Stellungnahme der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin hat zur verbreiteten Vermarktung von Beikostprodukten zur Flaschchenfütterung Stellung genommen, die sie aus Sicht der Kinder- und Jugendmedizin für unakzeptabel hält). Unter Produktnahmen wie «Trinkbrei», «Trink-Mahlzeit», und «Gute-Nacht-Fläschen» werden zahlreiche Produkte als Flaschennahrungen angeboten (Tabelle 1), die nicht der europäischen Gesetzgebung zu Säuglings- oder Folgenahrungen entsprechen.
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Vol. 19 No. 4 2008
Die Ernährungskommission der Deutschen
Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedi-
zin hat zur verbreiteten Vermarktung von
Beikostprodukten zur Flaschchenfütterung
Stellung genommen, die sie aus Sicht der
Kinder- und Jugendmedizin für unakzeptabel
hält
1). Unter Produktnahmen wie «Trink –
brei», «Trink-Mahlzeit», und «Gute-Nacht-
Fläschen» werden zahlreiche Produkte als
Flaschennahrungen angeboten (Tabelle 1),
die nicht der europäischen Gesetzgebung
zu Säuglings- oder Folgenahrungen ent –
sprechen
2).
Die Energiegehalte der Mehrzahl dieser
Produkte liegen zwischen etwa 80 und
110 kcal/100 ml, was sie zur Flaschenfüt –
terung bei gesunden, nicht von einer Un –
terernährung betroffenen Kindern gänzlich
ungeeignet macht. In der neugefassten
europäischen Säuglingsnahrungsrichtlinie
vom Dezember 2006 ist festgelegt worden,
dass zur Flaschenfütterung von Säuglin –
gen und Kleinkindern geeignete Produkte
(Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen)
eine Energiedichte von 60–70 kcal/100ml
aufweisen müssen
2). Die derzeitige Ver-
marktungspraxis kann zu einer Täuschung
der Verbraucher führen, die den Eindruck
gewinnen müssen, bei den entsprechenden
Produkten handele es sich um Säuglingsan –
fangs- oder Folgenahrungen.
Die Flaschenfütterung von Nahrungen mit
einer stark überhöhten Energiedichte, wie
sie bei den meisten dieser zur Flaschenfüt –
terung angebotenen Beikostprodukten vor-
liegt, ist mit einem hohen Risiko der Über-
fütterung verbunden. Die bei regelmässiger
Verwendung zu erwartende übermässige
Gewichtszunahme im Säuglings- und Klein –
kindalter ist nach den Ergebnissen von
zahlreichen, in drei kürzlich veröffentlichten
Meta-Analysen zusammengefassten Studi –
en mit einem signifikant erhöhten Risiko für
eine spätere Adipositas verbunden
3)–5) . Die Einführung von Produkten mit gluten
–
haltigem Getreide in Form einer Flaschen –
fütterung ist strikt abzulehnen, da dies
regelmässig zur raschen Einführung einer
hohen Glutendosis führt. Untersuchungen
aus Schweden zeigen, dass eine solche Füt –
terungspraxis mit einem sehr stark erhöhten
Risiko für die Entstehung einer schwer ver-
laufenden Zöliakie verbunden ist
6).
Im Übrigen muss befürchtet werden, dass
die Vermarktung von kohlenhydratreichen
Produkten zur Flaschenfütterung beim Ein –
schlafen zur Verwendung von Nuckelfla –
schen mit dem hohen Risiko der Entstehung
einer Frontzahnkaries (Nuckelflaschenkari –
es) führt.
Aus der Sicht der Ernährungskommission
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendmedizin ist die Vermarktung von
Beikostprodukten zur Flaschenfütterung
unverantwortlich und gefährdet die Kinder-
gesundheit. Kinder- und Jugendärzte sollten
Familien dringend von der Verwendung von
Beikostprodukten zur Flaschenfütterung
bei gesunden Säuglingen und Kleinkindern
abraten. Die Ernährungskommission der
Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendmedizin fordert die Hersteller auf,
die Vermarktung von Beikostprodukten zur
Flaschenfütterung an gesunde Säuglinge
unverzüglich einzustellen.
