Mit einer Prävalenz von 0,5 bis 1% zählt die Epilepsie nach dem Asthma bronchiale zu den häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter. Auch bei zurückhaltender Indikationsstellung für eine antikonvulsive Dauermedikation wird der überwiegende Teil der neu erkrankten Kinder über Jahre hinweg mit einem Antikonvulsivum behandelt werden.
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Mit einer Prävalenz von 0,5 bis 1% zählt
die Epilepsie nach dem Asthma bronchia-
le zu den häufigsten chronischen Erkran-
kungen im Kindesalter. Auch bei zurückhal-
tender Indikationsstellung für eine anti-
konvulsive Dauermedikation wird der
über wiegende Teil der neu erkrankten Kin-
der über Jahre hinweg mit einem Antikon-
vulsivum behandelt werden. Unter einer
solchen Dauermedikation werden ca. 80%
der Kinder mit einer idiopathischen Epilep-
sie anfallsfrei; bei den symptomatischen
Epilepsien ist bei ca. 60 bis 70% der
behandelten Kindern mit einer Anfallskon-
trolle zu rechnen. Viele Epilepsien haben
im Kindesalter eine günstige Prognose;
aufgrund des hohen Anteils idiopathischer
altersabhängig auftretender so genannter
benigner Formen wird das Anfallsleiden bei
2/3aller betrof fenen Kinder bis zur Ado-
leszenz «ausgewachsen» sein.
In den letzten Jahren sind in rascher Reihen-
folge eine Vielzahl von neuen antikonvulsiv
wirksamen Substanzen auf den Markt ge-
langt, deren Einsatzbereich, Wirkungsprofil,
pharmakologische Besonderheiten sowie
mögliche Nebenwirkungen dem Pädiater
noch weit weniger ver traut sein können.
Vom spezialisier ten Epileptologen auf ein
bestimmtes Präparat eingestellt, präsen-
tier t sich das anfallskranke Kind dem Pra-
xispädiater meist mit Fragen und Problemen
im Hinblick auf die Einnahmemodalitäten,
die möglicher weise notwendigen Labor-, ins-
besondere Spiegelkontrollen sowie allfällige
uner wünschte Nebenwirkungen und Interak-
tionen. Im Folgenden sollen die wichtigsten
Prinzipien der antikonvulsiven Dauermedika-
tion sowie die Charakteristika der ver füg-
baren Präparate zusammengefasst werden.Behandlungsindikation
Prinzipiell besteht eine Behandlungsindi-
kation bei einer Epilepsie dann, wenn
•durch den Spontanverlauf der Erkran-
kung ein bedeutsames Gesundheits-
risiko für die betrof fene Person ent-
steht (z.B. Verletzungsgefahr im
Anfall, negative neuropsychologische
Auswirkungen von wiederholten oder
prolongier ten Anfällen, negative Aus-
wirkungen subklinischer, nur im EEG
nachweisbarer epileptischer Aktivität)
und
•eine medikamentöse Therapie den
Spontanverlauf der Epilepsie ausrei-
chend positiv beeinflusst
und
•das Risiko einer Gesundheitsschädi-
gung durch die Therapie geringer als
die des Spontanverlaufs selbst ist.
Bei der Abwägung der Behandlungsindi-
kation spielen daher epilepsiespezifische
Faktoren(z.B. Ätiologie, Rezidivrisiko, Pro-
vokationsfaktoren, ausschliessliches nächt-
liches Auftreten von Anfällen, Verletzungs-
gefahr im Anfall, Gefahr eines Status epi-
leptikus, Erkrankungsdauer und Prognose)
als auch patientenspezifische Faktoren
(z.B. Alter des Kindes, Grund- oder Be-
gleiterkrankungen, Entwicklungsstand und
schulische Situation, Betreuungsqualität,
Hobbys und Freizeit) eine entscheidende
Rolle.
Bei einigen typischen idiopathischen be-
nignen Epilepsiesyndromen kann daher
nach Abwägung dieser Faktoren häufig auf
eine Dauermedikation ver zichtet werden
(z.B. bei der benignen Par tialepilepsie mitcentro-temporalen sharp-waves [BPECT oder
Rolandi-Epilepsie], bei der frühkindlichen
Par tialepilepsie mit occipitalen Paroxysmen
[Panayiotopoulos-Syndrom] oder bei Re-
flexepilepsien, wenn die auslösende Trigger-
Situation verhinder t werden kann [z.B. bei
einigen visuell induzier ten Anfällen]).
