Ein erster gegen das Zervixkarzinom und weitere mit den human papilloma virus (HPV) assoziierte Krankheiten gerichteter Impfstoff (Gardasil®, SPMSD) ist seit Anfang Januar 2007 in der Schweiz registriert und verfügbar, ein zweiter Impfstoff (Cervarix ®, GSK) wird diesen Sommer erwartet. Über die ausserordentliche Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser beiden Impfstoffe wurde bereits berichtet, nicht zuletzt in Laienpresse und Massenmedien. Die von den beiden sich kommerziell konkurrierenden Produzenten begonnenen und geplanten Werbekampagnen versprechen beiden Produkten eine weite Publicity; wir wissen auch, dass eine Mehrzahl Frauen, die Frage nach einer Impfung bejaht, handelt es sich doch um eine, wegen der Verpflichtung zum regelmässigen Screening, in ihrem Leben extrem präsente Krebsform. Zweck dieses Artikels ist es, die wesentlichen Fakten zu dieser Impfung in Erinnerung zu rufen und einige Fragen zur Haltung der Grundversorger, und der Kinderärzte im Speziellen, gegenüber dieser neuen gesundheitspolitischen Herausforderung zu stellen.
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Einführung
Ein erster gegen das Zervixkarzinom und
weitere mit den human papilloma virus
(HPV) assoziierte Krankheiten gerichteter
Impfstoff (Gardasil ®, SPMSD) ist seit Anfang
Januar 2007 in der Schweiz registriert und
verfügbar, ein zweiter Impfstoff (Cerva –
rix®, GSK) wird diesen Sommer erwartet.
Über die ausserordentliche Wirksamkeit
und Verträglichkeit dieser beiden Impfstoffe
wurde bereits berichtet, nicht zuletzt in Lai –
enpresse und Massenmedien. Die von den
beiden sich kommerziell konkurrierenden
Produzenten begonnenen und geplanten
Werbekampagnen versprechen beiden Pro –
dukten eine weite Publicity; wir wissen auch,
dass eine Mehrzahl Frauen, die Frage nach
einer Impfung bejaht, handelt es sich doch
um eine, wegen der Verpflichtung zum regel –
mässigen Screening, in ihrem Leben extrem
präsente Krebsform. Zweck dieses Artikels
ist es, die wesentlichen Fakten zu dieser
Impfung in Erinnerung zu rufen und einige
Fragen zur Haltung der Grundversorger,
und der Kinderärzte im Speziellen, gegen –
über dieser neuen gesundheitspolitischen
Herausforderung zu stellen.
Virus, Übertragung,
Infektion und Neoplasie:
Das Wesentliche in Kürze
Es gibt über hundert Viren des mensch –
lichen Papilloms (HPV), deren Spezialität
darin besteht, sich im Differenzierungssta –
dium befindende Epithelzellen zu infizieren.
Diese Viren übertragen sich durch Kontakt
mit befallener Haut oder Schleimhäuten.
Es handelt sich um extrem häufige Infek –
tionen, werden doch 70–80% aller sexuell
aktiven Frauen im Verlaufe ihres Lebens
infiziert 1).
Das Infektionsrisiko hängt vom Alter beim
ersten Sexualkontakt und von der Anzahl
Partner ab. Gewisse Studien schliessen
auf eine Verminderung des Infektionsrisi –
kos durch den regelmässigen Gebrauch
des Präservativs, andere hingegen nicht,
was auf weitere, die Übertragung beein –
flussende Faktoren hinweist 2), 3) . Die Mög –
lichkeit der Übertragung durch blossen
Hautkontakt, vor dem Überziehen des
Präservativs und/oder ohne vollständigen
Sexualakt, weist auf einen nur mässigen
Schutz des Präservatifs hin, was durch
die stabile Inzidenz an HPV-Infektionen
zwischen1980 und 2000 bestätigt wird,
obwohl dessen Benutzung durch junge
Menschen wesentlich zugenommen hat.
