen kann, vaginaler
Blutung und Tumorverdacht. Bei guter Koope
–
ration kann sie am wachen Kind vorgenommen
werden, eventuell in Lachgassedation.
Abbildung 5: Fluordiagnostik. Quelle: Hürli
–
mann R.
II. Häufige Befunde
Neugeborenes / Säugling
Im Gegensatz zum männlichen Genitale wird
dem weiblichen Genitale nach der Geburt
wenig oder keine Beachtung geschenkt. Unter
dem Hormoneinfluss der Mutter ist das Geni –
tale in diesem Alter östrogenisiert, was sich
am wulstigen Hymen und den prominenten
inneren und äusseren Schamlippen zeigt. Bei
1-2% der Mädchen kommt es in den ersten
zehn Lebenstagen gar zu einer physiologi –
schen Östrogenabbruchsblutung. Die beiden
ersten Vorsorgeuntersuchungen (nach der
Geburt und bei der 1- oder 2-Monatsuntersu –
chung) bieten eine hervorragende Möglich –
keit, den Eltern die weibliche Anatomie und
die Hygienemassnahmen zu erklären. Beson –
der e B eachtung er hält das Hy men, welches in
östrogenisiertem Zustand gut beurteilt wer –
den kann. Das Wort leitet sich vom Hymen,
dem griechischen Hochzeitsgott ab, in der
Umgangssprache wird häufig auch statt «der
Hymen» die sächliche Form «das Hymen»
verwendet. Der «Mythos Jungfräulichkeit» ist
Abbildung 6: Neonataler Fluor und Darstel –
lung des Vestibulums mit Traktionsmethode.
Quelle: Hürlimann R.
Abbildung 3: Gynäkologische Untersuchung
des Kleinkindes auf dem Schoss der Bezugs –
person. Quelle: Fontana S.
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in der Gesellschaft noch weit verbreitet 3). Das
Hymen ist keine verschlossene Membrane,
ausser es handelt sich um eine Hymenalatre –
sie.
Tipp: Achten Sie bei der Neugeborenenunter –
suchung auf den physiologischen Weissfluss,
bedingt durch die Östrogenisierung: Liegt ein
neonataler Fluor albus vor, kann davon ausge –
gangen werden, dass eine Vagina vorhanden
und offen ist (Abbildung 6) !
Ein verschlossenes Hymen bedarf weiterfüh –
render Abklärungen. Die häufigste Ursache
(Häufigkeit 1 : 1000 Mädchen) ist eine Hy –
menalatresie, gefolgt von der Agenesie des
Uterus und der Vagina im Rahmen eines
MRKH-Syndroms (Maier-Rokitansky-Küster-
Hauser, 1 : 5000). Das MRKH-Syndrom ist
selten, aber pro Jahr werden in der Schweiz
doch immerhin circa 8 Mädchen mit Vagi –
nalatresie geboren.
Bei einer Klitorishypertrophie oder einem Si –
nus urogenitalis besteht der Verdacht auf eine
Disorder of Sex Development DSD (z. B. AGS,
XY-DSD). Es muss unbedingt eine sofortige
endokrinologische Abklärung veranlasst wer –
den.
Im Rahmen eines OHVIRA-Syndromes (Obst –
ructed Hemivagina with Ipsilateral Renal Ano –
maly) kann der Introitus ebenfalls verlegt sein
dur ch die sich vor wölb ende, mit Mucus gef üll
–
te Hemivagina (Abbildung 7). Es ist daher
wichtig, bei Diagnosestellung einer unilatera
–
len Nierenagenesie bei einem Mädchen mit –
tels Ultraschall nach einer assoziierten Dop –
pelbildung des inneren Genitales zu suchen. Tipp:
Bei Mädchen mit bekannter Nierenagene
–
sie unb e ding t im Ver lau f einen Ultr aschall dur ch –
f ühr en und eine möglicher weise im Rahmen des
OHVIRA-Syndroms assoziierte verschlossene
Hemivagina ausschliessen, damit es sich nicht
in der Pubertät mit einem schmerzhaften Hemi-
Hämatokolpos präsentiert!
Bei Familien aus den entsprechenden Her –
kunftsländern bietet sich bei der ersten Vor –
sorgeuntersuchung die Gelegenheit, über
Mädchenbeschneidung zu sprechen (siehe
Kasten) .