Ist eine Epilepsieklassifikation und exakte
Prognostizierung nach einem ersten Anfall
noch nicht möglich, so ist es sehr wohl ge-
rechtfer tigt, zunächst den Spontanverlauf
unter Bereitstellung einer Notfallmedikation
abzuwar ten («Never treat a single seizure»).
Kind und Eltern sind in dieser Abwar tesi-
tuation auf die notwendigen Vorsichts-
massnahmen und das Vermeiden von
Hochrisikosituationen hinzuweisen (z.B.
kein Schwimmen ohne Aufsicht, mögliche
Einschränkungen bei anderen Hochrisiko-
spor tar ten, ggf. Begleitung auf dem Schul-
weg o.Ä.). Das Rezidivrisiko nach einem
ersten unprovozier ten Anfall ist innerhalb
der folgenden 3 Monate am höchsten, so
dass die Vorsichtsmassnahmen häufig
nach dieser Zeit gelocker t werden können.
Als Notfallmedikation sowie für eine Inter-
vallprophylaxe finden die in Tabelle 1auf-
geführ ten Benzodiazepine Ver wendung.
Entschliesst man sich aufgrund der Anfalls-
dichte und der allgemeinen Lebenssitua-
tion des Kindes zu einer Dauermedikation,
sind zusätzlich medikamentenspezifische
Faktorenzur Beur teilung des Behandlungs-
risikos zu berücksichtigen. Hier zu gehören
die Ef fizienz einer Substanz (sowohl im Hin-
blick auf die Anfallsverhinderung als auch
auf möglicher weise schädliche subklinische
epilepsietypische Aktivität im EEG), das
Nebenwirkungsrisiko, die mögliche Beein-
Antikonvulsiva-Therapie im Kindesalter
Trileptal ®? – Lamictal ®? – Qual der Wahl? – Alles egal?
La version française de cet ar ticle suivra
trächtigung neuropsychologischer Funktio-
nen durch die Medikation, ver fügbare
Zubereitungsformen und deren Galenik,
Compliance-Freundlichkeit, therapeutische
Breite, mögliche Teratogenität sowie ihr
Preis. Die Entscheidung über die Einleitung
einer mehrjährigen antikonvulsiven Dauer-
medikation er forder t daher ausreichende
Kenntnisse über die aktuelle Lebenssitua-
tion des Kindes, über den Erkrankungsver-
lauf und über die Ef fizienz und das Neben-
wirkungsprofil des Mittels der Wahl. Sie
kann nur nach einer einzelfallspezifischen
Nutzen-Risiko-Abwägung er folgen und hat
dabei nicht nur Anfallsfreiheit, sondern
eine optimale Gesamtlebensqualität des
betrof fenen Kindes als therapeutisches
Ziel. Die Substanzen
Carbamazepin/Oxcarbazepin
Als Mittel der Wahl zur Behandlung von Epi-
lepsie mit fokalen und fokal sekundär ge-
neralisier ten Anfällen dar f weiterhin Carba-
mazepin (CBZ) gelten. Es ist in retardier ter
Galenik als Tegretol CR
®oder Timonil re-
tard
®in gut teilbaren oder sogar suspen-
dierbaren Tabletten im Handel. Als Richt-
dosis gelten 15 bis 20 mg/kgKG/d in
zwei Einzeldosen. Bei zu rascher Aufdo-
sierung (oder Unver träglichkeit aufgrund
der Wirkung des Epoxids) ist mit vorüber-
gehenden Nebenwirkungen wie Ver tigo,
Müdigkeit, Kopfschmer zen, Diplopie oder
gastrointestinalen Symptomen zu rechnen.
Bei ca. 1% der Kinder tritt ein ar zneimittel-
allergisches Exanthem auf, das nicht un-
bedingt zum Absetzen der Medikation
zwingt. Aufgrund der starken hepatischen
Enzyminduktion durch Carbamazepin sindInteraktionen mit anderen Pharmaka, die
beschleunigt metabolisier t werden können,
häufig (z.B. Kontrazeptiva!).
