Warum nehmen Jugendliche Drogen? Um sich wohl zu fühlen? Um sich wohler zu fühlen?
Modernes Leben ist für unsere Mitmenschen hart, für eine Mehrzahl sind die von unserer Konsumgesellschaft vorgespiegelten Ideale ein unerreichbares Ziel. Diese deprimierende Tatsache kann zur Auflehnung führen: Es soll konsumiert werden, also konsumieren wir! Unsere Patienten, insbesondere die jüngeren, leben in dieser Realität zwischen Depression und Sucht. Dies zwingt uns Ärzte, unsere Kenntnisse psycho-aktiver Substanzen und ihrer Anwendungsweise sowie der nicht substanzbedingten Suchtverhalten, sogenannte Verhaltenssüchte wie übertriebenes Spielen oder zwanghaftes Kaufen, zu verbessern. Wir sollten auch unsere Kenntnisse der Neurobiologie der Süchte auf den neuesten Stand bringen, denn Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Drogen werden immer besser erfasst. Dies sollte es ermöglichen, einen neuen Kompetenzbereich zu erwerben, am besten als «Kenntnisse in Suchtverhalten» (englisch: addictology) des Praktikers umschrieben, Thema dieses Weiterbildungsartikels.
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Vol. 18 No. 6 2007
Einführung
Warum nehmen Jugendliche Drogen? Um
sich wohl zu fühlen? Um sich wohler zu
fühlen?
Modernes Leben ist für unsere Mit –
menschen hart, für eine Mehrzahl sind
die von unserer Konsumgesellschaft vor –
gespiegelten Ideale ein unerreichbares
Ziel. Diese deprimierende Tatsache kann
zur Auflehnung führen: Es soll konsumiert
werden, also konsumieren wir!
Unsere Patienten, insbesondere die jün –
geren, leben in dieser Realität zwischen De –
pression und Sucht. Dies zwingt uns Ärzte,
unsere Kenntnisse psycho-aktiver Substan –
zen und ihrer Anwendungsweise sowie der
nicht substanzbedingten Suchtverhalten,
sogenannte Verhaltenssüchte wie übertrie –
benes Spielen oder zwanghaftes Kaufen,
zu verbessern. Wir sollten auch unsere
Kenntnisse der Neurobiologie der Süchte
auf den neuesten Stand bringen, denn
Wechselwirkungen zwischen Gehirn und
Drogen werden immer besser erfasst. Dies
sollte es ermöglichen, einen neuen Kom –
petenzbereich zu erwerben, am besten als
«Kenntnisse in Suchtverhalten» (englisch:
addictology) des Praktikers umschrieben,
Thema dieses Weiterbildungsartikels.
Zu Beginn einige Definitionen:
● Sucht: Der im englischen und franzö –
sischen Sprachbereich gebräuchliche
Begriff «addiction», vom lateinischen
addictum, verweist auf die physische
Sklaverei, wie dies im Mittelalter für
Leibeigene, die ihre Schulden nicht
mehr bezahlen konnten, der Fall war.
Bezeichnet ganz allgemein die Vehal –
tensweise von Suche und Selbstverab –
reichung.
● Abhängigkeit: Schwerwiegendere Stö –
rung, mit psycho-biologischen Sym –
ptomen wie z. B. Entzugssymptome bei
Dosisverminderung und Toleranz bei
Dosiserhöhung.
● Missbrauch: Probleme treten auf, weil
der Patient bei allen Gelegenheiten zu
viel und zu schnell konsumiert.
● Risikoverhalten: Hier ist die Gefahr
potentiell, wie z. B. Autofahren oder
eine mögliche Schwangerschaft. Ge –
sundheitsschädlicher Konsum (CIM 10,
WHO) gehört ebenfalls in diese Katego –
rie, die toxische Wirkung besteht hier
in der langfristigen Kumulierung der
Dosen.
● Rekreativer Konsum: Vom Suchtverhal –
ten her gibt es diese Kategorie für alle
Substanzen. Man kann hier als Beipiel
die «J»-förmige Risikokurve des Alkohols
anführen, bei welchem kleine Dosen so –
gar gesundheitsförderlich sein können
(Herzkreislaufrisiko).