Hormonelle Ruheperiode
In der hormonellen Ruhephase (ab dem Alter
von 2 Jahr en ) fehlt das Ös tr ogen. Die Schleim –
haut ist dementsprechend dünn, atroph mit
gut sichtbaren Kapillaren und deutlich berüh –
rungsempfindlich. Aus diesem Grund ist das
Genitale in der hormonellen Ruheperiode
empfänglich für Reizungen, Entzündungen
und bakterielle Infektionen. In diesem Alter
muss bei der Untersuchung besonders darauf
geachtet werden, das Hymen nicht zu berüh –
ren, da dies schmerzhaft ist. Die Anwesenheit
einer Bezugsperson erhöht das Sicherheits –
gef ühl des K indes. Eine spieler ische H er ange –
hensweise (z. B. Einbezug des Stofftieres)
kann hilfreich sein. Indem der Patientin ein
G ef ühl der Kontrolle ver mit telt w ir d ( im Sinne,
dass sie zu jedem Zeitpunkt «Stopp» sagen
Mädchenbeschneidung (Female Genital Mutilation, FGM): Aktuell auch in der Schweiz !
Bei Eltern aus den entsprechenden Herkunftsländern (siehe Grafik) muss das Thema
Mädchenbeschneidung sorgfältig angesprochen und über die Gesetzgebung in der Schweiz
informiert werden. Eine Beschneidung des weiblichen Genitales gilt als schwere Körper –
verletzung. Die Genitalinspektion mit Erklären der weiblichen Anatomie und das nicht-
stigmatisierende Ansprechen der FGM zeigt den Eltern die Sensibilisierung des Untersu –
chers für diese verhängnisvolle Tradition auf.
Mehrsprachige Elterninformationsbroschüre: www.migesplus.ch
Information für Gesundheitspersonal zur Prävention der Mädchenbeschneidung unter
www.caritas.ch
Quelle Grafik: www.maedchenbeschneidung.ch
kann), wird die Angst und das Unwohlsein
weiter reduziert.
Während der hormonellen Ruhephase ist eine
Inspektion mittels Separation und Traktion in
den allermeisten Fällen ausreichend. Die
Untersuchung der Vagina und der Cervix
bleibt den Fällen mit Verdacht auf vaginalen
Fremdkörper, persistierender vaginaler Blu –
tung oder therapierefraktärem vaginalem
Ausfluss vorbehalten. Eine Untersuchung
mittels Otoskop ist nicht zweckmässig und
bringt keine ausreichenden Informationen.
Eine rektale Untersuchung kann wichtige Zu –
satzinformationen bei vaginalem Fremdkör –
perverdacht liefern. Dieser ist oftmals von
rektal tastbar und kann bei Kooperation des
Kindes digital-rektal Richtung Introitus be –
wegt werden.
Nicht selten täuscht ein hoch ansetzendes
Hymen (Hymen altus) eine Hymenalatresie
vor. Hierbei kann jedoch mittels einer korrek –
ten Untersuchungstechnik (ausreichende
Traktion, Husten lassen, ggf. Exploration mit
der feinsten Magensonde) der Introitus dar –
gestellt werden.
Fallbeispiele
«Meine Tochter hat keine Vagina»
Die Konsultation erfolgte gleichentags, nach –
dem die völlig aufgebrachte Mutter in die
Abbildung 7: OHVIRA Syndrom: Obstructed
Hemivagina and Ipsilateral Renal Agenesia.
Quelle: Fontana S.
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Praxis anrief: «Meine Tochter hat keine Vagi-
na!». Dies habe sie beim Baden ihrer 2-jähri –
gen Tochter bemerkt und sofort im Internet
nachgelesen, müsse ihr nun ein Uterus trans –
plantiert werden?
Bei der genitalen Untersuchung wird rasch
klar, was die Mutter meint: Es findet sich eine
Verklebung der Vulvaränder von der hinteren
Kommissur bis fast vollständig zur Klitorisvor –
haut (Abbildung 8) .
Die 2-jährige Patientin trägt Windeln, Harn –
wegsinfekte traten bis anhin keine auf. Nach
den Erläuterungen, dass diese Verklebungen
ein häufiger Zufallsbefund sei und nicht the –
rapiert werden muss, solange sie Windeln
trägt, verlässt die sichtlich erleichterte Mutter
die Praxis wieder. östrogenhaltige Crème auf die Vulvaränder
aufzutragen, später dann fetthaltige Crème,
sonst entstehen rasch erneute Verklebungen.