Laborchemisch tritt gelegentlich eine rela-
tive Leukopenie, sowie selten eine Throm-
bopenie auf. Als therapeutischer Bereich
des Serumspiegels gilt eine Konzentration
zwischen 16–50 µmol/l mit grossen indi-
viduellen Schwankungen in der Ver träglich-
keit und Wirksamkeit. Typische Überdosie-
rungserscheinungen sind neuropsycholo-
gische wie Müdigkeit, Kopfschmer zen,
Doppelbilder und Strabismus, Ataxie. Bei
Inkaufnahme einer Schwangerschaft unter
Carbamazepin ist mit einem leicht erhöh-
ten Teratogenitätsrisiko (Neuralrohrdefek-
te) zu rechnen.
Als «grosse Schwester» des Carbamazepin
gilt das (deutlich teurere) Oxcarbazepin,
das als Trileptal
®seit einigen Jahren im
Handel und auch für Kinder zugelassen ist.
Es zeichnet sich durch eine bessere Ver-
träglichkeit bei gleich guter Wirksamkeit
und geringere Enzyminduktion aus und kann
gegen Carbamazepin von einem auf den
anderen Tag ausgetauscht werden. Als
Richtdosis gilt hierbei das 1,5- bis 2fache
der bisherigen Carbamazepindosis (also
30–40 mg/kgKG) in zwei Einzeldosen. Die
wichtigste mögliche Nebenwirkung ist die
einer Hyponatriämie, die bei ca. 3% der
Patienten relevante kritische Wer te unter
125 µmol/l erreicht, was dann zum Ab-
setzen zwingt.
Valproat
Mit einem breiten Wirkungsspektrum bei
generalisier ten als auch fokalen Epilepsien
ist Valproat seit Jahr zehnten bewähr t und
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Tabelle 1:Häufig verwendete Benzodiazepine zur Akutbehandlung
und zur Intervallprophylaxe zerebraler Anfälle im Kindesalter
Substanz Präparate Dosierungstipps
Diazepam rectal Diazepam Desitin
®rectal tubes 5, 10 mg KG < 20 kg: 5 mg
Stesolid rectiole ®5, 10 mg KG > 20 kg: 10 mg
Diazepam oralPsychopax
®-Lösung (1 ml = 30 gtt = 10 mg) 0.75 – 1 mg/kgKG/d
in 3 ED
Valiquid
®-Lösung (1 ml = 30 gtt = 10 mg)
Lorazepam Temesta expidet
®1; 2.5 mg 0.1 mg/kgKG
buccal
Lorazepam IV Temesta
®-Lösung, 1 ml = 4 mg 0.1 mg/kgKG IV
Clonazepam IV Rivotril
®-Lösung, 1 ml = 1 mg 0.02 mg/kgKG IV
Clobazam Urbanyl
®-Tabletten 10 mg 0.5–1 mg/kgKG
in 3 ED
31 Formation continue / For tbildung Vol. 14 No. 2 2003
als Convulex ®, Depakine ®oder Or firil ®in re-
tardier ten Zubereitungsformen als «first
line drug» im Handel. Der Richtdosisbe-
reich liegt bei 15 bis 20 mg/kgKG, in be-
stimmten Fällen können auch wesentlich
höhere Dosen bis über 50 mg/kgKG ver-
wendet werden. Als therapeutischer Be-
reich wird ein Serumspiegel von 170 bis
700 µmol/l angesehen. Valproat wird häu-
fig nebenwirkungsfrei tolerier t; vorüber-
gehend kann ein vermehr ter Haarausfall
auftreten (gegen den oft Biotin wirksam
ist). Insbesondere bei Kindern mit vorbe-
stehender feinmotorischer Störung wird –
dosisabhängig – häufig ein feinschlägiger
Tremor beobachtet.
