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Tularämie auf dem Vormarsch

Die Schweiz ist ein «hot spot» für Tularämie. Seit zehn Jahren haben die Fallzahlen stark zugenommen und liegen aktuell etwa 20-fach über dem Europäischen und US-amerikanischen Durchschnitt. In Anbetracht dieser Zunahme ist es wichtig die Ärzteschaft zu sensibilisieren.

Einleitung

Die Schweiz ist ein «hot spot» für Tularämie. Seit zehn Jahren haben die Fallzahlen stark zugenommen und liegen aktuell etwa 20-fach über dem Europäischen und US-amerikanischen Durchschnitt. In Anbetracht dieser Zunahme ist es wichtig die Ärzteschaft zu sensibilisieren.

Tularämie, auch «Hasenpest» genannt, ist eine Zooanthroponose der nördlichen Hemisphäre und wird durch das Bakterium Francisella tularensis verursacht. Der Erreger wurde erstmals 1911 in Tulare County (Kalifornien) aus Erdhörnchen mit einer pestähnlichen Erkrankung isoliert1). Der amerikanische Mediziner Edward Francis erforschte und beschrieb die Krankheit und ihre Epidemiologie in den Dreissigerjahren ausführlich. F. tularensis befällt viele verschiedene Tierarten, vorwiegend wildlebende kleine Nage- und Hasentiere. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt durch direkten Kontakt zu infizierten Tieren, kontaminierte Umwelt (Wasser, Erde, Luft) oder Arthropoden-Vektoren (Zecken- oder Insektenstiche).

Fallberichte: Wir berichten über zwei neunjährige Mädchen aus dem Kanton Aargau mit einer zeckenübertragenen ulzeroglandulären Tularämie mit retroaurikulärer Lymphadenitis. Trotz der Gemeinsamkeiten (Diagnose, Lokalisation, Infektionsmodus, Region, Alter und Geschlecht) zeigten die Patientinnen sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe, möglicherweise mitbedingt durch den unterschiedlichen Zeitpunkt der Therapieeinleitung.

Literaturübersicht: Sie fasst die Biologie, Epidemiologie, Diagnose und Therapie der Tularämie zusammen, mit Fokus auf Europa und Kinder in der Schweiz.

Das Wichtigste für die Praxis

Patient 1 

Im Juni wird ein neunjähriges Mädchen auf der Kindernotfallstation vorgestellt aufgrund von Fieber >39.2°C seit zwei Tagen und einer schmerzhaften Schwellung und Rötung hinter dem rechten Ohr seit einem Tag. Eine Woche zuvor habe das Kind mehrere Zeckenstiche gehabt, einen am rechten Ohrläppchen. Nach Entfernung der Zecke am Ohrläppchen persisitiert eine kleine Wunde. Die persönliche Anamnese ist bland, der Impfstatus inkl. FSME vollständig, keine Tierkontakte und keine Auslandreisen im letzten Monat. Bei der Untersuchung ist das Mädchen in leicht reduziertem Allgemeinzustand und afebril. Das rechte Ohrläppchen ist gerötet und hat einen stecknadelkopfgrossen Pickel. Hinter dem rechten Ohr, über dem Processus mastoideus, findet sich eine ca. 2 x 3cm grosse Schwellung und Rötung, sehr druckschmerzhaft, verschieblich, nicht fluktuierend.



Frühes Krankheitsstadium mit Ulkus am Ohrläppchen (A) und retroaurikulärer Lymphadenitis (B)

Der übrige pädiatrische Status ist unauffällig. Die Primärbeurteilung ist ein infizierter Zeckenstich am Ohrläppchen mit akuter Lymphadenitis retroaurikulär rechts. Der Pickel wird desinfiziert und steril abgedeckt. Eine antibiotische Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure (40mg/kg/Dosis 2x/d p.o.) wird begonnen. Vier Tage später erkundigen wir uns telefonisch nach dem Verlauf. Das Mädchen habe das Antibiotikum konsequent eingenommen. Der Pickel am Ohrläppchen sei unverändert, die Schwellung und die Schmerzen hinter dem Ohr seien zunehmend und es besteht weiterhin Fieber bis 39°C, Müdigkeit und neu leichte Diarrhoe.