Je nach Pathogenität wird das Risiko der
HPV, krebsartige Veränderungen hervor –
zurufen, als hoch oder tief eingestuft. Der
akute HPV-Infekt kann symptomfrei ver –
laufen oder zu unbedeutende Symptome
hervorrufen, um erkannt zu werden. Risiko –
arme HPV sind Ursache der Genitalwarzen,
wovon 95% durch die HPV Typ 6 und 11
verursacht werden. Die risikoreichen HPV
sind krebserregend, da sie sich in das
Genom der Wirtzellen integrieren können:
Dies beeinträchtigt die Fähigkeit des Im –
munsystems die Viren zu eliminieren, führt
zu chronischer Infektion und schliesslich zur
Malignombildung.
Der HPV-Infekt ist Voraussetzung für das
Entstehen eines Zervixkarzinoms, werden
HPV doch in 99,7% der Krebsfälle nachge –
wiesen 4), was kurz zusammengefasst bedeu –
tet «ohne HPV kein Zervixkarzinom». Man
schätzt, dass ca. 70% der Zervixkarzinome
durch die HPV 16 und 18 hervorgerufen
werden. Diese Karzinome treten erst nach
einigen Jahren, im Mittel 2–5 Jahre, aber
manchmal auch erst mehrere Jahrzehnte
nach der Infektion auf ( Abb. 1 ). Die Hälfte
der Fälle treten demnach vor dem Alter von
50 Jahren auf. Man schätzt, dass der Infekt
in 10–30% der Fälle persistiert und zu einer
progredienten Dysplasie (Cervical Intraepi –
thelial Neoplasia, CIN I, II, III), zu einem Kar –
zinom in situ und schliesslich zum invasiven
Karzinom führt. Es scheint, dass 30% der
Infekte durch risikoreiche HPV zu Schleim –
hautveränderungen CIN I führen, wovon sich
2–3% zu Stadien höherer Malignität weiter –
entwickeln. Dazu kommt, dass das Risiko
eines HPV-Infektes, direkt in die Stadien
Prävention des human papilloma
virusassoziierten Zervixkarzinoms
in der Schweiz
Claire-Anne Siegrist 1, Genf
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Abbildung 1: Inzidenz des Zervixkarzinoms in der Schweiz, altersabhängig, 1997–2003
Ref: Vereinigung schweizerischer Krebsregister. M: männlich; F: Weiblich
Age Specific Rates
M 1997– 00
M 2001– 03
F 1997– 00
F 2001– 03
25.0
20.0
15.0
10.0
5.0
0.0
0- 5- 10- 15- 20- 25- 30- 35- 40- 45- 50- 55- 60- 65- 70- 75- 80- 85+
1 Die Autorin hat für die Verfassung dieses Beitrages keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten. Als Präsi – dentin der Schweizerischen Kommission für Impffra – gen ist die Autorin durch keine finanziellen Interessen (Eigentum, Tätigkeit, Beraterstatus) an pharmazeu – tische Firmen gebunden und hat jegliche Beteiligung an Expertenpanels pharmazeutischer Firmen im Zu – sammenhang mit HPV-Impfstoffen abgelehnt.
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CIN II oder III überzugehen, auf 3–4% ge –
schätzt wird. Daraus ergibt sich, dass ohne
Behandlung ca. 15% der durch HPV 16 oder
18 hervorgerufenen Infekte Schleimhautlä –
sionen vom Typ CIN III oder ein Karzinom
in situ verursachen können 5), 6), und ca. 25%
der CIN II- oder III-Stadien sich zu einem
invasiven Karzinom weiterentwickeln 7), 8) .
Das Risiko eines persistierenden Infektes
und maligner Veränderung nimmt signifikant
beim Immunsupprimierten zu (HIV-Infekt,
immunsuppressive Behandlung).
Prävention des Zervixkarzinoms
in der Schweiz:
Luxus oder Notwendigkeit?
