Die akute Bronchiolitis im Säuglingsalter, gekennzeichnet durch das Auftreten von Atemnot mit Knisterrasseln in Anschluss an eine virale Rhinopharyngitis, ist der häufigste Atemwegsinfekt im ersten Lebensjahr1). Der Verlauf ist meist unkompliziert, dennoch handelt es sich um eine der häufigsten Ursachen, weswegen Säuglinge während der Wintermonate ins Spital eingewiesen werden.
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24 Monate alte Säuglinge, die erstmals we\b
gen einer Bronchiolitis hospitalisiert wur \b
den. Bei 246 Kindern wurden täglich 3 BEF
Therapiesitzungen durchgeführt (Interventi \b
onsgruppe) und bei 250 Kindern (Kontroll \b
gruppe) wurde 3\bmal im Tag Nasensekret
aspiriert. Die mediane Heilungszeit, definiert
als Nahrungsaufnahme von 2/3 des Bedar \b
fes, normale Sauerstoffsättigung und Atem \b
frequenz während den vorangehenden 8
Stunden, wies zwischen Interventionsgrup \b
pe und Kontrollgruppe keinen signifikanten
Unterschied auf (2.02 Tage, 95% CI 1.96–
2.34 vs. 2.31 Tage, 95% CI 1.97–2.73). Die
Anzahl Komplikationen war vergleichbar,
Nebenwirkungen bedingt durch BEF Physio \b
therapie (Erbrechen, vorübergehende Atem \b
störungen) waren in der Interventionsgruppe
signifikant häufiger (RR = 10.2, 1.3–78.8, p
= 0.005 bzw. RR = 5.4, 1.6–18.4, p = 0.002).
Die Schweizer Studie «Chest physiotherapy
using passive expiratory techniques does
not reduce bronchiolitis severity: a rando \b
mised controlled trial»
9), kontrolliert und
randomisiert, wurde an 99, mit Bronchiolitis
in einem Spital in der Westschweiz hospita \b
lisierten Säuglingen unter 1 Jahr durchge \b
führt. Bei 50 wurde 2\bmal täglich BEF
Physiotherapie und Nasentoilette (Interven \b
tionsgruppe), bei 49 nur Nasentoilette (Kon \b
Die akute Bronchiolitis im Säuglingsalter,
gekennzeichnet durch das Auftreten von
Atemnot mit Knisterrasseln in Anschluss an
eine virale Rhinopharyngitis, ist der häu
\b
figste Atemwegsinfekt im ersten Lebens \b
jahr
1). Der Verlauf ist meist unkompliziert,
dennoch handelt es sich um eine der häu \b
figsten Ursachen, weswegen Säuglinge
während der Wintermonate ins Spital ein \b
gewiesen werden.
Trotz verschiedener, theoretisch wirksamer
Behandlungsmöglichkeiten, hat bisher keine
einzige Behandlung erlaubt, den Verlauf der
Krankheit signifikant günstig zu beeinflus \b
sen
2), 3), 4) . Empfehlungen, wie von der
Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für
Pädiatrische Pneumologie (SAPP)
5) 2003 in
Paediatrica publiziert, haben seitdem kaum
geändert, d. h. die Behandlung beruht im
Wesentlichen auf symptomatischen Mass \b
nahmen: Freihalten der oberen Atemwege,
Flüssigkeitszufuhr garantieren, Sauerstoff
falls nötig und Überwachung. Insbesondere
konnte nie nachgewiesen werden, dass
Atemphysiotherapie den Schweregrad der
Krankheit, die Dauer des Spitalaufenthaltes
oder den Sauerstoffbedarf hospitalisierter
Säuglinge beeinflusst. In der neuesten
Cochrane Review
6) unterstreichen die Auto \b
ren zu Recht die unterschiedliche Haltung
zwischen angelsächsischen Ländern, wo
konventionelle Techniken der Vibration/
Perkussion und posturale Drainage ange \b
wandt werden, und frankophonen Ländern,
wo die Atemphysiotherapie auf der vorsich \b
tigen Beschleunigung des expiratorischen
Flows beruht. Letztere Techniken berück \b
sichtigen die spezifischen Merkmale der
Säuglingsatemwege (viele schleimsezernie \b
rende Zellen und schwache Kollateralventi \b
lation) und erlauben damit, Schleim zu mo \bbilisieren unter gleichzeitiger Vermeidung
eines Kollapses der Luftwege
7). Bisher wur
\b
den keine kontrollierten, randomisierten
Studien zu klinisch relevanten Therapiezie \b
len der Techniken zur Beschleunigung des
expiratorischen Flows (BEF) durchgeführt,
und dies trotz häufiger, oft stark emotional
geprägter Streitgespräche, da Physiothera \b
pie menschliche Faktoren und Handfertig \b
keiten einbezieht, die schwer quantifizierbar
sind. Nun wurden kürzlich zwei Studien
durchgeführt, eine in Frankreich, die andere
in der Schweiz, mit dem Ziel, die Wirkung
von BEF bei hospitalisierten Säuglingen mit
Bronchiolitis zu objektivieren.
Die französische Studie «Effectiveness of
chest physiotherapy in infants hospitalized
with acute bronchiolitis: a multicenter ran \b
domized, controlled trial»
8), randomisiert,
kontrolliert, doppelblind, in 7 Spitälern in
Paris durchgeführt, umfasst 496 15 Tage bis
Atemphysiotherapie und Bronchiolitis:
Wo stehen wir?
