Das Schicksal von Kindern mit angeborenen Herzfehlern hat sich seit der ersten Operation am offenen Herzen vor 50 Jahren (Verschluss eines Vorhofseptumdefektes 1953) entscheidend verändert und heute kann praktisch jedes Herzvitium kurativ oder palliativ behandelt werden. Mehr als 90% dieser Patienten erreichen nun das Erwachsenenalter – und trotzdem stehen angeborene Herzfehler in der Schweiz bei den Ursachen der Säuglingssterblichkeit nach der perinatalen Mortalität weiterhin an 2. Stelle¹
Einleitung
Das Schicksal von Kindern mit angeborenen
Herzfehlern hat sich seit der ersten Opera-
tion am offenen Herzen vor 50 Jahren (Ver-
schluss eines Vorhofseptumdefektes 1953)
entscheidend verändert und heute kann
praktisch jedes Herzvitium kurativ oder pal-
liativ behandelt werden. Mehr als 90% dieser
Patienten erreichen nun das Erwachsenen-
alter – und trotzdem stehen angeborene
Herzfehler in der Schweiz bei den Ursachen
der Säuglingssterblichkeit nach der perina-
talen Mortalität weiterhin an 2. Stelle
1). Bei
komplexen Herzfehlern stellt meist eine Ope-
ration die Behandlungsmethode der Wahl dar
und das Operationsresultat hängt dabei
ausser von der Fertigkeit des Chirurgen von
folgenden Faktoren ab
2):
l Frühzeitige Überweisung
l Präzise präoperative Diagnose
l Optimale anästhesiologische
und intensivmedizinische Versorgung
Durch Optimierung dieser Prozesse können
auch in der Schweiz weitere Verbesserungen
der Behandlungsmöglichkeiten erreicht wer-
den. Die frühzeitige Überweisung der Pa-
tienten hängt dabei wesentlich von deren
Identifizierung durch die Grundversorger ab
und für Massnahmen der Qualitätssicherung
in diesem Bereich müssen vor allem die Kin-
derärzte angesprochen werden.
Studien aus verschiedenen Ländern zeigen,
dass die Diagnose eines Herzvitiums oft erst
mit Verspätung gestellt wird
3)–6). In Schweden
hat der Anteil von Neugeborenen, bei denen
ein lebensbedrohender Herzfehler erst nach
der Entlassung aus der Geburtsklinik fest-
gestellt wurde, in letzter Zeit sogar zuge-
nommen
7). Mit diesem Artikel sollen deshalb
Kenntnisse, welche die Entdeckung ange-
borener Herzfehler aufgrund klinischer Kri-
terien ermöglichen, vermittelt werden. Für
den Pädiater ist es nicht entscheidend, bei
Verdacht auf einen Herzfehler die korrekte
Diagnose zu stellen und die in den Lehrbü-
chern übliche systematische Einteilung ist
für ihn nicht von grossem Nutzen. Der Kin-
derarzt muss behandlungsbedürftige Patien-
ten rechtzeitig entdecken und er muss des-halb in erster Linie entscheiden, welche Kin-
der wann zur Abklärung weiter gewiesen wer-
den müssen. Es ist für ihn wichtig, die typi-
schen Symptome und Befunde zu kennen
und solche Leitsymptome sollen in diesem
Artikel besprochen werden. Der Schwer-
punkt bei der Betrachtung angeborener
Herzfehler wird also auf die Pathophysiolo-
gie und nicht auf die Systematik gelegt. Die
Leitsymptome von Herzfehlern sind je nach
Altersgruppe verschieden und beim Scree-
ning wird sinnvollerweise zwischen Neuge-
borenen, Säuglingen und Kindern nach dem
ersten Lebensjahr unterschieden.
Ductus abhängige Herzfehler
bei Neugeborenen
Angeborene Herzfehler können in der Regel
nicht unmittelbar nach der Geburt diagnos-
tiziert werden. Dies hängt damit zusammen,
dass beim foetalen Kreislauf die beiden Kam-
mern dank Querverbindungen auf Vorhof-
ebene (Foramen ovale) und zwischen den
grossen Gefässen (Ductus arteriosus) pa-
rallel und nicht wie später in Serie geschal-
tet sind. Die Umstellung vom foetalen zum
postnatalen Kreislauf beansprucht eine ge-wisse Zeit und es ist sehr typisch, dass sich
Neugeborene mit komplexen Herzfehlern zu-
nächst normal an die extrauterinen Bedin-
gungen adaptieren. Die Konstriktion des Duc-
tus beginnt etwa 12 Stunden nach der Geburt
und erst nach einigen Tagen kommt es zum
vollständigen Ductusverschluss.
Als Ductus abhängige Herzfehler werden die-
jenigen Herzfehler bezeichnet, bei denen das
Blut infolge schwerer Obstruktion des Zu-
gangs zum Lungen- oder Körperkreislauf nur
auf dem Umweg über den Ductus in die Lun-
gen oder in den Körper gelangen kann
(Abb.1).