HPV-Infektionen sind häufig (> 70%) und fin –
den frühzeitig statt, liegt doch das maximale
Infektrisiko in der Schweiz zwischen 18 und
28 Jahren (20%), um bei der über 30-jäh –
rigen Frau auf <10% abzufallen 9). Ihr Risiko,
Genitalwarzen (12% der Infekte durch HPV
6 und 11) und krebsartige Veränderungen
(15-25% der Infekte durch HPV 16 und 18)
zu verursachen, ist beträchtlich.
Mit weltweit knapp einer halben Million neu -
er Fälle pro Jahr, handelt es sich bei dieser
Krebsform um die zweithäufigste bei der
Frau. In der Schweiz werden die Präventions-
und Therapieprogramme maligner Vorstadi -
en seit den 70er Jahren allgemein durchge -
führt: Trotzdem ist die Anzahl Zervixkarzi -
nome nur um 20% zurückgegangen (von 440
auf 320 Fälle pro Jahr) 10). Diese Inzidenz hat
im Wesentlichen bei den über 50-jährigen
Frauen abgenommen, die hauptsächlichste
Zielgruppe der Präventionsprogramme. Es
ist leicht zu verstehen, dass die Inzidenz
des Zervixkarzinoms bei über 80-jährigen
Frauen, welche wenig zu Screeningunter -
suchungen neigen, hoch bleibt, hingegen
überrascht es festzustellen, dass das Risiko,
an dieser Krebsart zu erkranken, bei jungen
Frauen hoch bleibt ( Abb. 1 ). Am meisten
stört jedoch, dass sozio-ökonomische Un -
terschiede nicht nur weltweit, sondern auch
in der Schweiz das Risiko, an einem Zervix -
karzinom zu erkranken, beeinflussen. In ge -
wissen Kantonen (Graubünden 14/100 000,
Waadt 10/100 000) wurde 1993–1996 eine
2–3-mal höhere Inzidenz festgestellt, als in
den Städten Genf (6.5/100 000) und Basel
(4.5/100 000) 11). Dies wird hauptsächlich
durch eine mindere Screeningcompliance
erklärt, haben doch mehrere Umfragen ge -
zeigt, dass Frauen ausländischer Herkunft
oder aus sozial benachteiligten Bevölke -
rungsschichten durch Screeningprogramme
weniger gut erfasst werden 11).
Zu den 320 Krebserkrankungen und knapp
hundert Todesfällen muss die beträchtliche
Last der malignen Vorstadien (CIN II–III) hin -
zugezählt werden. Man schätzt, dass 5–8%
der Screeninguntersuchungen zu einem
pathologischen Befund und Krebsverdacht
führen und damit weitere Abklärungen not -
wendig machen, deren Last nicht nur finan -
ziell, sondern auch psychologisch ist. Die
medizinischen Statistiken in der Schweiz
zeigen, dass jährlich über 5 000 Frauen mit
der Diagnose eines Krebsvorstadiums (CIN
II–III) konfrontiert sind. Das bedeutet, dass
sich jährlich über 5000 Frauen einem chi -
rurgischen Eingriff (Konisatio; 3000/Jahr),
Excision, Kauterisierung, Kryochirurgie
usw.) unterwerfen müssen. Diese Eingriffe
sind häufig bei jungen Frauen notwendig
und beeinträchtigen oder komplizieren den
Wunsch nach einer Schwangerschaft – Früh -
geburten sind nach einer Konisation deut -
lich häufiger 12). Die Last dieser jährlich 5000
Diagnosen ist beträchtlich, psychologisch
wie auch bezüglich Gesundheitskosten.
Die Vorbeugung des Zervixkarzinoms und
der übrigen mit den HPV assoziierten Neu-
plasien erfüllt damit die Kriterien eines
gesundheitspolitischen Problems. Einerseits
werden jährlich 5000 Frauen durch HPV-
bedingte Krebsvorstadien betroffen und 340
davon sehen sich, trotz den seit 30 Jahren
bestehenden Screeningprogrammen, der
Diagnose eines Krebses gegenübergestellt.
