Die Zunahme des Übergewichts in der Bevölkerung in den vergangenen 15 Jahren ist für jedermann sichtbar und es besteht ein grosses Interesse daran, die Entwicklung dieses Phänomens, welches von der Weltgesundheitsorganisation 1997 als «neue Epidemie» bezeichnet wurde, zu verfolgen. In der Tat ist die Korrelation zwischen Übergewicht, körperlichem Fettverteilungsmuster und den cardiovasculären Risikofaktoren heute unbestritten
45
Vol. 15 No. 3 2004 Fortbildung / Formation continue
Die Zunahme des Übergewichts in der Be-
völkerung in den vergangenen 15 Jahren ist
für jedermann sichtbar und es besteht ein
grosses Interesse daran, die Entwicklung die-
ses Phänomens, welches von der Weltge-
sundheitsorganisation 1997 als «neue Epi-
demie» bezeichnet wurde, zu verfolgen 1). In
der Tat ist die Korrelation zwischen Überge-
wicht, körperlichem Fettverteilungsmuster
und den cardiovasculären Risikofaktoren
heute unbestritten 2). Die Erfahrungen in
zahlreichen Arbeiten zeigen, dass Überge-
wicht oder Adipositas, welche bereits im 1)Al-
ter auftreten, mit dem Risiko behaftet sind,
ins Erwachsenenalter zu persistieren und da-
mit das Risiko zahlreicher gesundheitlicher
Störungen erhöhen.
Die einmalige Messung des mittleren BMI
nach Alter und Geschlecht ist gewiss von
grossem epidemiologischem Nutzen, wenn
es darum geht, unmittelbare Entscheidungen
hinsichtlich Prävention zu treffen. Nicht we-
niger wichtig ist es aber, die Entwicklung
der vergangenen Jahrzehnte zu verstehen
oder immerhin zu beschreiben. Wir haben
uns entschieden, unsere Longitudinalstudie
bei Schülerinnen und Schülern aus den Lau-
sanner Volksschulklassen mit Jahrgang 1980
(umfassend 95% der städtischen Schüler-
population) mit derjenigen von Prader-Largo
mit Daten einer Population von Kindern und
Jugendlichen mit Jahrgang 1954–56 zu ver-
gleichen.
Material und Methoden
Die Zürcher Longitudinalstudie begann in den
Jahren 1954–56, wo die Kinder in der Uni-
versitäts-Frauenklinik nach dem Zufalls-
prinzip ausgewählt wurden und somit re-
präsentativ waren für die lokale Bevölkerung.
Die Kinder wurden im ersten Jahr 3-monat-
lich und anschliessend alle 6 Monate bis ins
Erwachsenenalter longitudinal untersucht.
Die Lausanner Studie ist repräsentativ für die
Stadtbevölkerung und repräsentiert 95%
der dort wohnhaften Kinder. In Lausanne er-
folgten wohlbekannte Wellen der Immigra-
tion/Emigration seit den 60er-Jahren bis
heute. Entsprechend ist die Bevölkerung
stark durchmischt, ca. 1/3ist ausländischen
Ursprungs. Zurzeit sind portugiesische Kin-
der mit 2%, spanische mit 5%, italienische mit
6%, die übrigen Nationalitäten mit 13%, ent-
sprechend einem Ausländeranteil von ins-
gesamt 26% vertreten. Ausserdem haben be-
reits im Jahr 1979 die in Lausanne ge-
schlossenen Ehen die folgende Verteilung:
Schweizer/Schweizerin: 60%, Schweizer
/Ausländerin: 19%, Schweizerin/ Ausländer:
11%, Ausländer/Ausländerin: 10%. Die Be-
stimmung der «Herkunft» ist demzufolge ver-
geblich, ausser für die kürzlich eingereisten
Personen, umso mehr, als in dieser Popula-
tion Prozesse der Integration und kulturellen
Angleichung erfolgten.
Resultate
Eigene Studie
Die erfolgten Messungen im Kollektiv der
1980 geborenen Kinder betreffen eine Zahl
von 7 499 Kindern (Verhältnis Knaben/Mäd-
chen = 50,5%/ 49,5%) mit im Mittel 6,2 Mes-
sungen und einem Medianwert von 6 Mes-
sungen pro Kind.