Bei fehlendem Ansprechen auf Amoxicillin/Clavulansäure vermuten wir eine ulzeroglanduläre Tularämie, welche bei Schweizer Kindern meistens durch Zecken übertragen wird. Es folgt die Bestimmung einer Tularämie-Serologie in der hausärztlichen Praxis und noch vor Erhalt der Resultate eine Therapieumstellung auf Ciprofloxacin (15mg/kg/Dosis 2x/d p.o.) für 14 Tage, damit wird 10 Tage nach Fieberbeginn gestartet. Bereits ein Tag später fühlt sich das Mädchen besser und bleibt fieberfrei, die Schwellung und der Pickel am Ohr heilen rasch. Die Tularämieserologie, welche 10 Tage nach Fieberbeginn bestimmt wurde, ist negativ (ELISA, IgM & IgG).

Nach 2-wöchiger Ciprofloxacin-Therapie fühlt sich das Mädchen in bestem Allgemeinzustand. Ein Monat nach der ersten wiederholt der Hausarzt die Tularämieserologie, diese ist nun deutlich positiv: IgG 79 U/ml (Ref. <10), IgM 201 U/ml (Ref. <10). Die Serokonversion beweist die kürzlich zurückliegende Infektion mit Francisella tularensis.

Patient  2

Anfang August wird ein neunjähriges Mädchen von der Hausärztin auf unsere Kindernotfallstation zugewiesen aufgrund seit 2 Wochen intermittierenden Fiebers >39°C sowie einer zunehmenden schmerzhaften Schwellung hinter dem linken Ohr. Wenige Tage vor Beginn der Schwellung wurde eine Zecke am behaarten Kopf links bemerkt und entfernt, dort persistierte eine kleine Wunde. Die persönliche Anamnese ist bland, Impfstatus inkl. FSME vollständig, kein Auslandaufenthalt. Die Familie hat fünf gesunde Haustiere (1 Hund, 2 Katzen, 2 Zwergkaninchen), keine anderen Tierkontakte, keine Biss- oder Kratzverletzung. Bei der Untersuchung wirkt die Patientin müde, afebril und normale Vitalparameter. Am Nacken links zeigt sich eine grosse Schwellung (7cm x 7cm) mit mehreren derben Knoten, stark druckempfindlich und überwärmt. Die Haut über dem retroaurikulären Bereich ist gerötet. Am behaarten Kopf temporal links zeigt sich eine kleine trockene Kruste (0.5cm x 1cm). Der übrige pädiatrische Status ist unauffällig. Die Sonographie der Halsweichteile zeigt mehrere entzündlich vergrösserte Lymphknoten um den M. sternocleidomastoideus links, von retroaurikulär bis supraclaviculär reichend, mit kleinen Einschmelzungen und perifokalem Ödem. Die Blutentnahme ergibt unauffällige Laborwerte (Differenzialblutbild, CRP, LDH), Blutkulturen und Serologien (Bartonella henselae, Toxoplasma gondii und Francisella tularensis) werden abgenommen.

Die Primärbeurteilung ist eine akute bakterielle Lymphadenitis colli. Das Mädchen wird hospitalisiert und während vier Tagen mit Amoxicillin/Clavulansäure (33mg/kg/Dosis 3x/d i.v.) behandelt. Trotz dieser Therapie bleiben die Schwellung und Schmerzen unverändert, die Blutkulturen negativ. Bei ordentlichem Allgemeinzustand und ohne Fieber unter Analgesie/Antipyrese wird das Mädchen entlassen. Ein Tag nach Demissio liegen die serologischen Resultate vor: B. henselae und T. gondii negativ, F. tularensis positiv (Agglutination 1:320). Bei Diagnose einer ulzeroglandulären Tularämie erfolgt die Umstellung der Therapie auf Ciprofloxacin (15mg/kg/Dosis 2x/d p.o.) für 14 Tage. Die Therapie wird 3 Wochen nach Fieberbeginn gestartet.