Andererseit handelt es sich um ein allge -
meines Risiko (> 70% der Frauen), eindeutig
durch soziale und finanzielle Faktoren beein –
flusst, das nur durch gesundheitspolitische
Massnahmen korrigiert werden kann unter
der Bedingung, dass frühzeitig eingegriffen
wird, bevor diese Faktoren zum Tragen
kommen und zu einem in der Folge schwer
zu korrigierenden Marginalisationseffekt
führen.
Die Schaffung eines Modells der HPV-In –
fektion erlaubt es, durch das Verfolgen ei –
ner virtuellen Kohorte 12-jähriger Mädchen
während ihres ganzen Lebens als Frau, die
Gesamtheit der HPV-bedingten Morbidität
im Bereich der Genitalregion zu erfassen.
Diese Modelle sind bei der Analyse neu –
er Strategien sehr hilfreich, erlauben sie
doch, die zu erwartende Auswirkung von
Präventionsstrategien auf diese Pathologien
modellhaft darzustellen (Screening allei –
ne, Impfung alleine, Screening + Impfung
usw.) – und daraus die zu erwartenden
Einsparungen abzuleiten. Entsprechende
Analysen für die Schweiz sind im Gange. Die
in den USA und in England durchgeführten
Untersuchungen zeigen, dass das Einführen
der HPV-Impfung einen entscheidenden
Einfluss auf die durch diese Krankheit verur –
sachten Kosten hat, und somit einen guten
Kosten/Nutzen-Effekt aufweist 13), 14) .
Impfung gegen das Zervixkar
zinom: Das Wesentliche in Kürze
Die Impfstoffe gegen HPV 16 und 18 ( 6
und 11) enthalten Kapsidproteine L1 eines
jeden im Impfstoff enthaltenen HPV-Typs
(Gardasil ®: HPV 16, 18, 6, 11; Cervarix ®:
HPV 16, 18), gentechnisch auf Insekten-
oder Hefezellen hergestellt. Dies erlaubt
die Herstellung von Partikeln, die frei von
genetischem Material sind und damit ohne
jedes Risiko, eine Infektion oder maligne
Entartung zu verursachen. Diese L1-Prote –
ine, die sich spontan zu nicht-infektiösen
Partikeln verbinden, werden zur Verstärkung
der immunogenen Wirkung, in Verbindung
mit einem Adjuvans verabreicht (Gardasil ®:
Aluminium; Cervarix ®: Lipide). Und falls man
Sie danach fragt: Keiner dieser Impfstoffe
enthält Quecksilber!
Die Immunisierung besteht aus drei intra –
muskulär, im Abstand von 0, 1–2 und 6 Mo –
naten verabreichten Dosen. Die bei jungen
Frauen durchgeführten klinischen Studien
ergaben eine starke immunogene Wirkung
sowie eine ausgezeichnete Wirksamkeit der
beiden Impfstoffe gegen die persistierende
Infektion durch die im Impfstoff enthaltenen
HPV (> 90%), gegen Genitalwarzen (> 99%)
und Krebsvorstadien CIN II-III > 99%) 15)–17) .
Es ist auch ein Zurückgehen anderer Krebs –
arten zu erwarten, insbesondere durch
HPV 16 und 18 bedingte Vulva- und Vagi –
nalkrebse.
Da bisher zu wenige Impfversager (!) fest –
gestellt wurden, konnte noch kein, die
Schutzwirkung beweisender Marker iden –
tifiziert werden. Es steht jedoch fest, dass
die Schutzwirkung auf die Neutralisierung
der Viruspartikel durch die Impfantikörper
zurückzuführen ist. Diese nehmen während
den ersten 18 Monaten nach der dritten
Impfdosis ab, bleiben dann während min –
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destens 5 Jahren stabil. Während dieser
Zeit bleibt der Impfschutz ohne signifikanten
Verlust bestehen 18), 19) .