Fallbeispiel
Es handelt sich um einen jungen, 18-jäh –
rigen Mann, der sich als «Informatiker»
vorstellt. Er bittet Sie wegen Schlafstö –
rungen um Benzodiazepine. Er berichtet
über Müdigkeit, Stress, und Sie vermuten
hinter seinen Konzentrationsstörungen eine
Depression. Die systematische Anamnese
ergibt allabendlichen Cannabiskonsum und
dass ihr Patient «süchtiger» WOW-Spieler ist
(World of Warcraft, ein online Videospiel).
Welche Rolle spielt das Cannabis? Soll nach
weiteren Substanzen gesucht werden? Was
ist primär und was sekundär? Wie abklären?
Welche Betreuung kann dem Patienten an –
geboten werden?
Moralisch gesehen
Historisch wurden Süchte immer als Laster
betrachtet, als Frucht von Faulheit und bö –
sem Willen. Die psycho-aktiven Substanzen
selbst wurden jeweils entweder verteufelt
oder aber verharmlost. Süchtige Patienten,
als schwer zugänglich erlebt, wurden dem
Sozialwesen zugeschoben, wodurch Risse
im Netzwerk entstanden. Die Ideologisie –
rung hat seit langem zu einer Kluft zwischen
Angebot und Nachfrage geführt. Armselige
Patienten haben zu einer armseligen Medi –
zin geführt.
Klinisch gesehen
Heute haben wir die Mittel, Suchtkrank –
heiten als Paradigmen des modernen Lebens
zu verstehen: Komplexe Krankheitsbilder an
der Wegscheide zwischen psychosomatisch
und psychosozial, drücken Süchte die Ver –
letzlichkeit des Individuums sowohl im bio –
logischen, als auch im psychologischen und
sozialen Bereich aus. Die Kenntnisse des
Suchtverhaltens haben heutzutage feste
wissenschaftliche Grundlagen: Molekular –
biologie, Genforschung, Bildgebung des Ge –
hirns, Tierexperiment, klinische Epidemiolo –
gie, «Evidenz-basierte»- Behandlungen und
Humanwissenschaften sind daran beteiligt.
Gute Medizin ist deshalb möglich, garantiert
durch die Synthese unserer Kenntnisse,
eine starke klinische Abstützung und eine
auf die Bedürfnisse der Patienten zentrierte
Betreuung.
Psycho-aktive Substanzen
Kehren wir kurz auf die Schulbank der Me –
dizin zurück und wärmen wir unsere Kennt –
nisse der psycho-aktiven Substanzen auf. In
Bezug auf Sucht werden sie üblicherweise in
drei Gruppen zusammengefasst:
● Psycholeptika oder Depressoren des
Zentralnervensystems. Diese Gruppe
umfasst Alkohol, Benzodiazepine, Barbi –
turate und andere Hypnotika, GHB («Ver –
gewaltigerdroge») und Opiate (Codein,
Morphin, Heroin, synthetische Opiate).
Allen Psycholeptika ist die dosisab –
hängige sedierende Wirkung bis zum
Atemstillstand bei Überdosierung ge –
meinsam. Gesucht wird im Allgemeinen
eine anxiolytische Wirkung.
● Psychoanaleptika oder Stimulantien des
Zentralnervensystems. Diese Gruppe
umfasst Coffein, Nikotin, Amphetamine
und ihre Abkömmlinge sowie Kokain.
Gemeinsam ist allen Psychoanaleptika
die sowohl somatische (Herzinfarkt-,
Hirnschlag-, Krampfrisiko usw.) als auch
psychische Erregbarkeit (Reizbarkeit, se –
xuelle Erregbarkeit, Machtgefühl, Agres –
sivität, Paranoia). Alle diese Wirkungen
sind Dosis- und Substanzabhängig.
● Psychodysleptika oder das Zentralner –
vensystem störende Substanzen. Diese
Sucht beim Jugendlichen:
wie vermeiden?
Jaques Besson, Lausanne 1
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
1 Anlässlich des Praktikerkongresses Quadrimed vom
25.1.2007 gehaltener Vortrag
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Gruppe umfasst Cannabis, Lösungs –
mittel, Mescalin, LSD und Phencyclidin
(«Angel dust»). Allen Psychodysleptika
sind dosisabhängige Wahrnehmungs-
dissoziative und Störungen vom psycho –
tischen Typ gemeinsam. Dies gilt insbe –
sondere für das in geringen Dosen zwar
sedativ wirkende Cannabis, bei welchem
durch höhere Dosen jedoch eine disso –
ziative Wirkung («Ausrasten») gesucht
wird, was, wegen dem hohen THC-Ge –
halt des zurzeit auf dem (illegalen) Markt
erhältlichen Cannabis, oft ohne Wissen
des Verbrauchers geschieht.