Dosisabhängig kommt es unter Valproat
zum Auftreten einer gelegentlich klinisch
relevanten Koagulopathie, die sich labor-
chemisch mit einer Verlängerung der PTT,
einer leichten Thrombopenie, einer Hypo-
fibrinogenämie oder einer Verminderung
des Faktor VIII-assoziier ten Antigens (ana-
log der von Willebrand-Jürgens-Erkrankung)
äussern kann. Eine Komedikation mit Ace-
tylsalizylsäure oder anderen Thrombozyten-
aggregationshemmern sollte vermieden
werden.
Die vermehr te Blutungsneigung sollte un-
bedingt vor operativen Eingrif fen berück-
sichtigt werden; bei Wahleingrif fen emp-
fiehlt sich die vorherige Bestimmung der
oben genannten Parameter. Im Bedar fsfall
kann das Blutungsrisiko durch die Gabe
von DDAVP (z.B. Minirin
®) verminder t wer-
den; die Ausstellung eines Notfallaus-
weises unter höher dosier ter Valproatbe-
handlung muss im Einzelfall er wogen wer-
den.Unter Valproat besonders zu berücksich-
tigen ist die Gefahr einer akuten Reye-
Syndrom-ähnlichen Hepatoencephalopa-
thie. Sie manifestier t sich ausschliesslich
innerhalb der ersten Behandlungswochen
mit klinischen Symptomen wie Adynamie,
Koma, Erbrechen, Bauchschmer zen, An-
fallszunahme und kann unbehandelt letal
verlaufen. Das Risiko hier für ist deutlich er-
höht bei Kindern unter 2 Jahren mit un-
klarer psychomotorischer Retardierung und
unklarer Anfallsursache sowie unter Poly-
therapie (insbesondere Kombination mit
Phenobarbital). Vorbestehende Lebererkran-
kungen, insbesondere Störungen der Fett-
säureoxidation, werden als Kontraindika-
tion für eine Valproatmedikation angesehen.
Kontrollen von Leber funktionsparametern
sind für das Auftreten dieser Komplikation
nicht prädiktiv und brauchen unter Thera-
pie nicht wiederholt kontrollier t werden. El-
tern und Betreuungspersonen sollten über
diese Symptome aufgeklär t und aufgefor-
der t werden, im Zweifelsfall sofor t mit dem
behandelnden Ar zt Kontakt aufzunehmen.
Insbesondere von Teenagern oft als störend
empfunden wird eine Gewichtszunahme
unter länger fristiger Valproattherapie. Die
Substanz selbst beeinflusst die Wirksam-
keit von Kontrazeptiva nicht, führ t jedoch
zu einem erhöhten Fehlbildungsrisiko bei
Schwangerschaften (Neuralrohrdefekte).
Lamotrigin
Hinter Carbamazepin und Valproat auf Platz
2 steht aktuell Lamotrigin (Lamictal ®), das
sich sowohl für idiopathische generalisier-
te als auch für fokale Epilepsien eignet. Es
zeichnet sich prinzipiell durch eine sehr
gute Ver träglichkeit und ein geringes Neben-wirkungsrisiko aus. Als mögliche Hauptne-
benwirkung ist das Auftreten eines ar znei-
mittelallergischen Exanthems zu nennen,
insbesondere in Kombination mit Valproat.
Das Risiko für diese Nebenwirkung kann
durch ein sehr langsames Eintitrieren in
2-Wochen-Schritten reduzier t werden («star t
low, go slow»).
In Monotherapie wird eine Dosis von 0,3
mg/kgKG in 2 Einzeldosen als Star tdosis
empfohlen. Diese Dosis kann in 14-tägigen
Abständen auf 2 (max. 8 mg/kgKG) ge-
steiger t werden, höhere Dosen sind ver-
mutlich nicht wirksamer. Bei Kombinations-
therapie mit Valproat wird eine Star tdosis
von 0,15 mg/kgKG empfohlen, die eben-
falls in 14-tägigen Abständen auf 1, max.
5 mg/kgKG gesteiger t werden kann. Liegt
eine Komedikation mit anderen enzymin-
duzierenden Antikonvulsiva vor, sollte eine
Star tdosis von 1–2 mg/kgKG ver wendet
werden, die bis auf max. 10–15 mg/kgKG
gesteiger t werden kann. Wird eine Lamotri-
gin-Monotherapie angestrebt, kann wegen
der langen Eintitrierungsphase überbrü-
ckungsweise eine Comedikation mit einem
niedrig dosier ten Benzodiazepin (z.B. Clo-
bazam) für einen sicheren Anfallsschutz
notwendig werden.