Am häufigsten war die Kategorie mit 9 Mes-
sungen zwischen dem 5. und 16. Altersjahr
entsprechend einer Messung alle 14 Monate.
Die Zahl der gemessenen Individuen ist hoch
und beträgt mit wenigen Ausnahmen prak-
tisch für jede Alterskategorie zwischen 300
und 400.
Vergleich zwischen den Studien
Der statistische Vergleich der beiden Unter-
suchungen kann nur bezüglich der errech-
neten Percentilen erfolgen, da der Prozent-
satz übergewichtiger und adipöser Kinder
gemäss den Schwellen von Cole für die Zür-
cher Studie nicht verfügbar ist.
Die Abbildungen 1 und 2zeigen die Abwei-
chungen zwischen den Studien für identi-
sche BMI-Percentilenwerte bei gleichen Al-
terskategorien, getrennt nach Knaben und
Mädchen. Bei den Knaben beobachtet man
zwischen dem 15. und 16. Lebensjahr für
die 50. Percentile eine mässige Abwei-
Übergewicht in der Schweiz*
Percentilen des Bodymass-Indexes (BMI) von Kindern
und Jugendlichen aus Lausanne mit Jahrgang 1980 –
Abweichung von den schweizerischen Normen von 1955
Auszug aus einem Artikel, erschienen in Soz.-Präventivmedizin 48 (2003) 121–32
Virgile Woringer, Service de santé des écoles, Lausanne
Yves Schütz, Institut de Physiologie, Faculté de médecine, Université de Lausanne
virgile.woringer@lausanne.c h
Übersetzung: Daniel Frey, Leiter Ressort Gesundheit und Prävention, Schul- und Sportdepartement der Stadt Zürich, Co-Präsident Fachgruppe Schulärzte
* La version française de cet article est parue dans Paediatrica (Vol. 15, No. 2, 2004, p. 22–24)
Zusammenfassung
Ziel: Ziel dieser Längsschnittstudie ist die Be-
rechnung der Percentilen des BMI einer Kohorte
von 1203 Kindern und Jugendlichen mit Geburts-
jahr 1980, welche vom 5. bis 16. Altersjahr nach-
kontrolliert wurden und 95% der Schulkinder
der Stadt Lausanne repräsentieren. Die Daten
werden verglichen mit der schweizerischen
Längsschnittstudie von Prader und Largo an 413
Kindern mit Geburtsjahr von 1954–1956 im Kan-
ton Zürich.
Methoden: Die Percentilen wurden nach der Me-
thode von Cole anhand schulärztlicher Gewichts-
und Längendaten ermittelt. Das Intervall der Mes-
sungen beträgt im Mittel 14 Monate.
Resultate: Die Abweichung zwischen den Per-
centilen der beiden Vergleichsstudien ist quasi
0 für die 3. Percentile, progressiv mit dem Alter
wachsend bis zum Umfang von 2 BMI-Einheiten
für die 50. Percentile. Für die 97. Percentile
wächst die ab dem 5. Lebensjahr sichtbare Ab-
weichung regelmässig bis zum 11. Lebensjahr, wo
sie sich für die Mädchen bei 4,3 Einheiten stabi-
lisiert, während sie bei den Knaben noch weiter
bis zum 15. Lebensjahr bis zum Wert von 6,8 Ein-
heiten anwächst. Der Prozentanteil der Kinder mit
Übergewicht gemäss den von Cole beschriebenen
Grenzwerten beträgt bei den Mädchen konstant
über die verschiedenen Alter 14% und bei den
Knaben 13,4% für die 5–11,5-jährigen und 17,6%
für die 11,5–16-jährigen. Der Anteil der Adipösen
in der vorliegenden Studie liegt bei den Mädchen
bei 2,7% und steigt bei den Knaben in den ange-
gebenen Alterskategorien von 1,7 auf 2,3%.
Schlussfolgerungen: Die Veränderung während
den 25 Jahren, die zwischen den beiden Unter-
suchungen liegen, ist beträchtlich, insbesondere
bei den Knaben. Als Erklärung kann eine frühzei-
tige Änderung des Energiegleichgewichtes postu-
liert werden, aufgrund einer Erhöhung der Nah-
rungs-Kalorienzufuhr und/oder einer Minderung
der körperlichen Aktivität bzw. Energieabgabe.