Konsumgewohnheiten
In der Einführung sind wir auf die ver –
schiedenen konsumabhängigen Probleme
eingegangen. Was zeigt die Pyramide der
Konsumgewohnheiten für einzelne Substan –
zen in der Gesamtbevölkerung:
Alkohol: 5–7% der Allgemeinbevölkerung
weist schwere Störungen auf (Abhängigkeit)
und bedarf einer spezialisierten Behandlung.
Bei ca. 20% der Allgemeinbevölkerung stellt
man Missbrauch oder Risikokonsum fest;
hier wären Früherfassungs- und Kurzinter –
ventionsprogramme angebracht. Die übrige
Bevölkerung stellt kein Risiko dar, entweder
weil sie nur zum Vergnügen konsumiert oder
aber abstinent ist. Dort kann Primärpreven –
tion nützlich sein («Alles im Griff» usw.).
Ein wenig Neurobiologie
Die sich mit Sucht befassenden neurobio –
logischen Wissenschaften erlauben es uns
heute, die individuell verschiedene Emp –
findlichkeit gegenüber dem Suchtverhalten
besser zu verstehen. Insbesondere Tiermo –
delle haben unseren Kenntnissen der Hirn –
strukturen, welche an Lustmechanismen,
positiver oder negativer Verstärkung (rein –
forcement), Suchtgedächtnis, Alarmmecha –
nismen und Automatisierung beteiligt sind,
grosse Fortschritte erlaubt. Beim Menschen
konnten die neuen Bildgebungstechniken
des Gehirns (IRM, PET-Scan usw.), durch
die Darstellung der betroffenen Strukturen
(Nucleus accumbeus, Amygdala, Hippocam –
pus, präfrontaler Cortex usw.), die beim Tier
erhaltenen Resultate bestätigen.
Auch auf zellulärem Niveau verstehen wir
die Wirkung der psychoaktiven Substanzen
immer besser, sowohl die Neurotransmitter
(Dopamin) als auch die neuronale Plastizi –
tät (Induktion der Genexpression) betref –
fend. Diese Arbeiten lassen eine grosse
genetische Heterogenität der Bevölkerung
erahnen, was die individuelle Vulnerabilität
zumindest teilweise erklärt (Dopaminergie,
Glutamatergie).
Die Rolle des Praktikers
Was soll der Praktiker mit all dem? Seine
Rolle ist zentral. Seine Fähigkeit, neutral
und empathisch zu empfangen, macht aus
ihm die natürliche, primäre Anlaufstelle
bei dieser Art Problem. Seine Fähigkeit,
mehrdimensionale Diagnosen zu stellen
und seine Kenntnisse der regionalen Netz –
werke erlauben es ihm, ein dem Patienten
angepasstes Pflegekonzept zu erarbeiten
und vernünftige therapeutische Ziele zu
setzen. Um dies zu erreichen, kann mit dem
Patienten ein Vertrag abgeschlossen wer –
den, zeitlich begrenzt und mit periodischen
Evaluationen.
Als praktische Hilfe und um bei der Ab –
klärung nichts Wesentliches zu verges –
sen, hat unser Dienst ein didaktisches
Instrument geschaffen, das RAP (Rapid
Addiction Profile). Es handelt sich um einen
durch den Therapeuten auszufüllenden
Fragebogen, mit den 5 wichtigsten, als
Wegleitung für die Betreuung dienenden
klinischen Ebenen. Das Dokument wird Teil
der Krankengeschichte und erlaubt es, die
Übersicht über die Betreuung als Ganzes
zu bewahren.
Das Rapid Action Profile
(siehe Beilage)
Dieses einseitige Dokument umfasst fol –
gende 5 Ebenen:
Somatische Ebene: Nicht selten vergisst
der Arzt angesichts eines süchtigen Pati –
enten, auf die medizinischen Aspekte ein –
zugehen; diese sind jedoch nicht selten:
Abszesse und Infekte, Herzkreislaufpro –
bleme, neurologische Störungen usw. Die
Auswirkungen somatischer Diagnosen sind
für die Betreuung wichtig: Leberfunktion
oder psychoorganische Störungen beispiels –
weise sind Elemente, die berücksichtigt
werden müssen.