Es ist interessant festzustellen, dass, wie
für die Hepatitis-B, die Immunantwort bei
Adoleszenten ausgeprägter ist als bei jun –
gen Frauen. Zu unterstreichen ist, dass
der Impfstoff bei Frauen, die einen HPV
16/18-Infekt durchgemacht haben oder
zum Zeitpunkt der Impfung einen solchen
aufweisen, unwirksam ist. Ebenso schützt
der Impfstoff offiziell (noch) nicht gegen
nicht im Impfstoff enthaltene HPV-Stämme.
Gemischte Infektionen lassen vermuten,
dass ein HPV 16- oder 18-Infekt das Risiko
eines Befalles durch einen weiteren HPV-Typ
beträchtlich erhöht 20); möglicherweise wird
deren Eindringen in die Schleimhaut begüns –
tigt. Neueste Erkenntnisse zeigen, dass die
Impfung durch Cervarix ® (nur HPV 16 und
18 enthaltend) auch gegen HPV 45 und
31 schützt 18). Es ist also möglich, dass die
Impfung gegen HPV 16 und 18 gegen mehr
als 70% der Zervixkarzinome Schutz bietet.
Die Möglichkeit, dass nicht im Impfstoff
enthaltene HPV-Typen an die Stelle der im
Impfstoff enthaltenen treten, kann selbst –
verständlich noch nicht ausgeschlossen
werden. Dies scheint jedoch höchst unwahr –
scheinlich, da ein solches biologisches Ver –
halten Bakterien und anderen Organismen,
die sich eine ökologische Nische teilen, und
nicht Viren, eigen ist.
Wie für alle neuen Impfstoffe, sind die An –
gaben zur Verträglichkeit mit anderen Impf –
stoffen noch begrenzt. Das gleichzeitige
Impfen (an verschiedenen Körperstellen)
mit Gardasil ® und einem Hepatitis-B-Impf –
stoff ist ohne signifikante Interferenz mög –
lich 19). Insbesondere die amerikanischen,
aber auch andere Gesundheitsämter hal –
ten das gleichzeitige Verabreichen der im
Adoleszentenalter üblichen Impfstoffe auf
Grund physiopathologischer Überlegungen
für durchaus vertretbar, auch wenn die Be –
weisführung durch entsprechende Studien
noch im Gange ist.
Lokale Nebenwirkungen (Druckschmerz,
Rötung, Schwellung) sind häufig (80%).
Fieber tritt in etwa 10% der Fälle auf, Brech –
reiz, Schwindel und Durchfälle sind in der
Placebogruppe (die nur Aluminium gespritzt
bekam) gleich häufig 15), 16) . Der Anteil Per –
sonen, die eine errnsthafte Nebenwirkung
meldeten, und die Art dieser Nebenwir –
kungen waren in der HPV-Gruppe und in der
Placebogruppe gleich häufig 21), 22) . Es beste –
hen z.Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Impfung immunmodulierte oder Krankheiten
allergischer Art hervorrufen kann, wenn es
auch verständlicherweise noch zu früh ist,
Nebenwirkungen in einer Grössenordnung
unter 1/1000 oder 1/10 000 auszuschlies –
sen. Kontraindikationen beschränken sich
auf akute, interkurrente Krankheiten oder
eine frühere anaphylaktische Reaktion auf
eine Impfung oder einen in Impfstoffen ent –
haltenen Bestandteil. Impfung während der
Schwangerschaft und während des Stillens
ist prinzipiell, bis wir über mehr Informati –
onen verfügen, kontraindiziert, jedoch ohne
Verpflichtung strikter Massnahmen (Emp –
fängnisverhütung, Schwangerschaftstest
usw.), handelt es sich doch um nicht infek –
tiöse Impfstoffe.
