Fachzeitschrift >

Redaktionskommentar zum Artikel von Dr. Raoul Schmid

Der Artikel von Dr. R. Schmid über den Einsatz des Ultraschalls bei der Diagnose von akuten Harnwegsinfektionen hat eine heftige Kontroverse ausgelöst. In der Tat...

« Great minds do not think alike, that’s why there are great »

Der Artikel von Dr. R. Schmid über den Einsatz des Ultraschalls bei der Diagnose von akuten Harnwegsinfektionen hat eine heftige Kontroverse ausgelöst(1). In der Tat wird die Anwendung des Ultraschall als Hilfe bei der Diagnose der akuten Pyelonephritis (APN) derzeit nicht von den Schweizer Guidelines zur Abklärung von HWI empfohlen(2).

Nach der Veröffentlichung dieses kurzen Artikels wurde die Redaktionskommission von Paediatrica vor allem auf zwei Punkte angesprochen. Erstens wurde die Infragestellung der Leitlinien als unpassend kritisiert. Zweitens wurde der wissenschaftliche Inhalt als wenig durch die aktuelle Literatur gestützt angesehen. Folglich wurde die Veröffentlichung dieses Artikels in Frage gestellt. Wir möchten daher auf diese beiden Punkte eingehen.

In Bezug auf die Infragestellung von Leitlinien ist es hilfreich, daran zu erinnern, dass Leitlinien Listen von Empfehlungen sind, die auf der verfügbaren Literatur basieren. Wenn alle klinischen Fragen durch randomisierte und kontrollierte Studien mit ausreichender statistischer Aussagekraft beantwortet würden, wären Leitlinien überflüssig und eine einfache Liste von Publikationen würde ausreichen(3). Leitlinien sind keine unveränderlichen Gesetzestafeln, insbesondere und vor allem die Empfehlungen, die als «schwach» bezeichnet werden, da sie auf einer «mäßigen» Qualität der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur basieren. Darüber hinaus gibt es immer eine Trägheit zwischen der Einführung neuer Techniken und einer breit angelegten Studie über ihre Wirksamkeit.  Es ist daher durchaus möglich und wünschenswert, dass in einem empirischen Wissenschaftssystem eine Aussage durch die Erprobung neuer Techniken widerlegt und in Frage gestellt werden kann(4). Folglich ist die Kritik an Leitlinienempfehlungen Teil ihrer Entwicklung und gehört zum wissenschaftlichen Leben in der Medizin. Letztlich ermöglichen die Diskussionen, die um Guidelines entfacht werden, ihre Verbreitung und Anpassung, was auch ihre Implementierung in den klinischen Alltag verbessert(5).

In Bezug auf den spezifischen Inhalt des Artikels von Dr. R. Schmid ist es interessant zu sehen, wie sich die Literatur und auch die Qualität der Ultraschalltechniken und -bilder, die bei akuter Pyelonephritis (ANP) erworben wurden, in den letzten drei Jahrzehnten entwickelt haben. Bis zur Jahrtausendwende war der Nierenultraschall eindeutig nicht zuverlässig genug, um seine Verwendung bei ANP vorzuschlagen, insbesondere aufgrund seiner geringen Empfindlichkeit(6, 7). Im darauffolgenden Jahrzehnt führte der Einsatz einer neuen Technik (Power Doppler Ultrasonographie, PDUS) zu einer akzeptablen Sensitivität und Spezifität von 74-89% bzw. 53-89% im Vergleich zur DMSA-Szintigraphie, aber der enttäuschende positive Vorhersagewert von ca. 70% war eindeutig unzureichend, um die Praxis zu ändern(8, 9). Es ist anzumerken, dass sich die aktuellen Empfehlungen meist nur auf die Bewertung der PDUS und die Artikel aus den Jahren 2000 bis 2012 stützen. Dies ist normal und spiegelt lediglich die Trägheit wider, die zwischen der Einführung neuer Techniken, ihrer Bewertung und ihrer Umsetzung besteht. Dies erklärt auch, warum die technische Entwicklung der Ultraschallgeräte im letzten Jahrzehnt in den aktuellen Leitlinien kaum zum Ausdruck kommt. Im letzten Jahrzehnt hat sich jedoch die Hardware («Matrix»-Schallköpfe) rasant verbessert und inhärente technische Fortschritte haben den konventionellen Ultraschall verbessert. Es sind neue Techniken wie Mikrogefäßultraschall (MVUS) oder kontrastverstärkter Ultraschall (CEUS) entstanden, wobei letztere Technik eine Sensitivität von 98% und eine VPN von 100% erreicht(10-12). CEUS erfordert jedoch die Verwendung von Kontrastmittel, was diese Technik für die Erstlinientherapie ungeeignet macht. Die MVUS hingegen kann die für eine ANP charakteristischen Hypoperfusionszonen des Nierenparenchyms mit einer Sensitivität von über 90% gut erkennen(13)

Schließlich haben technische Verbesserungen auch die Leistungsfähigkeit der PDUS erhöht, die derzeit bei Kindern über einem Jahr eine Sensitivität von 94% aufweist(14). Da Ultraschall eine nicht-invasive Technik ist, die keine ionisierende Strahlung benötigt und leicht in erster Linie verfügbar ist, hat das American College of Radiology (ACR) kürzlich die Verwendung von Doppler-Ultraschall bei der Diagnose von APN bei besonders gefährdeten Patienten, wie z. B. schwangeren Frauen, sehr alten oder immungeschwächten Patienten, in Erwägung gezogen(15).