Isabelle Rochat 1, Patricia Leis 2, Anne Mornand 3, Constance Barazzone Argiroffo 3
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux\b de \b Fonds
A\b\bildung 1:
Vergleich der verflossenen Zeit bis zur klinischen Stabilisierung bei hospitali \b
sierten Säuglingen mit Bronchiolitis. Hellblau die Gruppe mit Physiotherapie, dunkelblau
die Kontrollgruppe. Der Unterschied am Tag 5 ist nicht signifikant (P=0.35).
10 0 –
80 –
60 –
40 –
20 –
0–
–
–
–
– ––
–0 2 4 68 10 12
Ta ge seit Spitalauf nahme
Anteil klinisch unstabil (%)
1 Unité de pneumologie pédiatrique, Département
médico \b chirurgical de pédiatrie, Centre hospitalier
universitaire vaudois, Lausanne
2 Physiothérapie, Hôpital des Enfants, Hôpitaux
Universitaires de Genève
3 Unité de pneumologie pédiatrique, Hôpital des
Enfants, Hôpitaux Universitaires de Genève
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trollgruppe) durchgeführt. Die Zeit bis zur
klinischen Stabilisierung, definiert als selb\b
ständige Aufnahme von 50% des Nahrungs \b
bedarfes, Fehlen von Erbrechen, Schlafstö \b
rungen und Sauerstoffbedarf während der
10 vorangehenden Stunden, unterschied
sich in der Interventionsgruppe nicht von der
Kontrollgruppe (2.9 ± 2.1 Tage vs.
3.2 ± 2.8, p = 0.45). Der Allgemeinzustand,
beurteilt auf Grund allgemeiner Kriterien
(Nahrungsaufnahme, Erbrechen, Schlaf),
Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung, bes \b
serte sich in der Interventionsgruppe nicht
schneller. Nimmt man einen respiratori \b
schen Score mit 7 Kriterien (Atemfrequenz,
O
2\bSättigung, O 2\bBedarf, Einziehungen, Ne \b
bengeräusche, Atemgeräusch und Überblä \b
hung) zuhilfe, stellt man eine leicht raschere
Besserung in der Interventionsgruppe fest,
wahrscheinlich im Zusammenhang mit Än \b
derungen des Auskultationsbefundes infolge
Sekretmobilisierung durch die Physiothera \b
pie. Die Autoren erwähnen keine physiothe \b
rapiebedingte Komplikationen; durch die
Schwere der Krankheit bedingte Komplika \b
tionen waren tendenziell seltener in der In \b
terventionsgruppe (7 vs. 12, p = 0.21).
Diese Arbeiten zeigen, dass Säuglinge, die
wegen einer Bronchiolitis hospitalisier t
sind, durch tägliche Atemphysiotherapie
nicht schneller heilen. Soll sie deshalb ver\b
bannt werden? Könnte sie in schweren
Fällen doch den Einsatz künstlicher Beat \b
mung verzögern, wie dies in der Schweizer
Studie erwähnt wird
9)? Könnte sie bei einer
Untergruppe von Patienten ohne Hypoxie,
ohne Ekzem noch familiäre Atopiebelas \b
tung sinnvoll sein, wie in der Studie von
Gajdos
8) angedeutet? Obwohl viele Fragen
offen bleiben, werden diese Studien sicher
unsere Nachbarn dazu bringen, die syste \b
matische Verschreibung der Atemphysio \b
therapie zu überdenken und sich den neuen
Kenntnissen anzupassen
10). Die schweizeri \b
schen Empfehlungen von 2003 werden
damit bekräftigt und können erneuert wer\b
den, und sollten dazu führen, den Einsatz
menschlicher und finanzieller Mittel in den
pädiatrischen Kliniken während der Winter \b
monate zu überdenken.
Es muss aber darauf hingewiesen werden,
dass diese beiden Studien nur eine Minder \b
heit der Säuglinge mit Bronchiolitis betref \b
fen, werden doch nur 2–3% hospitalisiert.
Die Durchführung von randomisierten, kont \b
rollierten, doppelblinden Studien zur Beur \b
teilung der Wirkung von Atemphysiotherapie
in der ambulanten Betreuung von Säuglingen
mit Bronchiolitis sähe sich aber beinahe
unüberwindbaren Hindernissen gegenüber.
Nicht nur sind die Schlussparameter einer
solchen Studie schwer bestimmbar (geht es
darum, die Anzahl Notfallkonsultationen
oder Hospitalisationen zu vermindern, die
Nahrungsaufnahme zu erleichtern oder das
Fernbleiben der Eltern von der Arbeit zu
vermeiden?), vor allem aber wäre es im Rah\b
men einer freien Praxistätigkeit schwer, die
notwendige Anzahl verfügbarer Teilnehmer
zu finden, um genügend Patienten in die
Studie einzuschliessen, zu beurteilen und zu
behandeln. In Erwartung einer solchen Stu \b
die wird kaum jemand die wichtige Rolle der
PhysiotherapeutInnen bei Behandlung, El \b
ternbildung (Nasentoilette!), und als Binde \b
glied zwischen Pädiater in der Praxis und
Eltern zuhause anzweifeln.
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Korrespondenzadresse
Isabelle Rochat
Unité de pneumologie pédiatrique, DMCP
Rue du Bugnon 46
1011 Lausanne\bCHUV
isabelle.rochat@chuv.ch
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr Isabelle Rochat , Unité de pneumologie mucoviscidose, Département Femme Mère Enfant, Chuv, Lausanne Patricia Leis Dr. Anne Mornand , Unité de Pneumologie Pédiatrique Hôpital de Enfants Prof. Dr med. Constance Barazzone-Argiroffo , Genève Andreas Nydegger