Neun Tage nach Beginn der Ciprofloxacin-Therapie erneute Zuweisung wegen starker Schmerzen im Bereich der Nackenschwellung trotz Analgetika (Paracetamol und Diclofenac, Metamizol in Reserve) und resultierend Schlafstörung, Tagesmüdigkeit und Schulabsenz. Zudem neu Knieschmerzen links seit 7 Tagen ohne Trauma. Afebriles Kind in reduziertem Allgemeinzustand, normale Vitalparameter. Der Lokalbefund zeigt die bekannte Nackenschwellung mit fluktuierenden Anteilen, die kleine Kruste temporal links besteht weiterhin. Bezüglich Knie links hinkendes Mädchen, Gelenkstatus unauffällig, insbesondere keine Schwellung oder Rötung. Die Sonographie der Halsweichteile zeigt leicht grössenprogrediente Lymphadenitiden mit Einschmelzungen. Blutbild und CRP sind weiterhin normal, die BSG ist grenzwertig (20mm/h), eine erneute Tularämie-Serologie (zwei Wochen nach der letzten) wird abgenommen. Die Patientin wird hospitalisiert zur intensivierten Analgesie und Beobachtung. Am Folgetag klagt sie weiterhin über starke Schmerzen im Bereich der Nackenschwellung. Einmalige Verabreichung von Nalbuphin (0.1mg/kg/Dosis i.v.) – ohne Besserung der Schmerzen. Neu präsentiert das Mädchen einen grobschlägigen Ruhetremor beider Arme, im Wachzustand und im Schlaf persistierend, nicht unterbrechbar. Bei fraglicher Encephalopathie wird die Patientin ins Zentrumspital verlegt. Im weiteren Verlauf sistiert Tremor innerhalb eines Tages. Die zweite Tularämie-Serologie zeigt einen vierfachen Titeranstieg (Agglutination 1:1280), beweisend für die frische Infektion mit F. tularensis. Das Mädchen wird entlassen zur Komplettierung der 14-tägigen Ciprofloxacin-Therapie.

Drei Wochen nach Beendigung der Ciprofloxacin-Therapie leidet das Mädchen weiterhin an Schmerzen Nacken links, was zu Schlafstörung und zunehmender Erschöpfung tagsüber mit Schulabsenz führt. Kein Fieber. Eine erneute Blutentnahme zeigt keine erhöhten Entzündungsparameter. Hinter dem linken Ohr entleert sich spontan Eiter.

Zwei Monate nach Krankheitsbeginn wird die Patientin erneut in die Kinderklinik zugewiesen. Das Mädchen ist afebril, wirkt erschöpft, hat aber seit Erkrankungsbeginn 1.5 kg zugenommen. Nuchal befindet sich eine schmerzhafte, gerötete und fluktuierende Schwellung, nicht überwämt. Sonographisch zeigt sich ein Lymphknotenabszess (2cm x 2cm x 2cm), die Schwellung und die Entzündung der übrigen zervikalen Lymphknoten sind regredient im Vergleich zur Voruntersuchung. Unter Analgosedation wird der Abszess inzidiert und gespült. Aus dem Eiter Nachweis von F. tularensis mit PCR, die Kultur bleibt steril. Nach der Abszessentlastung bessern sich die Beschwerden rasch. Es gelingt die stufenweise Rückkehr in den Schulalltag inkl. Sportunterricht. Zweieinhalb Monate nach Krankheitsbeginn ist das Mädchen wieder voll leistungsfähig.