Psychiatrische Ebene: Sucht wird häufig
von primären, sekundären und zirkulären
psychiatrischen Störungen begleitet. Asso –
ziation mit Depression, Angstgefühlen oder
Persönlichkeitsstörungen sind besonders
häufig. Diese Begleitkrankheiten müssen im
Rahmen der Gesamtbetreuung erkannt und
entsprechend behandelt werden, da sonst
Brüche und Unstimmigkeiten auftreten, die
zu Rückfällen sowohl im Suchtverhalten als
auch der psychiatrischen Störung führen.
Die ganzheitliche Betreuung erlaubt es, für
beide Diagnosen passende Psychopharma –
ka zu verschreiben. Atypische Neuroleptika
sind z. B. besonders bei einer Komorbidität
Sucht-Psychose indiziert, da sie den D2-Re –
zeptor verschonen (Belohnungs-Dopamin).
Bei einer Substitutionsbehandlung müssen
mögliche Interaktionen mit Medikamenten
beachtet werden.
Motivationsebene: Die Motivation ist der
für die gesamte Betreuung limitierende
Faktor. Um Widerstände und Leugnung
überwinden zu können, verfügen wir über
Gesprächs- und Motivationstechniken, die
auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen
und deren Wirksamkeit bewiesen ist. Die
Beurteilung, inwiefern ein Wille zum Wechsel
besteht, erlaubt es, das Behandlungsniveau
anzupassen und therapeutische Vorschläge
zu machen, die Erfolg versprechen; dies
stärkt wiederum die Motivation. Die Mo –
tivationsförderung begleitet die gesamte
Betreuung von Süchtigen, über theoretische
und disziplinäre Grenzen hinaus. Die Pati –
enten fühlen sich aufgewertet durch die Fä –
higkeit, für sie günstige und ihre Autonomie
verbessernde Entscheidungen zu treffen.
Krisenebene: Die Patienten konsultieren
immer zu einem für sie signifikanten Zeit –
punkt, meistens in einer Situation, die ihr
zerbrechliches Gleichgewicht bedroht. Oft
werden sie durch ihren Partner, die Familie,
den Arbeitgeber oder die Justiz unter Druck
gesetzt. Der soziale Druck bietet dann ei –
nen Ansatzpunkt zur Motivationsförderung
und erhöht die Bereitschaft des Patienten,
auf therapeutische Vorschläge einzugehen.
Durch Eingehen auf den Wunsch des Pati –
enten wiederum kann das therapeutische
Angebot erweitert und die therapeutische
Allianz besser ausgeschöpft werden. Die
Krise kann dann zu einer positiven Lösung
des initialen Problems führen, die Krisen-
diagnose ihrerseits erlaubt es, Prioritäten zu
setzen und den Erwartungen des Patienten
entgegen zu kommen.
Ressourcenebene: Es muss ein Inventar
der latenten Ressourcen aufgestellt werden,
um über möglichst viele Ansatzpunkte zu
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verfügen. Dieses Inventar schliesst sozio-
kulturelle und sogar spirituelle Ressourcen
ein, denn Fragen nach dem Sinn des Lebens
sind bei Suchtproblemen oft vorhanden.
Die Interpretation des RAP Score ist ein –
fach: Für jede Ebene bedeutet Score 1,
dass es nichts Besonderes zu tun gibt;
bei Score 2 sind Abklärungen angebracht;
Score 3 bedeutet das Vorhandensein ei –
ner Komorbidität mit Behandlungsbedarf;
Score 4 bedeutet Notfall, Krisenintervention
oder Spitaleinweisung. Man erhält damit
ein Suchtprofil in 5 Ebenen, das erlaubt,
Behandlungsprioritäten zu setzen, ohne
Wesentliches zu vergessen.
Für den Kliniker stellt das RAP ein integrie –
rendes Instrument dar, das Querverbin –
dungen zwischen scheinbar unzusammen –
hängenden Elementen erlaubt. Bei Jugend –
lichen ist es sinnvoll, Gesundheit, Motivation
und Interesse für psychische Störungen zu
verknüpfen, ohne Umfeld und Ressourcen
zu vergessen.
Fazit
Sucht ist bei Jugendlichen häufig und für
psychosomatische und psychosoziale Pa –
thologien der Moderne emblematisch. Ihre
Diagnose ist notwendigerweise mehrdimen –
sional, vor allem, wenn nach hintergründigen
psychiatrischen Pathologien gesucht wird.