Beim Verschluss des Ductus tritt bei diesen
Patienten dann entweder eine rasch pro-
grediente Cyanoseoder ein Schockzustand
mit drohendem Kreislaufkollaps und typi-
schen Symptomen wie Tachypnoe, Tachy-
kardie und blassgrauer Hautfarbe bei ver-
minderter Mikrozirkulation auf. Meist haben
diese Säuglinge auch Trinkprobleme und eine
Anurie. Ein Herzgeräusch spielt bei der Dia-
gnose von Herzfehlern im Neugeborenenal-
ter nur eine untergeordnete Rolle und bei vie-
len lebensbedrohenden Herzfehlern hört
man kein Geräusch.
Kinder mit Ductus abhängigen Herzfehlern
sind beim Auftreten von Symptomen meist
auf der Wochenbettstation oder bereits zu-
hause und werden natürlich nicht besonders
überwacht. Sie müssen jedoch notfallmässig
Screening von angeborenen Herzfehlern
Mark Hämmerli, Baden
Abbildung 1: Ductus abhängige Herzfehler a) Ductus abhängiger Lungenkreislauf bei Pulmonalatresie: Venöses und arterielles Blut vermischen sich in der
Aorta und ein Teil des Mischbluts gelangt über den Ductus in die Lungen.
b) Ductus abhängiger Körperkreislauf bei hypoplastischem Linksherz: Arterielles und venöses Blut gelangen über
die rechte Herzseite in die Pulmonalarterie und ein Teil des Mischbluts strömt über den Ductus in die Aorta.
a)
b)
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Vol. 16 No. 5 2005 Fortbildung / Formation continue
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in eine Kinderklinik eingewiesen werden, weil
bei ihnen ein akutes Kreislaufversagen ent-
stehen und bei einem an und für sich behan-
delbaren Herzfehler schwere Komplikationen
verursachen oder zum Tod führen kann. Bei
solchen Kindern findet man zunächst oft wäh-
rend Tagen nur diskrete Hinweise für eine
Herzinsuffizienz und der Kreislaufkollaps
kann dann innert Stunden auftreten.
Bei der foetalen Echokardiographie könnten
zwar etwa
2/3aller angeborenen Herzfehler
(und insbesondere komplexe Herzfehler) er-
kannt werden – in der Realität sind wir aber
noch weit von solchen Zahlen entfernt und
die diagnostische Herausforderung für den
Kinderarzt, schwere behandlungsbedürftige
Herzfehler bei Neugeborenen rechtzeitig zu
erkennen, wird bis auf weiteres bestehen
bleiben.
Der Ductus spielt bei folgenden Situationen
eine entscheidende Rolle (siehe auch Tabel-
le 1):
l Lungenperfusion über den Ductus: Alle
Herzfehler mit Hypoplasie der rechten
Kammer und/oder schwerer Pulmonal-
stenose bzw. Pulmonalatresie:
l Blutfluss zum Körper über den Ductus:
Alle Herzfehler mit Hypoplasie der linken
Kammer und/oder schwerer Obstruktion
im Bereich der linksventrikulären Aus-
flussbahn oder des Aortenbogens, bzw.
Unterbruch des Aortenbogens
l Austausch von Blut zwischen Lungen-
und Körperkreislauf über den Ductus:
Transposition der grossen Arterien
Herzfehler bei Säuglingen
Nach dem Verschluss von Ductus und Fora-
men ovale erfolgen weitere Anpassungendes Kreislaufs und der pränatal hohe Lun-
gengefässwiderstand sinkt im Verlauf der ers-
ten Lebensmonate. Bei Herzfehlern, bei wel-
chen das Blut unbehindert gleichzeitig in bei-
de grossen Arterien fliessen kann (z. B. bei
grossen intrakardialen Defekten wie grossem
VSD oder AV-Kanal oder bei Vorliegen einer
einzigen Herzkammer ohne Pulmonalsteno-
se), kann es nun zu einer zunehmenden Lun-
genüberflutung kommen, weil der Blutfluss
zum Pulmonal- und Systemkreislauf durch
das Verhältnis der Gefässwiderstände in
den beiden Kreisläufen bestimmt wird. Der
Lungengefässwiderstand ist im Normalfall
tiefer als der Widerstand im Körperkreislauf
und deshalb strömt mehr Blut in die Pulmo-
nalarterie als in die Aorta. Leitsymptome sol-
cher Herzfehler sind Atemprobleme, eine
Trinkschwächeund/oder eine Gedeihstörung
und oft kann auch bei diesen Kindern nur ein
leises und unspezifisches Herzgeräusch ge-
hört werden.