Fortbildung / Formation continue
46
Vol. 15 No. 3 2004
chung, die maximal 2 BMI-Einheiten er-
reicht (was immerhin 6 kg entspricht). Für
die 97. Percentile ist der Abstand der BMI-
Werte der beiden Studien nach einem initi-
al verstärkten Anstieg in der präpubertären
Phase durch eine stetige Progression von
ca. 0,35 BMI-Einheiten jährlich charakteri-
siert. Während der Pubertätsphase ver-
stärkt sich die Abweichung zwischen den
beiden Populationen um 0,7 BMI-Einheiten
jährlich.Für die Mädchen gelten für die präpubertä-
re Phase für die 3. und 50. Percentile die sel-
ben Beobachtungen wie für die Knaben. Für
die 97. Percentile ergibt sich für die präpu-
bertäre Phase eine jährliche Vergrösserung
der Abweichung von 0,2 Einheiten des BMI,
welche zwischen dem 9. Und 13. Lebensjahr
auf 0,45 BMI-Einheiten jährlich ansteigt, um
anschliessend eine stabile Differenz von 4
BMI-Einheiten zwischen den beiden Studien
aufzuweisen.
Diskussion
Unterschiedliche Abweichungen
zwischen den Percentilen beider Studien
Die beiden Bevölkerungsgruppen haben
zwar auf Grund der Ein- und Auswanderung
im Verlauf der letzten Jahrzehnte nicht die
gleiche Zusammensetzung. Trotz dieser un-
umgänglichen Tatsache bieten sie einen ho-
hen Grad an Vergleichbarkeit betreffend Me-
thode der Datensammlung, Auswahl nach
dem Zufallsprinzip oder Vollständigkeit der
einbezogenen Population, standardisierte
und durch ausgebildetes Fachpersonal an-
gewandte Messmethode. In dieser Hinsicht
wiederspiegeln sie genau die lokalen Gege-
benheiten ihrer Epoche.
Die Abweichungen zwischen den BMI-Werten
identischer Percentilen in den beiden Studien
bezeugen eine bedeutende und je nach Ge-
schlecht unterschiedliche Veränderung im
Verlaufe der 25 Jahre, die zwischen den bei-
den Studien liegen. Die Abweichungen sind
unbedeutend für die 3. Percentile in beiden
Geschlechtern ausser für die pubertäre
Phase, bleiben für den Mittelwert bei den
Mädchen jedoch halb so bedeutend wie bei
den Knaben. Für die 97. Percentile stabili-
sieren sich die Abweichungen ab Mitte der
Pubertät bei den Mädchen, wachsen aber bei
den Knaben rasch weiter an (0,7 BMI-Ein-
heiten pro Jahr) und erreichen im Alter von
16 Jahren beträchtliche Werte.
Zu diesem unterschiedlichen Entwicklungs-
verlauf kommt eine deutliche Divergenz im
Anteil übergewichtiger Knaben und Mädchen
ab dem 14. Lebensjahr hinzu. Die ermittelten
Werte zeigen bei den Mädchen eine signifi-
kante Verminderung ab diesem Alter. Die Er-
höhung des BMI der Knaben hingegen
widerspiegelt nicht notwendigerweise nur die
Vermehrung des Fettgewebes, sondern
wahrscheinlich auch eine Vermehrung der
Muskelmasse.
Diese zwei Beobachtungen müssen berück-
sichtigt werden sowohl bei einem public
health wie auch bei einem therapeutischen
Vorgehen, übersteigt doch die Gewichtszu-
nahme der Knaben deutlich den dem Unter-
schied der Durchschnittslänge anzulasten-
den Anteil.
Dies könnte auf ein geringeres Interesse oder
eine geringere Fähigkeit der Knaben hinwei-
sen, ihr Gewicht während der Adoleszenz zu
kontrollieren. Dies resultiert in von einer be-
Abbildung 2: Abweichung zwischen den Perzentilen des Body Mass Index (BMI)
der Mädchen der Studie von Woringer-Schütz (1980 geborene Kinder)
und der Studie von Prader-Largo (1954–1955 geborene Kinder).