Die mechanische Separierung der Verklebung
ist heutzutage obsolet: Sie ist oft traumatisie
–
rend und führt zu narbigen Wiederverklebun –
gen.
Sturz von Parkbank
Die 6 – jähr ige Patientin kommt au f den Not f all,
nachdem sie beim Klettern über eine Bank
ausrutschte und mit gespreizten Beinen auf
die Lehne stürzte. Es blutet im Genitalbereich,
das Mädchen hat Schmerzen und Angst.
In der Froschposition kann das Genitale nach
Schmerzmittelgabe gut eingesehen werden.
Es besteht eine blutende Riss-Quetsch-Wun –
de im Bereich der Fossa navicularis, welche
tief reicht und genäht werden muss. Eine
kleine Riss-Quetsch-Wunde findet sich zudem
an der Innenseite der rechten inneren Labie.
Der Meatus urethrae und das Hymen sind
unverletzt (Abbildung 9) .
Nach Analgesie kann das Mädchen miktionie –
ren. Die Wunde wird in einer Kurznarkose mit
resorbierbarem Fadenmaterial genäht. Nach
Abgabe von Schmerzmitteln und schonend
reinigenden und rückfettenden Sitzbädern
wird das Kind entlassen, in der Nachkontrolle
dr ei Wo chen später is t die Ver let zung b einahe
spurlos abgeheilt. Spreizverletzungen (eng –
lisch «Straddle Injury») entstehen meist durch
Stürze auf Querstangen beim Klettern, Velo
fahren oder Abrutschen an scharfen Kanten
(Möbel, Schwimmbadrand, Klettergeräte).
Typischerweise kommt es zu Prellungen und
Rissquetschwunden am äusseren Genitale
(äussere und innere Labien), sowie am Peri –
neum. Die inneren Strukturen wie Vestibulum,
Hymen und Urethra sind seltener betroffen,
da sie von den äusseren Labien geschützt
sind. Bei blutenden genitalen Traumata erfolgt
fast immer das unmittelbare Aufsuchen ärzt –
licher Hilfe, es besteht eine konsistente
Anamnese (das Kind kann meist selbst Aus –
kunft geben) und meist ein beobachteter
Abbildung 8:
Synechie der Vulvaränder.
Quelle: Hürlimann R.
Die Verklebung der Vulvaränder ist bei Mäd –
chen in der hormonellen Ruhephase häufig,
v. a. z wischen 2 und 4 Jahren. Eine ent zündli –
che Reizung der Vulvaränder führt dazu, dass
die obersten Hautschichten aneinander kle –
ben, es findet sich eine dünn durchschim –
mernde Verklebungslinie. Meist ist diese
Synechie asymptomatisch im Kleinkindalter.
Obwohl in der Literatur immer wieder er –
wähnt, finden sich keine gehäuften Harn –
wegsinfekte oder Harnverhalt. Symptome
entstehen, wenn die Mädchen selbständig auf
die Toilet te gehen : Es entsteht das Nachtröp –
feln, die Unterhose ist ständig feucht nach
dem Toilettengang.
Die Therapie besteht in diesem Fall in der lo –
kalen Applikation einer östrogenhaltigen
Crème, von welcher täglich eine stecknadel –
grosse Portion mit einem Wattestäbchen un –
ter leichtem Druck und seitlichem Zug auf die
Verklebungslinie aufgetragen wird. Die Syne –
chie löst sich unter korrekter Anwendung in –
nert 4-6 Wochen. Während 2 Wochen emp –
fehlen wir, dann noch 1 x täglich wenig
Abbildung 9: Str addle Injur y. Q uelle : Font ana S.
Unfall, was beim sexuellen Missbrauch nicht
der Fall ist.
«Vaginale» Blutung bei Verdacht auf
Gewalt gegen sexuelle Integrität
Es erfolgt die Zuweisung eines 7-jährigen
Mädchens mit starker vaginaler Blutung. Das
dunkelhäutige Mädchen lebt in einer Instituti –
on, der Heimbetreuer habe das Blut bemerkt,
nachdem sie au f dem Spielplat z gespielt hab e
(sie habe lange geschaukelt, zudem sei sie die
Rutschbahn heruntergerutscht). Das ganze
Team ist aufgebracht, es besteht der Verdacht
auf sexuellen Missbrauch.