Bei angeborenen Herzfehlern mit langsam
progredienter Pulmonalstenose (z. B. bei
Fallot’scher Tetralogie) besteht in der Regel
zunächst noch kein ausgeprägter Rechts/
Links-Shunt und die Cyanoseist im Gegen-
satz zur Cyanose bei Neugeborenen mit Duc-
tus abhängigen Herzfehlern oft nur diskret
(z. B. nur beim Schreien sichtbar). Bei die-
sen Säuglingen hört man allerdings meist ein
Herzgeräuschund selbstverständlich kann
auch bei sonst gesunden und unauffälligen
Säuglingen ein Herzgeräusch ohne andere
Symptome der Schlüssel zur Diagnose eines
Herzvitiums sein.
Herzfehler bei grösseren Kindern
Etwa 90% aller angeborenen Herzfehler
werden in der Schweiz heute im 1. Lebens-jahr entdeckt. Grössere Kinder mit einem
Herzfehler weisen in der Regel keine Symp-
tome auf und sind auch normal leistungsfä-
hig. Herzfehler, welche nach dem Säu-
glingsalter festgestellt werden, sind meist
weniger schwer und gefährden Leben und
Gesundheit des Kindes nicht unmittelbar. Bei
vielen dieser Vitien können jedoch Spät-
komplikationen auftreten und aus diesem
Grund sind eine rechtzeitige Diagnose und
allfällige Behandlung wichtig.
In dieser Altersgruppe werden Herzfehler
meist bei der Abklärung eines Herzgeräu-
schesentdeckt. Allerdings hört man bei bis
zu 60% aller Kinder (Prävalenz abhängig vom
Untersucher) ein Herzgeräusch und die
Unterscheidung zwischen akzidentellen und
organischen Herzgeräuschen muss geübt
werden. Dennoch ist die sorgfältige Auskul-
tation (selbstverständlich zusammen mit der
klinischen Untersuchung) die beste Scree-
ningmethode
8)–10) . Der «Gold Standard» für die
Unterscheidung zwischen normalen und
auffälligen Auskultationsbefunden ist die
Echokardiographie, doch handelt es sich da-
bei um eine teure und zeitaufwändige Unter-
suchungsmethode und es ist weder not-
wendig noch angemessen, bei allen Kindern
mit Herzgeräuschen eine Echokardiographie
durchzuführen.
Herzfehler, welche oft erst nach dem 1. Le-
bensjahr entdeckt werden, sind in Tabelle 2
aufgeführt.
Quintessenz
l Bei den meisten betroffenen Kindern sind
angeborene Herzfehler trotz zunehmen-
der Verbreitung der foetalen Echokar-
diographie bei der Geburt nicht bekannt.
l Die perinatale Adaptation verläuft bei
Neugeborenen mit Herzfehlern (auch
komplexen) praktisch immer normal
und Symptome treten erst nach einem
freien Intervall von einigen Stunden
oder Tagen auf. Bei der Routine-Unter-
suchung durch den Kinderarzt in den ers-
Tabelle 1: Wichtige Ductus abhängige Herzfehler
Ductus abhängiger Ductus abhängiger Austausch von Blut
Lungenkreislauf Körperkreislauf über den Ductus
Fallot’sche Tetralogie Hochgradige Transposition der
mit schwerer Pulmonalstenose Aortenisthmusstenose grossen Arterien
Kritische valvuläre Kritische valvuläre
Pulmonalstenose Aortenstenose
Pulmonalatresie mit Hypoplastisches
oder ohne VSD Linksherz
Tricuspidalatresie mit schwerer Unterbrochener
Pulmonalstenose Aortenbogen
Schwere Ebstein-Anomalie
der Tricuspidalklappe
Tabelle 2: Häufige nach dem 1. Lebensjahr
entdeckte Herzfehler
lVorhofseptumdefekt
lLeichte Aortenklappenanomalien
lAortenisthmusstenose
lSubvalvuläre Aortenstenose
lMitralklappenprolaps
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ten 48 Stunden werden deshalb oft kei-
ne auffälligen Befunde festgestellt.
l Bei den so genannt Ductus abhängigen
Herzfehlern kann nach Verschluss des
Ductus kein Blut mehr zum Lungen- oder
Körperkreislauf gelangen und innert kur-
zer Zeit ein Kreislaufkollaps auftreten. Bei
Verdacht auf ein solches Vitium muss
deshalb eine notfallmässige kardiologi-
sche Abklärung erfolgen.
l Es gibt nur wenige Leitsymptome, die auf
angeborene Herzfehler hinweisen:
– Cyanose oder Kreislaufschock
beim Neugeborenen
– Cyanose, Atemprobleme,
Trinkschwäche oder Gedeihstörung
beim Säugling
– Herzgeräusch beim Säugling oder
grösseren Kind
– Bei der Diagnose von komplexen und
lebensbedrohenden Herzfehlern im
Neugeborenenalter spielen Herzge-
räusche keine entscheidende Rolle.
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of children for possible congenital heart disease. Curr
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Korrespondenzadresse:
Dr. Mark Hämmerli
Bahnhofstrasse 9c
5504 Othmarsingen
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h
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Autoren/Autorinnen
Dr. med. Mark Hämmerli , Belegarzt Kinderkardiologie, KSB Baden