Der motivationsfördernde Approach festigt
die Behandlung, wertet die Bemühungen
des Patienten auf und hilft ihm, Alternativen
zu seiner Sucht zu suchen und sein Leben
besser zu gestalten.
Referenzen 1) Collège romand de médecine de l’addiction: «Toxi – codépendance: problèmes somatiques courants» Ed. Méd. & Hyg., Genève, 2003; Trad. en allemand: «Drogenabhängigheit: Gelaüfige somatische Pro – bleme» Ed. Karger, Basel, 2005.
2) Collège romand de médecine de l’addiction: «Toxi – codépendance: problèmes psychiatriques courants» Ed. Méd. & Hyg., Genève, 2005; Trad. en allemand: «Drogenabhängigheit: Gelaüfige psychiatrische Pro – bleme» Ed. Karger, Basel, 2007.
3) Reynaud M.: «Traité d’addictologie» Médecine-Sci – ences Flammarion, Paris, 2006.
4) Uchtenhagen A., ZieglänsbergerW. «Suchtmedizin»
Urban und Fischer Verlag, München, 2000.
Links:
● www.ssam.ch
● www.infoset.ch
Korrespondenzadresse:
Professeur Jaques Besson
Chef du Service de psychiatrie
communautaire du CHUV
Université de Lausanne
Rue St Martin 7
1003 Lausanne
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Präsentation
Alkoholabhängige und Süchtige sind sehr
verschiedenartig. Sie können verschie –
denste medizinisch-psychologisch-sozi –
ale Probleme unterschiedlichen Schwere –
grades aufweisen. Es ist deshalb schwie –
rig, diese Patienten zu untersuchen; sie
sind oft nur wenig motiviert und befinden
sich in verschiedenen Stadien einer Kri –
se.
Es gibt verschiedene Suchtmessinstru –
mente. Diese schliessen jedoch selten alle
relevanten Ebenen mit ein, insbesondere
sind sie nicht transtheoretisch (z. B. moti –
vierend und systemisch orientiert). Über –
dies handelt es sich um Forschungsinstru –
mente, für die eine spezielle Ausbildung
und ein grosser Zeitaufwand nötig ist.
Aus diesen Gründen haben wir dieses
mehrdimensionale Suchtprofil erarbeitet,
welches die Untersuchung und klinische
Bewertung in der praktischen Arbeit er –
leichtern soll, speziell auch durch Ärzte
in der Grundversorgung. Dieses Profil
versucht, eine knapp gehaltene Synthese
der verschiedenen, bei der Betreuung in
einem multidisziplinären Netzwerk wich –
tigen Ebenen zu bieten (somatisch, psych –
iatrisch, Aspekte der Motivation, Krise,
Ressourcen). Mit dem Profil können auch
die Prioritäten bei der Betreuung definiert
werden.
Wie soll man antworten?
Die Fragen auf der Vorderseite beziehen
sich auf die Schwere der Probleme Ihres
Patienten in 5 Ebenen. Um die Fragen zu
beantworten, benützt man die Scores,
mit denen jede Ebene in 4 Schweregrade
eingeteilt werden kann. Die klinischen
Beschreibungen sind Beispiele.
Wählen Sie den Schweregrad so, wie es
der Situation Ihres Patienten am besten
entspricht. 1 = kein Problem, 2 = einige
Probleme, 3 = ernsthafte Probleme, 4 =
schwere Probleme.
Beispiele
Somatisch
Eine Polytoxikomanie mit einer positiven
Hepatitis-C-Serologie wird nur dann als
«3» kodiert, wenn die Hepatitis sympto –
matisch ist oder den Patienten in seinem
täglichen Leben behindert.
Psychiatrisch
Bei der Mehrzahl der Suchtpatienten mit
Persönlichkeitsstörungen wird «2» kodiert,
wenn die entsprechende Störung allein
vorhanden ist; man kodiert «3», wenn
weitere Symptome hinzukommen (Angst –
störung, depressive Störung); man kodiert
«4», wenn die Situation zusätzlich durch
ein Suizidrisiko kompliziert wird.
Fragebogen RAP (Rapid Addiction Profile)
Weitere Informationen
Übersetzer:
Rudolf Schläpfer
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Jaques Besson , Service de psychiatrie communautaire, Université CHUV, Lausanne