In der Untersuchung präsentiert sich das
Mädchen schmer z f r ei in gutem A Z , die Unter –
hose ist deutlich blutverschmiert. Bei der In –
spektion findet sich eine zirkuläre hämorrha –
gische Ausstülpung am Meatus urethrae
externus. Bei guter Traktion ist der Vaginalein –
gang gut einsehbar, es findet sich eine unauf –
f ällige Kontur des Hy mens ohne Zeichen einer
akuten Ver let zung. Die Diag nose eines Ur eth –
ralprolapses wird gestellt.
Der Urethralprolaps kommt typischerweise
bei dunkelhäutigen Mädchen vor. Die Häufig –
keit beträgt ca. 1 : 3000, der Häufigkeitsgipfel
liegt bei 5 -8 Jahren. Die Mädchen präsentie –
ren sich mit blutiger Unterhose, meist sogar
ohne Dysurie.
Die Ursache ist nicht klar, es werden eine
vermehrte urethrale Mobilität durch schlech –
te Verbindung der muskulären Schichten der
Urethra und ein erhöhter intraabdominaler
Druck als mögliche Ätiologien postuliert.
Die Therapie erfolgt mit adstringierenden
Sitzbädern (z. B. Tannosynt
®) und / oder bei
fehlendem Ansprechen mit Östrogencrème
lokal. Eine operative Resektion ist selten
notwendig.
Als weitere Ursachen kommen blutende ure –
thrale Polypen, Zysten oder paraurethrale
Zysten in Frage. Diese sind aber insgesamt
Abbildung 10 : Urethralprolaps. Quelle:
Hürlimann R.
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sehr selten und imponieren nicht zirkulär und
ödematös.
Blut in der Unterhose
Die Mutter stellt sich mit dem 3-jährigen
Mädchen vor, weil sie Blut in der Unterhose
ihrer Tochter gefunden hat. In der Untersu-
chung findet der Kinderarzt auffällige Hautein –
blutungen im Genitoanalbereich. Es folgt die
Zuweisung in die gynäkologische Sprechstun –
de, weil der Kinderarzt eine Übergriffsituation
im häuslichen Umfeld vermutet. Das Kind
lässt sich problemlos auf dem Schoss der
Mutter untersuchen. Unter Traktion und Se –
paration zeigt sich eine sanduhrförmige De –
pigmentierung der Vulva und Perianalhaut.
Die Haut ist pergamentartig, dünn und fragil,
was mit dem Kolposkop noch besser erkenn –
bar ist als von Auge. Es hat multiple Kratzspu –
ren und Hauteinblutungen. Für die kindergy –
näkologisch versierte Untersucherin ist dies
eine Blickdiagnose, es handelt sich um einen
Lichen sclerosus et atrophicans der Vulva.
DD genitale Blutung in der hormonellen
Ruhephase
• Blut kommt nicht von vaginal, sondern
urethral (z. B. hämorrhagische Zystitis)
oder ab ano (z. B. Obstipation mit
Analfissur, Gastroenteritis)
• Abspreizverletzungen
• Fremdkörper
• Infektionen (z. B. Streptokokken A)
• Lichen sclerosus et atrophicans
der Vulva
• Urethralprolaps
• Polypen oder Zysten
• Tumoren (selten!)
• Gewalt gegen sexuelle Integrität
• Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom
(Rarität!)
Jede unklare genitale Blutung bedarf
der Zuweisung zu einer kindergynäko –
logisch erfahrenen Ärztin.
Sexueller Missbrauch
Die Prävalenz des sexuellen Missbrauchs
mit Körperkontakt beträgt bei Mädchen
20 % !
4)
Über 90-95% mit penilem oder digitalem
Kontakt im Genitalbereich haben einen
völlig unauffälligen anogenitalen Befund:
Verletzungen heilen rasch ab, Berührungen
hinterlassen keine sichtbaren Befunde.
Aus forensischen Gründen (Spurensiche
–
rung: Sperma und Täter-DNA) sollte bei
einem akuten Ereignis eine möglichst
frühe Vorstellung (< 72 Std.) bei foren
-
sisch erfahrenen ÄrztInnen erfolgen. Diese
arbeiten multidisziplinär in Kinderschutz
-
gruppen, untersuchen und dokumentieren
mittels Kolposkop gemäss den internatio
-
nalen Empfehlungen und kennen die
Adams-Klassifikation 5) als Interpretations -
hilfe zur Beurteilung der Befunde.