Impfung der Adoleszenten
gegen das Zervixkarzinom:
Sind wir in der Schweiz gerüstet?
Die praktisch 100%ige Wirksamkeit und her –
vorragende Toleranz des Impfstoffes gegen
das Zervixkarzinom und andere mit HPV 16
und 18 assoziierte Neoplasien erlaubt es, die
derzeitige Strategie sekundärer Prävention
(Screening krebsartiger Vorstadien) durch
eine Strategie primärer Prävention durch
Impfen zu ersetzen. Um wirksam zu sein,
muss diese Strategie darauf zielen, eine
grösstmögliche Zahl junger Adoleszenten,
noch vor Aufnahme sexueller Beziehungen,
zu erfassen. Gemäss der im Jahr 2002 in
der Schweiz durchgeführten Studie SMASH
geben 5% der jungen Mädchen an, ihre sexu-
elle Aktivität vor dem Alter von 15 Jahren
aufgenommen zu haben. Dieses Verhältnis
nimmt rasch zu, haben doch 25% der Stu –
dentinnen und 45% der Lehrtöchter mit 16
Jahren bereits sexuelle Beziehungen 23). Um
eine optimale Wirkung zu erreichen, sollte
die Impfung deshalb im Alter von 11–13 Jah –
ren stattfinden und 80% der Adoleszenten
erreichen.
Die Impfung Adoleszenter ist in der Schweiz
nichts Neues, wird doch die Hepatitisimpfung
im Alter von 11–15 Jahren seit 1998 emp –
fohlen. Wird es genügen, die HPV-Impfung
«anzuhängen», um in allen Kantonen rasch ei –
nen 80%igen Impfschutz zu erreichen? Es ist
erlaubt, daran zu zweifeln, dass dies ohne An –
strengungen möglich sein wird. Die Analyse
der Daten zum Impfschutz gegen Hepatitis-
B zeigt in der Tat beträchtliche kantonale
Unterschiede: Die 2003 durch das Institut für
Sozial- und Präventivmedizin der Universität
Zürich gesammelten Angaben zeigen, dass
nur die Kantone Basel, Freiburg, Jura, Nidwal –
den, Schaffhausen, Waadt, Wallis und Tessin
einen Impfschutz von mindestens 60% für
zumindest eine Dosis erreicht hatten. 2005
sind einige weitere Kantone dazugekommen
– gemäss den Daten des BAG bleibt der Impf –
schutz in gewissen Kantonen, wie Appenzell
(12%) oder Schwyz (35%) jedoch weiterhin
sehr schwach.
Die Kantone, die über eine wirksame Impf –
strategie der Präadoleszenten gegen die He –
patitis-B verfügen, sollten ohne allzu grosse
Tabelle 1: Synopsis Schweizerischer Impfplan 2007
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Schwierigkeiten die HPV-Impfung hinzufü –
gen können, sei dies nun in der Schule oder
in der Privatpraxis nach entsprechender In –
formation in der Schule. Das Impfprogramm
der Adoleszenten schliesst aber auch
die Diphtherie-Tetanus- (Keuchhusten-Polio-
) Auffrischimpfung sowie die Varizellenimp
–
fung (2 Dosen ) für die 4–5% nichtimmunen
Adoleszenten ein. Für 10–15% muss noch die
zweite Dosis MMR nachgeholt werden ( Ta-
belle 1 )24). Die Meningokokken-C-Impfung,
epidemiologisch betrachtet weniger wichtig
(ergänzende und nicht Basisimpfung), ver –
langt einen zumindest ebenbürtigen Zugang
zur Information. Man kann sich also für die
Mehrzahl der Adoleszenten einen Impfka –
lender mit 3 Konsultationen vorstellen und
1–2 zusätzlichen Arztbesuchen, falls die
Varizellenimpfung notwendig ist – eventuell
kombiniert mit der Meningokokkenimpfung
(Tabelle 2 ).