Abbildung 1: Abweichung zwischen den Perzentilen des Body Mass Index (BMI)
der Knaben der Studie von Woringer-Schütz (1980 geborene Kinder) und der Studie
von Prader-Largo (1954–1955 geborene Kinder).
Unterschied Knaben P 97
Unterschied Knaben P 50
Unterschied Knaben P 3
Unterschied Mädchen P 97
Unterschied Mädchen P 50
Unterschied Mädchen P 3
Alter (Jahre)
Alter (Jahre)
Abweichung des BMI (kg/m2) Abweichung des BMI (kg/m2)
49
Vol. 15 No. 3 2004 Fortbildung / Formation continue
achtlichen sozio-kulturellen Veränderung
her, deren Effekte erst zu beobachten sind,
wenn diese Generationen das Alter erreicht
haben werden, wo sich die gesundheitlichen
Auswirkungen des Übergewichts manifes-
tieren.
Mögliche Gründe
der beobachteten Differenzen
Zwischen 1950 und 1985 beobachtet man
allgemein eine Steigerung des Fettkonsums
mit Stabilisierung seit den 80er-Jahren wie
speziell eine neue prospektive Studie aus der
Schweiz zeigt
5). Diese Änderungen in den Er-
nährungsgewohnheiten scheinen Kinder
ebenso wie Adoleszente zu betreffen und
stellen ein frühzeitiges und dauerndes Risi-
ko für eine ausgeglichene Ernährung dar. Die
Einführung der Fastfood-Restaurants, welche
für Kinder mehr und mehr eine Verlockung
darstellen, spielt insofern eine negative
Rolle, als die dort verzehrten Nahrungsmit-
tel relativ fettreich sind und auch be-
sonders schnell verzehrt werden – im
Gegensatz zu einer ausgeglichenen Ernäh-
rung – und so die Mechanismen der Appe-
titkontrolle ausser Kraft setzen. Was die Kör-
peraktivität und deren Wirkung auf die Ge-
wichtsentwicklung anbetrifft, so verfügen
wir über keine prospektive Studie für Kinder,
welche in der Schweiz leben. Eine retro-
spektive Querschnittstudie weist indessen
auf eine tendenzielle Abnahme der körper-
lichen Aktivität ab dem 15. Altersjahr hin
6).
Zum Vergleich liefern zwei ausländische
Studien wertvolle Informationen. Der Ver-
gleich von 5 Querschnittserhebungen, wel-
che im Abstand von jeweils 5 Jahren in den
Jahren 1959 bis 1997 in Norwegen durch-
geführt wurden, erlaubt den Schluss, dass
sich die mittlere körperliche Aktivität ver-
ringert hat und der Anteil der inaktiven Kin-
der und Adoleszenten vermehrt hat
7). Eine
finnische Studie, Teil eines nationalen For-
schungsprogramms über den cardiovasku-
lären Zustand der Jugend, hat eine bemer-
kenswerte Verminderung der körperlichen
und speziell sportlichen Aktivitäten ge-
zeigt, wobei die Knaben aktiver und in bes-
serer körperlicher Verfassung waren wie die
Mädchen, eine Tendenz, welche sich nach
dem 15. Altersjahr umkehrte
8). Eine dritte
Längsschnittstudie über cardiovaskuläre
Risikofaktoren verschiedener Verhaltens-
weisen, die «Framingham Children Study»,
hat eine verstärkte Zunahme des subkuta-
nen Fettgewebes von inaktiven gegenüber
aktiven Kindern aufgezeigt
9).Das steigende Multimediaangebot (TV, Vi-
deo, Videogames etc.) ist eine weiterer Fak-
tor, welcher zur Unterdrückung körperlicher
Aktivität führt. Verschiedene Studien in den
Vereinigten Staaten und anderswo haben
nachgewiesen, dass die Anzahl der Stunden,
welche Kinder vor dem Fernseher verbringen,
eine wichtige Rolle spielen für ihren BMI,
umso mehr, als Fernsehschauen häufig be-
gleitet ist von Knabbern
10)–12) . Die nachweis-
liche Korrelation zwischen Fettsucht und sit-
zender Lebensweise als eigenständigem Ri-
sikofaktor ab dem Kleinkindesalter
13)erlaubt
es indessen nicht, andere Risikofaktoren wie
eben die des Knabberns oder des negativen
Einflusses gewisser Werbeprogramme aus-
zuscheiden. Dies gilt umso mehr, als die kör-
perliche Aktivität positiv korreliert mit Ver-
haltensweisen, Einstellungen und Wahrneh-
mungen, die günstig sind für die Gesundheit.