Vergleich der Krankheitsverläufe von Patient 1 und 2


Vergleich des Krankheitsverlaufs von Fall 1 und 2 (grüne Punkte = kurative Massnahmen)

Der Erreger

Francisella tularensis
Francisella tularensis ist ein gramnegatives, sporenloses, kokkoides Stäbchenbakterium. Es lebt strikt aerob, fakultativ intrazelluär und ist schwer anzüchtbar. Vier Subspezies sind bekannt, die sich in ihrer geographischen Verteilung und Virulenz unterscheiden. Klinisch relevant sind die Subspezies tularensis (Typ A) und holarctica (Typ B), sie sind serologisch identisch. Durch molekulargenetische Methoden werden sie weiter unterteilt in Stämme (Clades) und phyolgenetische Gruppen.

F. tularensis ist in der Natur weit verbreitet und konnte in über 250 Tierarten nachgewiesen werden, darunter Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien, Arthropoden und Protozoen. Bis heute wurden nicht alle Reservoire und Vektoren identifiziert. In Zentraleuropa sind wildlebende kleine Nage- und Hasentiere wichtige Reservoire und Zecken wesentliche Vektoren. Das Bakterium ist kälteresistent und kann in feuchten Böden (z.B. Heu und Stroh), in Gewässern (vermutlich in Amöben) und in Tierkadavern wochenlang überleben. Durch Hitze wird F. tularensis inaktiviert.

Eine Übertragung als Aerosol kann gleichzeitig viele Menschen mit einer schweren Lungenentzündung und hoher Sterblichkeit infizieren. Aufgrund der Umweltstabilität, der hohen Infektiosität (bereits 10 Bakterien können eine Krankheit auslösen) und der hohen Virulenz wird F. tularensis als potentieller bioterroristischer Kampfstoff der höchsten Gefährdungsstufe gelistet2).

Ansteckungswege für den Menschen

  • Ingestion von kontaminiertem Wasser oder Essen (z.B. ungenügend erhitztes Hasenfleisch)
  • Stiche von Arthopoden (Zecken und Stechmücken, seltener andere Insekten z.B. Bremsen)
  • Direkter Kontakt zu infizierten Tieren (meistens mit Händen, gehäuft bei Jägern und Wildhütern)
  • Inhalation von kontaminiertem Staub (assoziiert mit Heuverarbeitung, gehäuft bei Landwirten)
  • Akzidenteller Kontakt in Klinik oder Labor

Menschen mit regelmässigem Aufenthalt in der Natur und Kontakt zu wilden Tieren erkranken häufiger. Die Tularämie tritt ganzjährig auf mit saisonaler Häufung in der warmen Jahreszeit und betrifft alle Alterstufen. Eine Mensch-zu-Mensch Übertragung ist nicht bekannt.

Geographische Verbreitung

Weltweit
Bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war die Tularämie bei Menschen weltweit viel häufiger als heute. Seit den 50-er Jahren nahmen die Fallzahlen ab, verbunden mit einer urbaneren Lebensform und weniger Kontakt zu infizierten Tieren. Mit Meldesystemen wird die Tularämie in vielen Ländern überwacht und gilt heute als eine seltene Krankheit. Seroprävalenzstudien belegen jedoch, dass die tatsächlichen Fallzahlen deutlich unterschätzt werden. Aufgrund der relativen Seltenheit, des variablen Krankheitsbildes und womöglich milder Verläufe wird ein relevanter Anteil der Fälle nicht diagnostiziert und nicht gemeldet.

F. tularensis ist auf der gesamten nördlichen Hemisphäre verbreitet. Die Subspezies tularensis (Typ A) kommt nur in Nordamerika vor und wird molekulargenetisch in Clades A.1 und A.2 unterteilt. Der Clade A.1 ist hochvirulent, die resultierende Krankheit weist eine hohe Letalität auf (unbehandelt bis 60%, mit Therapie <2%)2). In den USA wurden seit 1970 pro Jahr etwa 200 Tularämiefälle gemeldet (2018: 229 Fälle, Inzidenz 0.07 pro 100’000 Einwohner)3). Die Subspezies holarctica (Typ B) kommt in Eurasien und seltener in Nordamerika vor und ist weniger virulent als Typ A (Clade A.1).