Literatur:
1) Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft
für Kinder- und Jugendmedizin: Böhles H. J., Fusch C.,
Genzel-Boroviczény O., Henker J., Koletzko B. (Vor-
sitzender), Kersting M., Lentze M. J., Maaser R. G.,
Mihatsch W., Przyrembel H., Wabitsch M. Vermark –
tung von Beikostprodukten zur Flaschenfütterung.
Monatsschrift für Kinderheilkunde 2007; 155 (Okt.),
im Druck.
2) Richtlinie 2006/141/EG der Kommission vom 22.
Dezember 2006 über Säuglingsanfangsnahrung
und Folgenahrung und zur Änderung der Richtlinie
1999/21/EG. Amtsblatt der Europäischen Union Nr.
L 401 vom 30.12.2006: 0001–0033.
3) Baird J., Fisher D., Lucas P., Kleijnen J., Roberts H.,
Law C. Being big or growing fast: systematic review of size and growth in infancy and later obesity. BMJ.
2005 Oct 22; 331(7522): 929.
4) Monteiro P. O., Victora C. G. Rapid growth in infancy
and childhood and obesity in later life-a systematic
review. Obes Rev. 2005 May; 6(2): 143–54. Erratum
in: Obes Rev. 2005 Aug; 6(3): 267.
5) Ong K. K., Loos R. J. Rapid infancy weight gain and
subsequent obesity: systematic reviews and hopeful
suggestions. Acta Paediatr. 2006 Aug; 95(8):
904–8.
6) Carlsson A., Agardh D., Borulf S., Grodzinsky E.,
Axelsson I., Ivarsson S. A. Prevalence of celiac di –
sease: before and after a national change in feeding
recommendations. Scand J. Gastroenterol. 2006
May; 41(5): 553–8.
Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med. Berthold Koletzko
Dr. von Haunersches Kinderspital
Klinikum der Universität München
Lindwurmstrasse 4
D-80337 München
Stellungnahme der Ernährungs
kommission der Deutschen Gesellschaft
für Kinder und Jugendmedizin zur
Vermarktung von Beikostprodukten
zur Flaschenfütterung
Böhles H. J., Fusch C., Genzel-Boroviczény O., Henker J., Koletzko B. (Vorsitzender),
Kersting M., Lentze M. J., Maaser R. G., Mihatsch W., Przyrembel H., Wabitsch M.
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Vol. 19 No. 4 2008 Empfehlungen / Recommandations
Die Ernährungskommission der Schweizeri-
schen Gesellschaft für Pädiatrie unterstützt
die «Stellungnahme zur Vermarktung von Bei –
kostprodukten zur Flaschenfütterung» der
Ernährungskommission der Deutschen Ge –
sellschaft für Kinder- und Jugendmedi zin.
In der Schweiz werden solche und ähnliche
Erzeugnisse auch als Zusatz zu Säug –
lingsanfangs- resp. Folgenahrungen oder
verdünnter Kuhmilch angeboten. Die ent –
stehenden Produkte weisen teilweise einen
zu hohen Energiegehalt auf und stellen deshalb ein Risiko für eine Überfütterung
und dadurch für eine spätere Adipositas
dar (vgl. Tabelle).
Die Schoppenzusätze werden ausserdem
häufig mit dem Hinweis angepriesen, dass
sie nur wenig oder keinen Zusatz von
Kristallzucker (Saccharose) enthalten. Sie
enthalten jedoch oft Glucose und Fructose.
Auch diese Kohlehydrate sind ein Risiko –
faktor für die Entstehung von Karies.
Aus diesen Gründen rät die Ernährungs –
kommission der Schweizerischen Gesell -schaft für Pädiatrie von der Verwendung
dieser Produkte ab.