Daher ist der Einsatz von Ultraschall bei der Diagnose der APN Gegenstand einer umfangreichen Literatur, die in diesem redaktionellen Kommentar nur kurz gestreift wird. Natürlich bleibt die Kontroverse bestehen und weitere Studien sind erforderlich (wie in allen Bereichen der Medizin), aber die aktuellen Fortschritte bei dieser nicht-invasiven Technik ermöglichen bereits ihren Einsatz in der Erwachsenenmedizin bei den am stärksten gefährdeten Patienten. Es ist daher vernünftig anzunehmen, dass auch Kinder in naher Zukunft von diesen neuen Entwicklungen profitieren können.

Referenzen

  1. Schmid R. Diagnostic de l’infection urinaire aiguë par échographie en pédiatrie. Paediatrica. 2023;34-2.
  2. Buettcher M, Trueck J, Niederer-Loher A, Heininger U, Agyeman P, Asner S, et al. Swiss consensus recommendations on urinary tract infections in children. Eur J Pediatr. 2021;180(3):663-74.
  3. Daniels GH, Kopp PA. Guidelines Are Not Gospel! Thyroid. 2019;29(6):753-7.
  4. Popper K. The Logic of Scientific Discovery. New York: Routledge; 2002.
  5. Wang Z, Norris SL, Bero L. The advantages and limitations of guideline adaptation frameworks. Implement Sci. 2018;13(1):72.
  6. Bjorgvinsson E, Majd M, Eggli KD. Diagnosis of acute pyelonephritis in children: comparison of sonography and 99mTc-DMSA scintigraphy. AJR Am J Roentgenol. 1991;157(3):539-43.
  7. Lavocat MP, Granjon D, Allard D, Gay C, Freycon MT, Dubois F. Imaging of pyelonephritis. Pediatr Radiol. 1997;27(2):159-65.
  8. Basiratnia M, Noohi AH, Lotfi M, Alavi MS. Power Doppler sonographic evaluation of acute childhood pyelonephritis. Pediatr Nephrol. 2006;21(12):1854-7.
  9. Stogianni A, Nikolopoulos P, Oikonomou I, Gatzola M, Balaris V, Farmakiotis D, et al. Childhood acute pyelonephritis: comparison of power Doppler sonography and Tc-DMSA scintigraphy. Pediatr Radiol. 2007;37(7):685-90.
  10. Mitterberger M, Pinggera GM, Colleselli D, Bartsch G, Strasser H, Steppan I, et al. Acute pyelonephritis: comparison of diagnosis with computed tomography and contrast-enhanced ultrasonography. BJU Int. 2008;101(3):341-4.
  11. Rinaldo C, Grimaldi D, Di Serafino M, Iacobellis F, Verde F, Caruso M, et al. An update on pyelonephritis: role of contrast enhancement ultrasound (CEUS). J Ultrasound. 2023;26(2):333-42.
  12. Lee HB, Lee S, Choi YH, Cheon JE, Lee SB, Cho YJ, et al. Contrast-enhanced ultrasound for the diagnosis of acute pyelonephritis in pediatric patients with urinary tract infection: A feasibility study. PLoS One. 2023;18(4):e0284016.
  13. Choi G, Je BK, Hong D, Cha J. Microvascular Doppler ultrasound in children with acute pyelonephritis. Med Ultrason. 2021;23(2):161-7.
  14. Chen MG, Yang Y, Yang Q, Zhuang JQ, Ye XH, Zheng WJ. New strategy of color and power doppler sonography combined with DMSA in the assessment of acute pyelonephritis in infants. BMC Nephrol. 2021;22(1):181.
  15. Smith AD, Nikolaidis P, Khatri G, Chong ST, De Leon AD, Ganeshan D, et al. ACR Appropriateness Criteria(R) Acute Pyelonephritis: 2022 Update. J Am Coll Radiol. 2022;19(11S):S224-S39.

Weitere Informationen

Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med.  Johnny Deladoey Spécialiste en pédiatrie, Facultà di Scienze Biomediche, Università della Svizzera Italiana, Lugano; Centre d’endocrinologie et de diabétologie pédiatrique, Vevey et Martigny