Europa
F. tularensis ssp. holarctica (Typ B) ist die einzige Subspezies in Europa. Infektionen beim Menschen verursachen oft eine prolongierte Erkrankung, verlaufen aber sehr selten fatal. Gemäss ECDC wurden in den EU-Staaten (ohne Schweiz und Türkei) in den letzten zehn Jahren durchschnittlich ca. 800 Fälle pro Jahr gemeldet mit einer Inzidenz von 0.1-0.2 pro 100’000 Einwohner (2018: 358 bestätigte Fälle, Inzidenz 0.07)4). Die skandinavischen Länder und seit einigen Jahren auch die Schweiz sind besonders stark betroffen. Grossbritannien, Irland und Island gelten als tularämiefrei. Für Menschen in Europa sind der Konsum von kontaminiertem Wasser (aus Flüssen, Seen, Weihern, Brunnen) und Arthropodenstiche die häufigsten Übertragungswege. Epidemiologisch können zwei Lebenszyklen von F. tularensis (aquatisch und terrestrisch) Regionen mit typischer Infektionsroute und Tularämieform zugeordnet werden 5).

Epidemiologische und klinische Aspekte der menschlichen Tularämie in Europa 5)

Schweiz
F. tularensis ssp. holarctica (Typ B) führt in der Schweiz zu sporadischen tierischen und humanen Infektionen. Das Bakterium hat die grösste genetische Diversität in Europa, als Indiz, dass es sich evolutiv lange in der Schweiz etabliert hat. Bisher zirkulierte in der Schweiz ausschliesslich der phylogenetisch westeuropäische Stamm B.FTNF002-00. Seit 2012 wurde zudem ein aus Skandinavien und Osteuropa stammender Genotyp bei menschlichen und tierischen Tularämiefällen nachgewiesen. Zeckenstiche sind die Hauptinfektionsquelle für Menschen. Die Prävalenz der infizierten Zecken ist insgesamt gering (0.02-0.12%), mit regionalen Unterschieden (Endemiegebiete).

Seit Einführung der Meldepflicht 2004 bis 2019 wurden insgesamt 682 humane Tularämiefälle beim BAG registriert

Bestätigte menschliche Tularämiefälle in der Schweiz, BAG Meldedaten 2004-2019 7

Bemerkenswert ist der starke Anstieg der Fallzahlen: Seit 2010 haben sich die Fälle verzehnfacht auf durchschnittlich 131 Fälle/Jahr in den Jahren 2017-2019 (Inzidenz 1.54/100’000). Die Melderate in der Schweiz liegt aktuell 20-fach höher als der Europäische und US-amerikanische Durchschnitt von 2018 (0.7/100’000)3),4),6),7). Die Ursache für die angestiegenen Fallzahlen ist unklar. Mögliche Erklärungen sind eine erhöhte Sensibilisierung der Schweizer Ärzte, Klimaerwärmung und damit verbunden erhöhte Zeckenaktivität oder die Verbreitung neuer Genotypen von F. tularensis.

Klinik 5),8),9),10),11)

Manifestationsformen
Abhängig von der Eintrittspforte des Erregers sind sechs klinische Formen beschrieben.

Klinische Tularämieformen und ihre Charakteristika

Die Inkubationszeit beträgt 3-5 Tage (1-21 Tage). Die Erkankung beginnt plötzlich mit grippalen Symptomen (Fieber, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen) und meistens einer schmerzhaften Lymphknotenschwellung. Anschliessend besteht typischerweise prolongiertes niedriggradiges Fieber, welches auch ohne Therapie verschwindet.