Schlussfolgerungen
Der Unterschied der BMI-Werte bei identi-
schen Percentilen zwischen den beiden
Untersuchungskollektiven, welche für die Be-
völkerungen in den beiden Schweizer Städ-
ten repräsentativ sind, ist beträchtlich. Die-
se Abweichung vergrössert sich kontinuierlich
von einem Wert von quasi 0 für die 3. Per-
centile mit zunehmender Percentilenzahl
und erreicht beträchtliche Werte mit 16 Jah-
ren. Die Abweichungen sind ab dem Klein-
kindesalter vorhanden, bei den Knaben aus-
geprägter als bei den Mädchen, insbesondere
ab dem mittleren Pubertätsalter.
Eine Erklärung dafür bilden eine schon früh
unausgeglichene Energiebilanz mit Persistenz
von ungünstigen Ernährungsgewohnheiten
und eine langfristig erhöhte Energiezufuhr in
Verbindung mit einer Verminderung der kör-
perlichen Aktivität. Dies erfordert ein wirk-
sames präventives Vorgehen bei den Ziel-
gruppen, um so eine spätere Zunahme von
gesundheitlichen Begleiterkrankungen zu
vermeiden.
Referenzen
Siehe französischer Text.
Adipositas in der Schweiz:
Kommentar
Michel Roulet, LausanneÜbersetzung: R. Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Viel zu lange haben sich allein Ärzte und
andere Pflegeberufe um die Adipositas
gekümmert. Ein Vermögen ist in den letz-
ten 50 Jahren in Forschung und unergie-
bigen Behandlungen verschwendet wor-
den. Die Prävalenz der Adipositas hat in
den reichen und in den sich wirtschaftlich
entwickelnden Ländern, ja sogar in den
armen Ländern unaufhaltsam zugenom-
men. Die WHO hat gegenüber dieser
menschlichen Katastrophe die grosse Ar-
tillerie aufgefahren und 1997 von einer
Epidemie gesprochen. Sie signalisierte
dadurch sehr klar, dass die Adipositas mit
denselben Waffen, insbesondere der
Vorbeugung, angegangen werden muss,
wie eine hochinfektiöse Krankheit, z.B.
Aids. Anders gesagt, handelt es sich
nicht mehr um einen isolierten medizini-
schen Kampf, sondern um eine Antwort,
welche alle Kräfte der Gesellschaft – Pfle-
geberufe, Soziologen, Erzieher, Journalis-
ten, Architekten, Stadtplaner, Politiker,
Gesetzgeber usw. – miteinbeziehen muss.
Mehr als 5 Jahre nach dem Alarm der
WHO scheinen sich die medizinischen und
politischen Autoritäten in der Schweiz
endlich bewusst zu werden, welch schwe-
re Bedrohung das Übergewicht für unsere
Bevölkerung darstellt. Es war Zeit!
Wenngleich es immer schwierig ist, re-
trospektiv verschiedenartige Populatio-
nen zu vergleichen, hat die von Woringer
und Schutz durchgeführte Studie den
grossen Verdienst, aufzuzeigen, dass die
Adipositasepidemie unser Land mit vol-
ler Wucht getroffen hat. Im Verlaufe einer
Generation hat die Adipositasprävalenz
bei unseren Jugendlichen sehr stark zu-
genommen. Schauen wir der Wahrheit
ins Gesicht! Diese übergewichtigen Ado-
leszenten werden die adipösen Erwach-
senen der nächsten 20 Jahre sein. Leider
werden einzelne unter ihnen Invalide sein
oder frühzeitig an den Komplikationen ih-
rer Adipositas sterben. Und dabei hätte
die Schweiz, die heute nicht mehr genü-
gend Kinder hervorbringt, ihrer zu jenem
Zeitpunkt dringend nötig, um voll leis-
tungsfähig zu arbeiten und so die AHV zu
bezahlen!
Weitere Informationen
Autoren/Autorinnen
Dr. med. Virgile Woringer , ancien chef service du service santé et prévention de la commune de Lausanne