Uner wünschte, seltene dosisabhängie Ne-
benwirkungen unter Lamotrigin sind Doppel-
bilder, Kopfschmer zen, Schwindel, Tremor
oder Ataxie. Labor-, insbesondere Spiegel-
kontrollen sind nicht routinemässig er for-
derlich.
Sultiam
Sultiam (Ospolot
®), ein Carboanhydrase-
hemmer, hat eine unüber trof fene Nutzen-
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Risiko-Relation bei der Behandlung der be-
nignen Par tialepilepsie mit zentrotempo-
ralen sharp-waves (Rolandische Epilepsie),
der häufigsten kindlichen Anfallserkrankung
überhaupt. Es wird hier in einer relativ nied-
rigen Dosis von 5 bis 7 mg/kgKG in drei
Einzeldosen empfohlen, relevante Neben-
wirkungen hierunter sind nicht zu befürch-
ten. An Laborkontrollen reicht eine einma-
lige Bestimmung von Blutbild und Elektro-
lyten nach Erreichen der Enddosis aus,
Plasmaspiegelbestimmungen sind in der
angegebenen Dosierung nicht er forderlich.
Sultiam kann auch bei anderen idiopathi-
schen oder symptomatischen Par tialepilep-
sien z.T. in wesentlich höheren Dosen er-
folgreich eingesetzt werden. Nach vorüber-
gehenden Ver fügbarkeitsproblemen ist eine
erneute Zulassung durch die Swissmedic
ab Juli dieses Jahres in Aussicht.
Ethosuximid
Als Suxinutin
®oder Petinimid ®im Handel,
wird die Substanz vor wiegend zur Behand-
lung der Absence-Epilepsie – insbesonde-
re bei Nichtansprechen auf Valproat – ein-
gesetzt. Als Dosierungsempfehlung gelten
20–30 mg/kgKG in 3 ED; als therapeuti-
scher Bereich 280–700 µmol/l. Seltene
Hauptnebenwirkungen sind neuropsycho-
logische Beeinträchtigungen.
Topiramat
Topiramat (Topamax
®) ist ein neueres Anti-
konvulsivum. Im pädiatrischen Bereich ist
es zur add-on-Medikation als auch zur
Monotherapie ab dem 2. Lebensjahr bei
generalisier ten wie auch fokalen Epilep-
sien zugelassen; es lässt sich in seiner
Wirksamkeit mit den bewähr ten bisherigen
Mitteln der ersten Wahl vergleichen. Aus-gehend von einer Star tdosis von 0,5 bis
1 mg/kgKG in zwei Einzeldosen, wird eine
wirkungsabhängige wochenweise Steige-
rung auf bis zu 10 mg/kgKG empfohlen.
Besondere Labor- oder Blutspiegelkontrol-
len sind hierunter nicht er forderlich. Nicht
selten kommt es unter höheren Dosen zu
negativen neuropsychologischen Beein-
trächtigungen wie Konzentrationsschwä-
che, Müdigkeit und insbesondere Sprech-
schwierigkeiten. Eine weitere, häufig rele-
vante Nebenwirkung ist das Auftreten einer
Inappetenz mit Gewichtsabnahme.
Die Substanz kann auch bei der BNS-Epi-
lepsie (WEST-Syndrom) z.T. in noch höhe-
ren Dosen wirksam sein. Ihr wird eine be-
sondere neuroprotektive Wirkung sowie
eine spezifische Ef fektivität bei Neugebo-
renenkrämpfen zugeschrieben.