Ulzeroglanduläre und glanduläre Form
Diese beiden Formen machen gemeinsam etwa 90% aller Tularämiefälle in Europa aus (ohne Türkei). Mit dem Fieberbeginn entsteht an der Erregereintrittstelle eine kleine Hautläsion (Papel, später Pustel, Schorf, Ulkus). Kurz darauf kommt eine schmerzhafte progrediente Lymphknotenschwellung proximal der Hautläsion dazu, die die Patienten zum Arzt führt. Mehrere Lymphknoten können betroffen sein, eine Abszedierung nach Wochen ist häufig. Unbehandelt kann das Ulcus wochenlang persistieren oder rasch abheilen. Der Begriff glanduläre Tularämie wird verwendet, wenn bei Diagnosestellung die Hautläsion nicht vorhanden ist.

Assoziierte Hautbefunde
Erythema nodosum, Erythema multiforme sowie ein papuläres oder vesikopapuläres Exanthem (nicht-juckend, extremitätenbetont) sind typische sekundäre Hautmanifestationen der Tularämie, ungeachtet der Form. Sie erscheinen in bis zur Hälfte aller Patienten, meist in der zweiten Krankheitswoche und können als Medikamentennebenwirkung oder Varizellen fehldiagnostiziert werden10).

Prognose
Die Prognose der Tularämie in Europa ist sehr gut. Die meisten Patienten genesen komplikationslos, Todesfälle gibt es kaum. Die Krankheit kann milde oder prolongiert und kräftezehrend verlaufen. Der Verlauf ist abhängig von der Virulenz des Erregers, der Eintrittspforte, der Infektionsdosis, der Immunkompetenz des Wirtes sowie vom Zeitpunkt einer effektiven Therapie. Bei einer Therapieverzögerung von über 2 Wochen scheinen Lymphknotenabszesse und langwierigere Krankheitsverläufe häufiger aufzutreten11). Negative Auswirkungen einer Therapieverzögerung wurden in mehreren Tiermodellen nachgewiesen13). Seltene Komplikationen der Tularämie sind Bakteriämie/Sepsis, Otitis media, Mastoiditis, Meningitis und Organabszesse5).

Tularämie bei Kindern und Jugendlichen in der Schweiz

Grundsätzlich verläuft die Tularämie im Kindesalter ähnlich wie bei Erwachsenen. Bei getrennter Betrachtung der Schweizer Fallmeldungen nach Altersgruppen zeigt sich ein Unterschied betreffend Prädominanz der klinischen Form: Kinder (0-16 Jahre) präsentieren sich fast ausschliesslich mit einer einseitigen peripheren Lymphadenitis (ulzeroglanduläre, glanduläre, oropharyngeale und okuloglanduäre Form), die pulmonale und typhoidale Form kommen kaum vor.



Tularämieformen bei Kindern und Jugendlichen (0-16 Jahre alt) in der Schweiz, BAG Meldedaten 2004-2019 7

Bei Erwachsenen (>17 Jahre) macht die pulmonale Tularämie etwa einen Viertel (26%) aller Fälle aus7)

Differentialdiagnose einseitige Lymphadenopathie12)

Differentialdiagnose der peripheren einseitigen Lymphadenitis bei Kindern ausser Tularämie (häufige Ursache mit grau hinterlegt), adaptiert nach 12)

Diagnose

Die Tularämie wird klinisch vermutet (Tabelle 2) und durch den direkten oder indirekten Nachweis von F. tularensis bestätigt (PCR oder Serologie). Das Differentialblutbild ist meistens normal und das CRP variabel. Bei prolongiertem Verlauf kann die BSR ein Monat nach Krankheitsbeginn noch erhöht sein.

Klinischer Verdacht
Bei einer einseitigen Lymphadenitis soll frühzeitig an die Tularämie gedacht werden, besonders in der warmen Jahreszeit. In der Schweiz ist die Zeckenexposition zu erfragen (Aufenthalt in der Natur oder bemerkter Stich 1-2 Wochen vor Symptombeginn), wichtiger noch als der Kontakt zu wilden Tieren wie Hasen oder Nagern. Durch eine sorgfältige klinische Untersuchung kann oft eine Hautläsion im Drainagegebiet des Lymphknotens detektiert werden, hinweisend auf die häufigste ulzeroglanduläre Form.