In den Kantonen, die noch nicht über eine
wirksame Impfstrategie für Adoleszente
verfügen, wird die Situation delikat: Nicht
nur nimmt das Hepatitis-B-Risiko für die
jungen Erwachsenen nicht ab, für die kan –
tonalen Behörden wird es auch zunehmend
schwieriger, ihren Mitbürgern zu erklären,
warum die Frauen nur in den Nachbarkan –
tonen wirksam gegen das Zervixkarzinom
geschützt werden! Man kann deshalb hof –
fen, dass dieses politisch sensible Element
zur Bewusstwerdung und zu vermehrten
Anstrengungen führen und damit den Impf –
schutz der Adoleszenten in diesen Kantonen
verbessern wird. Dies wird nicht ohne eine
grundlegende Diskussion über Zusammen –
arbeit und Aufgabenteilung zwischen Schule
und Grundversorger möglich sein.
Die Impfung junger Frauen:
Neue Herausforderungen
erwarten uns!
Die Impfung der Adoleszenten entspricht
einer gesundheitspolitischen Bedürfnis und
verlangt wohlüberlegte Strategien; jene
junger Frauen ist komplexer. Das Risiko,
dass die Infektion bereits vor der Impfung
stattgefunden hat – und diese damit unnötig
ist – nimmt nicht linear mit dem Alter zu,
sondern mit der Anzahl potentiell infizierter
Sexualpartner. Es ist deshalb nicht einfach,
ein Alter festzulegen, ab welchem «der Zug
abgefahren ist». Wie soll man eine junge,
20- oder 25-jährige Frau beraten, ohne nach
der Anzahl ihrer Sexualpartner zu fragen,
und damit das Risiko einzugehen, indiskret
zu erscheinen?
Man wäre versucht, sich das Leben zu ver –
einfachen und die Impfung allen Frauen zu
empfehlen, bis zum für die Impfstoffe regis –
trierten Alter, im Vetrauen auf deren hervor –
ragende Toleranz und in der Hoffnung, nützt
es nichts, so wird es auch nicht schaden.
Aber dies ist keine echte Alternative.
Einerseits wird die Altersgrenze, bisher
auf Grund der Studien mit Gardasil auf 26
Jahre festgelegt, rasch ausgeweitet werden;
beide Firmen liefern bereits Daten, welche
beweisen, dass die Impfung auch im Alter
von 50 Jahren oder sogar darüber hinaus
noch immunogen ist. Jedes Medikament
oder biologische Produkt birgt Risiken in
sich – seien diese noch so klein. Das Prinzip
der Vorsicht, an das wir uns halten, verlangt,
dass eine Impfung nur empfohlen wird,
wenn die Risiken der Krankheit selbst we –
sentlich (100–1000-mal) grösser als diejeni –
ge der Impfung sind. Die HPV-Impfung ohne
Unterschied allen Frauen zu empfehlen, für
welche die HPV-Impfstoffe registriert sind
– oder sein werden – würde gegen dieses
Prinzip verstossen.
Andererseits haben uns die Geschehnisse
um die Hepatitis-B-Impfung in Frankreich
gelehrt, dass bei einer langdauernden Mass –
nahme (3 Injektionen im Abstand von 6–12
Monaten) das zufällige Zusammentreffen mit
den in diesem Alter häufigsten Krankheiten
immer möglich ist. Es werden deshalb un –
weigerlich Autoimmunkrankheiten (multiple
Sklerose, rheumatoide Arthritis, Lupus u.
a. m.) in zeitlichem Zusammenhang mit der
HPV-Impfung auftreten und eine alte Polemik
aufwärmen, die 10 Jahre negativer Studien
wohl beruhigt, aber nicht ausgerottet haben!
Es ist auch zu befürchten, dass weitere, zeit –
lich mit der Impfung assoziierte Pathologien
(Uterusblutungen, Infertilität, Fehlgeburten
usw.) zu denselben Ängsten führen werden.