Dies ist die häufigste dermatologische Ursa -
che einer anogenitalen Blutung im Kindesal -
ter. Es handelt sich um eine autoimmun be -
dingte Hautatrophie mit Hauteinblutungen,
Depigmentierung der Vulva und der periana -
len Haut sowie Juckreiz. Dies wird durch den
Östrogenmangel in der hormonellen Ruhepe -
riode verstärkt. Bei kleinen Traumata (Velo
fahren, Reiten) kommt es zu Blutungen und
F is sur en. Ves tibulum und Hy men sind von der Hautkrankheit nicht betroffen! Häufig besteht
auch ein perianaler Lichen mit Fissuren,
schmerzhafter Defäkation und konsekutiver
Obstipation. Die Therapie erfolgt mit lokaler
Streroidapplikation und guter Rückfettung,
bei Rezidiven und chronischem Verlauf auch
Tacrolimus lokal.
Abbildung 11: Lichen sclerosus et atrophi -
cans. Quelle: Hürlimann R.
Adoleszenz
Häufige Konsultationsgründe in dieser Alters -
gruppe sind Fragen zur Pubertät (normal
versus verzögert / verfrüht), Hyperplasie der
inneren Labien, Soor, Juckreiz im Zusammen -
hang mit Hygieneproblemen, Blutungsstörun -
gen und der Wunsch nach Antikonzeption.
Eine gynäkologische Untersuchung ist bei der
Erstkonsultation meist nicht notwendig, auch
wenn die Erstverordnung eines Ovulations -
hemmers erfolgt, ausser die Jugendliche kann
keine Tampons applizieren, dies erfordert den
Ausschluss eines Hymen bifenestratus, cribri -
formis oder altus (Abbildung 2). Die eingeplan -
te Zeit wird vor allem in Anamnese und Bera -
tung investiert, insbesondere für die
Ermutigung zum Kondomgebrauch, zur Infor-
mation betreffend sexuell übertragener Infek -
tionen und HPV-Impfung.
Unter dem Östrogeneinfluss wachsen die in -
neren Schamlippen. Aufgrund Intimrasur sind
sie zudem auch besser sichtbar. Gemäss
heutigem Schönheitsideal sind diskrete inne -
re Schamlippen erwünscht, die Zahlen der
operativen Labienreduktionsplastiken sind
auch hierzulande steigend. Diese Eingriffe
bieten jedoch die Gefahr von Wundheilungs -
störungen und Vernarbungen mit konsekutiv
Sensibilitätsstörungen und sexuellen Funkti -
onseinschränkungen. In einem vertrauensvol -
len Gespräch wird die breite Normalvarianz
der inneren Schamlippen und die Akzeptanz
des eigenen Körpers thematisiert und von
einer Operation primär abgeraten.
Tipp: Brust nicht vergessen! Adoleszente
haben häufig Fragen und Probleme mit ihrer
Brust, diese offen ansprechen.
Die gynäkologische Untersuchung, sowie
häufige Probleme im Adoleszentenalter sind
nicht Schwerpunkte dieses Artikels und be -
reits gut beschrieben
6), 7) .
Referenzen
1) Emans SJ, Laufer MR. Pediatric and Adolescent
Gynecology. 6. Edition Philadelphia; Lippincott
Williams Kluwer 2012.
2) Oppelt PG, Dörr H. Kinder- und Jugendgynäkologie.
1. Auflage, Georg Thieme Verlag Stuttgart 2015.
3) Costa M. Mythos Jungfräulichkeit. Pädiatrie 06/13
4) Optimusstudie: www.optimusstudy.org .
5) Adams JA et al. Updated Guidelines for the Medical
Assessment and Care of Children Who May Have
Been Sexually Abused. J Pediatr Adolesc Gynecol
2016 .
6) Baltzer F. Praktische Adoleszentenmedizin. 1.
Auflage, Verlag Hans Huber, Hogrefe AG Bern 2009.
7) Hürlimann R. Adoleszentengynäkologie in der
Praxis. Praxis 2013; 102(18):1123 -1128.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Sonja Fontana
Kinderspital Zürich
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
sonja.fontana @ kispi.uzh.ch
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang
mit diesem Beitrag deklariert.
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Autoren/Autorinnen
S. Fontana R. Hürlimann