Prebiotika sind definiert als natürliches nicht verdauliche Lebensmittelbestandteile, welche die Gesundheit verbessern sollen, indem sie die Darmflora durch die selektive Stimu lation gewisser probiotisch aktiver Bakterien günstig beeinflussen.
Fortbildung / Formation continue
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Vol. 15 No. 6 2004
1. Definition und Vorkommen
Prebiotika sind definiert als natürliches nicht-
verdauliche Lebensmittelbestandteile, wel-
che die Gesundheit verbessern sollen, indem
sie die Darmflora durch die selektive Stimu-
lation gewisser probiotisch aktiver Bakterien
günstig beeinflussen
1).
Sie werden zudem seit einigen Jahren durch
die Nahrungsmittelindustrie gewissen Nah-
rungsmitteln zusätzlich zugesetzt, z.B. zu ver-
schiedenen Milchprodukten oder Getreide-
stengeln (Functionalfood). Auch Säuglings-
nährmittel werden seit Kurzem teilweise mit
Prebiotika angereichert.
Es handelt sich bei den Prebiotika um kurz-
kettige Kohlehydrate, die im Dünndarm nicht
verdaut werden und somit unverändert den
Dickdarm erreichen und der bakteriellen
Dickdarmflora als Substrat zur Verfügung
stehen. Die quantitativ bedeutendsten na-
türlich vorkommenden Prebiotika in unseren
Nahrungsmitteln sind Frukto-Oligosacchari-
de (FOS) und Inulin. Sie bilden wichtige Spei-
cher-Kohlehydrate in vielen Pflanzen wie zum
Beispiel in Gemüse (Lauch, Zwiebeln, Knob-
lauch, Artischocken, Chicorée, Spargeln),
Früchten (Bananen) und Getreide (Roggen,
Weizen). In einer ausgewogenen europäi-
schen Diät werden pro Person durch-
schnittlich 3–11 g natürliche Prebiotika täg-
lich aufgenommen
2). Im Vergleich dazu wird
z.B. in den USA durchschnittlich nur 1–4 g
täglich konsumiert.
Die Einnahme von Prebiotika-haltigen Le-
bensmitteln wird infolge der Modulation der
Darmflora mit einer gesundheitsfördernden
Wirkung assoziiert. Klinische Studien, die ei-
nen anhaltenden Effekt bei Kindern oder Er-
wachsenen zeigen, fehlen jedoch bisher.
2. Muttermilch und
Muttermilchersatzpräparate
Im Gegensatz zu Kuhmilch enthält auch die
Muttermilch grosse Mengen von Oligosac-
chariden (ca. 5–8 g pro Liter), die teilweise
prebiotisch aktiv sind. Dabei handelt es sich
um Galaktose-haltige Oligosaccharide, diedeshalb als Galakto-Oligosaccharide (GOS)
bezeichnet werden
3), 4) . Diese natürlichen
humanen Milch-Oligosaccharide (HMO) der
Muttermilch wirken nachgewiesenermas-
sen bifidogen und sind offensichtlich bei ge-
stillten Säuglingen mit einem Schutz gegen
Durchfallerkrankungen assoziiert, wie eine
interessante, vor kurzem publizierte Studie
nachweist
5).
Die HMO der Muttermilch sind mit mehr
als 130 verschiedenen Komponenten ausser-
ordentlich komplex zusammengesetzt und
können deshalb aus technischen und wirt-
schaftlichen Gründen in ihrer ganzen Kom-
plexität nicht synthetisch hergestellt und den
Muttermilchersatzpräparaten beigefügt wer-
den
3), 4) . In einer klinischen Studie wurde je-
doch gezeigt, dass eine Substitution von Mut-
termilchersatzpräparaten mit einer den HMO
in gewissen Aspekten (Molekulargewicht) an-
gepassten Mischung aus GOS und FOS do-
sisabhängig zu einer signifikanten Vermeh-
rung der Bifidobakterien im Stuhl führt und
damit die Darmflora der so ernährten Früh-
geborenen und Säuglinge der Darmflora von
gestillten Kindern angleicht
6), 7), 8), 9) . Ein an-
haltender klinischer Nutzen dieser Substi-
tution wurde bisher jedoch nicht nachge-
wiesen.
3. Wirkung
Die Zufuhr von Inulin und FOS, bei Erwach-
senen in einer Dosierung von 10 g/Tag, sti-
muliert die Proliferation von Milchsäurebak-
terien, v.a. Bifidobakterien, im Darm. Diese
Bakterien fermentieren die prebiotischen Fa-
sern und bauen sie zu kurzkettigen Fettsäu-
ren ab. Es entstehen Acetat, Butyrat, Lactat
und Propionat
10 ). Dies erhöht den osmoti-
schen Gradient im Kolon und steigert den
Wassergehalt des Koloninhalts. Damit wird
das Stuhlgewicht gesteigert und die Stuhl-
konsistenz weicher
7), 8), 9) .