Levetiracetam
Levetiracetam (Keppra
®) ist das jüngste
Antikonvulsivum auf dem Markt. Bei Er-
wachsenen wirkt es bei generalisier ten wie
auch fokalen Anfällen und zeichnet sich
hier durch eine besonders gute Ver träg-
lichkeit aus, so dass die Eintitrierungs-
phase wegfallen kann. Anwendungsbeob-
achtungen bei Kindern allerdings zeigen,
dass eine langsame Dosissteigerung zur
Vermeidung von negativen neuropsycholo-
gischen Wirkungen sinnvoll ist. Die bis-
herige Er fahrung spricht für eine ähnliche
«Breitspektrum»-Wirksamkeit wie bei To-
piramat und Lamotrigin. Als Dosis wird
ein Bereich zwischen 20 bis 50 mg/kgKG
in zwei Einzeldosen empfohlen, besonde-
re Labor- oder Blutspiegelkontrollen ent-
fallen.Vigabatrin
Vigabatrin (Sabril
®) bleibt aufgrund seiner
möglichen Nebenwirkungen auf Retinazel-
len (persistierende Gesichtsfeldeinschrän-
kung) reser vier t für die Behandlung der
BNS-Epilepsie, die Therapie fokaler Anfäl-
le bei Tuberöser Sklerose und bei anderen
schwierig einzustellenden fokalen Epilep-
sien, insbesondere aufgrund fokaler kor-
tikaler Dysplasien. Es wird meistens in ei-
ner Dosis von 40 bis 70 mg/kgKG in zwei
Einzeldosen verabreicht, besondere Spie-
gel- oder Laborkontrollen sind hierunter
nicht er forderlich.
Bewer tung der neuen
Antikonvulsiva
Die neuen Antikonvulsiva wie Oxcarbaze-
pin, Lamotrigin, Topiramat und Levetirace-
tam zeichnen sich durch eine grosse the-
rapeutische Breite, eine gute Ver träglich-
keit und eine geringe Organtoxizität aus.
Routinemässige Laborkontrollen von Se-
rumkonzentration oder Ver träglichkeits-
parametern entfallen meist. Ebenfalls ge-
meinsam ist ihnen ihr hoher Preis, der im
Vergleich zu den alten Substanzen zu 10-
bis 20fach höheren Behandlungskosten
führ t. Zu ihrem Teratogenitätsrisiko liegen
bislang noch keine aussagekräftigen Daten
vor.
Da die neuen Substanzen zunächst als
add-on-Therapeutika bei therapieschwieri-
gen Epilepsien überprüft und zugelassen
worden sind, werden Er fahrungen in der
Behandlung von häufigeren, prognostisch
günstigeren Anfallsformen mit Ver zögerung
gewonnen. Bislang liegen einige wenige
Vergleichsstudien mit den bewähr ten «al-
33 Formation continue / For tbildung Vol. 14 No. 2 2003
ten» Substanzen vor. Sie zeigen, dass die
neuen Antikonvulsiva keine höhere Ef fek-
tivität aufweisen, sich jedoch in der Regel
durch eine geringere Rate an uner wünsch-
ten Nebenwirkungen und eine bessere
Ve r t räglichkeit auszeichnen. Negative neu-
ropsychologische Beeinträchtigungen, die
häufiger bei add-on-Einsatz in Polytherapie
beobachtet werden, treten in Monothera-
pie seltener auf.
Allgemeine Labor- und Spiegel-
kontrollen («drug monitoring»)
Kontrollen des Serumspiegels sollten nicht
routinemässig ohne klinische Fragestellung
er folgen. Sinnvoll sind sie nach er folgter
Einstellung als Talspiegel (z.B. morgens vor
der Einnahme) zusammen mit einer Be-
stimmung der anderen Ver träglichkeits-
parameter bei einigen Substanzen (Carba-
mazepin, Valproat, Ethosuximid). Spiegel-
bestimmungen sind darüber hinaus sinnvoll
möglichst zeitnahe bei einem allfälligen An-
fallsrezidiv, bei fraglicher Compliance zur
Überprüfung der Einnahme sowie als An-
haltspunkt zur Dosisüberprüfung bei ra-
scher Gewichtszunahme (z.B. bei Säug-
lingen oder Kleinkindern) oder fraglicher
Biover fügbarkeit. Zu beachten ist, dass der
gemessene Gesamtspiegel des Antikonvul-
sivums nicht mit dem freien, nicht plasma-
eiweissgebundenen Anteil der Substanz
korrelieren muss, der für die klinischen Wir-
kungen und Nebenwirkungen verantwor t-
lich ist. Eine Dosissenkung bei vermeint-