Einige Hersteller haben erfreulicherweise
bereits auf die Publikation der Ernährungs
–
kommission der Deutschen Gesellschaft
für Kinder- und Jugendmedizin reagiert
und die Herstellung gewisser Produkte
eingestellt resp. Rezepturen und Zuberei –
tungsanleitungen gewisser Produkte so
angepasst, so dass der Energiegehalt von
70 kcal/100ml nicht mehr überschritten
wird.
Kommentar der Ernährungskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie
Baehler P., Baenziger O., Belli D., Braegger C. (Präsident), Délèze G., Laimbacher J., Spalinger J., Studer P., Furlano R.
Tabelle ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Fehlerfreiheit. Alle Produkte sind nach den aktuellen Herstelleran –
gaben (Juni 2008) zubereitet.
* Berechnet für Schoppen mit Säuglingsmilch gemäss Herstellerangaben auf Bimbosan-Homepage (Stand
12.6.2008).
** Die Firma Hero hat in einem Schreiben vom 29.5.2008 an die Ernährungskommission der Schweizerischen
Gesellschaft für Pädiatrie informiert, «… dass es das Bestreben von Hero ist, Ceralino Milchzusätze Getreide mit
Vanille, Banane und Kakao ebenso wie die Ceralino Reisflocken im Laufe dieses Jahres vom Markt zu nehmen.»
*** Die Firma HIPP hat uns am 6.6.2008 mitgeteilt, dass die Rezeptur des Gute-Nacht-Fläschchens auf den 1.
November 2008 überarbeitet und nur noch 70 kcal/100 ml enthalten wird.
**** Die Firma Nestlé hat uns in einem Schreiben vom 3.6.2008 informiert, dass Rezepturen und Zuberei –
tungsanleitung von Lactoplus überarbeitet und die Produkte ab Anfang 2009 maximal 70 kcal/100 ml enthalten
werden.
Bimbosan Bio-Reis 80–86* 5. Monat
Bimbosan Hosana 3-Korn 80–86* 5. Monat
Bimbosan Bio-Hirsana 90* 5. Monat
Bimbosan Bifrutta 79–85* 5. Monat
Bimbosan Primosan 79–85* 5. Monat
Bimbosan Prontosan 5-Korn 79–85* 5. Monat
Bimbosan Bio-7 spezial 7-Korn 80–86* 5. Monat
Bimbosan Bio-2 80–86* 5. Monat
Galactina Ceralino Milchzusatz Getreide und Ovomaltine 87 7. Monat
Galactina** Ceralino Milchzusatz Getreide mit Vanillearoma 89 7. Monat
Galactina** Ceralino Milchzusatz Getreide und Banane 86 7. Monat
Galactina** Ceralino Milchzusatz Getreide und Cacao 86 9. Monat
Galactina** Ceralino Reisflocken 73 5. Monat
Hipp*** Gute-Nacht-Fläschchen 72 6. Monat
Nestlé**** Lactoplus Malt 81 7. Monat
Nestlé**** Lactoplus Honig 81 7. Monat
Nestlé**** Lactoplus Chocomalt 81 9. Monat
Nestlé Baby Milk & Cereals Vanille 96 7. Monat
Nestlé Baby Milk & Cereals Petit Beurre 96 7. Monat
Hersteller Produktname kcal/100 ml empfohlen ab
Tabelle 1: Produkte mit hohem Kaloriengehalt (> 70 kcal/100ml), die in der Schweiz
zur Flaschenfütterung von Säuglingen angeboten werden
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Christian P. Braegger
Gastroenterologie und Ernährung
Kinderspital Zürich
Universitäts-Kinderkliniken
Eleonorenstiftung
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
christian.braegger@kispi.uzh.ch
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Berthold Koletzko , Dr. von Haunersches Kinderspital, Klinikum der Universität München