Typisch ist eine fehlende Heilung der Lymphadenitis durch eine Antibiotikatherapie, die gegen Staphylokokken gerichtet, aber gegen F. tularensis unwirksam ist (z.B. Amoxicillin/Clavulansäure oder Clindamycin). Es kann zu einem vermeintlichen Therapieansprechen kommen, wenn das Fieber während der Behandlung spontan verschwindet. Engmaschige klinische Kontrollen sind daher wichtig. 

Direkter Erregernachweis
Bei Verdacht auf eine Infektion mit F. tularensis muss das Mikrobiologielabor vorab informiert werden, um Sicherheitsvorkehrungen zu treffen (Biosafety level 3 gefordert). Der Erreger ist schwer kultivierbar, benötigt Spezialmedien und eine verlängerte Inkubationszeit. Die PCR ist heute die Methode der Wahl (hochsensitiv, spezifisch, schnell), der DNA-Nachweis kann auch aus avitalen Bakterien gelingen, z.B. nach erfolgreicher antibiotischer Therapie.

Wird eine ulzeroglanduläre Tularämie vermutet, soll bereits bei Erstkonsultation ein tiefer Abstrich von der Hautläsion (Ulkus) nach Krustenentfernung entnommen werden für eine PCR. Typische Untersuchungsmaterialien sind Eiter oder Gewebestücke (z.B. Lymphknoten). Bei Lungenbeteiligung kann Sputum und bei schwer kranken Patienten Blut und/oder Liquor analysiert werden. 

Serologie
Die Serologie wird weltweit am häufigsten zur Diagnose der Tularämie verwendet wegen ihrer einfachen Anwendung (venöse Blutentnahme) und der fehlenden Gefährdung im Labor. Verschiedene Testmethoden mit guter Sensitivität und Spezifität sind etabliert (z.B. Agglutination, ELISA, Western-Blot, Immunchromatographie). Idealerweise werden frühe und späte Seren mit mindestens 2 Wochen Abstand untersucht. Eine Serokonversion oder ein 4-facher Titeranstieg sind beweisend. Die Antikörper erscheinen ca. 2 Wochen nach Krankheitsbeginn und haben ihren Peak nach 3-4 Wochen. Die Titer sinken langsam und können jahrelang persistieren, was die Beurteilung von Einzelseren erschwert. Eine frühe antibiotische Therapie kann die Antikörperbildung unterdrücken (Bsp. PEP nach Bioterror).

Therapie 8),13),14)

Antibiotika
Die frühzeitige und gezielte antibiotische Therapie kann schwere Krankheitsverläufe und Komplikationen verhindern. Klinische Heilungsraten sind unterschiedlich (60-100%) und abhängig vom Antibiotikum, vom Zeitpunkt des Therapiebeginns, von der Dauer der Therapie sowie vom Vorhandensein von Komplikationen (z.B. Abszesse). In Europa können die meisten Patienten ambulant mit Ciprofloxacin oral behandelt werden.

Erstlinientherapie der Tularämie in Europa für Erwachsene und Kinder > 1 Monat 8),14