lich zu hohem Spiegel, aber guter klinischer
Ve r t räglichkeit ist ebenso zu vermeiden wie
eine Dosissteigerung bei vermeintlich sub-
therapeutischem Spiegel und anfallsfreiem
Patienten.Nicht-medikamentöse
Behandlungsmethoden
Die prinzipiellen Chancen auf eine Anfalls-
freiheit haben sich seit Einführung der
neuen Antikonvulsiva kaum verbesser t, die
Prognose ist bei einer symptomatischen
Epilepsie weiterhin schlechter als bei den
idiopathischen Verlaufsformen (s.o.). Ist
bei einer symptomatischen fokalen Epilep-
sie ein Mittel der ersten Wahl auch in ma-
ximal tolerier ter Dosis nicht ausreichend
wirksam, soll auf ein anderes Mittel der
ersten Wahl in Monotherapie gewechselt
und eine Kombinationstherapie erst in
zweiter Linie angestrebt werden. Allerdings
sind die Chancen, nach Versagen der bei-
den ersten «first-line» Medikamente Anfalls-
freiheit mit einem weiteren Medikament zu
er zielen, deutlich unter 10%. Deutlich höher
sind die Chancen auf eine dauerhafte An-
fallsfreiheit bei einigen symptomatischen
Par tialepilepsien nach einer epilepsiechi-
rurgischen Intervention.
Bei Pharmakoresistenz (kein Er zielen einer
Anfallsfreiheit mit mindestens zwei Anti-
konvulsiva der ersten Wahl in Mono- oder
Polytherapie innerhalb von 2 Behandlungs-
jahren) sollte daher auch im Kindesalter
die Möglichkeit eines epilepsiechirurgi-
schen Eingrif fs an einem der wenigen hier-
für spezialisier ten Zentren überprüft wer-
den – insbesondere in Anbetracht der bei
Kindern oft nur gering ausgeprägten neuro-
logischen Defizite und vorhandenen Kom-
pensationsmöglichkeiten nach einem sol-
chen Eingrif f.
Als nicht medikamentöses Therapiever fah-
ren kann bei Pharmakoresistenz eine keto-gene Diäter wogen werden, mit der bei ca.
10% der behandelten Kinder eine Anfalls-
freiheit er zielt werden kann. Die dietätische
Beratung in der er forderlichen Ernährungs-
umstellung und langfristige Betreuung hier-
bei wird von einigen wenigen Zentren ange-
boten.
Noch wenige und nicht uneingeschränkt
ermutigende Er fahrungen bei Kindern be-
stehen mit einer Stimulation des N. Vagus.
Durch einen implantier ten elektrischen
Schrittmacher regelmässig an den Vagus
abgegebene Impulse können das Auftreten
oder die Ausbreitung von Anfällen unter-
drücken. Dieses Ver fahren bleibt momen-
tan für einige wenige schwer epilepsiekran-
ke Kinder reser vier t.
Zusammenfassung
Die Pharmakotherapie der Epilepsien im
Kindesalter ist durch die neuen Antikon-
vulsiva nicht einfacher geworden; die prin-
zipielle Prognose kindlicher Anfallskrank-
heiten wird durch die neuen Substanzen
nicht verbesser t. Die Entscheidung über
die Einleitung einer Dauermedikation und
die Auswahl einer geeigneten Substanz
sollte nur nach einer sorgfältigen einzel-
fallspezifischen Nutzen/Risiko-Abwägung
er folgen. Die Betreuung des epilepsie-
kranken Kindes er forder t eine langfristige
Zusammenarbeit zwischen Praxispädiater
und Kinderepileptologen und hat neben der
Anfallsfreiheit auch die Sicherung einer op-
timalen Lebensqualität des betrof fenen
Kindes zum Ziel.
34 Formation continue / For tbildung Vol. 14 No. 2 2003
Weiter führende
praxisorientier te Literatur
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Desitin Ar zneimittel GmbH. Erhältlich bei Desitin Phar-
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Thomas Schmitt-Mechelke, Luzern
Adresse des Autors:
Dr. Th. Schmitt-Mechelke
Leitender Ar zt Neuropädiatrie
Kinderspital
6000 Luzern 16
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Thomas Schmitt-Mechelke , Leitender Arzt Neuropädiatrie, Kinderspital, Luzern