Alles in unserer Kraft stehende sollte des –
halb unternommen werden, damit min –
destens 80% der Frauen vor dem 15. Ge –
burtstag geimpft werden; dies garantiert
eine maximale Wirkung bei minimalem Ri –
siko eines zufälligen Zusammentreffens mit
Krankheiten, die bei der jungen Frau deut –
lich häufiger sind als bei Adoleszenten. Dies
bedeuet den Einschluss der HPV-Impfung
in das Basisimpfprogramm (Ziel: 80%iger
Impfschutz) und deren Vergütung durch die
obligatorische Grundversicherung. Die Imp –
fung älterer Frauen sollte auf individueller
Basis entschieden werden, auf Grund des
früheren und zukünftigen Infektionsrisikos;
hier steht das persönliche Interesse über
jenem der Allgemeinheit; entsprechend wird
die Vergütung durch die Komplementärver –
sicherung empfohlen.
Was zu tun bleibt…
Die eindeutigen Vorteile einer frühzeitigen
HPV-Impfung (11–13 Jahre), sowohl aus
individueller wie aus gesundheitspolitischer
Sicht, rückt den sich um Adoleszenten küm –
mernden Arzt ins Zentrum des Geschehens.
Den Kinderärzten wird es nicht schwer
fallen, ihre Patienten zu impfen und sie könn-
ten versucht sein, es dabei zu belassen!
Nur eine Minderzahl der Adoleszenten hat
jedoch regelmässigen Kontakt zum Kinder –
arzt, und sozial am Rande stehende oder
benachteiligte Mädchen werden kaum von
ihren Müttern zum Arzt gebracht.
Die grösste Herausforderung wird darin be –
stehen, dass jeder Kanton das Notwendige
veranlasst, um mindestens 80% der Mäd –
chen Zugang zu Impfstellen zu erlauben und
damit eine vollständige Impfung (3 Dosen)
vor dem Alter von 15 Jahren zu erreichen.
Dies bedeutet, dass in jedem Kanton die
Zusammenarbeit von Ärzten und Schule
neu überdenkt werden muss – Schule als
Informationsträger, Impfung in schulinter –
nen Räumen durch Ärzte (mit angepasster
Entlöhnung), Kontrolle der Impfausweise
und Aufgebot von Nachzüglern und Impf –
verweigerern.
Tabelle 2: Vorschlag für einen Impfkalender adoleszenter Mädchen
Alter Impfstoffe Empfehlungen
11–13 Jahre HBV (1) + HPV (1)
+ 2 Monate dT(pa) + HPV (2)
+ 6 Monate HBV (2) + HPV (2)
14–15 Jahre VZV (1) + Men C + Nachholimpfung MMR, wenn nötig
+ 1 Monate VZV (2) + Nachholimpfung MMR, wenn nötig
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Es bleibt zu hoffen, dass diese einzigartige
Gelegenheit ergriffen wird, die Prävention
auf die davon noch allzu oft ausgeschlos –
senen Adoleszenten auszudehnen, und dass
die Kinderärzte- und Grundversorgergesell –
schaften aller Kantone ihre kantonalen und
Schulbehörden zu vermehrter Zusammenar –
beit aufrufen werden.
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24) OFSP et Commission Fédérale pour les Vaccinations.
Plan de vaccination suisse 2007. Directives et Re – commandations N° 8, Berne, OFSP 2007.
Korrespondenzadresse:
Professeur Claire-Anne Siegrist
Präsidentin der Schweizerischen
Kommission für Impffragen
1 Rue Michel Servet
211 Genève 4
Tel. 022 379 57 78
Fax 022 379 58 01
claire-anne.siegrist@medecine.unige.ch
Nächsten Sommer werden mein Freund und ich
Ferien in der Natur machen … wandern … zelten …
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Übersetzer:
Rudolf Schläpfer
Autoren/Autorinnen
Prof. Dr. med. Claire-Anne Siegrist , Präsidentin der Schweizerischen Kommission für Impffragen, Genève