Medikamente der ersten Wahl

  • Fluorochinolone: Ciprofloxacin ist heute das Antibiotikum der Wahl für die Behandlung der Tularämie wegen der exzellenten oralen Bioverfügbarkeit und Gewebepenetration, der bakteriziden Wirksamkeit, tiefsten Rückfallrate und geringen Nebenwirkungen. Ciprofloxacin zeigt die tiefste minimale Hemmkonzentration (MHK) gegenüber F. tularensis im Vergleich zu anderen Antibiotika.
    Fluorochinolone waren bei Kindern lange Zeit limitiert einsetzbar wegen befürchteter möglicher Gelenksknorpelschädigung als Nebenwirkung, die in verschiedenen Tiermodellen und in menschlichen Chondrozytenkulturen (Chondrotoxizität) nachgewiesen wurde. Seit 1990 wurde zum Sicherheitsprofil von Ciprofloxacin in der Pädiatrie viel publiziert, zwei systematische Literaturübersichtsarbeiten mit über 16’000 Patienten unter 18 Jahren haben die Studienresultate analysiert: Muskuloskelettale Nebenwirkungen von Ciprofloxacin kommen in etwa 1-3% vor (meistens Arthralgien, Sehnenbeschwerden und Steiffigkeit), diese sind reversibel nach Absetzen des Medikaments. Es wurden keine bleibenden Gelenksknorpel- oder Sehnenschäden nachgewiesen. Ciprofloxacin im Kindesalter wird als sicher bewertet und soll bei guter Indikation und fehlender Alternative eingesetzt werden15). Fluorochinolone sollen möglichst nicht angewendet werden bei Patienten mit Kardiopathie und Risiko für QT-Streckenverlängerung, Epilepsie (erhöhte Krampfneigung) und G6PDH-Mangel (hämolytische Krise).
  • Aminoglykoside (Streptomycin und Gentamicin intravenös) werden seit Jahrzehnten in Nordamerika aufgrund des dort virulenteren Erregers primär verwendet und sollen in Europa bei schweren Verläufen zum Ciprofloxacin zugefügt werden. Gentamicin hat eine schlechte Gewebe- und Liquorpenetration und ist oto- und nephrotoxisch.

Medikamente der zweiten Wahl

  • Tetracycline (Doxycyclin) sind bakteriostatisch und haben eine erhöhte Rückfallrate, um dies zu verhindern sollten sie für mindestens 14 Tage eingenommen werden. Tetracycline sind bei Kindern unter 8 Jahren kontraindiziert (Risiko für irreversible Zahnverfärbung).
  • Rifampicin soll wegen potentieller Resistenzentwicklung nicht als Monotherapie verabreicht werden (in Kombination mit Ciprofloxacin bei sehr schweren Verläufen möglich).

Unwirksame Medikamente

  • Beta-Laktam-Antibiotika (Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme, Monobaktame)
  • Clindamycin, Daptomycin, Linezolid
  • Makrolid-resistente Stämme nehmen in Europa (inkl. Schweiz) zu

Chirurgische Abszessdrainage
Ein Abszess kann klinisch (persistierende Schmerzen, fluktuierender Tastbefund) oder mit Hilfe einer Bildgebung festgestellt werden. Die zeitgerechte chirurgische Drainage lindert die Beschwerden effektiv und beschleunigt die Heilung.

Prophylaxe

Eine Impfung steht nicht zur Verfügung. In Endemiegebieten sind folgende Massnahmen empfohlen:

  • Schutz vor Zecken- und Insektenstichen (Meiden von Biotopen, lange Kleidung, Repellentien)
  • Kontakt zu toten oder kranken Tieren (speziell Hasen und Nagetiere) vermeiden, Manipulation nur mit Handschuhen und Atemschutz
  • Ausreichendes Kochen von Wildfleisch und Wasser aus unklaren Quellen 
  • Atemschutz bei staubbildenden Feldarbeiten

Nach Kontakt mit F. tularensis (z.B. Bioterror) ist eine PEP für 14 Tage empfohlen (Ciprofloxacin p.o., Dosierung siehe oben).

Referenzen

Aufgrund der Limitierung der Anzahl Literaturangaben sind nicht alle Aussagen referenziert. Eine ausführliche Literaturliste ist beim Autor erhältlich.

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Weitere Informationen

Korrespondenz:
Interessenkonflikt:
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Autoren/Autorinnen
Dr. med.  Csongor Deak Oberarzt Pädiatrie, Klinik für Kinder und Jugendliche, Kantonsspital Baden

Dr. med.  Christa Relly Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene, Universitäts-Kinderspital Zürich