Ausserdem sinkt das Stuhl-pH, wodurch die
Löslichkeit von Mineralstoffen und Spuren-
elementen wie Kalzium und Magnesium er-
höht wird. In einer klinischen Studie wurde
gezeigt, dass auf diese Weise die Kalzium-
absorption verbessert wird
11). In Tierversuchen konnte gezeigt werden,
dass FOS und Inulin eine Lipidsenkung be-
wirken können, allerdings nur bei Verwen-
dung von sehr hohen Dosen. Beim Menschen
gibt es nur wenige Studien mit wider-
sprüchlichen Resultaten
12), 13) . Für eine defi-
nitive Stellungnahme ist es deshalb zu früh.
Auch der Einfluss auf Glucose-Stoffwechsel
und Insulin-Resistenz ist kontrovers
13 )und die
prophylaktische Wirkung für Typ 2-Diabetes
mellitus bleibt hypothetisch.
Epidemiologische Studien zeigen, dass eine
ballaststoffreiche Diät das Kolonkarzinom-
Risiko reduzieren kann. Verschiedene Be-
standteile von pflanzlichen Nahrungsmitteln,
u.a. Prebiotika, könnten dabei eine Rolle spie-
len. Direkte experimentelle Evidenz für eine
antikarzinogene Wirkung von prebiotisch ak-
tiven Oligosacchariden beim Menschen gibt
es jedoch nicht, sodass auch diese mögliche
Wirkung bisher hypothetisch bleibt
14 ).
Die Verbesserung der Darmflora durch Ap-
plikation von prebiotischen Fasern könnte bei
Kindern und Erwachsenen sowohl eine pro-
phylaktische wie auch eine therapeutische
Wirkung gegen gastrointestinale Infekte ha-
ben. Eine grosse randomisierte kontrollierte
Studie konnte jedoch keinen Nutzen einer
Mischung von unverdaulichen Kohlehydraten
(FOS, Inulin u.a.) für die Gastroenteritis-Be-
handlung von Säuglingen und Kleinkindern
nachweisen
15 ).
Stillen hat einen protektiven Effekt gegen
Asthma und allergische Rhinitis
16), 17) . Die bi-
fidogene Darmflora von gestillten Kindern
könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Ob
die Manipulation der Darmflora durch Pre-
biotika ebenfalls einen protektiven Effekt hat,
ist bisher nicht untersucht worden.
4. Nebenwirkungen
Durch die bakterielle Fermentation der pre-
biotischen Oligosaccharide entstehen auch
Gase (H2, Methan u.a.), was bei hoher Do-
sierung zu Blähungen, Bauchschmerzen und
Diarrhöe führen kann.
Andere wesentliche Nebenwirkungen wur-
den bisher nicht berichtet.
5. Zusammenfassung
Prebiotika sind definiert als natürliche, nicht-
verdauliche Lebensmittelbestandteile (Oli-
Prebiotika
Christian P. Braegger, Zürich
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gosaccharide), welche die Gesundheit ver-
bessern sollen, indem sie die Darmflora
durch die Stimulation gewisser probiotisch
aktiver Bakterien günstig beeinflussen. Sie
kommen natürlicherweise vor in Gemüse,
Früchten, Getreide und in der Muttermilch.
Die Zufuhr von Prebiotika stimuliert die Pro-
liferation von Milchsäurebakterien, v.a. Bifi-
dobakterien, welche die prebiotischen Fasern
fermentieren und zu kurzkettigen Fettsäuren
abbauen. Das Stuhlgewicht wird erhöht
und die Stuhlkonsistenz weicher. Die Kalzi-
umabsorption kann verbessert werden.
Auch die natürlichen Galakto-Oligosaccha-
ride der Muttermilch sind bifidogen. Sie
schützen gestillte Säuglinge vor Durchfall-
erkrankungen. Substitution von Mutter-
milchersatzpräparaten mit einer Prebiotika-
Mischung führt ebenfalls zu einer signifi-
kanten Vermehrung der Bifidobakterien im
Stuhl. Ein anhaltender klinischer Nutzen die-
ser Substitution wurde bisher jedoch nicht
nachgewiesen. Weitere mögliche, bisher je-
doch erst hypothetische Wirkungen sind
Schutz vor gastrointestinalen Infekten sowie
Allergieprophylaxe, Cholesterinsenkung,
Diabetesprophylaxe und Kolonkarzinom-
prophylaxe.
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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Christian P. Braegger
Leiter Abteilung Gastroenterologie
& Ernährung
Universitäts-Kinderklinik Zürich
Steinwiesstr. 75
8032 Zürich
c
hristian.braegger@kispi.unizh.c h
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Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Christian P. Braegger , Abteilung Gastroenterologie und Ernährung, Universitäts-Kinderspital Zürich - Eleonorenstiftung